Im Traum wurde ein Dreh vorbereitet: Für HISTORY sollte ich die „Geschichte des Skifahrens“ präsentieren. Auf der Zugspitze lagen sommers 9,22 m Schnee - Rekord. Ich probierte einen rosa-lilanen Renneinteiler aus den 70ern an. Viel zu spät fiel mir ein, dass ich ja gar nicht Skifahren kann. In letzter Minute versuchte ich Produzent und Sender davon zu überzeugen, dass es gewiefter wäre, die Moderationen komödiantisch anzugehen, das heisst: am Ende eines jeden Bildes ungelenk zu stürzen und prinzipiell nie schneller zu fahren als in knappem Schritttempo. Auf einer riesigen Wäschespinne im Schlossgarten von Versailles suchte ich anschließend nach polsternden Unterkleidern, die meine Stürze glimpflicher verlaufen lassen könnten, aber eine Hundertschaft uniformierter Wäschespinnenschützer ließ mich gar nicht erst in die Nähe des Trocknungsgerätes. Erst das Zupfen und Nesteln der Garderobiere, einer Halbschwester von Harvey Weinstein, nahm mir meine Panik, und ich stritt mit Verve für ihre Mitwirkung im On. Wohl weil: Solange an mir herumgezuppelt wird, kann ich nicht nur nicht schnell, sondern sogar gar nicht fahren. Ich blickte in ernste Gesichter, auf geschüttelte Köpfe und schwitzte kalt.
Freitag, 31. Mai 2019
Mittwoch, 29. Mai 2019
Deutsche Flüsse (42): Neue Luppe
Neue Luppe, zwischen Deichen
streichen lange grüne Zotten,
abgeknickt vom Schulterklopfen,
müde über ihresgleichen.
In der Parkbahn: Hottentotten,
die mit einem guten Tropfen
Ihre Lebenslust begießen.
Auf halb zwölfe schießen
Schützenfische scharf,
treffen die Graf Zeppelin,
deren Hülle, prompt durchlocht,
flatuliert und Falten wirft.
Zügig sinkt das Luftschiff nieder.
Trunken singen seichte Lieder
in der Bahn die Afrikaner,
als ganz vorn die Eisenbahner
Gase schnuppern, Unheil wittern,
geistesgegenwärtig twittern:
„Obacht, es bahnt sich was an!“
Schlagartig ernüchtert, springt
der erste von den Namibianern
mutig unters Luftschiff, in die
Neue Luppe, winkt die anderen
herbei. Manche lallen, tapsen
torkelnd in den Brei, der aus
Entengrütze, Pusteblumenflusen
und den eingangs angeführten
Grünzotten besteht. Einer kann
das nicht verknusen, übergibt sich
eben, als mit lautem Platschen
das Gefährt ins Wasser fällt. Lutz,
der Bordhund der Graf Zeppelin,
ein Irish Setter, bellt, er wird
sogleich geborgen. Sorgen macht
man sich um einen, der von losen
Landeleinen unter Wasser fest
umschlungen. Mühsam wird er
freigerungen, dabei vierstimmig
gesungen. Luppenwasser in den
Lungen, wird von Hand er ausge-
wrungen, überlebt, während Lutz nach
Mäusen gräbt. Dem Luftschiffkapitän
sind beiden Ohren bei dem Absturz
abgefroren, abgesehen davon strahlt
er, dankt den Rettern überschwänglich,
birgt aus der Kombüse tauchend
eine Jumboflasche Jägermeister,
Hackfleisch und Tapetenkleister.
Der Likör wird rumgereicht, in der Luppe
eingeweicht der Kleister. In das Hackfleisch
beisst der Käpt‘n, stärkt sich so, dann klebt
mit Hottentottenhilfe er die Hülle wieder heil.
Lutz frisst das feingehackte Schwein,
die Retter steigen in die Parkbahn und der
Zeppelin hebt ab, und vom Auensee bis Halle
singen alle: „Schön ist es, auf der Welt...
