Samstag, 20. Juli 2019

Wie ich einmal mit Neil Armstrong den Mond betrat.



Zum Jubiläum der Mondlandung kommt mir in den Sinn, dass ich Neil Armstrong einmal persönlich begegnet bin, vor vielleicht 15 Jahren. Wir waren beide Gäste bei einer Gala, ich glaube organisiert von ThyssenKrupp und moderiert von Günther Jauch. War das in Stuttgart? Nein, in Stuttgart traf ich Bud Spencer. Armstrong war woanders...Hannover? Braunschweig? Nein, in Braunschweig gibt es gar keine Galas. Oder doch? Jedenfalls stand ich neben dem rüstigen Raumfahrtveteranen hinter der Bühne. Wir sollten nacheinander auftreten, erst er, dann ich. Auf einem kleinen Monitor sahen wir nach kurzem How-are-you-doing gemeinsam einen Film, der seinen Auftritt einleiten sollte, und der Film endete mit Bildern der Mondlandung. Bei den berühmten Worten „one small step for a man..." bemerkte ich, wie seine Hände zitterten, und ich dachte: Kuck an, jetzt ist er von seiner großen Tat selber so ergriffen, dass er zittert. Sekunden später schickte ihn der Aufnahmeleiter auf die Bühne, und ich folgte bald darauf.

Nach der Veranstaltung erfuhr ich, dass Armstrong an Parkinson litt. „Ja wusstest Du das denn nicht?" 

Armstrong flog zum Mond, ich lebe dahinter. 

Freitag, 19. Juli 2019

Durch Verzicht werden wir die Welt nicht retten.





Niemand will verzichten, es widerspricht der Natur des Menschen. Der Sinn seiner Gier könnte ursprünglich darin bestanden haben, Vorräte für schlechte Zeiten anzulegen, zudem dürfte Balzverhalten im Spiel gewesen sein: Bestaune meine Mammutzahnsammlung und gebe dich mir hin. 

Habenwollen und Streben nach Luxus sind Triebfedern der Evolution - im Angesicht der Klimakatastrophe kontraproduktive Eigenschaften. Wie soll man urplötzlich auf Flüge, Autofahrten, aufgedrehte Heizkörper, den ganzen wonnigen Wohlstand verzichten, wenn die Verschwendung uns doch über Jahrtausende geprägt hat? 

Dies gelingt, so kann ich aus eigener Lebenserfahrung sagen, am besten durch einen Perspektivwechsel: Ich persönlich bin seit 20 Jahren begeisterter Radfahrer, gehe gern zu Fuss, lege lange Strecken auf meinem Tretroller zurück und meide das Auto, wo immer es geht. 

Autofahrten bringen mich um wertvolle Zeit auf dem Rad, denn in Bewegung an der frischen Luft, so habe ich gelernt, finde ich einen wohligen Zustand der Zufriedenheit; ich rieche die Welt, kenne keine Staus und Parkplatzsorgen, sondern bade in Leben. Im Sommer genieße ich die Hitze wie im Winter die Kälte, trotze den Elementen leidenschaftlich gern. Dieser Trotz ist das Gegenteil sauertöpfischer Askese, er gibt mir das Gefühl, ein toller Hecht zu sein und beschenkt mich zudem allabendlich mit angenehmer Müdigkeit. 

Als Radfahrer bin ich ein ausgeglichener Mensch, muss mich nicht in Händeln verausgaben, und bisweilen denke ich, dass die Menschen weniger Kriege führen würden, wenn sie sich nur richtig auf steilen Passstrassen auspowerten. Indem ich radle, verzichte ich auf nichts, sondern gewinne. Ich gewinne Erlebnisse, Abenteuer, ganz nebenbei auch Gesundheit, Befriedigung ob der gesammelten Kilometer. 

Und weil ich mein Rad auf praktisch allen Fernreisen dabeihabe, unternehme ich diese (wenn nicht eh komplett pedalierend) am liebsten in der Bahn, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: In der Bahn lassen sich die von mir heiß geliebten Vehikel am einfachsten mitnehmen, Falträder sogar ohne Aufpreis, während Radtransport im Flugzeug immer umständlich ist, mit zusätzlichen Kosten verbunden, und früher, als ich noch den Lufttransport favorisierte, kam mein Klapprad allzu oft beschädigt am Zielflughafen an (mit Spezialradkoffern kann ich nichts anfangen, weil ich ja sogleich losfahren möchte, ohne erstmal den Koffer irgendwo unterzubringen). 

