Sonntag, 19. Juli 2020

Feldforschung auf dem Virus-Archipel

3.7.
Wird Zeit, dass meine geliebte Frau wieder beruflich etwas mehr zu tun kriegt. Teresa hat eine Vielzahl außergewöhnlicher Talente, unter denen ich zwei hervorheben möchte: Singen und Forschen. Für eine Opern- und Konzertsängerin waren die vergangenen Monate nicht ganz optimal; abgesagt wurde im Grunde alles, was auch nur entfernt an ein Konzert erinnerte, mit einer Ausnahme: In Kirchen scheinen Sopranistinnen umso wichtiger, je weniger die Gemeinde singen darf, und so hatte Teresa einige erbauliche Stunden auf den Emporen der Stadt. Wenn epidemiologisch nichts dagegen spricht, wird sie auch in diesem August wieder in der bestrickenden Basilika in Mondsee singen, die Bach-Kantate „Ich hatte viel Bekümmernis“ (was passte besser) und die „Coronation Mass“ von Mozart (den kleinen Spaß wollten sie sich gönnen). 
Zu ihrer Promotion letztes Jahr schenkte ich ihr (bzw. uns) ein Klingelschild, auf dem „Dr. Boning“ steht. Ihre Dissertation schrieb Teresa über das Thema „Funktionale Gesangspädagogik im psychiatrischen Setting“; sie erforschte, welchen Einfluss Singen auf Menschen mit psychischer Erkrankung hat, und nicht nur sie, nein, auch ich habe durch die vielen Begegnungen viel gelernt. Die Ergebnisse der Studie in alleräußerster, total unwissenschaftlicher Verknappung: Gegen Schizophrenie hilft Singen nur in Spezialfällen, ebenso bei posttraumatischen Belastungsstörungen, bei Depressionen hingegen oft. Meine Bewunderung für die Offenheit und die Energie, mit der sie sich den Patienten widmete, war und ist grenzenlos, und wurde nur noch von jenem Staunen übertroffen, mit dem ich ihre Arbeit an der Niederschrift der Diss. quittierte, die im wesentlichen nachts stattfand, als Theo - und ich - schliefen. 
Teresa ist ein ganz und gar angstfreier Mensch, das drückt sich schon in ihrer Lieblingspartie als Sopranistin aus, nämlich der „Königin der Nacht“: Die Arien sind höllisch schwer, und jeder meint zu wissen, wie‘s klingen soll. 
Noch ein Beispiel: Stillen. Teresa stillt beide Kinder, nach Bedarf, das bedeutet, in der Tram, in der Kirche, backstage sowieso, und je größer die Kinder, desto größer die Augen mancher empörter Passanten. Obwohl doch die Vorteile des Stillens allgemeinen bekannt sind. 
Ein besonderes Abenteuer war der von meiner Gattin geleitete Patientenchor im Rahmen ihrer Studie im Klinikum Rechts der Isar: Einigen der Teilnehmer war die Last ihres Lebens ins Gesicht geschrieben, und umso ergreifender war die Lösung der Herzensfesseln, die Leichtigkeit, die sich dieser lieben Menschen bemächtigte, wenn sie im Chor zusammen sangen. Ich war bei fast allen Konzerten dabei, unter anderem bei Gottesdiensten „für Menschen mit und ohne psychiatrische Erkrankungen“. Einerseits waren dies einige der spannendsten Konzerte, an die ich mich erinnern kann, und andererseits habe ich bei diesen Veranstaltungen die leidlindernde Kraft des Glaubens gerade für jene Mitmenschen begriffen, denen es weniger gut geht als uns.
Aus den allseits bekannten Gründen ist Singen im Krankenhaus momentan nicht sonderlich gern gehört, und es wäre beglückend, wenn sich dies eines schönen Tages wieder ändert. 
Bei mir hingegen tut sich einiges: Ab morgen darf ich mich in Köln wieder ausgiebig mit dem SAT1-Vorabendprogramm beschäftigen, und ich freue mich auf die lieben Kollegen, an erster Stelle auf Hugo Egon Balder, den coolsten Typen, dem ich je begegnet bin. Bin nicht zuletzt auf das Hygiene-Konzept gespannt.
Und, neu im Programm: Ich lese aus diesem Tagebuch vor. Am 23. dieses Monats auf Sylt, am 24. auf Amrum. Jeweils zwei Veranstaltungen vor limitiertem Publikum à 50 Minuten. Könnte ein interessanter Freistil-Mix aus Lesung und gruppentherapeutischer Gesprächsrunde werden.

4.7.
Tabakwerbeverbot, endlich. Ist natürlich schade für die Indianer Nordamerikas, deren wirkmächtigste Beiträge zur Weltkultur Kraulschwimmen und Rauchen waren. Ansonsten gilt: Hauptsache gesund!
Katalysator, Fahrverbot, Lebensmittelampel, Krebsvorsorge, Helmpflicht, Corona-App - unser Leben wird immer länger, und das ist doch ein erfreulicher Trend. 
Zur Reichsgründung 1871 betrug die Lebenserwartung keine 40 - weniger als die Hälfte jener Jahre, auf die man heute hoffen darf. Als utopisches Fernziel lockt die Vierstelligkeit - jedenfalls viele. 
Meine Oma Gerda starb mit 94. Sie hatte viel erlebt, und kurz vor ihrem Tod sagte sie „Jetzt reicht’s auch“. Den Begriff „Lebensmüdigkeit“ begriff ich, als ich ihr dabei zusah, wie sie sich täglich in heroischem Kampf die dreizehn Stufen zu ihrer Wohnung hinauf kämpfte. 
Ob ihr Leben erfüllter gewesen wäre, wenn sie zB 150 Jahre lang gelebt hätte? So manche Gefühlslage dürfte sich in einem so langen Leben wiederholen - es sei denn, jede Lebensphase würde extrem gestreckt werden: 20 Jahre Schule, 30 Semester Studium, fünf Jahre Dating bis zum ersten Kuss, 50 Jahre später dann das erste Kind - langsam leben, wie der Grönlandhai, der ohne Hektik durchs Kaltwasser gondelt und Jahrhunderte alt wird.
Aber: Das lange Leben hat seinen Preis. Kein Rasen, keine Orgien, kein Bier vor vier, Zucker und Fett streng rationiert, keine Bergtouren in Badelatschen, keine Tätowierungen, Maske Tag & Nacht obligatorisch, tägliche Tests auf alle bekannten Krankheiten, laute Musik verboten (Gehörschutzgesetz), neun Stunden Schlaf gesetzliches Minimum, aufregende Filme ausschließlich mit Attest des Kardiologen. 
Nur mit zuverlässiger Sozialkontrolle lässt sich die Lebenserwartung ausreizen; die Chinesen leisten Pionierarbeit, und wir folgen, die Zeigefinger gereckt - auf freiwilliger Basis, versteht sich. 
Eigenverantwortung, so sagen die Lebensverlängerer, ist der frisch ondulierte Zwillingsbruder der Verantwortungslosigkeit, und die Mehrheit nickt - wer will schon früh sterben?
Mein Papa pflegt jedoch zu sagen: Die Summe der Laster bleibt gleich. Auch im grellen Schein der Totalüberwachung werden sich schattige Plätzchen finden, an denen Homo ludens in Unvernunft schwelgen kann.  
Weltraumbahnhof Coloneum. Kommandant Balder lädt Hella von Sinnen und mich zu 34 weiteren Umrundungen des Planeten Ossendorf. Ohne Publikum, dafür mit Plexiglasscheiben zwischen den Besatzungsmitgliedern und neuem Spielsystem. Als Kandidaten fungieren Pärchen, mit sehr praktischer Begründung: Wer im selben Haushalt wohnt, muss keinen Abstand halten - das tut der Optik gut. 
Statt banaler Scheiben hätte ich natürlich lieber rundum abschließende Kapseln, wie damals bei „Der große Preis“, aber sei‘s drum.
Bester Witz der Durchlaufprobe: Wir haben den Sicherheitsbeautragten der Firma Tönnies abgeworben, der als erste Amtshandlung unsere Klimaanlage hochgedreht hat. 
Zweitbester Witz: Ich bin Superstar und hätte mein Plexiglas gerne dunkel getönt (ist sogar von mir).

5.7.
Endlich wieder Fernsehfabrik! Ich versuche auszuschlafen, bin aber leider schon um 5:30 wach wie ein Wanderfalke. Also aktiviere ich die Kaffeemaschine in meinem Komfort-Appartment, für die ich (ganz geübter Stammgast) noch gestern eine Jumbo-Packung mit 30 Kapseln erworben habe, außerdem Müesli, Milch und Orangensaft. 
An ein Duschpflaster habe ich erneut nicht gedacht, und so beginne ich den Tag mit sehr spezieller Brausengymnastik: Geldusche, ohne dass der OP-Verband nass wird (Gel-Dusche, besser mit Bindestriche, nicht Geld-Usche. Wüsste nicht, was das sein soll). Anschließend studiere ich das ausgelegte DIN-4-Blatt mit den Sicherheitsvorkehrungen. Sauna ist erlaubt, aber maximal 40 Minuten pro Hotelgast. Da habe ich mich doch gerade mal ausgezogen. Im Frühstücksraum ist man gehalten, seinen Platz nach der Nahrungsaufnahme zügig freizugeben, damit alle dran kommen. Ich finde dieses Angebot nicht überwältigend und frühstücke lieber im Bett. Dann schwinge ich mich auf meinen Tretroller und genieße den Arbeitsweg: Vom Hotel zum Rhein, Fordwerke bis zur Leverkusener Autobahnbrücke, dann links ab zum Studio in Ossendorf. Viele Radtouristen mit Urlaubsgepäck und Zelt auf’m Gepäckträger, alle Altersklassen, alle Ausrüstungskategorien. Camping trendet. Unter anderen Umständen könnte deren Anblick auch bei mir Reiselust verursachen, aber ich genieße es, endlich wieder mitquizzen zu dürfen. Drei Shows pro Tag - so nah am Arbeitsleben der alten Normalität, wie man in unserer Branche überhaupt kommen kann. 
Was ist hinter den Kulissen neu? Es gibt kein Büffet mehr, in den Garderoben liegen Speisekarten aus. Ins Treppenhaus darf immer nur eine Person, und eine Raumpflegerin wuselt ohne Unterlass die Flure entlang und desinfiziert Lichtschalter und Klinken. Maskenpflicht für alle, die nicht maskiert sind (wenn ihr wisst, was ich meine).
Hinter den Kameras sitzen bei uns 18 Zuschauer (nie im Bild), die für Stimmung sorgen. Funktioniert prima. Bei einem anderen Sender, so hörte ich, wird auf Publikum komplett verzichtet, obwohl ein solches (limitiert, mit Abstand) durchaus zulässig wäre. Grund: Nach den ersten Shows mit Zuschauern gab es haufenweise böse Briefe; die Leute wollen keine Menschenansammlungen im TV, auch keine kleinen. 
Wir jedenfalls sitzen in unseren Plexiglas-Separées und fühlen uns wie Postbeamte oder wie in Telefonzellen. Man spricht unwillkürlich lauter gegen die Scheiben, weil man annimmt, dass die anderen einen sonst nicht hören. Wir könnten gegen die Scheiben hauchen und in den Beschlag hineinschreiben oder unsere Nasen dran plattdrücken oder Gardinen vorhängen oder Blumenkästen, aber mein Gefühl sagt mir, dass man die Schutzmaßnahmen gar nicht thematisieren sollte. Wir wissen ja nicht, wie die Story sich entwickelt; entweder das Virus verschwindet geheimnisvoll von jetzt auf gleich, so wie von Trump vorhergesagt, oder es kommt die zweite Welle. In der Schweiz brennt die Bude bereits (sagt jedenfalls die Süddeutsche Zeitung), Katalonien zieht die Gardinen zu, und auch Österreich meldet einen Anstieg hie und da. Sicher erscheint mir lediglich, dass es einen zweiten Lockdown in Europa nicht geben wird. Grund: Wir könnten ihn uns gar nicht leisten, der Kreditrahmen ist ausgeschöpft. Man wird stattdessen lokal reagieren: Mal hier einen Burggraben fluten, mal da eine Zugbrücke hochziehen. 
In den Umbaupausen wird natürlich viel über Corona gesprochen, und wie nicht anders zu erwarten, wenn Berufshumoristen gemeinsam die Zeit totschlagen, entstehen mitunter originelle Ideen. Zum Beispiel: Wohin mit all den Schweinen, die jetzt nicht bei Tönnies geschlachtet werden können? Antwort: Auf die Kreuzfahrtschiffe mit ihnen. Da ist momentan eh viel Platz, und die Tiere haben sich eine schöne Reise verdient.

6.7.
Mecklenburg-Vorpommern will die Maskenpflicht im Handel abschaffen und sucht den Schulterschluss mit anderen norddeutschen Bundesländern. Warum eigentlich? Wenn Manuela Schwesig findet, dass Masken überflüssig sind, kann sie doch auch alleine Gesicht zeigen. Die Infektionszahlen sind jedenfalls ähnlich klein wie die Zahl der Elche zwischen Wismar und Usedom. Oder hat sie ohne Buddies Angst vorm gestrengen Markus Söder, dessen Schützlinge hinter weiß-blauem Rautenstoff verschwunden bleiben (wenn nicht bis in alle Ewigkeit, dann doch wenigstens bis nach der zweiten Welle)? 
Womöglich ist die Angst übertrieben, und eigentlich ist der Markus ganz umgänglich - zumal er gerade ein neues Lieblingsthema entdeckt hat: „Agrar-Ökologie statt Agrar-Kapitalismus“ fordert er auf Instagram; Söder will kleinere Betriebe stärken, dem Tierwohl größeren Rang einräumen. Grüner wird‘s nicht. Aber folgt ihm die Union? Bei Twitter kommentiert jemand die Videobotschaft folgendermaßen: „Tja, für den Machterhalt werden auch noch andere "konservative" Positionen aufgegeben, insbes. zur Gesellschaftspolitik... das "C" der Unionsparteien ist bald nur noch ein Feigenblatt, wenn's so weitergeht... schade“. 
Auch in der Hoffnung, meinen unangenehm niedrigen Blutdruck an diesem schwülen Tag durch ein gepflegtes Scharmützel anzuheben, schreibe ich drunter: „Wobei ich das „C“ in den großen Agrarfabriken auch nur mit Mühe erkenne. In der Vogelpredigt von Franz von Assisi wird Wiesenhof jedenfalls nicht erwähnt“.
Natürlich ist Söders Ansatz richtig, und man könnte sogar argumentieren, dass die Union, indem sie während der Corona-Krise ohne zu Zucken den Begriff „Systemrelevanz“ nicht mehr den Banken, sondern Ärzten und Pflegern übereignete und wirtschaftliche Überlegungen hintenanstellte, das „C“ nachgerade wiederentdeckt hat - so christlich wie in den letzten Monaten präsentierte sich die Politik schon lange nicht mehr. 
Leider gerate ich durch den kleinen Twitter-Disput nicht in Wallung und gähne mich weiterhin schlupflidrig durch den Tag. Habe frei, Familie ist zuhause; es herrscht eine ungewohnt reizarme Ruhe, die mich aufs Sofa zwingt. Kaum schaffe ich‘s zu einer kleinen Spazierfahrt auf meinem Tretroller, durch Adenauers Grüngürtel, um im Fachbereich „Schwarz-grün“ zu bleiben, danach bereite ich mir mein Mittagessen zu: Matjes Hausfrauenart mit Pellkartoffeln. Immerhin genossen die Heringe ein Leben in Freiheit und mussten keine „Kastenhaltung“ oder ähnliche Schweinereien erdulden. Aber vielleicht ist mir diese Differenzierung auch nur deshalb so wichtig, weil sie mein Gewissen teilerleichtert - dem Hering hilft es in der Hausfrauensoße wenig, sich an sein schönes Leben in der Nordsee zu erinnern, zumal seine Gedächtnisleistung wissenschaftlich umstritten ist. 
Nachmittags zwinge ich mich ein drittes Mal in die Lotrechte und besuche die Kirche St. Ursula (in neuen Badeschlappen), um mich für mein schönes Leben zu bedanken, und nebenbei auch für den Umstand, dass ich als Mensch das Privileg genieße, mein Dasein nicht in einer Agrarfabrik zu fristen, um bald nach meinem erzwungenen Ableben als Billigfleisch verramscht zu werden.

7.7.
Dumm! Unsolidarisch!! 6-!!!
Erstaunlich, wie man mit vermeintlich unwichtigen Nebensätzen für Aufregung sorgen kann. Seitdem ich mein Tagebuch öffentlich schreibe, habe ich mir mehrfach kräftigen Widerspruch eingehandelt - manchmal war dieser absehbar, manchmal nicht. 
Dass Mund-Nasen-Schutzmasken kontrovers beurteilt werden, war für mich keine Überraschung - eher schon die Schärfe, mit der ich im April dafür kritisiert wurde, dass ich meine ersten Maskenerlebnisse mit eher wenig Euphorie schilderte. 
Mancheiner sah zu Beginn der Krise sogenannte Prominente, mithin auch mich, in einer Vorbildfunktion („Stay home!“). Ein ums andere Mal wies ich auf den Tagebuch-Charakter meiner Coronik hin, dass ich mich als Amateur-Ethnologe mit mir selbst als zu studierendem Objekt beschäftige und dass meine Texte eher als Protokolle der Feldforschung begriffen werden können, keineswegs jedoch als ideologische Statements.
Als ich mit meinem Bericht einer Bergbesteigung in Badelatschen einen zünftigen Shitstorm auslöste, war ich überrascht, denn wer mein Buch „Bekenntnisse eines Nachtsportlers“ gelesen hat, weiß, dass ich schon unter einigen hundert Gipfelkreuzen stand, bisweilen unter nicht gerade gesundheitsförderlichen Bedingungen, und dass es zu meinen sportlichen Zielen gehört, die Zugspitze in Stöckelschuhen zu erklimmen, was deutlich mehr Konzentration erfordert als eine läppische Badelatschentour auf den Hamberg im Zillertal. 
Meine Gattin Teresa hielt die deutliche Kritik für ein Zeugnis der Zuneigung meiner Leser, einen Ausdruck der Mütterlichkeit gar, der nichts mit einem coronäischen Klima übergriffiger Sozialkontrolle zu tun hat, wie zunächst von mir vermutet. 
Auch wird mein Tagebuch von Menschen wahrgenommen, die mir evtl vorher gar nicht oder nur im Pantoffelkino begegnet waren. Gestatten: Boning; so langsam lernt Ihr mich kennen, und je mehr ich, je mehr man von sich preisgibt, desto größer ist die Chance, auf Ablehnung zu stoßen. 
Als ich vorgestern wahrheitsgemäß notierte, dass in meinem Hotelzimmer eine „Caffissimo“-Maschine steht, die ich mit passenden Kapseln betreibe, führte dies bei manchem zu Entrüstung: „Kapselkaffee geht gar nicht“, las ich in diversen Abwandlungen, und ich fragte mich, ob ich wohl einen Fehler gemacht hatte. Daheim koche ich Kaffee im French-Press-Verfahren, auf unserer Hütte gibt’s Filterkaffee unplugged, aber da im Hotelzimmer eben nur diese eine Maschine steht, meinte ich in meiner Nonchalance keine Wahl zu haben. Hätte ich Kanne plus Porzellanfilter von zuhause mitbringen müssen? Aus der Sicht eines rigorosen Umweltschützers wäre dies natürlich die einzig richtige Lösung gewesen! 
Spannend finde ich an diesen Schurigeleien, dass sie bisweilen durch ein einziges Wort ausgelöst werden, in meinem Fall zB „Grundrechtseinschränkungen“, „Badelatschen“ oder eben „Kapselkaffee“. Schade, dass ich dieses Tagebuch nicht schon vor Corona bei Facebook geführt habe, denn sonst könnte man untersuchen, ob sich die Wirkung passender Ein-Wort-Trigger im Laufe der Krise verstärkt hat - da ich dies allerdings versäumt habe, wäre jeder Versuch einer eingehenderen Analyse Spökenkiekerei. 
Auf jeden Fall freue ich mich auch weiterhin über jede Kritik, auch pauschale Herabwürdigungen sind mir willkommen, weil bekanntlich auch die unangenehm scharfkantigen Steinchen das Mosaik unserer Zeit komplettieren. 
Festhalten lässt sich schon mal, dass Facebook und Corona vortrefflich zusammenpassen. Für die jungen Leute sind Tiktok und Snapchat gefährlichere Erkrankungen, die Alten erliegen eher der Zucker-Krankheit - oder eben Corona. Beides mutiert, und ist man die Seuche los, bleibt man nicht sein Leben lang immun. Immerhin sind wir bei Facebook der Herdenimmunität deutlich näher als bei Corona. Man mag beides furchtbar finden, aber wir werden bis auf weiteres mit beidem leben müssen.