P.S.:
Mein langjähriger Facebookfreund Christian macht mich auf den diskriminierenden Charakter des Wortes „Hottentotten“ aufmerksam. Die Buren hätten den Begriff ursprünglich als Spottbezeichnung für die Völker im südwestlichen Afrika verwendet, ehe die Deutsche Kolonialverwaltung ihn übernommen habe. Ups, Wikipedia gibt ihm recht. Wieder was gelernt.
Nun müssen wir gar nicht lange diskutieren über „Political Correctness“ & alles was dazugehört; spannender erscheint mir, eine Version herzustellen, die ganz und gar auf solche Bilder verzichtet, die als auf rassistischen Stereotypen fußend wahrgenommen werden könnten. Frisch ans Werk:,
Unsere Wege pflastern Leichen:
„Hottentotten“, Dauerbrenner
der Kolonialgeschichte. Spott aus,
Spot an. Nocheinmal in neuem Lichte:
Im Waggon sind Nama-Männer,
die, versierte Dampflokkenner, ihre Parkbahnfahrt genießen.
Luppen-Nass verschießen
Schützenfische. Einer
trifft die „König Pilsener“,
deren Hülle, prompt durchlocht,
flatuliert und Falten wirft.
Zügig sinkt das Luftschiff nieder.
Selig singen leichte Lieder
in der Bahn die Afrikaner,
als ganz vorn die Eisenbahner
Gase schnuppern, Unheil wittern,
geistesgegenwärtig twittern:
„Obacht, es bahnt sich was an!“
Schlagartig ernüchtert, springt
der erste von den Namibianern
mutig unters Luftschiff, in die
Neue Luppe, winkt die anderen
herbei. Nur im Lendenschurze
trauen sich die Nama in den Brei, der
aus Entengrütze, Pusteblumenflusen,
Zielwasser vom Schützenfisch,
last but not least Elastomer besteht.
Ein Nama kann das nicht verknusen,
dissoziiert just, als mit lautem Platsch
die Köpi in die Luppe fällt. Das Bordlama namens Enrico spuckt vor
Aufregung und wird geborgen.
Sorgen macht man sich um einen,
der von losen Landeleinen unter Wasser fest umschlungen.
Mühsam wird er freigerungen,
dabei vierstimmig gesungen. Luppenwasser in den Lungen,
wird von Hand er ausgewrungen.
Klappt, d.h. er überlebt, während Enrico spastisch zuckt. Dem Luftschiffkapitän sind beide Ohren bei dem Absturz abgefroren, abgesehen
davon strahlt er, dankt den Rettern überschwänglich,
birgt aus der Kombüse tauchend eine Jumboflasche Eistee, Porree und Tapetenkleister.
Das Kaltgetränk wird rumgereicht, in der Luppe
eingeweicht der Kleister. In den Porree
beisst der Käpt‘n, sagt „I am the best!“, dann macht mit Namahilfe er die Hülle wieder fest.
Enrico frisst den Porreerest,
die Retter steigen in die Parkbahn ein,
Luftschiff Köpi startet durch, und vom Lama bis zum Lurch, vom Auensee bis Halle, singen alle: „Schön ist es, auf der Welt...