Früher habe ich viel Zeit an Sperrgepäckausgaben verbracht, um mich anschließend über ein demoliertes Velo zu ärgern. Aus diesem Grunde bin ich zunehmend zügelnd unterwegs; die Kombi Rad/Bahn ist die beste. 

Nein, als Motivation taugt Verzicht nicht, niemand nimmt gerne Abschied, alle wollen gewinnen und begrüßen, möglichst angenehme Bekanntschaften machen, am besten jene mit dem Glück höchstpersönlich. Das Glück liegt in uns, in den eigenen Beinen, sitzt im Sattel, und ganz nebenbei hat der so Beglückte keine Lust mehr auf Fleischberge, weil man ja für die viele Radelei Kohlehydrate braucht, und so kommen wir, ganz ohne mühsam erzwungenen Verzicht, der Weltrettung ein Stück näher. 

Also jedenfalls ich. 


Donnerstag, 18. Juli 2019

Auf dem Weg zum Holzschuhmarathon (3.Test)



Recht bequeme 12 Kilometer in Holzschuhen. Bei Görtz im Kölner Hauptbahnhof beriet mich eine junge Fachverkäuferin bezüglich Einlagen. Meinen mit fester Stimme deklamierten Begrüßungssatz „Ich möchte Marathon in Holzschuhen laufen" quittierte sie nicht etwa mit Irritation oder Nachfragen, stattdessen zauberte sie sogleich zwei Modelle auf den Ladentisch, unter denen ich das flachere erwarb. Unterseits ist das Gehgefühl nunmehr angenehm, oberseits fehlt noch etwas Polsterung. Ich klebte mir große Heftpflaster auf die Füße, was aber über die Dauer eines Tages (ich rechne inzwischen mit 8h Gehzeit für Marathon) nicht ausreichen wird. Ein zusätzliches Schaumstoffelement wäre gut, oder wenigstens zerknüllte Taschentücher. Mein leichter Hallux Valgus  zeichnet sich nunmehr als neue Schwachstelle ab - die vorstehende Ecke kann evtl mit einem Blasenpflaster gepolstert werden. 




Der Testgang führte vom Savoy-Hotel durch die Innenstadt zum Studio 34 in Ossendorf, wo heute u.a. die 250. Ausgabe von „Genial Daneben - das Quiz" aufgezeichnet wurde. Und es macht immer noch Spass! Welch ein Geschenk, mit alten Freunden Quatsch machen zu dürfen, sportlich rätseln und das Vergnügen auch noch bezahlt zu bekommen. Natürlich behielt ich meine Holzschuhe in den Shows an, was für großes Hallo sorgte. 

Ich liebäugele damit, am Sonntag auf Wanderschaft zu gehen, etwa Richtung Düsseldorf. Oder ist es schlauer, das angekündigte warme Wetter zum Tretrollern zu nutzen und die Wanderung um eine Woche zu verschieben? Sehr wahrscheinlich, dass meine Haxen nach dem Gang ziemlich malad sind...

Dienstag, 16. Juli 2019

Rom sehen und...

Sportkamerad Bernd Hartkopf hat einen alten Text ausgegraben, den ich für verschollen hielt:

Rom sehen und... (1) 
by Wigald Boning on Tuesday, 17 July 2012 at 11:47 · 
Um per Fahrrad von Füssen nach Innsbruck zu gelangen, benutzt man normalerweise den Fernpass. Deutlich schneller erreicht man die Hauptstadt Tirols jedoch, wenn man zunächst nach Garmisch-Partenkirchen radelt, um von dort aus den Zirler Berg zu überqueren. Gegen diese Route spricht, dass sie für einigermaßen vernünftige Zweiradfreunde gänzlich ungeeignet ist: Mit starkem Gefälle stürzt sich die breite Trasse ins Inntal hinab, alle paar Meter stehen Schilder, die auf das strikte Verbot für Fahrräder und die besondere Gefahr auch für Kraftfahrer hinweisen, alle paar hundert Meter sind Nothalterampen für bremsschwächelnde LKWs in den Berghang gefräst. Als wir die Kuppe des Zirler Berges erreichen und die Abfahrt beginnt, ist es bereits fast ganz dunkel. Atemberaubend leuchtet Innsbruck in der Tiefe, atemberaubend ist aber auch die Geschwindigkeit, in der man sogleich innwärts schießt, da selbst bei trockenem Wetter die Rennradbremsen dem Gefälle kaum gewachsen sind. Man kann lediglich mit festem Händedruck versuchen, die Fahrt ein bisserl zu drosseln. Vorteil des Höllentempos: Der Rennradraudi ist schneller unten, so dass die Polizei kaum Zeit findet, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Weiteres Schmankerl: Bei Gegenverkehr mit Fernlicht wird die Abfahrt durch temporäre Erblindung des Zweiradlers gewürzt. S-Bahnsurfen ist dagegen babyeierleicht. Wie heißt die gleichnamige Sendung? "Nicht Nachmachen" - Das gilt auch hier.