8.7.
Wir haben Glück: Das neue Spielsystem, aus der Coronot geboren, funktioniert nicht nur prächtig, es funktioniert mindestens so gut wie das der 386 präcoronäischen „Genial Daneben Das Quiz“ - Sendungen.
Um die Anzahl der Mitwirkenden zu reduzieren, gibt es nur noch ein Kandidatenpaar anstatt der bisherigen sechs. Zudem spielen Hella von Sinnen, ich und die Gäste im Panel nicht mehr gegen die Kandidaten, sondern wir beraten sie. Einerseits entfällt der Duell-Charakter (lag mir eh nicht, mangels charakterlicher Wettbewerbsorientierung), andererseits fiebern wir mit den Kandidaten kräftig mit und wünschen ihnen Erfolg. Hinzu kommt das neue Studio, das mich mit seinen pink-gelben Knallfarben erfrischt. Auch das kleinere Studiopublikum kommt uns zugute: weniger Remmidemmi, weniger Hektik. Nun hoffen wir, dass der geneigte SAT1-Zuschauer die Änderungen ebenso begrüßt wie wir. Einstweilen laufen hervorragende, fulminante und bestbesetzte, von viralen Gefahren noch gänzlich unbeeinflusste Sendungen, durch die man die „alte Normalität“ gleichsam im Rückspiegel genießt (werktags 19 Uhr, SAT1). 
Hätte nichts dagegen, noch ein paar hundert Shows mit meinen Freunden zu zelebrieren. Völlig unklar, wie oft wir insgesamt schon vor der Kamera standen. Hella lernte ich Anfang der 90er bei RTL-Samstag-Nacht kennen, da war sie gemeinsam mit ihrem Spezi Dirk Bach zu Gast; später saßen wir bei „TV-Quartett“ für Leo Kirchs Ballungsraumsender vor der Kamera, in den Originalkostümen von „Raumschiff Orion“, anschließend gab’s die erste Dekade „Genial Daneben“ und, auweia, „Der Klügere kippt nach“ für Tele 5. 
Eintausend gemeinsame Sendungen könnten’s mittlerweile sein; schade, dass niemand mitgezählt hat. Und nun sitzen wir in unseren Plexiglasverschlägen und, oh Wunder, fühlen uns wohler denn je. 
Hugo hat inzwischen eine hübsche neue Verschönerungsidee für die Scheiben: schwarze Raubvogelsilhouetten draufkleben, krah-krah. 
Mit dem Tretroller geht’s morgens bis nach Worringen am Rhein, dann durch den Bruchwald und über Lindweiler zum Studio in Ossendorf. Zwischen den drei Shows konsequent Nickerchen, außer es gibt Spezialtermine, wie etwa heute eine Fotosession für das Marketing von SAT1 - meine erste Fotosession in Coronazeiten. Ist natürlich eine etwas merkwürdige Sache, weil Hugo, Hella und ich schon aus privater Tradition am liebsten untergehakt, eng umschlungen, kuschelnd beieinander stehen, wir aber nunmehr eineinhalb Meter Abstand einhalten müssen. Oder sollen, dürfen, was weiß ich. Also positionieren wir uns fürs Foto zu einem gleichschenkligen Dreieck, wobei die Hohlkehle, in der wir agieren, für echte 1,50 m recht knapp bemessen ist. Warnend weise ich auf diesen Umstand hin und bin mir selber unsicher, wie groß die Portion Ironie ist, die in meinem Einwurf steckt. Eine Prise? Ein Fuder? Ist jedoch insofern egal, als dass man auf den späteren Fotos kaum einen Zollstock wird anlegen können. 
Apropos Vogel: Brasiliens Präsident Bolsonaro ist an Covid-19 erkrankt. Ohne Zweifel ist er ein homophober, vulgärer Widerling, aber dennoch wünsche ich ihm einen milden Verlauf und zügige Besserung. Gewiss, einen winzigen Moment lang schoß mir durch den Kopf, dass ein nicht ganz so milder Verlauf pädagogisch wirksam sein könnte, nämlich indem er Bolsonaros Sicht auf das Virus und anschließend dessen Politik ändert. Aber Sekunden später geißelte ich mich für diese Idee. Nein, niemandem wünsche ich Intensivstation und Intubierung, auch nicht einem Bolsonaro. Zur Erleuchtung sollte er, wenn irgend möglich, auf anderem Wege kommen.

9.7.
Im Traum gerate ich in eine Polizeikontrolle. Die junge Wachtmeisterin richtet ihre Fiebermesspistole auf meine Stirn, und anschließend zeigt sie mir die graue Digitalanzeige des föhnformatigen Geräts: 38 Grad. Unbehagen befällt mich. Die Polizistin erklärt mir, dass ich mich einer Befindensprüfung unterziehen müsse. Zunächst solle ich zwei Rollen vorwärts absolvieren, anschließend aus dem Liegestütz über eine zusammengelegte Polizeilederjacke springen. 
Die Rollen sind kein Problem, aber der Sprung aus dem Liegestütz gerät zu kurz; ich lande mit dem Brustbein auf der Jacke, schwer schnaufend, und im Augenwinkel sehe ich, wie die Polizistin einen Kabelbinder zückt, wohl um mir die Hände zu fixieren. Schweißnass erwache ich; es ist noch dunkel. 
Ein Blick auf die Nachrichten-App: Katalonien erwägt eine Maskenpflicht für draußen. Träume ich noch immer? Ok, wir lernen in dieser Krise alle permanent hinzu, aber ich hielt es bereits für hinlänglich belegt, dass das Risiko, sich bei Einhalten des Mindestabstands draußen anzustecken, minimal ist. Allerdings habe ich mich entschlossen, alle Maßnahmen mitzutragen, die notwendig sind, um Corona in Schach zu halten; notfalls würde ich auch den Mount Everest in Badelatschen mit Mundschutz erklimmen, wenn es die Gesetzeslage verlangen würde. 
Aber, schluck, sonderlich schön finde ich die Vorstellung nicht, Wälder, Wiesen und Auen nur hinter leuchtendem Ährengold zu durchrollen, oder einem anderen passenden Stoff. 
Nun ist Katalonien weit weg, und womöglich gibt’s im Pyrenäenvorland Fallwinde, welche die Aerosolverbreitung fördern. Andererseits fürchte ich Söders Motto, immer einen Tick strenger zu sein als alle andern. Was die Katalanen können, kann der Franke erst recht. Quantitativ wäre Deutschland für eine Maskenpflicht an der frischen Luft mittlerweile gerüstet: Ab August sind heimische Produktionsstätten in der Lage, jährlich sieben Milliarden zusätzlicher Masken herzustellen. 
Wenn ich die Bebilderung der entsprechenden Zeitungsartikel richtig deute, handelt es sich um Vliesmasken, mithin um Einwegartikel. Wäre es nicht sinnvoller, auf unkaputtbare Dauerstoffe zu setzen, die man auch zu SARS CoV 56 wieder aufsetzen kann? Womöglich auch thermoregulierte Exemplare, die man im Hochsommer zur Gesichtskühlung, im Winter gegen Erfrierungen einsetzen kann?
Hierüber grübelnd schlafe ich wieder ein. 
Als ich zum zweiten Mal erwache, ist es taghell. Kapselkaffee zum Frühstücksfernsehen. Ein junger Mediziner beantwortet Zuschauerfragen. Ob Mücken Corona übertragen können? Der Arzt lacht auf, der Moderator erläutert: „Nerze können das immerhin auch!“ Der Mediziner argumentiert, dass sich die Viren im Blut nur in einem kurzen Zeitfenster tummeln. Genau dann müsste die Mücke zustechen, sich vollsaugen, anschließend...und dann winkt der Fachmann ab, erklärt das Szenario für unrealistisch, woraufhin der Moderator zur Tagesschau abgibt. 
Die Mückenfrage begleitet mich noch eine Weile durch den Tag. Man müsste die frisch mit virenträchtigem Blut gefüllte Mücke erlegen und mit den eigenen Schleimhäuten in Kontakt bringen - eine Popelei, die mir machbar erscheint. 
Ist Bolsonaro wirklich krank? Selbst die FAZ zweifelt seine Covid-19-Infektion an, obwohl es für ein Simulieren nicht ein einziges Indiz gibt, im Gegensatz zur Erkrankung - diese wird immerhin vom Tropen-Trump höchstpersönlich behauptet. Die Spekulationen der FAZ sind zwar nachvollziehbar (Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, auch wenn er eine Grube gräbt). Dennoch: Seriöser Journalismus ist das nicht. Anders als bei „Genial Daneben das Quiz“ - hier entscheiden ausschließlich die nackten Fakten über Wohl und Wehe der Kandidaten.

10.7.
Bin jetzt schon gespannt auf die nächste Zoonose. Vielleicht springt mal ein Virus vom Meerschweinchen über, oder vom Dobermann? Dann kriegte Martin Rütter viel zu tun!
UN-Generalsekretär Gutteres warnte unlängst, dass Neu-Seuchen theoretisch ansteckend wie Corona, aber dabei gefährlich wie Ebola sein könnten. Vielleicht sogar ultimativ tödlich (das ist zwar eigentlich kontraproduktiv für das Gedeihen der Viren, aber ein bisschen Schwund ist bekanntlich immer - sogar beim Wechsel des Wirtstieres).
Was dann? Puh, dann wäre Leben in der Bude! Noch mehr Brennpunkte, noch längere ZDF-Spezials. Aber nur kurz, denn schon bald wird der Reigen der Sondersendungen abgelöst von der großen Sendepause, und in besagter Bude kehrt Ruhe ein. 
Solange Gevatter Hein ausnahmslos uns allen begegnet, könnte man sich mit der finalen Pandemie wohl am besten arrangieren. Noch ein paar heiße Orgien, nix mit „social distancing“, Kohl&Pinkel satt, mit meiner Frau die Mozart-Lieder singen und Charlie Parker durchhören, noch einmal Boden wischen und Schuhe putzen, und dann würde ein großes Aufatmen um den Planeten huschen - nicht von uns Menschen, aber von den allermeisten unserer Mitgeschöpfe. 
Nur wenige Kulturfolger wie Chihuahua und Alpendohle werden uns nachweinen, alle anderen machen die Beckerfaust, die Säge, schmeißen sich in Ronaldo-Pose, singen uns freudentrunken Spottlieder hinterher, à la „Wie hustet Homo Sapiens? Öff-öff-öff!“ 
Von der Waldameise bis zum Blauwal: Alle werden sie sich über unser Verschwinden freuen, und auch die Pflanzen, ob Wildkräuter in deutschen Vorgärten oder der Regenwald am Amazonas, winken zufrieden mit ihren Blättern im Wind. 
Dass wir uns überhaupt für rettenswert halten, ist doch im Wesentlichen Folge unserer humanozentrischen Weltsicht - ein neutraler Beobachter irgendwo im Weltall könnte auch zu dem Schluss kommen, dass wir Menschen lang genug die Evolutions-Dividenden verprasst haben. Andere wollen auch mal auf‘s Karussell!
Ich weiß, es ist für uns Menschen unangenehm einzusehen, aber niemand wird uns vermissen, „Lebbe geht weiter“, wie Stepanovic einst sagte (außer für uns). 
Nur wenige Jahre nach dem Z-Day sind wesentliche Zeugnisse menschlicher Kultur, vom Lidl bis zum Autobahnkreuz, zu Ruderalfluren geworden; Birken brechen durch den verwaschenen Beton, und ein paar Dekaden weiter haben sich andere Geschöpfe an die Schalthebel begeben.
Komplexer wird die Situation, wenn nicht wir alle, sondern sagen-wir-mal zwei Drittel der Menschheit dem Sensenmann die Hand drücken. Alle wollen weiterleben, und darum werden die Schlagbäume runtergehen, Schluss mit Flugverkehr, Intensivbetten nur für Privilegierte, also im Grunde ähnlich wie gehabt, nur mit noch spitzeren Ellenbögen. 
Dieses Szenario male ich mir eher ungerne aus. 
Schluss damit; beschäftigen wir uns lieber mit den leichten Malaisen, mit den medizinischen Konversationsstücken: Ob ich mein OP-Pflaster schon abnehmen kann? Zwei Wochen soll es drauf bleiben; heute sind zehn Tage um - das sind doch so gut wie zwei Wochen, oder? Neugierig schaue ich im Spiegel auf den Verband, und ich fühle mich wie ein Kind, das weiß, wo Mama die Weihnachtsgeschenke versteckt hat, sich aber nicht traut, diese schon mal in Augenschein zu nehmen. 
Was passiert eigentlich, wenn man das Pflaster zu früh abnimmt? Wahrscheinlich kann im schlimmsten Fall die Wunde aufreißen, und dann suppt’s, gell?

11.7.
„Brille kaputt, Karriere am Ende“ - diese Boulevard-Schlagzeile, witzelten wir zu Samstag-Nacht-Zeiten, werde eines Tages das Ende meiner Laufbahn markieren. Nun ist es soweit; ein Bügel ist mittig abgebrochen. Immerhin sitzt das Ding weiterhin leidlich auf meiner Nase.
Zehn Uhr: Ich stehe vorm Optiker in der Kölner Innenstadt. Eine junge Mitarbeiterin ruft in die Menschenmenge: „Wer hat Termin?“ Ich nicht, muss warten. Nach einer Weile bin ich an der Reihe, muss meine Hände desinfizieren. Bzw: In einer Hand trage ich Hut und Brillenbruch, so dass nur die andere eingesprüht wird - klassischer halber Kram, interessiert aber nicht weiter. Diagnose: Brille müsste eingeschickt werden, was natürlich nicht geht, denn ohne liefe ich schnurstracks gegen die nächste Litfaßsäule oder wäre doch wenigstens ein herausragendes potentielles Opfer auch für den ungeschicktesten Trickbetrüger. Stattdessen kaufe ich mir Sekundenkleber und versuche, die havarierten Bügelhälften zusammenzukleben. Durchmesser der Metallstangen: Ein Millimeter. Laut Verpackung hing ein 4,1 t schwerer Pick Up Truck eine Stunde lang an einem Stahlzylinder von 7 cm Durchmesser, festgeklebt mit dem von mir erworbenen Produkt. Nun war dieser Stahlzylinder 70 x dicker als mein Brillenbügel, aber meine Brille wiegt auch nicht unwesentlich weniger als ein Pick Up Truck. Ein Dutzend Versuche später ist die Tube leer und zwei Hosen sind in der Schrittzone ruiniert, aber der Bügel hält nicht. 
Schade, dass der Kleber laut Verpackung keine Lösungsmittel enthält, am Tag meines Karriereendes wäre eine zünftige Dröhnung nicht unwillkommen. 
Derweil versucht Teresa mit unseren Kindern per Bahn von München nach Köln zu gelangen. Just als ich meine Reparaturbemühungen einstelle, klingelt das Telefon: Der ICE macht schlapp, im Niemandsland zwischen Nürnberg und Würzburg. Zwei Stunden Stromausfall, mithin unklimatisiert bei 30’, dann Evakuierung durch die Feuerwehr. Umstieg in Busse, weiter nach Würzburg, alle in den nächsten ICE, in dem nunmehr, ums mal vorsichtig auszudrücken, Mindestabstände nicht mehr eingehalten werden können. Essen Fehlanzeige. 
Ein Platz im überfüllten Anschlusszug ist frei, und nach sechs Stunden Irrfahrt fragt Teresa (Mathilda in der Trage, Theo auf‘m Arm) vorsichtig, ob sie sich vielleicht hinsetzen dürfe. Die Dame verneint und zeigt ihr Ticket. „Den habe ich reserviert, wegen Corona - sie wissen schon, Abstandhalten ist das A und O!“ Zwei Stunden sieht die Dame meiner Gattin dabei zu, wie sie am Boden im Gang sitzend die Kinder bei Laune hält. Drei Minuten vor Ankunft in Köln-Deutz hat sie schließlich ihre Angst überwunden und bietet Teresa von sich aus den Platz an. Meine Frau bedankt sich und steigt aus. 
Ich nehme mir derweil vor, die Halbbügelbrille bis zum bitteren Ende zu tragen, denke dabei an Wolfgang Borchert. In „Draußen vor der Tür“ trägt Hauptfigur Beckmann eine mit Gummiband befestigte Gasmaskenbrille, ein Mitbringsel aus dem Krieg. Kaputte Brillen haben Charakter!
In den 80ern habe ich sogar mal mutwillig eine Brille geschrottet, um auf mich aufmerksam zu machen. Der größte Held meiner Jugend war nämlich der Gitarrist und Sänger Arto Lindsay, und bei einer Matinee im Rahmen des Jazzfestivals in Moers stand er nur wenige Meter von mir entfernt und nuckelte an einer Apollinaris-Flasche. Zunächst steckte ich meine Hose in die Socken, und als er mich daraufhin immer noch nicht beachtete, nahm ich meine Brille und schlug diese fest auf eine Tischkante, so dass eines der Brillengläser zersplitterte. Frisch neu bebrillt schaute ich in seine Richtung, und tatsächlich: Arto Lindsay schaute zurück! Mein Held musterte mich kurz, schmunzelte spöttisch und sagte: „Nice socks you got there!“ - der Höhepunkt meiner Laufbahn. 
Höhepunkt des Tages: Dass ich Teresa und die Kinder am Abend wohlbehalten in die Arme schließen kann.