Montag, 27. Mai 2019
Deutsche Flüsse (41): Mulde
Ja, so langsam lerne ich, meinen Langsamschwimmer-Vortrag einigermaßen gekonnt zu präsentieren. Als sehr positiv hat sich die Idee erwiesen, mit dem Rad auf die Bühne zu fahren, oder, wenn sich dies aufgrund bühnenbaulicher Gegebenheiten nicht anbietet, das Rad doch wenigstens auf der Bühne zu parken. Dieser Abstellplatz ist, so vermute ich, einigermaßen diebstahlsicher, und zudem rechtfertigt ein zum Requisit deklariertes Klapprad eine ansonsten erklärungsbedürftige Garderobe: Radschuhe für Clickpedale und Funktionsoberhemd. Dieser Kunstgriff minimiert mein Reisegepäck, was wiederum meinen Spass an der Live-Auftreterei maßgeblich mehrt. Gestern bei den Wühlmäusen war’s gut gefüllt, und als zweite echte Verbesserung erwies sich mein offensives Hervorheben des unzweifelhaft angeberischen Charakters meiner Ausführungen. Highlight des Tages war aber eher nicht das schöne Gastspiel in Berlin, sondern die fabelhafte Radtour am Morgen: Bei blendendem Wetter startete ich in Leipzig, fuhr auf nahezu autofreien Kleinstrassen durch Kornblumen, Klatschmohn, weite Horizonte zur Mulde, die ich bei Bad Düben überquerte. Kaum Menschen, dafür viele Wahlplakate, hauptsächlich von der NPD („Regional statt Global“, „Sachsenland im Widerstand“) und „Der dritte Weg“ („Multikulti tötet“) - Kein Wunder, dass die AfD hier triumphieren konnte, wirkt sie doch vor diesem Hintergrund als eher moderate Kraft. Wahlplakate anderer Parteien wurden offenbar nur in Einzelfällen aufgehängt - das scheint in nordsächsischen Dörfern nicht zu lohnen. Hinter Bad Düben gings in den Wald, der mir jedoch bald zu rumpelig wurde, woraufhin ich auf die Bundesstrasse 2 auswich. Flott Richtung Wittenberg, wo ich auf drei kernige Thüringische Triathleten meinen Alters stiess, die mich zu Selfis und Gedankenaustausch in ihren Windschatten nahmen. Angekommen in der Lutherstadt, suchte ich den gerade letzte Woche bei „Genial Daneben - das Quiz“ erwähnten Segensroboter „Bless U 2“, um mich maschinell segnen zu lassen, fand ihn jedoch weder bei der Exerzierhalle noch am Bahnhof. Und so bestieg ich denn ohne den automatisierten Beistand des lieben Gottes meinen Zug in die Teutonenmetropole.
Dies war denn aber auch wirklich das allerallereinzigste Wermutströpfchen des Sonntags (fürs Wahlergebnis übernehme ich höchstens partiell die Verantwortung).
Freitag, 24. Mai 2019
Deutsche Flüsse (40): Weißer Schöps
In Markersdorf bei Görlitz traf Maréchal Duroc eine Kanonenkugel.
Napoleon ließ seinen treuen Gefährten in ein nahes Gehöft bringen, wo er tags darauf starb. An Ort und Stelle wurde anschließend ein Gedenkstein errichtet, für den Frankreich bis 1923 eine Pachtgebühr an den Bauern zahlte. Bis heute gilt das Denkmal als exterritoriales Gebiet Frankreichs. Wenn man also von der sächsischen Polizei gesucht wird, setze man sich auf diesen Stein, gegebenenfalls, bis Frankreich über ein Auslieferungsgesuch der deutschen Behörden befunden hat.
Donnerstag, 23. Mai 2019
Deutsche Flüsse (39): Sieg
Eines Tages versiegte die Sieg.
Das Wasser machte rüber,
die Fische wurden umgeschult
auf Mechatroniker, Handelsfachpacker
oder irgendwas mit Medien.
Das Tausendblatt trat im Zirkus auf.
Die Tretboote kauten am Fußpedal.
Das offene Flussbett erkältete sich.
Die Siegburger kippten Beton drüber
und machten einen Parkplatz draus.
Forscher reisten zur Quelle und
hörten sie mit Stethoskopen ab:
Kein Bumm-Bumm, nur zartes Rauschen.
Einer: „Der Fluss hält das Wasser an!“
Ein anderer: „Es liegt am
hydrostatischen Druck!“
Der dritte meinte, es sei
alles in Ordnung, und wenn nicht,
treffe den Menschen keine Schuld.
Einer rief gar „Sieg Heil!“
und behauptete am nächsten Tag,
man habe ihn mit K.O.-Tropfen traktiert.
Eine Bürgerinitiative forderte
die Umbenennung der Sieg in „Reinfall“,
aber die Schaffhausener drohten mit Klage.