Um kurz nach zwölf erreichen wir den Brenner. Auf der Passhöhe steht das Wohnmobil, in dem uns Sigi und Daniel mit heißer Nudelsuppe verköstigen. Im Radio dudelt Tanzmusik. Beste Laune, Hüttengaudi. Die Laune trübt sich zügig ein, als auf der Brennerabfahrt stämmiger Regen einsetzt. Dicke Tropfen zischen durch die schmalen Lampenlichtkegel; jede Kurve wird zur Reifenprüfung. Als wir Brixen erreichen, bin ich durchgeweicht, und meine Füsse frieren. 

Bozen. Es dämmert zaghaft, und schwere Backstubenduft-Schwaden liegen über der Stadt. Wir durcheilen diese gähnend auf der Umgehungsstraße. In einem langen, muffigen Tunnel überholen uns, neben vielen fetten LKW, auch Sigi und Daniel. Riegelrast am Ortsausgang.

Trento ist eine Stadt, die mit Leuten wie uns nicht zu rechnen scheint; Ohne böse Absicht finden wir uns plötzlich auf einer Autobahn wieder und müssen uns Buhhupen gefallen lassen. Immerhin sind wir zu fünft und fühlen uns in der Gruppe stark. Wir: Das sind mein bester Sportfreund Hannes, sein Bruder Peter, Nachwuchsradsportler Cornelius und Bernd, Langstreckengeneralist, der von unserer Rom-Idee via fb erfahren hat. Beherzt kurbeln wir zur nächsten Ausfahrt, tragen unsere Räder durch den Morast einer Baustelle, passieren die Innenstadt und entdecken einen exquisit asphaltierten Radweg parallel zur Etsch. Wermutstropfen: Es tröpfelt wieder. Und zwar volle Kanne.

In Rovereto gelingt es uns lange nicht, das Wohnmobil zu finden. Abstimmungsprobleme. Auf das olle Navi mit der Software von annodunnemal ist auch kein Verlass, und auf den Typen, der es bedient (ich) schon gar nicht. Überhaupt wissen wir zur Stunde noch nicht so recht, wie wir denn überhaupt fahren wollen. "Ist doch egal, führen doch eh alle Wege nach Rom" hatten wir im Vorfeld gewitzelt. Ob der Spruch stimmt? Beim Frühstück in der "Bar Rovercenter" schwant uns, dass man sich kaum blauäugiger in dieses Abenteuer schmeißen kann als wir.

Tempo zügig. Windschatten. Peter hat angekündigt, nur eine Hälfte mitfahren zu wollen, und spendiert und dafür einige Sonderschichten Windbruch. Doch selbst an der Spitze unserer Kolonne ist er schneller es für den Rest günstig wäre. Wir wollen ja nicht ums Eck zum Eiscafé, sondern in die ewige Stadt. Hm. Geht denn das mit 30er Schnitt? Als auf dem Weg nach Villafranca di Verona tropischer Starkregen einsetzt, halten wir zum ersten Mal außerplanmäßig. Uff.

Die Poebene. Für mich als Oldenburger nichts angsteinflößendes; Schweinemast und Ebenmaß kenne ich aus der Heimat. Im Gegensatz zu meinem Freund Hannes finde ich derlei Flachpanoramen sogar ganz hübsch. Mittagspizza in...in...in...Namen vergessen. Ein Kaff wie diese Orte im Wildwestfilm, wenn die fünf Schurken einreiten, Mittig wiederum hat das Kaff eine große rote Burg, ferner denkmalhalber ein Weltkriegsgeschütz neben einer Madonnenstatue und daneben eine drömelnde Katze. Heiß heute. 

Zickzackzick, dann übern Po, wiederholte Wegfindungsprobleme. Alle sind genervt, und mir ist's peinlich. Dass wir auf dem falschen Weg sind, merke ich ja immer als erster, schlucke dann stumm, überlege, ob ich durch einen unbemerkt bleibenden Zacken den Irrtum ausbügeln kann. Normalerweise geht dies nicht. Hitzehalt an einem Großsupermarkt. Speiseeis und Grobuddeln eisgekühlte Cola werden auf Ex gelöscht.