12.7.
Bevor ich zum Pflaster komme...
Eines Tages werde ich Bahnchef sein, Bahnchef Boning. Mein Programm: Bahnfahren muss attraktiver werden, und zwar so attraktiv, dass Pünktlichkeit als lästig empfunden wird. Man muss so lange wie möglich im Zug bleiben wollen.
Für die Alternative, einen Expressbetrieb à point, ist der Investitionsstau inzwischen zu groß - der Zug ist abgefahren. 
Schon heute scheint die Bahn jedem Reisenden ein individuelles Abenteuererlebnis bescheren zu wollen; schier unendlich ist die Auswahl an Gründen für „Verzögerungen im Betriebsablauf“. 
Lasst uns die Corona-Krise nutzen, aus der Not eine Tugend machen und die DB in BB (Bummelbahn) bzw GB (Geisterbahn) umbenennen. 
Schluss mit der Behauptung, Pünktlichkeit überhaupt anstreben zu wollen, lasst uns die Weichen Richtung Lässigkeit und Savoir-trainer stellen. 
Meine erste Amtshandlung wird daher die Inbetriebnahme von Wellness-Waggons sein. Eine Sauna an Bord ist technisch schnell umgesetzt: Holzverkleidung, ein paar Bänke, fertig ist die Laube. Auf einen Ofen kann getrost verzichtet werden - im Sommer sind die Klimaanlagen sowieso in der Regel kaputt, im Winter könnte man grundsätzlich mit angezogener Handbremse fahren, so dass die Reibungswärme die Sauna erhitzt. Schaffner kümmern sich um die Aufgüsse. 
Für die fällige neue Uniform denke ich an das Outfit von Lukas dem Lokomotivführer und setze hierbei auf eine Kooperation mit der Augsburger Puppenkiste. Raubeinigkeiten einzelner Zugbegleiter, dargeboten mit rußgeschwärztem Gesicht, werden vom Fahrgast eher als Ausdruck individuellen Charmes gedeutet als bisher. 
„Sitzen ist das neue Rauchen“ titelte der Stern, nur wer liegt, siegt. Sämtliche Sitze im Personenverkehr werde ich daher durch Hängematten bzw Stockbetten ersetzen.
Ja, die Renaissance des Schlafwagens wird das Hauptziel meiner Amtszeit, und zwar nicht nur in der Nacht, sondern auch tagsüber. 
Das Angebot „Schlafwagen 1. Klasse Einzel mit Dusche“ würde ich zum Appartement erweitern, das auch langfristig angemietet werden kann. So wird der Wohnungsmarkt entlastet, und man bleibt auch während eines Lockdowns mobil. Merke: Nur wer alleine reist, reist coronasicher. 
Größtes Augenmerk werde ich auf die Bordgastronomie legen. Dass auch auf der Schiene frisch gekocht werden kann, beweisen die tschechischen Staatsbahnen. Ich werde im großen Stil Straßenköche aus Bangkok anwerben, die dem Hungrigen in Thailand für zwei Euro am Bordstein eine leckere und gesunde Mahlzeit zaubern - das geht auch für 15 Euro im ICE. Im Appartement gibt’s natürlich auch Kitchenetten für Hobbyköche, und in den Gesellschaftswagen erhält eh nur Einlass, wer eine Schale Nudelsalat, Kuchen, Feuerzangenbowle etc von zuhause mitbringt. Sharing heißt caring, bzw.: Willst Du verweilen, musst Du teilen. 
Familien- und Mutterkind-Abteile gibt es momentan beim ICE nur in der zweiten Klasse, dabei gehören diese doch zwingend in die erste - um dort dann von allen Fahrgästen klassenlos genutzt werden zu können. Ein Turnwaggon mit Bällebad und Kletterwand ist das Mindeste, was ich den kleinen Fahrgästen anbieten werde. 
Im Zusammenhang mit der Corona-Krise stolperte ich wiederholt über den Begriff „Entschleunigung“, den manche mit den „Maßnahmen“ verbinden, zumeist in schwärmerischer Konnotation. Auch diesen Trend wird ein Bahnchef Boning langsam, sehr langsam vorantreiben: Draisinen, aerosolsicher offen oder mit luftigem Regenschutz, sollten für Selbstfahrer bzw Fahrgemeinschaften im Nahverkehr, aber auch auf Langstrecken angeboten werden. In der „fitten Klasse“ ist man für umme unterwegs, verbrennt Fett und schützt das Klima. Und wo ich dies gerade so notiere, kommt mir die Idee, dass man den gesamten DB-Fernverkehr auf Muskelbetrieb umstellen könnte; junge Interrail-Touristen treten in die Pedale und lassen sich den eingesparten Strom als Prämie auszahlen. Ich werde sogleich eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben. 
Schönen Sonntag allerseits, Ihr Bahnchef Boning.
Pflaster noch dran.

13.7.
Doppelgeburtstag auf der Dachterrasse in Köln: Meine Mama wird 79, mein kleines Söhnchen zwei Jahre alt. Wir sind zu zehnt, feiern im Kreise der Familie eifrig vor uns hin, und den roten Faden der Konversation habe ich zu verantworten: Mir, uns nahestehende Menschen fragten mich unlängst, wie alt meine Mama denn werden würde, und in einem Moment schwer verzeihlicher Unkonzentriertheit sagte ich „80“. Als meine liebe Mutter am Morgen die mitgebrachten Geschenke auspackte, amüsierte sie sich zunächst über Glückwunschkarten zum 80., auch über ein Buchgeschenk, dessen Titel auf diesen runden Geburtstag Bezug nimmt. Immerhin trafen auch Glückwünsche für meine Mama und „ihre Enkelin“ ein (sachlich unrichtig), zum ersten Geburtstag ihres Enkels (sachlich genauso unrichtig), ferner Kurznachrichten, die mit „beste Grüße nach Bremen“ endeten (geografisch ungenau). Nun klingt dies so, als wollte ich den schwarzen Peter auf andere Schultern schieben, auweia; für den wesentlichen Lapsus bin ich höchstselbst verantwortlich. Peinlich, peinlich.
Was wollen wir nächstes Jahr feiern? Den 90.? Oder wollen wir die Feier des 79. Geburtstages nachholen? Immerhin ahnt Mama nun schon mal, wie man sich als frischgebackene Octogénaire fühlen könnte. 
Theodor bekommt zum Geburtstag mehrere Hubschrauber geschenkt, aus Metall, Kunststoff und Holz. 
Man mag hinter dieser Luftflotte einen Absprachemangel vermuten, ich interpretiere ihn jedoch zuvörderst als Zeichen für die Konvergenz der Gedankengänge innerhalb der Familie Boning. 
Zwischendurch diskutieren wir natürlich auch die Berichte meiner lieben Nichte, die in Schweden Theologie studiert und in Bälde auf Heimatbesuch kommt (natürlich nicht ohne zunächst in zweiwöchige Quarantäne zu müssen - sofern ein Schnelltest sie nicht direkt nach ihrer Ankunft entlastet). Fußnote: In Schweden sinkt jetzt, endlich, die Zahl der Neuinfizierten unter 50 pro 100.000 Einwohner. 
Nach sieben Stunden Sonnenschein, einem Sekt und einem Grauburgunder verliere ich etwas die Orientierung, fühle mich selber wie knappe 80, sehe überall Hubschrauber und verwechsele anschließend Sonnenbrille und Mundschutz, was dem Infektionsschutzgesetz nicht genügt, dafür das Sehvermögen erheblich einschränkt. 
Nach Abschluss des wunderbaren Familientreffens, als Teresa den alkoholfrei angeheiterten Jung-Jubilar und seine Schwester ins Bett zu bringen versucht, gönne ich mir den langerwarteten Moment der Wahrheit und entferne mit mannhaftem Ruck mein OP-Pflaster. 
Der sich mir darbietende Anblick ist so unspektakulär, dass ich lachen muss: ja, mit frischeren Augen könnte man eine vier Zentimeter lange, feine Narbe vermuten, ja, man fühlt unter den Fingerkuppen eine gewisse Verholzung im Gewebe, aber das dermatologische Souvenir ist so dezent, dass es fast schon wieder spektakulär ist. 
Schade eigentlich: Narben habe ich bisher keine, auch keine Ohrlöcher, keine Piercings und keine Tätowierungen. Unveränderliche Kennzeichen habe ich immer gemieden. Heute, im Zeitalter der Gesichtserkennung, ist diese Vorsicht überholt, und so hatte ich auf eine kräftige, markante, maskuline Narbe gehofft, einen Schmiss, der für offene Münder sorgt, den man mit der Erzählung einer Hammerhai-Attacke unterfüttern kann, wenn die Situation danach verlangt. Das, was unterm Pflaster verborgen war, lässt sich kaum mit einer Goldkarausche assoziieren. Und so kehre ich diesem schönen Tag schließlich einen glatten, allzu glatten Rundrücken zu.

14.7.
Die Ergebnisse der „Sächsischen Schulstudie“ lassen hoffen. Eines der interessanten Ergebnisse: Je schwerer die Erkrankung, desto größer die Ansteckungsgefahr. Da Kinder seltener schwer erkranken, sind sie weniger infektiös. So trugen Kinder das Virus nur ausnahmsweise in ihre Familien, und auch die Lehrer sind weniger gefährdet als zu Beginn der Pandemie befürchtet. Bin gespannt, ob es gelingt, auf der Grundlage dieser Studie Eltern und Lehrern die Angst zu nehmen - ich habe von einigen Lehrkräften gehört (alle über 60), die sich per Attest („Angststörung“) vom Unterricht haben befreien lassen. Was passierte eigentlich, wenn ich darum bitten würde, mich bei „Genial Daneben“ zu ersetzen und ein entsprechendes Attest vorlegen würde? frage ich Hugo Egon Balder, und seine Antwort kommt prompt: „Du weißt, dass wir auf dich nicht verzichten können, möchten es aber trotzdem zum nächsten Ersten versuchen“. Ich gehe davon aus, dass es sich um eine scherzhafte Antwort handelt, und vorsichtshalber lache ich beflissen. 
Riesenaufregung: Am Ballermann wird gefeiert. Ich reibe mir die Ohren, als ich davon höre. Titelte der „Spiegel“ nicht gerade eben noch, dass Mallorca eine Geisterinsel sei? Kellergeister womöglich. Dabei lässt sich gerade Sangria infektionssicher durch einen Strohhalm aus dem Eimer saugen, der mittig in die FFP-3 Maske integriert ist. Rückflüsse evtl infektiöser Speichelschorlen könnten per Ventil unterbunden werden. 
In der dritten Show des Tages sitze ich neben dem von mir hoch geschätzten Ralf Möller. Ich frage ihn, wie der Infektionsschutz im amerikanischen Fernsehen gehandhabt wird. Hinter den Kameras trage man Mundschutz und achte auf Abstand, davor eher nicht, berichtet er, und dann schwärmt er von Myokinen, hormonähnliche Botenstoffe, die bei der Kontraktion der Muskeln freigesetzt werden und das Immunsystem stärken. Durch tägliches Training sei er vor Corona somit geschützt. Ich staune, habe sogleich einen Haufen Fragen, aber dann beginnt auch schon die Aufzeichnung, in der es um völlig andere Fragen geht. 
Teresa schickt mir derweil ein Foto aus einem Bus der Kölner Verkehrsbetriebe. Blickdichte Plastikfolie schirmt den Fahrer ab, und wenn dereinst nach einem petrochemischen Symbol für unsere Ära gesucht wird, dürfte Plastikfolie sich mit Plexiglas ein enges Rennen liefern. Wer hätte gedacht, dass der erfahrene Vermüller der Weltmeere auf seine alten Tage nochmal so richtig ins Rampenlicht tritt? Bis vor kurzem meinte ich, im Zeitalter der Süßkartoffel zu leben. Tempi passati.
Muss schließen; die Hantelbank wartet.

15.7.
Der Tourismus der Zukunft wird ohne viel Reiserei auskommen - das meinte ich allerdings auch schon vor Corona. Mein Sohn Cyprian hat sich in seiner Bachelorarbeit mit der Frage beschäftigt, was die Tiroler Volkswirtschaft anstellt, wenn der Schnee in den meisten Winterdestinationen ausbleibt. Mein Vorschlag schon damals: Zeitreisen. Man fährt/radelt/wandert in eine Ären-Schleuse, wird neu eingekleidet und landet im Jahr 1975 oder 1925 oder 1830 oder, oder, oder. Diese Zeitreservate lassen sich prinzipiell überall einrichten; manche werden für den Digital Native sportlich-erholsame Aufenthalte offerieren, etwa als Landarbeiter im Rokoko, andere können durchaus Abenteuercharakter haben, etwa wenn man als Küstenbewohner an der Ostsee von Wikingern angegriffen und gebrandschatzt wird. Als ich Cyprian vorschlug, eine Machbarkeitsstudie dieser Vision als Thema einzureichen, empfahl sein Professor, sich der Zeitreiserei lieber in der Masterarbeit zu widmen, wenn überhaupt. Die Lage in Ischgl dürfte auch untersucht worden sein, allerdings müsste ich nachschauen, und das Buch steht zuhause in München im Regal, während ich auf meinem Garderobensofa in Köln-Ossendorf herumlümmele, mit Blick auf die Ikea-Filiale im warmen Landregen. 
Für einfachen Erholungsurlaub kann man natürlich auf raffinierte Kulissenbauten verzichten - dafür reicht eine VR-Brille und eben besagtes Sofa. Auch kann ich mir vorstellen, dass sich zünftige Corona-Partys, etwa in Ischgl oder am Ballermann, wunderbar in der Virtuellen Realität durchführen lassen. Da eine Immunisierung offenbar eh nicht lange anhält, wäre es vielleicht sinnvoller, die in die Suche nach einem Impfstoff investierten Milliarden in die Perfektionierung der VR-Geräte zu stecken, auf dass diese haptisch, visuell, olfaktorisch, akustisch ein Erlebnis bieten, das sich von dessen analoger Grundlage nicht unterscheiden lässt. 
Moderne Schachcomputer gönnen dem Menschen kaum eine Chance - ein vergleichbares Niveau im Bereich digitaler Urlaub, inklusive Sonnenbrand, Sangria satt, One-Night-Stand, Kater, Urlaubsliebe, ungewollte Schwangerschaft und allem Pipapo würde der darbenden Tourismusbranche neue Möglichkeiten eröffnen. Und wer „wirklich“ weit reisen möchte, buche einfach eine Zeitreise ins Jahr 2019 (huch, jetzt habe ich mich selber dialektisch ausgetrickst). Mir persönlich reichen zum Urlauben Sauna und Fahrrad. Wo, ist völlig egal.
Kleine Aufregung am Nachmittag: Ich habe eine Kaffeetasse unters Ratepult geschmuggelt, und als ich nicht im Bild zu sehen bin und mir einen Schluck genehmige, bekleckere ich Dödel mein Hemd. Der Regisseur will abbrechen, Producer Christian findet den Fleck telegen und lässt weiterlaufen. Ich versuche anschließend, das Malör als ersten Schritt eines mutwilligen Plans zu verkaufen: Immer mehr, immer größere Flecke; Ei, Ketchup, Majo, solange, bis die Boulevardmedien fragen, wie es um meinen Gesundheitszustand bestellt ist. Garantiert würde sich dieser Plan günstig auf den Quotenerfolg auswirken, behaupte ich, und ich müsste noch nicht einmal an die technische Leistungsgrenze gehen, um ihn schauspielerisch umzusetzen. 
Kleckern kann ich mit links.

16.7.
In einer der gestrigen Aufzeichnungen lerne ich, dass im Nordamerika des 19. Jahrhunderts Maiskolben als wiederverwertbarer Klopapier-Ersatz verwendet wurde. 
Die Struktur eines Maiskolbens verspricht einerseits ein komfortables Putzerlebnis ohne Fissuren und Hautirritationen, zum anderen ist die Säuberungswirkung nicht zu unterschätzen - behauptet jedenfalls die Erklärung, die Kommandant Balder im Anschluss an unsere Raterei verliest. 
Zu den verstörendsten Nebenwirkungen der Coronakrise gehörte bekanntlich - in Deutschland - das verbreitete Hamstern von Toilettenpapier. Mit Blick auf die mögliche zweite Welle erwäge ich, Mais als Doppelreserve zu horten: Als gesunde Kohlenhydratquelle und eben zur sanitären Anwendung. 
Hella von Sinnen fällt ein, dass sie noch über Bestände verfügt, allerdings im Tiefkühlfach. Balder rät ihr, die Kolben vor Anwendung aufzutauen. Gewiss ist die Konsistenz aufgetaut haut- und putzfreundlicher. Andererseits weiß ich, dass kalte Stäbe bei Hämorrhoiden als Therapeutikum eingesetzt werden (ohne dass ich an dieser Stelle behaupten möchte, dass meine liebe Kollegin an Hämorrhoiden leide). 
Man mag sich über den Aspekt der Wiederverwendbarkeit wundern. Die Auflösungserklärung verrät, dass der Kolben gedreht werden kann und so mehrere nebeneinander liegende Putzflächen offeriert. Ferner seien im alten Amerika die Kolben an Seilen befestigt gewesen, so dass sie von der Klodecke herabgebaumelt hätten.
Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein, dass ich in meiner Eigenschaft als Generaldirektor des Instituts für Putzpoesie bereits eine mehrlagige Gedichtsammlung zum Thema „Sanitäre Anlagen“ verfasst habe, unter anderem eines, das den Ursprung des Stillen Örtchens behandelt. Hier ist es:

Das erste Klo
War ein Waldstück
Nicht so nah bei der Höhle
Dass man viel riechen konnt‘
Aber auch nicht so weit,
Dass man‘s nicht sicher schaffte
Im Falle eines Falles

Geputzt wurde dort nie
Man kackte wie das Vieh
Im Stehen und las Zeitung
Und nach seiner Verbreitung
Im Staate Homosapien
Erfand ein kluger Nutzer sogar
ein Namenswörtchen,
Und zwar: „das stille Örtchen“

Das Ur-Klo, tief im Urwald
war lange gut erkennbar:
Die Bäume wuchsen höher
Dann kam „Plakate Ströer“
Ein Herr von Sanifair
Und einer von der Stadt
Und schnitt die Bäume ab.