Dann wurde es ruhig um den Fluss.
Er geriet in Vergessenheit.
Transit Sieg Gloria Mundi.
Mittwoch, 22. Mai 2019
Deutsche Flüsse (38): Weser
Mit Spikereifen in den Kindergarten, obwohl schon lange die Kurze-Hosen-Sonne lachte. Wer sich besonders artig gab, durfte den schwarz gekleideten Nonnen beim Schlagen der Glocke zur Hand gehen. Anja hat‘s mehrfach geschafft, ich nie. Vielleicht, weil mir Singen peinlich war. Man nannte mich „Brummer“ - wenn die anderen sangen, durfte ich nebenan zeichnen. In den Pausen wurde Fangen gespielt, immer abwechselnd „Jungs die Mädchen“ und „Mädchen die Jungs“. Letzteres fand ich deutlich spannender. Einmal verbrachten wir einen Sonntag am Strand der Weserinsel Harriersand, mit Blick auf Brake und die majestätisch grüßenden Ozeanriesen. Nachmittags zog ein infernalisches Gewitter auf. Hastig rafften wir das Fernglas, die hartgekochten Eier und das Piz-Buin-Sonnenöl in Mamas Weidenkorb, um im Laufschritt die nächste Fähre zu erreichen. Meine Badehose war weiß mit braunem Muster, inspiriert von Victor Vasarelys Gemälde „Yapoura“ von 1954.
Binnen Minuten war alles dunkel, stürmisch und nass. Kaum legte die Fähre ab, verschwand die Insel wie hinter einem Wasserfall.
Ich habe sie nie wieder gesehen, geschweige denn betreten.
Dienstag, 21. Mai 2019
Deutsche Flüsse (37): Rio de Santa Eulària
Es steht ein Haus
am Riu Santa Eulària,
in dem ein Pistolero saß
& auf dicke Hose machte,
scharf auf eine Russennichte.
Für „Verstehen sie Spass?“
drehten sie mit blauer Dose
eine Lach-und-Sachgeschichte.
Puff!
Der Schützenpantomime schoss;
die Kugel galt dem Alten, Morschen,
traf ihn selbst und seinen forschen Boss.
Tu, Kurt Felix Austria, was nun?
Das Haus steht bei Airbnb,
durchgewischt mit Alkohol:
perfekt um gründlich auszuruhn.
Montag, 20. Mai 2019
Deutsche Flüsse (36): Enz
An der Enz entlang
fährt Bertha Benz
mit ihrem Motorwagen
Über die Grabhügel der Kelten
bügelte nicht selten sie
mit Wohlbehagen
Plötzlich riecht es tendenziell
verkokelt. „Brennt‘s“? hört
man die Kraftfahrerin fragen
Sie hält & hält ein Taschentuch
gegen den Geruch vor ihre Nase
Konvulsivisch rebelliert ihr Magen
In der Ferne nähert sich ein zweites
Fahrzeug, das verbleites Ligroin
schluckt. Flammen schlagen
aus der Schmierölwanne. Tüt!
Mit voller Kanne will der zweite
jetzt vorbei, über die Hügel jagen
- was nicht geht. Der allererste Stau
geht zurück auf eine Frau. „Typisch!“
platzt dem Wartenden der Kragen
Bertha spuckt ins Feuer und stellt fest:
Der Chauvi, den sie warten lässt, ist Carl,
ihr Mann in guten wie in schlechten Tagen
Samstag, 18. Mai 2019
Deutsche Flüsse (35): Main
Teresa sang gestern in der Basilika Vierzehnheiligen bei Bad Staffelstein, und ich war als Babysitter dabei. Irgendwo in dieser Gegend müsste ich mal einen Optikerkongress moderiert haben, vor über einem Jahrzehnt, auf dem mir erstmals das Wort „Best-Ager“ begegnete. Aber davon abgesehen ist mir Oberfranken erfrischend neu.
Die Basilika ist ein prächtiger Großbau mit leider derzeit eingerüsteter Fassade („Irgendwas ist ja immer“). Rokoko mal anders: Nicht leicht und blumig wie die Wies, sondern wuchtig und beige; alles ist aus dieses ockergelben Steintyp gemeißelt, den Frau von Welt von der Place des Vosges in Paris kennt. Von der anderen Seite des Maintales grüsst das kleiderschrankhafte Kloster Banz, gleicher Stein, heute nicht mehr in der Obhut der Benediktiner, sondern der CSU via Hanns-Seidel-Stiftung. Die Vierzehnheiligen erreichen wir, also der vorm Bauch in der Trage sitzende Theo und ich, über eine schmale, gleichmässig ansteigende Allee, während Teresa zur Probe im Taxi voraus gefahren ist. Fischfilet (es ist Freitag) in der Gaststätte mit Pilgerstübala. Es gibt geschmackvoll etikettiertes Pilgerbier, und ich erwäge, mir ein Sixpack in den heimischen Lehnstuhl mitzunehmen. Ist dann aber doch zu unhandlich. Der Platz neben der Kirche bietet einen Wahnsinnspanorama - wenn man sich mindestens die martialische Fabrik sowie den halbfernen Kirchturm aus den 50ern wegdenkt. Im Gotteshaus stösst der Blick zunächst auf den verwirrenden, die vierzehn Nothelfer darstellenden Spezialaltar in der Raummitte.
Schon frappierend, welch weitgehende künstlerische Freiheit man als Rokoko-Architekt genoss. Bei den Vierzehnheiligen handelt es sich fast ausnahmslos um Märtyrer des 12.-14. Jahrhunderts, die in misslichen Lebenslagen helfen, etwa Blasius bei Halsschmerzen. Ins Auge springt sogleich ein Best-Ager, dem wohl der Kopf abgesäbelt wurde (Name vergessen). Und jetzt steht er da und hört, den eigenen Döz in beiden Händen, meiner Frau zu, wie sie Schuberts „Ave Maria“ anstimmt. Das habe ich neulich auch mal mit ihr öffentlich aufgeführt, nämlich als Klavierbegleiter beim 110. Geburtstag von Schwester Konrada, der ältesten Ordensschwester der Welt (letzte Woche verstorben). Heute mit Orgel. Ausserdem singt Teresa Händels „He shall feed his flock“ und Mozarts „Laudate Dominum“. Die große Kirche ist brechend voll (600 Zuhörer?), und Theo singt, quietscht, juchzt begeistert mit. Nachdem wir gar zu viele Blicke auf uns ziehen, gehe ich nach draußen und studiere die Auslagen der Devotionaliengeschäfte. Dicke Kerzen, Ammoniten, Gebetbücher. Ich kaufe ein Heft mit „Nothelfer-Liedern“ für meine Gesangsbücher-Sammlung. Dann übe ich mit Theo Krabbeln am Hang. Meine Frau kommt bestens an; gut möglich, dass wir diesen bezircenden Ort in Zukunft noch häufiger besuchen werden. Und so studiere ich denn auch neugierig ein Aufnahmeformular für die Bruderschaft der Vierzehnheiligen, finde die Idee, sich einem solchen Club anzuschließen, denn aber doch allzu schräg - vom zeitlichen Aufwand mal ganz abgesehen. Beten kann man ja auch daheim im Lehnstuhl, zur Not sogar ohne Bier.
Nach Schlussapplaus im gestreckten Galopp zum Interregio heimwärts.