Der Wald wurde gekachelt
Ein Drehkreuz aufgestellt
Der Mensch, anders als Tiere,
Braucht heut‘
Zum Kacken
Geld

www.ifpupo.de
Live: Brandenburg/Havel, Freilichtbühne Marienberg, 29.8.

17.7.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Stürzen der Denkmäler rassistischer Persönlichkeiten und dem häufigen Händewaschen heutzutage?
Ich denke schon. 
Das häufige Waschen soll uns von Krankheitserregern befreien und vor Ansteckung schützen. Infektionsketten sollen auf diese Weise unterbrochen werden, getrieben von der Sehnsucht nach einem besseren, gesünderen Leben. 
Auch der Denkmalsturz soll Infektionsketten unterbrechen, unsere Mitmenschen vor Ansteckung durch rassistisches Gedankengut schützen. Auch der Aktivist, der den Rassisten vom Sockel holt, hofft auf ein besseres Leben, wenigstens auf Einzahlungen auf sein Karma-Konto.
Doch so, wie uns auch hundertmaliges Händewaschen nicht vor Siechtum und Tod schützt, so wenig läutert das Unsichtbarmachen ihrer Irrwege die Menschheit. Rassismus, so improvisiere ich jetzt mal unter dem Vorbehalt meiner begrenzten Fachkenntnis, entsteht aus dem Bedürfnis nach einer Steigerung des Selbstwertgefühls, erzielt durch das Sich-Erheben über andere. Der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt deutete Xenophobie als Versuch, die Bande innerhalb einer sozialen Gruppe zu stärken, indem sie sich nach außen abgrenzt.
Irgendwo zwischen diesen Erklärungsansätzen könnte sich der Schlüssel befinden. 
Die Menschheit täte sich einen großen Gefallen, wenn andere, bessere Quellen für ein sattes Selbstwertgefühl den Vorzug erhielten, etwa die Liebe. 
Ein Kind, das von seinen Eltern nicht wegen irgendwelcher Errungenschaften, Schulnoten, Höchstleistungen geliebt wird, empfindet den Vergleich mit anderen als entbehrlich, und wenn wir auch untereinander nicht den Wettkampf, sondern die Liebe in den Mittelpunkt stellen würden, entfiele das Bedürfnis, über andere zu triumphieren, entfiele die Grundlage des Rassismus.
Eibl-Eibesfeldt erklärte Fremdenhass als eine Folge unseres tierischen Erbes, eine Theorie, für die er heftig kritisiert wurde: Hass als „natürliches Verhalten“ zu erklären, würde ihn rechtfertigen - ganz so, als seien wir Menschen nicht in der Lage, unser tierisches Erbe zu überwinden. Doch, wir schaffen das, glaube ich - jedenfalls theoretisch. Voraussetzung wäre allerdings, dass wir Menschen uns unserer Verhaltensmuster bewusst werden - eine Bildungsaufgabe.
Sodann stellt sich die Frage, wie man den Zusammenhalt einer Horde, eines Clans, einer Gesellschaft steigern kann, ohne sich nach außen abzugrenzen. Vielleicht, indem man das große Ganze, das Weltbürgertum betont? Wir alle leben auf dem blauen Planeten und teilen ein Interesse: dass wir gemeinsam in Frieden eine schöne Zeit auf dieser durchs All rasenden Kugel verbringen, und unsere Kinder auch. 
Hm. Zu abstrakt? Ein anderer Weg dürfte das gegenseitige Kennenlernen sein. Wer freundschaftliche Beziehungen zu jenen entwickelt, die „fremd“ sind, hat weniger Lust, im Krieg aufeinander zu schießen. Truffauts „Jules und Jim“ fällt mir ein - wenn mehr Deutsche und Franzosen miteinander befreundet, einander geliebt hätten, wäre der erste Weltkrieg ausgefallen, ganz einfach. Womit wir schon wieder bei der Liebe wären. Immer wieder lande ich bei der Liebe. Komme mir schon vor wie ein ewig alle umarmender Hippie, aber glaubt mir, Love is all you need, Love is the Stoff, aus dem die Helden sind. 
Die Helden auf den Denkmälern wiederum sind in diesem Zusammenhang völlig egal. Die sind Teil unserer Geschichte, aus der wir lernen dürfen. Und wo keine Geschichte, keine Denkmäler sind, gibt es nichts zu lernen. Also wascht Euch die Hände, wegen mir zwölfmal am Tag eine Stunde lang, aber stellt Euch für den Rest des Tages vor die Denkmäler, fragt, warum die Dargestellten Rassisten werden konnten und wie man dies in Zukunft verhindert. 
Und dann schaut Euch tief in die Augen und küsst Euch - notfalls mit Mundschutz.

18.7.
Am Vormittag stürmt eine Frau in unser Stammcafé, schreit „Scheissmaskenträger!“ und rennt wieder raus. Tourette? Nervenschwäche? Agitprop? Man weiß es nicht. 
Ich packe anschließend meinen Rucksack und tretrollere zum Studio, um die letzten beiden Shows aufzuzeichnen, mit Steven Gätjen und Eckart von Hirschhausen. Ein weiteres Mal vergesse ich, mein Mikrofon eigenhändig anzulegen (früher, vor Corona, war dieser Akt dem Fachpersonal vorbehalten), ein letztes Mal passiere ich die „Nur eine Person pro Maske“-Schilder im Maskenraum - wobei mit „Maske“ in diesem Fall „Schminkplatz“ gemeint ist und nicht Mund-Nasen-Schutz. Erst heute fiel diesbezüglich der Groschen; ich hatte gemeint, mehrere Mitarbeiter hätten sich unhygienischerweise ein Stück Stoff geteilt. 
Für die regulären „Genial Daneben“ - Sendungen im September planen wir mit 150 Zuschauern, unmaskiert. Ich bin verhalten skeptisch, dass sich dieses Ziel schon so bald verwirklichen lässt, würde mich aber natürlich freuen. 
Auf dem Weg zum Bahnhof lasse ich mich von Eckart für dessen Podcast interviewen. Im gemieteten Kleinbus sitzen wir durch robuste Folie voneinander getrennt, es riecht kräftig nach sehr jungem Polyethylen. An drei Seiten schließen Spalte an, durch die Aerosole diffundieren können. Und das soll vor Ansteckung schützen, zumal auf langen Strecken? Kann ich mir nicht vorstellen. 
Im Interview geht es u.a. um die Klimakatastrophe. Ob ich noch Hoffnung habe? Eher nein. Allerdings, so füge ich hinzu, blättere ich ab und zu in „Global 2000“, dem Weltuntergangsszenario, das der Club of Rome Ende der 70er für das Millenium entwarf, und tatsächlich konnte der saure Regen rechtzeitig mit technischen Mitteln (Katalysator, Kraftwerksfilter) wirksam bekämpft werden. Heißt: Manchmal kommt es doch besser, als man denkt. Wer weiß; vielleicht gelingt irgendeinem Wissenschaftler ja doch noch der ganz große Wurf? Den nötigen Willen der Politik könne ich jedoch nicht erkennen. Hirschhausen zitiert Jane Goodall: „Wenn der Mensch wirklich so intelligent ist, warum zerstört er dann sein Zuhause?“ Ich doziere breitbeinig, dass dies an der Kombination aus verhaltensphysiologischen Atavismen (das Thema von gestern) und seiner Hybris liegen könne. Kleinhirn trifft Größenwahn - ungünstige Kombi. Der Mensch hält sich für dem lieben Gott nicht nur ebenbürtig, er hält sich sogar für überlegen. Wenn der liebe Gott so’n toller Hecht ist: Was sollen dann all die doofen Krankheiten? Nein, er, der Mensch, glaubt, dass wenn nicht Gott, sondern er die Zügel in der Hand halten würde, die Erde ganz anders aussähe. Nicht so mimosenhaft empfindlich, sondern robust wie ein Porsche Cayenne. Ich rede mich in Rage und glaube mir am Ende selbst - ein Phänomen, das ich schon häufiger am Ende ausgedehnter Genial-Daneben-Staffeln an mir habe entdecken können. 
Als Zuglektüre greife ich auf Daniel Defoes „Pest in London“ zurück, das ich immer noch nicht ganz durchgelesen habe. Viele furchtbare Geschichten: Todgeweihte, die sich zu den Massengräbern schleppen, um sich höchstselbst hineinzustürzen, oder eine Mutter, die an ihrer Tochter Pestbeulen entdeckt und daraufhin zu schreien beginnt - und weiter schreit, bis zu ihrem letzten Atemzug. Bei Dafoe stürmt wiederum niemand ins Café und krakeelt„Scheissmaskenträger“, dafür werden Ordnungskräfte, die unter Quarantäne stehende Wohnhäuser bewachen sollen, von den Bewohnern mit Sprengbomben beworfen und getötet, um fliehen zu können. Pest 1605 - das war dann doch ein ganz anderes Kaliber als Corona 2020.

19.7.
An der Donnersberger Brücke gibt’s in der Nacht ein Fensterkonzert für Fortgeschrittene. In drei Fenstern unterschiedlicher Geschosse eines Altbaus frönen Gitarristen den Freuden des Punkrocks, und eine vieldutzendköpfige Menge steht auf dem Gehsteig und an der vorgelagerten Tramhaltestelle und stößt mit Bierflaschen an. Ich passiere die Party in gebührendem Abstand und freue mich, dass es Orte gibt, an denen die Musik spielt, denn: Eine Gesellschaft ohne Konzerte hat verloren. Echtes Aufatmen durchfährt mich, und ich gehe zufrieden, voller Hoffnung ins Bett. 
Mittags kommt Olli Dittrich nebst Familie zu Besuch; wir singen den Kindern den „Großen-Onkel-Quetschungs-Blues“ vor, essen Mango-Eis mit Mango und lassen die junge „Neue Normalität“ Revue passieren. 
Kaffeetscherl im Hirschgarten. Am Eingang des Biergartens erhalten die Kinder vom Sicherheitspersonal mit grüner Tinte einen Corona-Virus auf den Handrücken gestempelt. Zunächst sind wir skeptisch, ob alle Eltern damit einverstanden sind, dass ihre Kinder grafisch coronifiziert werden, dann jedoch ergreift uns Begeisterung, und beim Weggang bitten auch Teresa und ich um Stempelung. Todschick sieht das aus! Bald, so prognostizieren wir, werden viele Leute so durch die Gegend laufen, mit Corona abgestempelt, gerne auch auf der Stirn, und es ist leicht vorstellbar, dass dem schmucken Erreger auch eine Karriere als Tattoo-Motiv gelingt. Besser als ein Arsch-Geweih ist ein Kopf-Corona allemal. Oder wäre der Hals sinniger? Jedenfalls kann es nicht mehr lange dauern, bis eine Gegenbewegung einsetzt und die ersten Profi-Provokateure behaupten, dass Corona genau ihr Ding sei. Wenn Death-Metal Mainstream ist, dann wird es den Fans seiner Vorstufe erst recht gelingen, die Massen zu mobilisieren. 
Wie wird Corona-Rock klingen? Etwas schief intoniert, formal ausgefranst, ein bisschen wie „Agharta“ von Miles Davis. Die Sänger tragen dazu merkwürdige Lockdown-Haarschnitte, etwa Richtung Klaus Nomi. 
Und so wie der FC St. Pauli den Totenkopf zum Symbol erkoren hat, so werden Fußballvereine auf der Suche nach einem markigen Image auch das Virus entdecken. Wer weiß? Vielleicht benennt sich der VfL Wolfsburg eines Tages in FC Corona um - schon, um nicht in erster Linie an Dieselskandal & Co zu erinnern. 
Abends in der Sauna lese ich über Bronislaw Malinowski, den polnischen Sozialanthropologen, dessen Bericht „Argonauten des westlichen Pazifik - über Unternehmungen und Abenteuer der Eingeborenen in den Inselwelten von Melanesisch-Neuguinea“ (1922) die ethnologische Feldforschung revolutionierte, weil er mit und unter den Inselbewohnern lebte, eine Methode, die spätere Wissenschaftler als „teilnehmende Beobachtung“ bezeichneten. Und sogleich stelle ich mir vor, Malinowski zu sein, zu Gast auf dem Virus-Archipel, das von einem Volk mit geheimnisvoll fremdartiger Kultur besiedelt ist: Alle Erwachsenen tragen Masken aus Vlies oder Stoff, manche bedecken nur den Mund, manche tragen Kinnschützer aus gleichem Material. Auf den Bahnhöfen des Archipels darf man sich ohne Maske nicht blicken lassen - außer man raucht, in den dafür gekennzeichneten Bereichen. Fürwahr mysteriös. Da gibt es noch viel zu erforschen.

Donnerstag, 2. Juli 2020

Gestatten: Versager.

14.6.
Sieben Uhr morgens am Bahnsteig. Ich möchte gerade meinen Fuß in den Zug setzen, als mein Handy bimmelt und der Präsident des Instituts für Putzpoesie (ifpupo) mir in trockenem Tonfall mitteilt, dass unser Open Air Auftritt in Brandenburg abgesagt sei. Unwetterwarnung; schade. Also schnell den Fuss wieder aus der Zugtüre und ab nach Hause. 
Die Absage ist natürlich eine unschöne Sache, aber, wie man am Nachmittag um viertel nach fünf sehen wird, vollauf berechtigt, denn just als es zu kübeln beginnt, hätten wir uns auf der Freilichtbühne warmgeredet, und das Publikum hätte sich nach Unterstellmöglichkeiten gesehnt - die es dort offenbar nicht gibt. Eine lustige Note hat die Absage natürlich auch: Da haben wir endlich ein behördlich abgesegnetes Konzept, alle Karten sind verteilt, Hemd, Unterwäsche, Mundschutz und Auftrittskünstler sind frisch gewaschen, die Vorfreude immens - und dann spielt das Wetter nicht mit. In der Sprache des Fußballs: Erst fehlte das Glück, und dann kam auch noch das Pech dazu. Egal, wir suchen nach einem neuen Termin, und dann nehmen wir einen weiteren Anlauf. Nächsten Freitag bin ich mit Bernhard Hoëcker beim Car Watch Festival in Viernheim, das stelle ich mir schonmal deutlich regensicherer vor. Aber freuen werde ich mich erst, wenn ich auf der Bühne stehe, im Schein der Lichthupen. Wer weiß, was da dazwischenkommen kann: Geisterfahrer? Benzinmangel wegen Ölkrise? Ein überraschendes „Einfahrt verboten“-Schild?
Einstweilen fühle ich mich wie ein Liebhaber, dessen Date ins Wasser gefallen ist. Schmallippig setze ich mich bei fiebrigen Temperaturen zu meinem Söhnchen in die Sandkiste, stülpe gefüllte Eimer um und schaufle mit ihm große Silos, runde Industriebauten, Öltanks, wie man sie von Raffinerien kennt, womöglich dem unbewussten Wunsch folgend, sich durch Vorratslagerung gegen Spritknappheit infolge einer Ölkrise zu wappnen. 
Überhaupt: Denke ich später an die Krise, so werde ich zuerst an das kleine Holzgeviert im Garten denken, in dem hockend ich dutzende Tonnen Sand von einer Ecke in die andere umgeschaufelt habe. 
Später übernimmt mein Schwiegervater das Entertainment, mit einer Idee, bei der schnell nicht nur die Freude überschwappt: Er füllt einen Bollerwagen mit Wasser und fährt die Kinder darin spazieren. 
Könnte man nicht, so dachte ich beim Zuschauen, auch ein Cabriolet so umbauen, dass das Wageninnere zum Pool wird? In Badekleidung, das Wasser bis übern Lenker schwappend, säße sich‘s im hochsommerlichen Feierabendstau doch gleich viel angenehmer. Dieses Mobilitätskonzept würde bestens in die Zeit passen: Im leicht gechlorten Corona-sicheren Wasser versuppt alles Fernweh, und die Urlaubsreise nach Ansteckistan entfiele. So‘n VW Kübelwagen Sondermodell Chlorona würde ferner haargenau zur diese Woche beschlossenen „Nationalen Wasserstoffstrategie“ passen - als Badewasser käme das bei der Wasserstoffverbrennung anfallende H2O in Betracht. Als (selbstfahrende) Stretch-Limousine könnte ein solches Fahrzeug auch für den Schwimmsport interessant sein, bzw. für den Sportunterricht an Schulen. 
Mangels Liquidität wird mit Schwimmbad-Neubauten in den nächsten Jahren eher selten zu rechnen sein. Die Deutsche Automobilindustrie braucht Unterstützung? Wie schön, dass ich mit meinem Einfall mithelfen darf, diese vor dem Ertrinken zu retten. Tüüüt!

15.6.
Kreuzfahrt tut not - sagen wenigstens TUI und Meyer Werft. Unbenutzt dümpeln die Kähne herum und warten auf bessere Zeiten, und in Papenburg baut man noch ein paar Schiffe fertig, die nach derzeitigem Stand eher nicht gebraucht werden. Ich möchte der epidemiologischen Entwicklung nicht vorgreifen, aber es kann sicher nicht schaden, schonmal ein paar Anschlussverwendungen für die schnieken Schaluppen auszuhecken. Man könnte sie zB einsetzen, um die Wohnungsnot zu lindern. In München ist die Lage besonders dramatisch, und dabei steht mit der olympischen Ruderregattastrecke ein Gewässer zur Verfügung, das geradezu danach schreit, von einem dicken Pott besetzt zu werden. 
Für die Anfahrt über Ems, Küstenkanal, Hunte, Weser, Fulda, Main, Rhein-Mein-Donau-Kanal, Donau, Isar, Schleißheimer- und Würmkanal müssten die Wasserläufe natürlich entsprechend ausgebaggert werden, zudem fehlt noch ein kurzes Verbindungsstück zwischen Fulda und Main - alles Baumaßnahmen, die die Konjunktur verlässlich in Schwung bringen würden.
Nicht nur dem Wirtschaftsleben, auch mir fehlt heute jeglicher Schwung. Usseliger Dauerregen macht mich brägenklöterig, und so versuche ich, mit dem Schnüren pfiffiger Konjunkturpakete und anderer Zukunftsszenarien mein Herz zu erwärmen. 
Neuer Versuch. 
Dienstag ist der große Tag, auf den wir alle so sehnsuchtsvoll gewartet haben: Die App ist da! Bereits jetzt, so vermute ich, schlagen die Hardcore-Fans ihre Zelte auf, um in der Warteschlange vorm App-Store ganz vorne mit dabei sein. Vergiss Abercrombie & Fitch, vergiss Apple, vergiss die Beatles, jetzt kommt sie, die Königin der mobilen Endgeräte-Applikationen, in einer schwarz-rot-goldenen Sänfte mit Bundesadler, getragen von Jens Spahn und Lothar Wieler. 
Ich muss gestehen, dass ich eine Weile gebraucht habe, bis ich den Unterschied zwischen „Tracing“ und „Tracking“ kapiert habe, dachte anfangs, da gäb’s Journalisten, die irgendwas falsch aussprechen, aber mittlerweile habe ich’s kapiert, Tracking ist oll und Tracing ist hot stuff, und ich überlege, was ich tun kann, um möglichst noch am Dienstagmorgen unter den ersten zu sein, die wegen Feindkontakt alarmiert werden. Ich bin ja so neugierig, wie sich das anfühlt, was dann zu tun ist, welche Nummer man dann wählt, ob überhaupt irgendjemand rangeht etc und würde dann meinem Tagebuch viel zu erzählen haben. „Wollten wir nicht eigentlich auf die Hütte?“ fragt meine Frau. Ach ja, stimmt. Da oben werde ich allerdings niemandem begegnen, der das Handy piepen lassen könnte. Schade. 
Es regnet immer noch, und meine Seele hängt mittlerweile in Kniehöhe, wie die Taschenuhrenkette von Cab Calloway. 
Singen, in Chor und Kirche - das würde meine Laune zuverlässig heben, aber Chöre sind mittlerweile das, was früher Bordelle waren: Sündenpfuhle, Horte der Ansteckung und der Unmoral. „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“? Vonwegen! Menschen, die sich zum Singen treffen, rangieren in etwa auf einer Stufe mit besoffenen Halbstarken, die Polizisten anhusten. Nein, wer unbedingt singen will, erledige dies bitte alleine und gehe dazu in den Keller.
Und sage niemand „mein lieber Herr Gesangsverein“ - man muss die Leute ja nicht unnötig in Panik versetzen.

16.6.
In Tirol. Erstmal in den Supermarkt zum Einkaufen: Halbfettmargarine, spiralförmige Leimfallen, Rei in der Tube. Seltsam, irgendwas stimmt hier doch nicht. Ich schleiche durch die Reihen und frage mich, was hier anders ist als daheim. Da! Ein unmaskiertes Gesicht. Holla die Waldfee, was ist denn hier.... und bis ich diesen Satz zu Ende denke, kommt eine ältere Dame aus der Spirituosenabteilung eingebogen, auch sie ohne Mund-Nasenschutz. Schon will ich nach der Polizei rufen, Marktleiter, Staatsschutz, da sehe ich an der Kasse in halber Ferne eine ganze Armada Gesichtsnackideis, und mir dämmert: Heureka, da war doch was! Österreich hat die Maskenpflicht abgeschafft. Fasziniert reihe ich mich in die Kassenschlange ein. Ach ja, ich habe ja meine noch da, wo sie hingehört - jedenfalls jenseits des Achenpasses, in Deutschland. Diskret nehme ich die Maske ab. War was? Mir ist, als läge hinter mir ein langer, unbarmherziger, verworrener Traum, und jetzt bin ich wach, im Hier und Jetzt. Und mit diesem Gedanken zahle ich, stapfe aus dem Supermarkt und reibe mir perplex die Augen.
Tagesthema: Der Abriss von Denkmälern, die Rassisten darstellen. In Deutschland scheint, wenn man dem Deutschlandfunk glauben darf, auch Immanuel Kant ein heißer Kandidat zu sein. Von Bilderstürmen halte ich nichts, weil man das Problem - den Rassismus- kaum löst, indem man die Verbindung zu jenen kappt, die der Aufklärung überhaupt erst Namen & Schwung gegeben haben - ein Emanzipationsprozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist. 
Ja, Kant war - nach heutigem Verständnis - Rassist, aber man wird vor Olympe de Gouges generell kaum Weiße finden, die sich öffentlich gegen Sklavenhandel ausgesprochen haben. De Gouges, die nicht nur für die Abschaffung der Sklaverei, sondern auch für das Frauenwahlrecht focht, starb 1793 unter der Guillotine. Ich persönlich wünsche mir nicht weniger Kant - sondern mehr De Gouges-Denkmäler. 
Auch der Vorschlag, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu tilgen, wird die Rassisten nicht aussterben lassen. Ob es Rassen gibt oder nicht, schert sie nicht; auf ihrer Suche nach Sündenböcken werden sie immer fündig werden, egal, was im Grundgesetz steht - so egal, wie es den Coronaviren ist, was wir Menschen über sie denken. 
Zahlreiche weitere Parallelen zwischen Rassisten und Coronaviren drängen sich auf: Es gibt sie so lange es Menschen gibt, sie mutieren, sie haben kein Hirn, fühlen sich nur in der Gruppe stark...
Lieber verbringe ich den Rest des Tages bei den Kühen auf der Alm. Mein kleines Söhnchen wohnt wie gebannt dem abendlichen Melken bei. Besser als Peppa Pig. Wir trinken die Milch frisch gezapft und genießen den nicht weniger frischen Sprühregen. Übrigens: Gläubige Hindus trinken Kuh-Pipi gegen Corona. Kein Witz. Stand so in der Berliner Morgenpost. 
Damit meine kleinen Kinder in der Nacht nicht frieren (und ich nicht allzu oft nachts aufstehen muss, um Holz nachzulegen), habe ich ein Paket ostdeutsche Braunkohle im Internet erworben. Ganz gegen den allgemeinen Trend arbeite ich an der Karbonisierung unseres Hüttenglücks. 
Ach ja: Koffer ist anwesend. Meine Frau fragte mich auf der Fahrt hierher ein Dutzend Mal, ob ich ihn auch wirklich eingeladen habe. Weitere scherzhafte Bemerkungen zu diesem Thema sind völlig überflüssig. Werde ihr jetzt frische Kuhmilch aufschäumen, damit ich ihr einen Cappuccino ans Bett bringen kann.

17.6.
Ja, ich habe sie, die App! Zunächst hinderte mich ein technisches Problem am Runterladen; der für mich zuständige Mobilfunkmast schien durchgerostet oder eingeschlafen oder hatte auf einem Dreimaster als Ersatzmast angeheuert und war übern Atlantik geschippert. Folge: Kein Netz, nicht mal Telefonieren war möglich. Die Familie schlief noch (5 Uhr morgens), ich regelte mich runter und nahm ein gutes Buch zur Hand: „Schule der Rebellen“ von Charles King - über die Entstehung der modernen Kulturanthropologie aus dem Geiste Immanuel Kants (lustiger Zufall; da hatte ich mich ja gerade gestern mit beschäftigt). Und so lag ich da und schmökerte und genoss es sehr. 
Lesen, ohne Parallelblick aufs Handy: Das fühlt sich ein wenig an wie Einkaufen in Österreich, ohne Maske, nämlich befreiend nostalgisch. Steampunk & Wohlbehagen. 
Als ich wieder online war, lud ich mir sogleich die Corona-App runter und war verblüfft über die Simplizität, auch mit Blick auf die 20 mio €, die die Entwicklung gekostet haben soll. Sind Apps immer so teuer? Ich Klein-Fritzchen hätte gedacht, sowas kriegt man für weniger. Mehr Richtung fünfstellig. Das türkische Lokal von umme Ecke hat sich auch eine eigene App machen lassen, mit richtig viel Schnickschnack, und die war garantiert billiger. Aber die Döner-App erkennt evtl auch keine anderen Handys per Bluetooth - vielleicht ist das der Kasus knacktus. Nun ja; ich habe keine Ahnung von IT - sonst wäre ich ja kaum im Pantoffelkino gelandet.
Voller Abenteuerlust aktivierte ich als erstes die Risiko-Ermittlung, was mir jedoch nur kurz das Herz in die Hose rutschen ließ. Das Ergebnis war nicht unbedingt überraschend: „Da Sie Ihre Begegnungs-Aufzeichnung noch nicht lange genug aktiviert haben, konnten wir für Sie kein Infektionsrisiko berechnen“. 
Als Dreingabe zu dieser vorläufigen Entwarnung wurde mir mitgeteilt, wie ich mich „richtig“ verhalte: regelmäßig Händewaschen (ach nee, echt?), Mundschutz tragen, Abstand halten und in die Armbeuge niesen (ich will immer „schnäuzen“ schreiben, aber das gibt bekanntlich diese hässlichen gelben Flecken). 
Das Logo der App erinnert mich spontan an die Flagge der Türkei (nur dass der Stern in den Halbmond kreativ integriert ist). Wäre also vielleicht auch etwas für das o.g. türkische Lokal von umme Ecke - vielleicht sollten die beiden Apps fusionieren? 
Nach gemeinsamem Frühstück unternehme ich nun meinen Standard-Gang rauf zum Schartenjoch und begegne im Innern einer Regenwolke meinem Lieblingstier, dem schwarzen Alpensalamander. 
Über mir rattert ein Schneehuhn. Sein Warnruf klingt in etwa wie die Holzrasseln, die in der Baseler Fastnacht zum Einsatz kommen. Kontrollhalber ein Blick auf die App: Nein, keine Risiko-Benachrichtigung, wäre ja auch ein gar zu skurriler Fail: Wenn Alpensalamander bluetoothfähig wären, hätte das schwerwiegende evolutionäre Folgen, und Jens Spahn würde sich vorm Untersuchungsausschuss „Amphibie“ für ein Kuddelmuddel voller Fehlalarme rechtfertigen müssen. 
Bei „Risiko“ denke ich unwillkürlich an Wim Thoelkes „Der große Preis“ - da gab’s „Risiko“-Fragen, die mit einem spannungsgeladenen Jingle angekündigt wurden. Und wäre ich Gesundheitsminister, hätte ich diesen Thoelke-Jingle in die App integriert, als nostalgischen Gruß an die Risikogruppe der Wum-und-Wendelin-Fans. Parole Steampunk & Wohlbehagen. Ersatzhalber würde allerdings auch der Ruf des Alpenschneehuhns als Risikowarnung taugen. Aber, seufz: Gesundheitsminister werde ich in diesem Leben nicht mehr, genauso wenig wie IT-Fachkraft.

18.6.
Grünkohl und Pinkel im Hochgebirge! Ja, ich weiß, die Saison ist schon lange vorbei. Allerdings liegt am Schartenjoch noch ausreichend Schnee, um sich selbst eine Sondererlaubnis für eine nachsaisonale Kohlfahrt zu erteilen. 
Hungrig wandere ich zur Speikspitze, unter dessen Gipfel-Steinhaufen ich vor längerer Zeit einen Flachmann mit Schnaps vergraben habe. Der Dauerregen ist weichem Gewölk gewichen, als ich mir einen Schluck verabreiche. 
Zum Boßeln ist das Terrain eher ungeeignet- aber probiert hätte ich’s trotzdem, wenn ich denn eine passende Kugel dabei hätte. 
Auf die Idee für die heimatliche Sause brachte mich, ganz schlicht, der Umstand, dass das Haltbarkeitsdatum eines Bad Zwischenahner Weckglases in unserer Hütten-Vorratskammer in Bälde abläuft. 
Und so schließe ich in 1800 Metern Höhe am Mittag die Augen, imaginiere die norddeutsche Tiefebene, genieße schmatzend vor mich hin und summe „Im schönen Oldenburger Lande, da liegt ein Städtchen friedlich still...“ 
Nach dem verdienten Nickerchen beschäftige ich mich mit der Corona-Lage. 6,5 mio Apps sind gedownloaded - klingt nach Hit. Allerdings höre ich von vielen, die keineswegs gewillt sind, mitzumachen. Handy zu alt. Verbraucht zu viel Strom. Großer Schritt in den Überwachungsstaat - dies sind die häufigsten Argumente gegen den Corona-Warner. 
Mit knappem Gruß entfreundet sich sogar eine Abonnentin, als sie liest, dass ich mir die App aufs Handy geholt habe - es scheint sich für sie demnach um eine Glaubensfrage zu handeln, à la „Zeig mir dein Display, und ich sag dir, wo du stehst“. Doch nicht nur Gegner aller Regierungsmassnahmen vergrätze ich mit meiner gestrigen App-Kritik, sondern auch den einen (oder anderen) Befürworter, der nämlich meine angeblich „immer wieder durchsickernden Verächtlichmachungen“ (der Maßnahmen) rügt. Hm.
Einer der letzten Bundesgesundheitsminister (war es Gröhe? Geißler? Focke?) sagte über seinen Job: „Das Wichtigste ist, sich mit allen Seiten gleichermaßen zu verkrachen.“ Und seit Monaten stelle ich mir immer wieder die Frage: Was würdest du tun, wenn du Gesundheitsminister wärst? - offenbar habe ich ministerielles Denken mittlerweile ausreichend verinnerlicht, um Ablehnung von der Impfgegnerin bis zum Hundertfuffzigprozentigen nicht nur ohne Bitterkeit hinzunehmen, sondern für einen persönlichen Erfolg zu halten. Weiter so! Erst wenn mich alle disliken, mache ich irgendwas richtig. 
Meine Sympathie gehört daher allen Glaubensstarken, die mich schwankende Sturmlaterne kritisieren - zumal feste Überzeugungen in unsteten Zeiten Sicherheit vermitteln, ungefähr so wie der Rückzug in die Heimat, und sei es auch nur die kulinarische. 
Ja, auf diese Krise reagiert kaum jemand mit „Ist mir Wurst“, eher schon wird die Wurst zum Stabilitätsanker, der im Innern des Verunsicherten versenkt wird. 
Umso alarmierender ist die Nachricht, dass in der Schlachterei Tönnies 657 Mitarbeiter positiv getestet wurden und mit der Schließung des Betriebes 20% aller deutschen Wurstwaren fehlen werden. 
Erst war Corona - und jetzt reißt auch noch die Ankerkette! Prost Mahlzeit.

19.6.
Mein Tagesablauf auf der Alm ist klar strukturiert: Während die Restfamilie schläft, hudele ich aufs Schartenjoch, gegebenenfalls verlängert um Anrainer-Gipfel wie die Speikspitze oder um vergessene Wege, die ich auf alten Wanderkarten entdeckt habe und nunmehr zu rekonstruieren versuche. 
Heute etwa studiere ich jenen Pfad, auf dem früher die Kühe von uns zur Triplonalm trippelten. 
Auf dem Schartenjoch stehe ich heute übrigens zum 22. Mal, und noch nie bin ich auf meinem Weg hinauf jemandem begegnet. Einsame Gegend fürwahr. Als begeisterter Anhänger der Freikörperkultur werde ich die Strecke demnächst mal gänzlich unbekleidet angehen - wahrscheinlich werden mir Nackedei just dann Staatschefs und ganze Schulklassen entgegenkommen. 
Nach dem Morgenspaziergang gemeinsames Frühstück, anschließend Visite bei der oberen (schwarz-buntes Milchvieh) und der unteren Nachbaralm (Kälber, Ziegen). Hiernach Mittagessen, Hängematte. Nachmittags Ausflug mit Kindern in Kraxe und Trage. Gestern zum Aussichtsstein überm Märzengrund. Highlight: ein junger Hirsch in hundert Metern Entfernung. 
Nächster TOP: Stallkleidung anlegen, melken, ausmisten, die Kinder spielen währenddessen in einer großen Holzbox, die mit Kraftfutter gefüllt ist. Sandkiste mit Nährwert. Danach sieht alles aus wie mit Mehl bestäubt. Zwei Stunden Kleidung ausschütteln, Milchreis kochen (wegen Corona ist die Milchnachfrage um 20% gesunken, und wir tragen emsig die Überkapazitäten ab). Ofen anfeuern. Abendessen. Vorm Zu-Bett-gehen ein Braunkohle-Brikett der Firma „Rekord“ auflegen, was bald darauf dazu führt, dass die ganze Gegend nach real existierendem Sozialismus riecht. In den aromatischen Schwaden meint man, am Waldrand im letzten Dämmerlicht Erich Honecker zu erahnen, mit geschulterter Flinte macht er wohl Jagd auf den jungen Hirschen von gestern. 
In der Nacht muss ich mehrfach raus, wanke nackt ins Freie und bestaune unter mir die Lichter des Zillertals. Wenn die Berge nicht wären, könnte man bis nach Ischgl gucken, die Hauptstadt des unbeschwerten Wintersportvergnügens.
Die Nacht ist mittlerweile klar; quer über mir funkelt das Band der Milchstraße. Plötzlich tippt mir von hinten jemand auf die Schulter. Erschrocken fahre ich herum; es ist Honecker, den jungen Hirschen an einem Kälberstrick tot hinter sich herziehend. 
Kurzer Small-Talk über Brillen. Er behauptet, mein Exemplar habe früher ihm gehört - ich halte dies für eher unwahrscheinlich. Die kommt aus dem Pappkarton für die russische Mission, antworte ich wahrheitsgemäß, ist Westware. Made in France. In der Ferne nahen ABC-Schützen in der Kluft der Jungpioniere heran, mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz auf rotem Mundschutz. Angeführt werden die Knirpse von Margot Honecker. Ihr Gatte säuselt „Bleiben sie gesund!“, dann reichen wir uns die Ellenbögen, ehe der Vorsitzende des ZK im Laufschritt vor seiner Frau querfeldein talwärts flüchtet. Somnambul schlurfe ich zurück in die Hütte und lege mich wieder schlafen.
Zum Morgenkaffee untersuche ich die Wiese vor der Terrasse. Ja, da sind Schleifspuren. Könnten von einem Hirsch stammen, aber ganz sicher bin ich nicht.
Große Überraschung am Abend: In der Tagesschau im Ersten um 20 Uhr keine einzige Corona-Meldung. Sehr surreal. 
Ist die Krise etwa vorbei?