Donnerstag, 16. Mai 2019
Deutsche Flüsse (34): Saale
Halle 1987. Zu Besuch bei einem hageren, ernsten Tonsetzer alter Schule. Die ganze Familie saß beim Abendbrot, es gab scharfe Radieschen und Leberwurst, und ich äußerte meine Bewunderung der „Marktkirche zur Abendstunde“ von Lyonel Feininger, des wohl berühmtesten aller Halle-Bilder. Dann drehte das Gespräch Richtung Politik; ich berichtete, dass wir uns im Fach Gesellschaftskunde am westdeutschen Gymnasium einem „Systemvergleich BRD-DDR“ gewidmet hätten, mit der Schlussfolgerung, dass die DDR sich durchaus Demokratie nennen dürfe, und zwar auf der Grundlage des Rousseauschen Begriffs der „Identitätsdemokratie“. Beiläufig steckte ich mir ein Radieschen in den Mund. Mein Gastgeber sprang auf, und augenblicklich stieg ihm die Farbe des Gemüses ins Gesicht. In der DDR, so fauchte er mit knisternder Stimme, sei „alles gelogen“: Es gäbe keine Herrschaft des Volkes, sondern nur die Herrschaft einer Partei, und auch die „Res Publica“ sei barer Etikettenschwindel: In einer Republik sei das Staatsvolk die Quelle der Souveränität, und auch hier gelte: Pustekuchen! Die hiesigen Bürger seien Beute der SED!
Ich beherbergte derweil das unversehrte Radieschen in der Backentasche und schämte mich, dass ich den Lehrstoff nicht gründlicher hinterfragt hatte.
Die Frau des Komponisten und seine halbwüchsigen Töchter blickten betreten auf die Tischplatte. Dann biss ich ich in das Rübchen. Es knackte unangenehm laut, und anschließend hörte man nur noch das Quietschen der Strassenbahn überm sachten Glucksen der Saale.
Deutsche Flüsse (33): Oos
Als Coltrane beim Südwestfunk
„My Favorite Things” einspielte,
glitten Wildgänse mit Monden
auf den Flügeln zum Merkur.
Cremefarbene Ponys galoppierten
durchs Casino, und die Müllabfuhr
hatte sich einstweilen nicht um
braunes Packpapier zu kümmern.
Rosenregen ließen schnurrbärtige
Kätzchen wimmern. Türklinken und
Schlittenglocken fielen sanft wie
Neuschneeflocken auf die Wimpern
jener Mädchen, die in weißen Kleidern
an der Oos entlang spazierten,
in den wollbeschuhten Händen
Nudelschnitzel und pürierten
Apfelstrudel. Und im Friedrichsbad,
an der alten Kupferkessel Sinter,
schmolz zu Coltranes Saxofon
der silberweiße Winter.
Mittwoch, 15. Mai 2019
Deutsche Flüsse (32): Halblech
„Die Wilderer vom Krottenkopf“ - so heißt ein frühes Meisterwerk des großen Tommy Krappweis, an dem ich nicht unmaßgeblich mitwirkte.
1997 war ich an den Fuß des Auerbergs gezogen, nach Bernbeuren, genau an der Grenze zwischen Oberbayern und Ostallgäu. Der erste Sommer in dieser mir als Norddeutschem eher fremden Landschaft war ein aufregendes Abenteuer: Jeden Tag entdeckte ich neue Idyllen, Malerwinkel, Merkwürdigkeiten. Ein Platz, der mich sofort in jeder Hinsicht überzeugte, befindet sich zwischen den Ortschaften Prem und Halblech, am gleichnamigen Nebenfluss des Lech, just da, wo Soldaten der Bundeswehr das Abseilen von Felswänden, Frieren im Eiswasser und ähnliche Zeitvertreibe erlernen. Eine breite Schotterflur lädt zum Steinmandlbau ein, man kann die flachen Kiesel aber auch auf der Wasseroberfläche tanzen lassen, oder man aalt sich an heißen Tagen in den Gumpen des kalten Gebirgsflusses. Tommy war begeistert von der Wildheit der freien Flur, und das, was an Utensilien im von Kameramann Matthias Edlinger eher spontan gedrehten Filmchen zu sehen ist, spielt vor allem deshalb mit, weil es zufällig zugegen war: Brot, Bier und Wurst - womöglich splatterten wir unseren Proviant. Tracht trägt Tommy sowieso jeden Tag, lebenslang. Ich hingegen, na ja, eher schubweise, damals allerdings mit Begeisterung. Die Gewehre dürfte ich beigesteuert haben; sowas liegt bei mir unterm Bett.