20.6.
Mit Bernhard Hoecker beim „Car Watch Festival“ in Viernheim (Nähe Mannheim). 
In einem Autokino war ich zuvor erst einmal, nämlich Mitte der 90er in Aschheim bei München, um mir „Apollo 13“ mit Tom Hanks anzusehen. Die Renaissance dieser Darreichungsform gehört zu den ulkigen Aspekten der Krise, und als ich das erste Mal davon hörte, loderte bei mir sogleich das Verlangen, auch einmal vor Autos aufzutreten - und sei es auch nur, um eines Tages veteranenhaft meinen Enkeln davon berichten zu können. 
Also. Halb acht, Wetter gut, ein Riesenparkplatz am Einkaufszentrum, große Bühne, Leiwand-Leinwand, Top-Technik. Erster Gedanke von oben: Die Autos haben Gesichter. Der schwarze Kühlergrill des weißen Toyotas ähnelt einem offenen, lachenden Mund, der BMW schmunzelt etwas verkniffen, der Nissan daneben beömmelt sich leicht schielend. Lichthupe und Hupe stellen Applaus dar, Scheibenwischer Winken, Fortgeschrittene bedienen die Scheibenwaschanlage, um Rührung darzustellen, noch gewieftere Zuschauer öffnen die Motorhaube, um Ablehnung mitzuteilen („muss man nicht sehen“), Kofferraumklappe auf hingegen bedeutet Lob („hier kann man was mitnehmen“). 
In unserem Programm „Gute Frage“ beantworten Bernhard und ich bekanntlich Publikumsfragen, und manche haben mit der Situation zu tun, etwa: „Haben Flugzeuge eine Hupe?“ oder „Warum klingt der Rückwärtsgang anders als die Vorwärtsgänge?“. Auch mündlich werden Fragen vorgetragen, allerdings sind die Wege weit, und ein Tonmann muss das Mikro an der Angel minutenlang nach hinten schleppen, damit wir „Was habt ihr heute gegessen?“ beantworten können. 
Keck erwägen wir, mit dem Publikum einen kollektiven Kavaliersstart einzuüben, nehmen aber von der Idee Abstand, aus Angst vor der Beulenpest. Wir haben auf der Bühne ernsthaft Spaß, und ich glaube, das Publikum auch. Hätte ja auch sein können, dass man sich unwohl fühlt, weil einen der Mangel an mimischen Publikumsreaktionen stört. Nein, ich bin eh so schwachsichtig, Kühlergrills sind meiner Sehkraft generell angemessener als ferne, feine Gesichter. 
Können wir, so lautet mein Urteil, jederzeit wiederholen. 
Anschließend noch eine Premiere: Mein erster postcoronäischer Hotelaufenthalt. Schon a weng spooky, wenn die gepflegte Gastlichkeit einer sicherheitsbetonten Begegnungskultur weicht. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir aufgrund der Coronaschutzverordnungen keine Zeitungen, Bücher oder Prospekte für Sie auslegen, die Minibar nicht befüllen und keine Snacks für Sie bereitstellen können“. Ferner muss ich einen Zeitpunkt angeben, zu dem ich mein Frühstück einzunehmen gedenke. Ich will nichts falsch machen und folge etwas verkrampft den Klebepfeilen auf dem Boden, die ich durch meine beschlagene Gleitsichtbrille nur höchst undeutlich wahrnehmen kann. Fast laufe ich gegen eine Säule, nur mein Strohhut schützt mich vorm Nasenbeinbruch. Mir scheint, ich bin der einzige Gast in der mit dunklem Holz vertäfelten Luxusherberge. Kurz denke ich an „Shining“, verwerfe den Gedanken aber sogleich wieder und erinnere mich stattdessen an den ansteckend lachenden Toyota. 
Wie sagt man so schön? Das Hupkonzert ist das Brot des Künstlers. Und so schlafe ich, trotz leerer Minibar, gut gesättigt ein.

21.6.
Statt zu schlafen, studiere ich in der Nacht eine Liste aller Kaufhof-Karstadt-Filialen. Ungefähr ein Viertel habe ich besucht, und ich versuche zu rekonstruieren, was ich jeweils eingekauft habe. ZB Duisburg: Zwei Postkarten. Berlin: Ein halbes Dutzend Schiesser Doppelripp und eine Gitarre. Bremen: Zelt und Nadelstreifenanzug. Die gute Nachricht: Einige Häuser, mit denen ich besonders schöne Erlebnisse verbinde, bleiben bestehen, etwa Karstadt Osterstrasse in HH oder mein derzeitiges Wohnzimmer am Rotkreuzplatz in M. 
Die schlechte Nachricht: 5000 Leute werden arbeitslos.
Peter Altmaier kommt mir in den Sinn, der einst bei „Hart aber fair“ versprach: „Es wird kein einziger Arbeitsplatz wegen der Coronakrise verloren gehen“. 
In den Tagesthemen tritt die Kommentatorin noch nach, stellt gleich zu Beginn die von ihr für rhetorisch gehaltene Frage: „Wann waren Sie das letzte Mal in einer Karstadt-Kaufhof-Filiale?“. Zweimal pro Woche kaufe ich dort ein, und von der von ihr prognostizierten „Lieblosigkeit“ der Verkaufsstätten kann keine Rede sein. Gewiss, derzeit hält die Mehrheit Amazon für den größten Menschheitssegen seit der Erfindung des Röstkaffees - für mich als passionierten Spaziergänger jedoch ist das klassische Kaufhaus der Zielpunkt schlechthin. Zum Surfen mag das Internet ja taugen, aber zum Spaziergang? Und findet man dort wirklich jene Liebe, die die Kommentatorin der Tagesthemen vermisst? I woas net.
Klar, man mag einwenden, dass Karstadt-Kaufhof sowieso in Nöten war. Aber trifft dies auch auf die 35 kleinen Cafés und Restaurants zu, die alleine in Nymphenburg-Gern, meiner unmittelbaren Nachbarschaft, inzwischen geschlossen haben? Ein Herr vom Ordnungsamt nannte diese Zahl vorgestern, und ich war baff, allerdings auch, dass es überhaupt so viele Lokale bei uns gab. Ich hätte noch engagierter auswärts essen sollen. Im Alleingang die Branche retten, dafür verarmen und verfetten. Hätte, hätte...
Mit dem Zug zurück nach München, ab Hbf per Pedes nach Hause. Im Schaufenster des bayerischen Blinden- und Sehbehinderten-Verbandes entdecke ich einen Aushang über Anweisungen zur Verringerung des Ansteckungsrisikos: Hilfen nur im Notfall annehmen. Führen durch Ansagen ersetzen, Zurufe aus sicherer Entfernung. Notfalls Handrücken antippen. Den Führenden nicht am Ellenbogen anfassen (könnte durch Husten-Etikette kontaminiert sein). Besser am Oberarm. Beim Führen einen Strick mit Knoten oder eine sogenannte „Wanderkugel“ einsetzen (Strick mit Holzkugeln an den Enden) - mir fällt auf, dass ich diesen Aspekt der Krise noch gar nicht im Blick hatte. Zuvörderst waren mir Gehörlose in den Sinn gekommen, die, wenn sie nicht von den Lippen lesen können, im Nachteil sind und darum Visiere beim Gegenüber bevorzugen. 
Ergo: Spazierengehen bildet. Wäre das nicht auch ein passender Studiengang für mich: Spaziergangswissenschaften? Das erste Mal hörte ich von diesem Fach beim ZDF „Quizchampion“ und war sogleich begeistert. 
Lucius Burckhardt gilt als der Vater der Promenadologie. Er entwickelte diese „kulturwissenschaftliche und ästhetische Methode zur Erweiterung der Umweltwahrnehmung“ an der Uni Kassel in den 80er Jahren. Seminare gab es seither in Bremen, Leipzig und Wien. 
Mir erscheint der Ansatz hochaktuell; noch ist die Krise nicht vorbei, aber vor dem Hintergrund der jüngeren Forschungsergebnisse (wesentlich höheres Infektionsrisiko drinnen als draußen) darf man annehmen, dass „Stay home“ eventuell kein ganz glücklich gewähltes Motto war. Nicht ausgeschlossen, dass „Raus an die frische Luft!“, bzw „Go out!“, wie die Kampagnenfuzzis sagen, effizienter gewesen wäre. 
Vielleicht machen nicht Stubenschule, SUV und Sofa-Shopping glücklich und gesund, sondern: der Duft des Asphalts kurz nach dem warmen Sommerregen.

P.S.:
Das Altmaier-Zitat hatte ich aus der „Welt“ vom 29.4. 
Von einem aufmerksamen Leser wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass er keineswegs so’ne Art Arbeitsplatzgarantie ausgesprochen hat. Das komplette Zitat lautet anders, nämlich:
„Es wäre verantwortungslos zu sagen, dass in zwei oder vier Wochen der ganze Spuck wieder vorbei ist.“ Deutschland müsse sich auf eine längerfristige Ausnahmesituation einstellen, so wie die Wirtschaft. Die Bundesregierung tue alles, um Firmen, die wegen des Virus mit Ausfällen kämpfen müssten, zu unterstützen. „Wir haben so viele Reserven, dass wir versprechen können, dass wir alles tun werden, damit kein Arbeitsplatz wegen Corona verloren geht und kein gesundes Unternehmen schließen muss. Wir sind bereit, notfalls auch Schulden zu machen, um die Ausgaben zu stemmen“, sagte Altmaier.

22.6.
Plünderungen in Stuttgart. Als ich im Radio davon erfahre, sind Hintergrund und Dimension noch unklar, und so beginnt am Frühstückstisch ein heiteres Begründungsraten. Warum Stuttgart? War der Streit um den Bahnhof Ursprung einer Tradition, den Staat herauszufordern? Am Neckar wurde der „Wutbürger“ geboren, kaum dass Stéphane Hessel seinen Bestseller „Empört euch“ veröffentlicht hatte. Wird Stuttgart, die Stadt der Anwältin Beate Bahner, für die „Neue Normalität“, was Berlin und Paris für die 68er Studentenrevolte war? 
Teresa schüttelt den Kopf. „Du denkst viel zu politisch. Schwaben sind bekanntlich sparsam, die plündern auch 1-Euro-Märkte, wenn sich die Gelegenheit bietet!“ - Ich wiege den Kopf und mutmaße, der Schwabe sei nicht nur sparsam, sondern auch vom Pietismus geprägt, der frühaufklärerischen Reformbewegung. Kern: Aus Prinzip dagegen sein. Und dann fallen mir noch die Biberacher Bilderstürmer und Gotthilf Fischer ein, genau: Was, wenn dies der lang ersehnte Relaunch der Fischer-Chöre ist? Teresa gähnt verstohlen und beißt ins Brötchen, so dass ich für eine Weile das Thema wechsele. 
Zum zweiten Frühstücksei trudeln Meldungen ein, die Gewalttäter stammten aus der „Party- und Eventszene“. Ah! Sogleich kommt mir die japanische Tanzmaus in den Sinn, eine Zuchtform der chinesischen Hausmaus, die aufgrund ihres gestörten Gleichgewichtssinnes dazu verdammt ist, ihr Leben beständig tanzend zu verbringen. Dies bringt mich wiederum zu den Raves der 90er, mit tagelang zuckenden Leibern zu Westbam & Konsorten. Ich will keineswegs Maus und Mensch in einen Topf werfen, aber die wochenlange Schließung der Tanzlokale kann natürlich bei beiden Frust hervorrufen. Teresa zeigt mir einen Vogel, so liebevoll man eben einen Vogel zeigen kann. 
Bald darauf spezifiziert die Polizei, dass auch Alkoholika im Spiel waren und die Täter ausschließlich männlichen Geschlechts, und bei dieser Gelegenheit erinnere ich mich, dass ich mir schon seit Jahren vorgenommen habe, den Stuttgarter Stadtwein zu probieren, der an jenen Hängen gedeiht, die man zB rechterhand erblickt, wenn man das Bahnhofsgebäude Richtung Innenstadt verlässt. 
Als wir schließlich die dazugehörigen Bilder sehen, weicht die schale Heiterkeit blankem Grusel; wir denken an die verletzten Polizisten, und ich schäme mich meiner geschmacklosen Burschikosität. 
Der Rest des Frühstücks verläuft schweigend.
Ich schildere dieses Stochern im Nebel deshalb so ausführlich, weil es ein Paradebeispiel für so viele Stochereien in den letzten Monaten ist. Irgendwann las ich einen Zeitungsartikel, der besagte, dass ein infizierter Fahrradfahrer eine 30 Meter lange, ansteckende Aerosol-Schleppe hinter sich herzöge. Hieß dies, dass, wenn ein Radler passierte, man in einer Mülltonne Schutz suchen und bis 30 zählen sollte? Viele Antworten blieb die Wissenschaft schuldig, gerade zu Beginn des Lockdowns, und so verbrachte ich manche Stunde im Müll. 
Aus dem Kreis Gütersloh, von der Firma Tönnies, erreicht uns ein verstörendes Sittenbild. 1973 musste man noch „Ihr da oben - wir da unten“ lesen, um sich über die Gepflogenheiten in deutschen Industriebetrieben zu informieren, inzwischen wird Wallraffs Werk vom Corona-Virus fortgesetzt, der sich undercover einschleust und die Öffentlichkeit zur Kenntnisnahme zwingt.
Der R-Wert nimmt, veranlasst durch die Ausbrüche in Rheda-Wiedenbrück, Göttingen und Neukölln, fast so schnell zu wie jemand, der sich ausschließlich von Tönnies’ Schmankerl ernährt. 
Israel meldet derweil den Beginn der zweiten Welle; von täglich 16 sei die Zahl der Neuinfizierten auf 300 gestiegen. Schon wird in meinem Bekanntenkreis vor der heran galoppierenden Apokalypse gewarnt. In der Ferne hört man Hufgetrappel. 
Soll ich in die nächste Mülltonne springen?

P.S.: Beate Bahner ist natürlich Heidelbergerin. Danke für den Hinweis.

23.6.
Noch ein Gedanke zum Stichwort „Party- und Eventszene“. Was ich von Alkohol & Drogen halte, wurde ich gestern gefragt, und ich musste schmunzeln, weil man mich mittlerweile genauso gut fragen könnte „Was halten sie von Bodenplatten mit Spanngliedhüllrohren im Stahlbetonbau?“ 
Also: Die Sehnsucht, sich die Birne wegzuballern, scheint uns Menschen mit einigen anderen Wirbeltieren zu verbinden, die zB mit Vorsatz vergorene Früchte zu sich nehmen. Als Jugendlicher im Jazz sozialisiert, war Fischers „Handbuch der Rauschdrogen“ ein Schmöker, den ich ebenso tief inhalierte wie Borroughs „Naked Lunch“ und Ernst Jüngers „Annäherungen und Rausch“. 
Heute kann ich mich an meine bekiffte Jugend nur noch in schwach duftenden Schwaden erinnern. Der Reiz ist weg, und ich stelle fest: Chemie als Glücksbringer ist ein kompletter Irrweg. Es ist die Musik selber, die törnen muss; Sounds, die einem packender vorkommen, wenn man cannabisiert ist, taugen in Wahrheit nüscht. 
Als Menschen haben wir die Möglichkeit, grelle Halluzinationen, totale Ekstase, völligen Realitätsverlust auch ohne Doping, aus uns selbst heraus, anzufachen. Hilfsmittel: Imagination, Bewegung, Landschaft, Geduld, Schlafmangel, Humor, Erotik und - natürlich - die Liebe. 
10 Stunden auf einem Fahrrad bringen mich in einen Zustand der heiteren Entrückung, und alle Sorgen & Aggressionen lösen sich auf wie Zucker im Kaffee - nur die Süße der Ermattung bleibt. Geht auch mit Sauna oder Wechselbädern, sofern man ausreichend Zeit mitbringt. Man kann auch Beten oder auf einem Stuhl sitzen und die leere Wand anschauen (Königsdisziplin). Geduld garantiert den Erfolg. 
Alkoholika finde ich bisweilen sogar lecker - wobei ich meinen letzten Schwips vor über 20 Jahren genoss. Dann wurde ich Vater, was buchstäblich ernüchternde Wirkung hatte. Ich kann mich nicht daran erinnern, seit Amtsantritt Gerhard Schröders mehr als zwei Glas Bier, Wein oder Schnaps getrunken zu haben, und gedenke, an dieser Praxis auch nichts mehr zu ändern. 
Und wo wir schon mal dabei sind: Gröhlende Männer kann ich auch nicht mehr ab. Das ganze klassische Männlichkeitsideal kann mir den Buckel runterrutschen. Testosteron ist noch schlimmer als Alkohol, ist das destruktivste Zeugs von allen. Früher hat man sich wenigstens noch anständige Wirtshausschlägereien geliefert, mit hochgekrempelten Ärmeln und Schwitzkasten und sich anschließend wieder vertragen (sagen die Älteren in meinem Freundeskreis) - heute holt ja immer irgendwer ein Messer raus oder tritt dem anderen von hinten ins Kreuz, und aus Spaß wird Ernst. 
Der wichtigste Rat, den ich den jungen Leuten gebe: Macht mal was abgefahrenes und verbringt die Nacht auf dem Fahrrad. Und am nächsten Tag könnt ihr euch ja immer noch prügeln, wenn ihr Lust drauf habt. Der Rat gilt natürlich nicht nur Jugendlichen; geht zusammen laufen, schwimmen, spazieren, knutscht, egal was, aber tut es so lange, bis ihr grundlos zu lachen beginnt und Eichhörnchen im Schottenrock am Firmament zu sehen meint. Ich behaupte mal ganz unbefangen: Wenn wir alle sagenwirmal 20 Stunden pro Woche mit stupide sich wiederholender körperlicher Tätigkeit verbringen, gibt es keine Kriege mehr.
Das ist das, was ich zu sagen hätte - das Konstruktivste, was mir zu Stuttgart einfällt. (Auf alles andere haben alle anderen bereits hingewiesen). 
Natürlich hätte der von mir entworfene Weg für Deutschland und umzu weitreichende Konsequenzen. Da sich 20 Stunden Bewegung nur realisieren lassen, wenn man zB alle Arbeitswege, Pendelstrecken etc aus eigener Kraft zurücklegt, wären Motoren völlig überflüssig. Die Automobilindustrie müsste folglich umdenken, und zwar in Richtung Tretauto. 
Natürlich geht mit meinem Konzept ein gewisser Wohlstandsverlust einher, aber das macht nichts: Wer sein Glück daraus bezieht, dass er tageweise eine weiße Wand anstarrt, erfreut sich eines eingeschränkten Liquiditätsbedarfs.