Matthias Edlinger ist mittlerweile unter die Künstler gegangen, hat gerade eine sehenswerte Ausstellung im Münchener Üblacker-Haus: „It’s a cardboard life“ feiert Verpackungskartonagen und lässt einen das Amazonzeitalter neu begrübeln. Tommy Krappweis macht weiter wie eh und je: Seine Firma, die „Bummfilm“, dient ihm als Labor für schräge Ideen, unter denen sich in den vergangenen Jahrzehnten einige zu Hits, ja, zu Evergreens entwickelt haben, etwa „Bernd das Brot“, „Mara und der Feuerbringer“ oder, ganz aktuell, die Hörspielreihe „Ghostsitter“. Unter allen Firmen, die ich in der Zerstreuungsbranche kennengelernt habe, ist die „Bummfilm“ die sonderbarste: Gegründet eigentlich von einer Clique Super-8-filmbegeisterter, latent pyromaner Realschüler, hält sie seit 25 Jahren gegen alle Gesetze der Betriebswirtschaft durch, als echtes Familienunternehmen. Tommys Bruder Nico ist auch dabei, und Vater Werner schwebt nunmehr als guter Geist über uns allen, nachdem er bei seiner Leidenschaft, dem Rennradfahren, einigermaßen betagt tödlich verunglückte. Ja, ich ich bin stolz, ebenfalls Teilhaber der Bummfilm zu sein.
Wie so vieles verdankt die Menschheit auch die Kombination aus Heimatfilm und Kung-Fu-Farce einem Fluss, nämlich dem Halblech. Und jetzt: Vorhang auf!
Dienstag, 14. Mai 2019
Deutsche Flüsse (31): Knatter
Jetzt ist die Zeit, in der die Erpel ernst machen und jede Ente besteigen, die im Wege steht.
Zwei halten fest, einer springt drauf. Vergewaltigung als Normalfall. Nein hat sie nicht gesagt, Herr Richter, nur ein leises Quak. Und das kann ja alles bedeuten.
Wie komme ich jetzt auf Kyritz an der Knatter? Da bin ich mal nachts durchgeradelt, auf der B5, und ein Fuchs verfolgte mich. Ja, gerade so, als sei ich Ente und er Erpel. Höchst sonderbar. Ich fuhr links, er mir nach. Ich rechts, er hinterher. Irgendwann bekam ich‘s mit der Angst und sprintete davon. Ich meinte in dieser Nacht auch die Knatter überquert zu haben, aber später erfuhr ich, dass es die Knatter in der sogenannten Wirklichkeit gar nicht gibt.
Kyritz wurde von Ernst H. Hilbich besungen, in seinem berühmten Karnevalsschlager „Heut’ ist Karneval in Kyritz an der Knatter“. In einem Interview verriet Hilbich unlängst, dass es in dem Lied ursprünglich um Knieritz ging, einen fiktiven Ort jwd. Bald wurde aus Knieritz Kyritz, wohl, weil sich’s leichter singen lässt. Und heute, Jahrzehnte später, gibt es weiterhin Postkarten, denen zufolge Kyritz an der Knatter liegt, und nicht am Untersee. Die Dosse ist auch nicht weit, die Jäglitz und das Kyritzer Königsfließ. Aber keine Knatter (höchstens womöglich ein in früheren Zeiten knatternde Wassermühlen antreibendes, heute verrohrtes Rinnsal ohne geografische Relevanz). So. Und nachdem wir uns dies hiermit einmal klargemacht haben, vergessen wir die Sachlage einfach wieder und machen mit der schnöden Realität, was die Erpel derzeit mit den Enten veranstalten.
Die Knatter? Klar gibt’s die. Ich kann sie sogar limnologisch präzise beschreiben: Im Oberlauf Köcherfliegenlarven, bei Kyritz Plötzen und Schleien, in den Altarmen Entengrütze. Und beim ersten Morgenorange rolle ich über die Brücke, Ernst H. Hilbich hinterher, angeschickert, im Fuchskostüm.