24.6.
Lockdown in Tönniesien, einer abgelegenen Gegend in Laschetstan, in der, wie man hört, mittelalterliche Arbeitsverhältnisse liebevoll gepflegt werden. König Clemens von Eisbein, Dauersieger der Schweineschlacht und Herrscher über die Schalker, wurde auf seiner eigenen Burg festgesetzt, und Herzog Armin I., beschlagener Großvisier und Herzog von Lock und Lockerer, im Dauerclinch mit Markus dem Strengen, verkündete sintemal, dass alles wieder werde wie neulich, die Märkte aber dabei offen bleiben sollen. Auch Urlaub sei seinen Untertanen erlaubt, allerdings bittet seine Durchlaucht sie, die Grenzen der fürstlichen Ländereien nicht zu überschreiten. 
Klingt nicht unkompliziert. 294 Landkreise gibt es, und wenn im schlimmsten Fall für jeden ein exklusiver Regel-Reigen ausgeheckt wird, kann man endgültig den Überblick verlieren. Die Bundesregierung sollte schon jetzt eine zweite App in Auftrag geben, nämlich den Corona-Regel-Rechner, der dem User am jeweiligen Standort verrät, was er darf und was nicht. 
Nicht nur in Sachen Lockdown ja/nein/vielleicht/ein bisschen wird die Lage immer unübersichtlicher, auch im Wirtschaftsleben blickt niemand mehr durch.
Wirecard - da fehlen 1,9 Milliarden, und das ist auch schon alles, was ich über diesen Skandal weiß. Eine geheimnisvolle Müdigkeit ergreift mich, sobald ich mich mit der Story beschäftige. Spannend ist vor allem die Dimension; bei mir zuhause fehlen selten Beträge in Milliardenhöhe (wobei ich meine Kontoauszüge manchmal nur luschig überfliege). Häufiger stoße ich unerwartet auf vergessene Bargelddepots: Mal finde ich unterm Sofa zwei Euro, mal eine Handvoll Kupfergeld in der Besucherritze. Ich weiß noch nicht mal, was Wirecard genau bedeutet. Drahtkarte, gell? Spontan denke ich an einen Landkartenverlag, der Wanderkarten für Querfeldeinläufer herstellt, in denen der Verlauf der Stacheldraht- und Elektrozäune vermerkt ist. 
Hach, ich fühle mich momentan latent überfordert. Durfte gestern mal wieder erwerbstätig sein, und zwar als Quizkandidat im öffentlich-rechtlichen Hauptabendprogramm. Leider wurden mehrfach Schätzfragen gestellt, à la „Wie lange dauerte das Erdaltertum?“ 1000000? 100000000 Jahre? Bei großen Zahlen bin ich raus - so wie offenbar auch Controlling und Aufsichtsrat bei Wirecard. Auf eine Null mehr oder weniger kommt’s jetzt auch nicht mehr an, gab ich mich lässig, aber in Wirklichkeit haderte ich mit meiner Ahnungslosigkeit. Hängt vielleicht auch mit dem fehlenden Saalpublikum zusammen - muss ich mich erstmal dran gewöhnen.  
Was soll’s; andere Leute haben ganz andere Sorgen: Der Drahtkarten-Verlagschef geht vielleicht fünf Jahre ins Kittchen, und Clemens I. kann froh sein, wenn er nicht geteert und gefedert wird. Wo die 1,9 Milliarden wohl abgeblieben sind? Ich geh gleich nochmal meine Besucherritze untersuchen.

25.6.
Jetzt auch mein Wildeshausen, wo ich geboren bin, der Ort, der mir meinen Namen gab. 
Im Landkreis Oldenburg hat man in den letzten Jahren eigentlich sehr gut mit und von der Nahrungsmittelindustrie gelebt, und Corona nahm man (neben den Toten) vor allem übel, dass das Gildefest in diesem Jahr ausfallen musste. Die Schützengilde gibt es seit 1403, das dazugehörige Fest ist der kulturelle Kern meiner Heimatstadt, und dass Pfingsten nicht „fiert“ ward, ist für echte Wildeshauser ein kaum verkraftbares, traurigstmögliches Unrecht. Und jetzt auch noch Wiesenhof - da werde ich ganz blass um die Nase. 
Jens Spahn spricht abends von Corona-Fällen in „Bremen“, und das ist einerseits knapp daneben, aber andererseits hätte zB Ischgl sicher nichts dagegen gehabt, wenn alle Welt irrtümlich von „Innsbruck“ gesprochen, während die Ischgler leise flötend zu Boden geblickt hätten. 
Und so hoffe ich für das Spahnsche „Bremen“ einerseits, dass es sich um einen minderschweren Fall handelt, der keinen Lockdown erzwingt, und andererseits, dass für Mensch und Tier in diesem dubiosen Industriezweig unter der Lupe des Infektionsgeschehens Verbesserungen erzwungen werden. 
Ach ja, Ischgl: Seit einigen Tagen liegt bei mir auf dem Kaffeetisch der famose gleichnamige Fotoband von Lois Hechenblaikner. Auch verrückt: Da fotografiert einer seit 25 Jahren die Deformierung seiner Tiroler Heimat hin zur Gaudi-Hölle der Feierbiester, zum Wiesenhof unter den Alpin-Destinationen, und plötzlich dienen seine Bilder als perfekte Illustration der Verhottspottung. Beim Durchblättern der Fotos, auf denen sich zB als OP-Ärzte verkleidete Skifahrer auf der Piste einen hinter die Mullbinde kippen, denkt man unwillkürlich: Nein, das konnte nicht gut gehen. 
Ist es Zufall, dass sich das Virus dort besonders wohl fühlt, wo Menschen besoffen sind oder trunken vor Geldgier, wo sie von Ausbeutern in schmutzige Löcher gezwungen, wo Kreaturen geschändet, wo Landschaften verschandelt werden? 
Jeder halbwegs gewiefte Pastor des neunzehnten Jahrhunderts hätte hierin ein System, nämlich die Strafe Gottes erkannt.
Ich sehe vor mir einen aufgebrachten, hageren Gottesmann, der von der Kanzel blickt und unten feixende Skifahrer sieht, mit ihren Bunnies auf dem Schoß, daneben Wuhaner Marktbeschicker nebst Käfigkörben, in denen Schleichkatzen wie Rilkes Panther auf und ab schreiten, dahinter Tönnies im Gazprom-Shirt, Wiesenhof, Westfleisch, sie legen Bruzzzler für 1,99 € auf den 500€-Grill, und dem Rest der Gemeinde (ja, wir sind auch dabei) läuft das Wasser im Munde zusammen. Der Pfarrer reckt drohend die Bibel, sein Gesicht wird vom Grill feurig beleuchtet, und mit bebender Stimme kündigt er die Rache des Herrn an. Draußen donnert’s, die Gemeinde zuckt zusammen, außer die sturzbesoffenen Skifahrer; einer steht auf und schickt sich an, ins Taufbecken zu brechen; ein deutliches Beben lässt das Gotteshaus schwanken, die Bunnies schreien spitz, und die Krippe erwacht zum Leben: Melinda und Bill Gates beugen sich zu ihrem Kind hinab, das seinen Oberkörper aufrichtet, gehüllt in einen weißen, mit Straßsteinen besetzten Polyesteranzug. Jesus hat schwarze Haare und einen Entenschwanz, Caspar, Melchior und Balthasar reichen ihm eine Gitarre, heben zu einem dreistimmigen Chorgesang an, und der King beginnt zu singen: „Devil in Disguise“. Er schwingt sein Becken; Esel, Hund, Katze, Hahn stapfen im Takt auf die Hühnerbarone los, die wollen fliehen, stolpern über abgestellte Skier, das Grillfeuer greift aufs Holzgebälk über, und noch ehe der Pastor der verkommenen Gemeinde ein endgültiges „Amen“ entgegenkeifen kann, kracht die ganze areosolgeschwängerte Kirche zusammen, und es herrscht Stille. 
Fast - nur King Corona singt weiter, unplugged & forever.

26.6.
Mein großer Sohn Cyprian hat vor, sein Berufsleben dem Tourismus zu widmen. Mit dem Bachelor in der Tasche schloss er vor Corona einen Arbeitsvertrag für 10 Wochen Jobben auf Sardinien ab. Lange war unklar, ob er überhaupt würde anreisen können. Erst kurz vor knapp die erlösende Mail: Forza! Andiamo zum Flughafen, ich auch da, ihm Ade sagen. Atmosphäre wie bei Geisterspielen im Stadion; nur ein Bäcker hat auf, alle Flure und Hallen leer, auf der großen Anzeigetafel eine Kinderhandvoll Flüge. Erstmal dringend zum WC (Antibiotika), dort gerade Polizeieinsatz mit Schwerbewaffnung. Ich maximal unter Druck, der junge Polizist auch. Er herrscht mich in an: „Polizeieinsatz-die Toilette ist für Sie gesperrt- gehen Sie weiter“. Fast reiße ich mir die Maske vom Mund vor Entsetzen, fürchte jedoch, dafür erschossen zu werden. Eine junge Polizistin, freundlicher: „Da hinten sind weitere Klos“. Ich renne, klappe in allerletzter Sekunde die Brille hoch - das war die Ouvertüre. 
Am Eurowings-Schalter ist schon allerhand Betrieb. Ausreichend Zeit. Hot news: Ab sofort kommt nach Sardinien („coronafrei“) nur, wer ein Formular der Regionalregierung online ausfüllt und abschickt. Allerlei Fragen à la „Haben Sie Husten?“ etc. Dann: Steuernummer? Cyprian schaut mich panisch an. „Die weiss ich nicht“. Nur die Ruhe. Wir rufen beim für ihn zuständigen Finanzamt an. „Darf ich ihnen am Telefon nicht sagen!“ - „Und wenn ich ihnen ein Foto meines Personalausweises schicke?“ Selbes Haus, neuer Gesprächspartner. Nummer wird durchgegeben. Gleich eintippen. Geht nicht. Noch dreißig Minuten. Zahlendreher? Ach, Schrägstriche vergessen. Sind sie ein Roboter? Markieren sie jene Felder, auf denen eine Ampel zu sehen ist. Abgestürzt, noch mal. Cyprian zur Frau am Check-In: „Nehmen Sie mich notfalls auch so mit? Nein? Aha!“ Nochmal, mit meiner Steuernummer, nur testhalber. Geht auch nicht. Ohne Schrägstriche? Nein, ich bin kein Roboter. Cyprians erstes Arbeitsverhältnis- da darf man doch unmöglich den Flieger verpassen, wegen sowas! Abschicken. Geht nicht. Noch fünfzehn Minuten. Wieder beim Finanzamt anrufen. Ich parallel zum Eurowings-Service-Counter. „Nein, da kann ich ihnen nicht helfen“. Sind Sie ein Roboter? Markieren Sie jene Felder, auf denen ein Zebrastreifen zu sehen ist. Wo zum Teufel soll da ein Zebrastreifen sein? Abschicken. „Pflichtfeld fehlt“: die Steuernummer. Noch fünf Minuten. Am Service-Schalter kriegt derweil eine Kundin einen vulkanösen Wutausbruch: „Sie lassen mich extra aus Hamburg hier her reisen, und jetzt darf ich nicht mit? Ich kriege gleich einen Herzinfarkt!“ Nochmal von vorne. Sind Sie ein Roboter? Markieren Sie jene Felder, auf denen ein Traktor zu sehen ist. Rechner stürzt ab. Ein freundlicher Mitarbeiter, der bisher pausenlos andere Reisende beraten hat, schlurft heran, erbarmt sich unser. Neben dem Feld „Steuernummer“ gibt es ein Rechteck „Nationalität“ mit kleinem Häkchen links oben. Der Trick: Das Häkchen muss weggeklickt werden. Eine Maske springt auf, ein Land wird ausgewählt, Steuernummer, Roboter, Zebrastreifen. Danke sehr! Jetzt aber schnell. Wie spät ist es? Aha, Abflug. Das Eincheckpersonal geht in die Pause. Halt! Ich eile zum Service Counter. Schlange stehen, warten. Flieger ist in der Luft. Ich schildere alles nochmal. „Kann man wenigstens gratis umbuchen?“ Eurowings-Mitarbeiter: „119 Passagiere haben das mit dem Formular hingekriegt. Kann ja nicht so schwer sein. Nein, da ist nichts zu machen“. Grande Finale. Feine Rauchsäulen entweichen meinen Ohren. Wann geht der nächste Flieger nach Olbia? „Am 2. Juli, in einer Woche“. Aus den feinen Rauchsäulen werden zischende Fontänen, wie bei einer alten Dampflokomotive. Sind sie ein Roboter? 
Cyprian will seinem Arbeitgeber Bescheid geben. Kurzarbeit, keiner geht ran. 
Ein Blick in den Spiegel. Markieren sie jene Felder, auf denen ein Versager zu sehen ist. Cyprian trottet mit hängenden Schultern heim, ich stürme zum nächsten Klo.
Zu spät. Habe mich lange nicht mehr so beschissen gefühlt.

27.6.
Ich unterhalte mich mit einem Bekannten, der eine Coronaerkrankung erfolgreich hinter sich gebracht hat. Er berichtet: „Es passiert mir regelmäßig, dass man Kontakte mit mir meidet - auch solche, bei denen man zwei Meter Abstand einhält. Einer insistierte sogar auf fünf Meter. Als ich nachfragte, warum, kam zur Antwort: „Weil mir mein Leben lieb ist“. 
Andere Stadt, gleiche Situation: Eine Frau wird nach Covid-19-Erkrankung wieder gesund, und als sie einkaufen gehen will, wird ihr der Zugang zum Supermarkt verwehrt. Wie sie darauf reagiert hat, wurde mir leider nicht berichtet. 
Sogar gegen mich gibt es Vorbehalte - obwohl ich mich niemals irgendwelcher Symptome erfreute. Eine sehr ängstliche Verwandte kann sich erst in einigen Monaten ein Treffen mit mir vorstellen - wegen der kleinen Kinder, über deren Infektiösität „man ja in letzter Zeit viel gehört“ habe, aber auch wegen dieses Tagebuchs, das ihr nicht gefällt. Womöglich habe ich mich zu lax, zu ungewaschen präsentiert. 
Corona hat, wenn nicht zu endgültigen Zerwürfnissen, so doch zu Haarrissen geführt, die sich quer durch viele Freundschaften und Familien ziehen. Nun kenne ich Haarrisse aus zwei Zusammenhängen: Bei einer Stressfraktur am Mittelfußknochen heilt der Riss nach sechs bis acht Wochen aus, ich habe aber auch schon mal in einem überteuren Einzimmer-Appartement am Lehmweg in HH gewohnt, und als ich auszog, zückte der Vermieter ein Diktiergerät, um die angeblich von mir verursachten Schäden verbal zu dokumentieren. Ich stand schräg hinter ihm und wohnte der nicht weniger schrägen Situation bei. „Dann wollen wir mal“, hob er im Bad an, drückte die Record-Taste, und (darum komme ich überhaupt drauf) begann sein Werk mit den Worten „Haarrisse am Waschbecken“. Insgesamt summierten sich sämtliche Schäden auf eine halbe Stunde Sprechzeit, und als ich am Ende fragte, ob von meiner Kaution denn irgendetwas übrig bleiben würde, da lachte er leicht angeschmuddelt und wünschte mir noch einen schönen Tag.
Es ist die Frage, welche Art Haarrisse Corona hervorruft: Temporär oder bleibend? In optimistischen Momenten spekuliere ich auf einen Heilungsprozess, der wie die frakturspezifischen sechs bis acht Wochen dauert, in düsteren denke ich an eine Zeitspanne, die ähnlich lange anhält wie das Zurückzahlen der Corona-Kredite. 
Abends beehren Teresa und ich die Bummfilm-Studios in Otterfing, um am Live-Hörspiel von „Rufus T. Feuerflieg“ auf Twitch mitzuwirken. Ursprünglich sollte das Werk auf der Buchmesse Saar aufgeführt werden, die coronabedingt ausfällt, so wie bekanntlich alle anderen Messen auch. 
In fünf verschiedenen Zimmern stehen die Mitwirkenden vor den Mikros, außerdem ist ein Sprecher aus Hamburg live zugeschaltet, Esther Schweins aus Mallorca, und während der längste von uns, Götz Otto, in einem kleinem Kabuff hinter der Klimaanlage Platz nehmen muss, dürfen Teresa (als meine Assistenzhexe Kreszenzia Freifrau von Himmelberg-Hasseloh) und ich uns gemeinsam im größten Studio austoben. Ein gemeinsamer Hausstand - das ist ein großer Luxus in diesen Tagen. Kaum geprobt, ist so‘n Live-Hörspiel für alle ein spannendes Abenteuer, das nur gelingt, wenn keiner der Sprecher zwischendurch an Corona denkt. Hat geklappt. Ein rundum gelungener Abend.

28.6.
In der Dämmerung bringe ich Cyprian zum Flughafen. Zweiter Versuch, nach Olbia zu gelangen, jetzt mit anderem Carrier. Sein Arbeitgeber war gnädig, offenbar hatten einige Kollegen beim ersten Anreiseversuch dasselbe Problem wie er. Lustigerweise muss man neuerdings das Einreiseformular für Sardinien vor Check-In online ausfüllen, um im Flieger alles nochmal handschriftlich zu Papier zu bringen - die sardische Doppelstrategie gegen Covid-19. 
Nach dem Einchecken trinken wir noch einen Kaffee auf der großen Plaza, draußen, zwischen den Terminals, und lauschen den Sperlingen beim Morgenkonzert. Uns ist, als habe sich die Natur bereits einen Teil des Airports zurückerobert: den Luftraum über der Krümelzone. 
Das brachiale Gezwitscher werde ich, wenn das Virus eines Tages außer Dienst gestellt wird, vermissen.
Nachmittags fahre ich mit dem Geländerad meine Hausrunde und habe eine blöde Panne: Speichen am Hinterrad sind locker, ich kann nicht weiterfahren, und ohne Werkzeug („Nippelspanner“) ist da nichts zu machen. Also schiebe ich den Alufanten durch die Sommerhitze. Am S-Bahnhof gibt es einen Radladen, den ich beflissen maskiert betrete. „Bedaure, wir nehmen bis zum Herbst gar keine Reparaturaufträge an“ - „Wie, gar keine?“ - „Wir können einen Termin ausmachen, für die Annahme des Rades“. Ich staune. „Kein Problem. Ich kaufe einen Nippelspanner, dann kann ich das Problem selber beheben“ - „Tut uns leid, so was haben wir nicht. Wir wurden schon seit Wochen nicht mehr beliefert. Die Firmen kommen einfach nicht hinterher.“ Ich staune noch mehr. Nicht nur Amazon und Sagrotan sind Krisengewinnler, sondern auch das Fahrrad. 
Zu Beginn der Krise hätte ich kaum gedacht, dass sich dieser Trend verfestigt - ungefähr so wenig, wie ich noch letzte Woche an den Klassenerhalt meines Lieblingsvereins geglaubt habe. Gefällt mir natürlich gut, dieser Boom - auch wenn ich heute per Bahn heimfahren muss.
Immerhin kann ich so einen Blick aufs Handy werfen und erlebe live, wie Werder Bremen sich auf den Relegationsplatz schiebt. Damit hatte ich ehrlich gesagt nicht mehr gerechnet. Die Jubelszenen nach dem Spiel kann ich leider nicht verfolgen, wg. Akku. Schade; ich hätte gerne gesehen, wie die Mannschaft zur Fankurve schreitet und mit den Geistern die Choreo zelebriert. Die leibhaftigen Fans verfolgten das Spiel offenbar vollzählig an den Stränden der Seen und Meere, ehe sie sich nach Spielende vorm Weserstadion versammelten. Fernsehbilder legen nahe, dass dabei der durchschnittliche Abstand von Hüftknochen zu Hüftknochen in Cuxhaven-Duhnen oder am Timmendorfer Strand eine knappe Handbreit betrug. 
Noch kontaktfreudiger schmiegen sich laut BBC nur die Engländer aneinander; Sonnen- und Kuschelhunger der Untertanen ihrer Majestät scheinen immens. Natürlich wächst mit der Enge die Übertragungsgefahr durch Aerosole, andererseits wirkt die starke UV-Strahlung antiviral. Namentlich die Engländer, so erfuhr ich in der Tagespresse, setzen an den Stränden auf eine Kombiprävention durch UV-Strahlung plus Alkohol. Noch wissen wir nicht, was Corona von dieser Strategie hält - auf jeden Fall erscheint sie mir erfolgversprechender als das sogenannte Stuttgarter Modell, also Alkohol plus Plünderungen in der Nacht. Die epidemiologischen Auswertungen der verschiedenen Präventionsansätze erfahren wir, wie immer: in zwei Wochen.

29.6.
Als mir meine Frau morgens vom Fall Kretschmann erzählt, entgleisen mir sämtliche Züge. Der Ministerpräsident habe sich unmaskiert im Flughafen blicken lassen, umgeben von Mitarbeitern, die das Gesetz ernster nehmen als er. Mein Puls touchiert die 100, mein Blutdruck die 200. Sogleich formuliere ich stumm Verwünschungen, und Joschka Fischers berühmte Beleidigung fällt mir ein, eingeleitet durch „Mit Verlaub...“ Dann lese ich mich ein und erfahre, dass Kretschmanns Facebookseite wegen massenhafter Beleidigungen geschlossen wurde. Hahaha, denke ich mir, erst fällt der Herr Potentat hinter Friedrich den Großen zurück und meint, er stehe überm Gesetz, dann reagiert er obendrein weinerlich und löscht die Kommentare, die er doch selber erzwungen hat. Besonders hirnrissig finde ich die Behauptung seiner Sozialmedien-Fachkräfte, „Corona-Rebellen“ hätten seine Seite „lahmgelegt“. Ein Hacker-Angriff? Mitnichten! Laut Staatsministerium seien „im Sekundentakt zahlreiche Falschaussagen, Verschwörungserzählungen, Drohungen, Beleidigungen und andere strafrechtlich relevante Inhalte“ gepostet worden. Nun ist allerdings auch das Nicht-Tragen einer Maske mindestens eine Ordnungswidrigkeit. 
Insgesamt seien 4000 Kommentare von „Störern“ eingegangen, so dass die seriösen Fragen von Bürgern „völlig untergegangen“ seien.
Nein, nicht nur „Corona-Rebellen“, auch Unterstützer der „Maßnahmen“ wie zB ich, haben ein Problem damit, wenn der Landesherr meint, er dürfe - als einziger - sein Aerosol ungehemmt im Terminal verbreiten. Es ist keineswegs so, dass ausnahmslos alle, die Winfried dem Nunmehr-etwas-weniger-Großen nicht bedingungslos zu huldigen bereit sind, in die Klapsmühle gehören. 
Gerne würde ich mir persönlich ein differenziertes Bild der Kritik machen, die da auf ihn eingeprasselt sein muss - aber das geht ja nun nicht mehr, denn sie wurde gelöscht. 
Manometer, der soll doch froh sein, dass auf seiner Seite mal so richtig was los ist! Wenn ich jedesmal die beleidigte Leberwurst spielen würde, nur weil mich bei Facebook ein paar tausend Störer daran hindern, auf die seriösen Fragen der Bürger zu antworten, dann, äh, könnte ich mich von Rügenwalder als Brotbelag vermarkten lassen. 
Als ich Teresa in der Kirche St. Achaz abgeliefert habe, wo sie Rheinbergers A-Dur-Messe singt, schiebe und trage ich die Kinder durch Sendling und regle mich erfolgreich runter. 
Bah, diese wutbürgerlichen Herabwürdigungen älterer Herrschaften stehen mir nicht. Ich sollte gerade nicht so bigott sein wie Kretschmann, sondern menschenfreundliche Milde walten lassen. Kretschmann sagt, er habe Süßigkeiten essen wollen. Richtig so! Ich habe auch schon auf so mancher Bahnfahrt die Maske gelüftet, um mich zu verpflegen - das ist bei der DB sogar ausdrücklich erlaubt; was fliegt er überhaupt? 
Ist es nicht in Wirklichkeit positiv, wenn Kretschmann dem Ernst der Lage seine hoffentlich nicht allzu kariösen Zähne zeigt und ihn so gleichsam relativiert? 
Sodann überlege ich, welche Süßigkeit er gegessen haben könnte. Happy Hippo würde zu ihm passen, Lutscher natürlich auch, ebenso wie sehr, sehr weicher Keks.
Beim Verfassen der Pressemitteilung des Staatsministeriums jedenfalls waren sicher keine Smarties im Spiel. 
Puh. Winni hätte mich fragen sollen: Masken eignen sich vorzüglich als Bonbon-Reservoire. Ich habe jederzeit ein Dutzend Leckerlies im Backenbereich meiner Stoffmasken deponiert und schiebe mir bei Bedarf ein Gutsi per Hand in den Mund. 
Guten Appetit allerseits!

30.6.
OP! Eine gewisse Nervosität kann ich nicht leugnen, als ich mittags in kurzer Hose, Badeschuhen und Regenjacke am Krankenhaus aufkreuze. Meine am Eingang gemessene Körpertemperatur beträgt sogar 36 Grad Celsius - das ist für mich hohes Lampenfieber. Dazu muss man wissen, dass in diesen Wochen jeder, der an der Pforte Einlass begehrt, mit einer Stirnfiebermesspistole traktiert wird; ich war seit Abszeß-Öffnung fünfmal zum Tamponadenwechsel da, und nie überstieg meine Temperatur 35 Grad. Ohne zu zucken wurden die bedrohlichen Werte von eher branchenfernen Dienstleistern in ein gelbes Formular eingetragen, und nun danket alle Gott, dass ich’s immerhin bis hierher geschafft habe. 
Im OP laufen gedämpft ausschließlich Hits der 80er. Als ich mich auf den Tisch lege, „Fade to grey“ von Visage, als die freundliche Chirurgin mir die Betäubungsspritzen setzt, „Being Boiled“ von Human League. 
Dann muss das Zeugs einwirken, und ich unterhalte mich mit der Assistentin (ungefähr mein Alter) über die Trottellummen an der Langen Anna auf Helgoland und Elon Musk und seinen Kampf gegen das, was er für Faschismus hält. Anschließend nimmt sie mir die Brille ab. „Darf ich putzen? Ich kann soviel Dreck nicht ertragen“. 
Die Frau Doktor zückt das Skalpell. Im Hintergrund läuft Boy George, „Turn 2 dust“, ein leichter Schweißfilm benetzt meine Stirn, und ich muss mich konzentrieren, um Krämpfe in der Rückenmuskulatur zu vermeiden. „Tut das weh?“ fragt die Ärztin, und ich verneine. Nur ungefähr registriere ich, dass da eine Schere schnippschnappt, dass da mal gezuppelt, mal gerupft wird. 
Einige Fachfragen kommen mir in den Sinn, etwa, ob hier schon Leute eingeschlafen sind (es ist meine Nickerchen-Zeit), ob Zysten auch für irgendwas gut sein können, und ob es auch Patienten gibt, die während der OP am Handy daddeln (ich habe Flugmodus an). Aber ich stelle keine Fragen, aus Angst, ihre Konzentration zu stören - nachher geraten wir ins Plaudern, und am Ende fehlen mir zwei Nieren und der Dünndarm, aber die Zyste ist immer noch an Bord. Die Assistentin witzelt: „ Unter Chirurgen gilt ja: Abgemacht ist abgemacht.“ 
Schließlich nicke ich tatsächlich ganz kurz ein, Frau Doktor näht das Schlagloch zu, und aus dem Speaker tönt „Don’t go“ von Yazoo, als ich mich bedanke. Zwei mal zwei Zentimeter habe der fleischerne Tunichtgut gemessen. Eigentlich würde ich ihn gerne mit nach Hause nehmen, für Instastory, meiner Frau dürfte ich damit evtl eine Freude machen, vielleicht kann man‘s sogar einlegen, aber ich trau mich nicht zu fragen. Dann singt Kajagoogoo „Too shy“, aber da bin ich schon fast draußen.
Nach sechs Jahren als Besitzer eines vermeintlichen Lipoms kann nun ein neuer, unbeschwerterer Lebensabschnitt beginnen. 
Zunächst geht’s auf die Hütte, wo ich versuche, ein großes Tarp als Vordach zu installieren. Vielleicht keine ganz glückliche Aktion, so kurz nach Aufschnitt: Als die Betäubung nachlässt, beißt der Wundschmerz zu. Ich verstaue das Tarp mit Strichlippe in der Vorratskammer und beschäftige mich bewegungsärmer, nämlich indem ich den spektakulären Sonnenuntergang bestaune: ein knatterndes Leuchten, ungefähr wie in „True Colours“ von Cindy Lauper. 
Und dann liege ich eher mittelmäßig relaxed im Bett und überlege, ob es wirklich schlau war, kein Schmerzmittel mit auf die Hütte zu nehmen. Mal schauen, ob ich irgendwo noch Süssigkeiten finde. Waren da nicht neulich noch Happy Hippos, Lutscher und weiche Kekse?

1.7.
Mief! Gestern wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass „Die Doofen“ feiern dürfen: Vor 25 Jahren stand „Nimm mich jetzt, auch wenn ich stinke“ auf Platz 1 der Charts. 
Zunächst tue ich die Info als systemirrelevant ab, vielleicht aus Furcht, zum ewig seufzenden Nostalgiker zu werden. Dann aber beschäftige ich mich doch gedanklich mit dem Jahrestag. „Lieder, die die Welt nicht braucht“ bescherten Olli und mir einen Reigen einzigartiger Erlebnisse. An erster Stelle kommt mir unser Konzert im Münchener Olympiastadion in den Sinn. Wir hatten die ganze Stadt mit Plakaten zugekleistert und am nächsten Tag „ausverkauft“ drübergeklebt - kein Hexenwerk, nachdem wir nur 200 Karten verkauft hatten. Und so entstiegen wir den Katakomben, sahen in weiter Ferne einen winzigen Pulk jubelnden Fans, ansonsten gähnende Leere - womit die Verbindung zum Heute hergestellt ist. Einprägsam auch die Erinnerungen an hyperventilierende, kollabierende Musikfreunde (zumeist 4-12 Jahre alt) und „Rock am Ring“ im strömenden Regen, als uns aus einem Ozean aus Malerfolie zu „Toastbrotbaby“ zwei Dutzend durchweichte Kastenbrote um die Ohren geschleudert wurden. 
Oft werde ich gefragt, ob nicht die Zeit für eine Reunion reif sei? Hm. Unser Ziel war damals, „Deutschland vollständig einzudoofen“, und in der Rückschau kann ich sagen: Wir waren sehr erfolgreich, sogar über Deutschlands Grenzen hinaus: Donald Trumps Präsidentschaft wäre ohne „Die Doofen“ gar nicht denkbar. 
Heute gilt es, die zwischenzeitlich exponentiell gewachsene Doofheitskurve abzuflachen, um die demokratischen Institutionen vor Überlastung zu schützen. 
Andererseits haben Olli und ich vereinbart, dass, wenn uns die Altersarmut hierzu zwingen sollte, wir auch wieder gemeinsam auftreten. Wenn man uns also eines Tages in irgendeiner Kurmuschel tattrig „Es geht ein Pullunder auf Reisen“ spielen hören sollte, ist klar, warum. 
Kann sich aber alles ganz schnell ändern - wir leben in einer Zeit ohne Beständigkeit, und das gilt nicht zuletzt für Meinungen. Hatte ich nicht neulich noch geschrieben, dass ich finde, man sollte den Begriff „Rasse“ nicht aus dem Grundgesetz streichen? Dann las ich „Schule der Rebellen“ von Charles King, ein wundervolles Buch, aus dem ich erfahre, dass Franz Boas, der Vater der modernen Ethnologie, seit 1907 im Regierungsauftrag die Migration in die USA erforschte und dabei feststellte, dass es nicht möglich ist, Menschen nach einem festen Rassenschema zu kategorisieren, sondern dass es im Gegenteil alle denkbaren Kombinationen und Übergänge gibt. Was nicht definiert werden kann, ist wissenschaftlich nicht vorhanden - so begründete er seine Ablehnung des Begriffs Rasse, und diese Begründung ist bis heute stichhaltig. 
Eigentlich fand ich mein Argument dafür, das Grundgesetz nicht zu verändern, recht brauchbar („dem Rassisten ist eh egal, was da drinsteht“), wenn aber „Rasse“ echter Mumpitz ist: Raus damit. Deutschland unterhält ja auch keine diplomatischen Beziehungen zu Arkadien & Atlantis, und auf der roten Liste werden Wolpertinger auch im Kleingedruckten nicht erwähnt. 
Wundschmerz am Morgen verschwunden (gutes Heilfleisch). Vormittags döse ich noch in der Hängematte, dann spaziere ich aufs Schartenjoch. Versuche längere Zeit einen Schmetterling zu bestimmen, erfolglos (ähnlich Schachbrett, aber weniger verschachert). Dann Pressekonferenz der bayerischen Staatsregierung. Die gucke ich vor allem wegen Aiwanger. Niemand sagt so schön „Schaas“ (Chance) oder „Braasch“ (Branche). Söder wiederum wiederholt immer konsequenter seine Kernsätze. Hat er von Trump gelernt (und damit von den Doofen). Hat er von Trump gelernt (und damit von den Doofen).

P.S.: Der Schmetterling war ein Großer Speerspanner. Dank an Kenner Christian M.

2.7.
In Badelatschen auf‘n Berg. Warum nicht? Teresa ist mit den Kindern vorgefahren, ich muss eh runter zur Zillertalbahn, da könnte man auf dem Weg noch schnell einen Gipfel mitnehmen. Und da die Wanderschuhe oben bleiben sollen, gleichsam als Hütteninventar, entscheide ich mich für den Hamberg - der sieht schön rundlich aus, ohne Absturzgefahr. Müsste mit den Plastikschlappen machbar sein. Leichte Wanderungen hat die Chirurgin mir vorgestern ausdrücklich erlaubt - und Wege, die man in Badelatschen zurücklegen kann, müssen leicht sein. Oder etwa nicht?
Wetter ok, Gewitter sind erst für nachmittags angekündigt. Zunächst runter zum Märzenbach, auf der anderen Seite wieder rauf. Moderate Wanderwege und Forststrassen, immer hübsch diagonal am Hang. Hui, wie die Sonne brät; mein Wasserbedarf ist hoch. Praktisch, dass Bäche hier häufig sind und ich so unbefangen durchstiefele wie sonst selten. 800 Höhenmeter geht es bergauf, ehe der puppige Weg einer leichten Kletterei weicht. Große, trockene Gesteinsbrocken, auf denen man schlecht ausrutschen kann. Nach drei Stunden stehe ich oben, 2000 und ein paar Zerquetschte, und Teresa ruft an und berichtet von der Kinderspielgruppe, in der beim heutigen ersten Treffen draußen im Park diskutiert wurde, ob man die Zweige, die ein Kind angefasst hat, desinfizieren muss, ehe sie ein anderes Kind ergreift. Das hierfür zuständige Hygienekonzept geht auf dieses Detail nicht ein, was eine Mutter für einen ernsthaften Mangel hält. Und so beschließt diese besonders umsichtige Frau, die Spielgruppentreffen zukünftig zu meiden, zumal andere Kinder (unsere?) offenkundig nicht erfolgreich dazu erzogen wurden, Abstand zu halten. Das sei eine Frage der Solidarität, und wer seine Kinder einfach gewähren lasse, ein Egoist.
Ich studiere derweil die Westseite des Hamberges, balanciere dabei unsicher über den alpinen Schutt. Problem: Diese Seite ist weit steiler als jene, auf der ich hinauf gekommen bin. Über mir ballen sich Gewitterwolken. „Tschüss; ich komme so schnell wie möglich. Muss nur eben runter zum Bahnhof!“ Aber wie? In kleinen Tippelschritten suche ich nach Halt, gerate immer wieder ins Schlittern. Glatter Fels passt nicht zu Badelatschen, feuchter Humus nicht, Gras auch nicht. Wenn ich falle, so nehme ich mir vor, dann bitte nicht auf die frische Wunde. 
In der Ferne donnert’s, und leider kommt diese Ferne schnell näher. Unter mir sehe ich den Ort Fügen, die Häuser unangenehm klein. Ritsch: Ein Stock bohrt sich von unten durch die Sohle, schleicht sich an meinem Mittelfuß vorbei, reisst dann ein Loch ins Obergewebe. Uff. Gut, dass ich unverletzt geblieben bin. Bemerkenswert: Auch der andere Schuh löst sich auf, an gleicher Stelle wie sein Kollege, aber ohne Stockschuld. Vielleicht ist sie das, diese berühmte Solidarität! Du gehst kaputt, ich geh mit - man kann meinen Badeschlappen viel vorwerfen, aber keinen Egoismus. 
Zum Barfußlaufen ist das Terrain leider auch nicht der wahre Jakob, also weiter in den Schuhruinen. Handy ist fast leer. Große Tropfen platschen aufs Display, als ich die Karte konsultiere. Um eins esse ich den lächerlich kleinen Brotknust, den ich als Verpflegung dabei habe - ansonsten ist der Rucksack prall mit Hüttenmüll gefüllt. Aahhh...einen ganzen Meter rutsche ich auf feuchtem Waldboden, ehe ich die Kontrolle wiedererlange, eine von sieben veritablen Rutschpartien. Besser veritabel als vertikal, keuche ich, und bitte den Sensenmann (immer in Sichtweite dabei) um Geduld. Schließlich stoße ich auf eine Forststrasse, woraufhin er mit wegwerfender Handbewegung abdreht. Wahrscheinlich ist er aus Zucker, denn bald darauf kracht und blitzt es wie im Bilderbuch. Und jetzt, Freunde des Starkstroms, könnten meine Schuhe vom Sicherheitsproblem zum -Garant werden. Gummi isoliert doch, der Blitz kann mich mal! 
Und nach fünf Stunden insgesamt für 20 km Weg sitze ich im Zug, badeschlapp aber frohgemut, fahre heim und entsorge mein Schuhwerk noch am Hauptbahnhof. Danke, liebe Latschen.

P.S.: Es ist 9:04 Uhr und ein krachender Shitstorm bahnt sich an, bedrohlich wie das geschilderte Gewitter. Gleichsam als Regenjacke, in die ich mich hülle, appelliere ich an alle, womöglich noch schwankenden Leser: Was ich tat, war unvernünftig und gefährlich. Darum gilt: 
Nicht Nachmachen!