Mittlerweile ist Spätnachmittag, die Moral angeschlagen, der Gesprächsstoff aufgebraucht. In der Ortschaft San Felice sul Panaro errechnet das Navi einen Weg, der im Nichts endet. Mist, zurück. Der andere Abzweig endet an einer Bahnlinie. Seltsam. Nochmal der errechnete WEg. Kann doch gar nicht sein. Endet im Kies. Arg, falsch. Oder der da? Ist das überhaupt ein Weg? Ausprobieren. Halt, zurück. Erst wird getuschelt, dann gezischelt. Sigi und Daniel warten derweil 30 km weiter auf uns. Hannes macht dem Spuk ein Ende. "Schluß, wir pausieren jetzt hier". Im Ort jedoch keine Kneipe, kein Café. Dafür alles kaputt. Erdbeben. Es folgt der gewiss groteskeste Moment meiner Sportlerlaufbahn. Wir kehren ein in der Bar eines Flüchtlingslagers. Hunderte Menschen wohnen hier in Zelten und warten auf den Wiederaufbau. Die Innenstadt mit ihren historischen Gebäuden ist schwer getroffen, abgesperrt, und wird von Militär vor Plünderern geschützt. Und nu' kommen gereizte, übernächtigte Hansels auf ihren 5000-Euro Rädern und mischen sich unter jene, die unlängst alles verloren haben. Ja. Weiß ich auch nicht. Wird noch ein Weilchen dauern, bis ich die hierfür passende Einschätzung gefunden habe. Vor Ort jedenfalls werden wir still, uns ist etwas übel, Ratlosigkeit allenthalben.

Hannes' Kniekehlensehne ist entzündet, als das Wohnmobil eintrifft, versucht Sigi, das Problem per Tape zu lösen. Am Bahnhof wird eine große Italienkarte in den Schatten gelegt. Peter meint, dass es besser sei, statt mit Navi per Karte den Weg zu suchen. Matte Debatte. Ohne Entschluss geht es irgendwann einfach weiter. Wohin? Nach Rom eben. Wohin denn sonst. Kurzhalt vor Bologna. Hannes Sehne erzwingt sein Aufhören. Peter steigt auch aus. Der Rest klemmt Lichter ans Rad und rollt in die Dämmerung. Eigentlich sieht der Plan vor, Bologna im Westen zu umfahren, um sich dann in einer Ortschaft namens Sasso Marconi aufs Ohr zu legen, aber ich Vollidiot, Totalversager, Komplettnull, mache wieder irgendetwas falsch, oder mein Navi macht etwas falsch und ich merke es nicht rechtzeitig, was weiß denn ich, und plötzlich bemerken wir, dass wir mitten duch Bologna rollen und n Tagesausklang mit einem schönen Dutzend Extra-Km verzieren. An einer roten Ampel macht Cornelius irgendeine kleine Bemerkung, nichts böses, à la "Nimm's nicht persönlich, aber ich glaube, ich stecke morgen mal die Karte mit ein", und mir platzt der Kragen. Binnen Sekunden steht mir der Schaum vorm Mund, ich herrsche ihn an, dass er die Klappe halten soll, sonst könne er morgen mit seiner Karte alleine durch die Gegend fahren, sprinte davon - um allerdings sogleich einzuhalten und kleinlaut um Entschuldigung zu bitten. Interessant. So was ist mir höchst selten passiert. Kann ich mich eigentlich gar nicht dran erinnern. Offenbar ist bei mir eine Grenze erreicht, hinter der sich jene Charaktereigenschaften befinden, die wohlweislich sonst bestens verborgen sind. Spannende Frage: Ist es überhaupt sinnvoll, an diese Grenzen zu gelangen? Will, muss man überhaupt wissen, wie das "wahre Ich" aussieht, wenn es von den Umständen freigelegt wird? Zumal, wenn es hässlich ist, dies "wahre Ich?" Bernd beschwichtigt, der junge Cornelius akzeptiert meine Entschuldigung. Tatsächlich ist unser Umweg mit 500 Extra-Höhenmetern verbunden. 20% Steigung. Fluch, Schwitz, Keuch. Aber auch die Habenseite kriegt Futter: Herrliche Hügel am Rande der Appeninen lassen die berühmte Mühsal der Poebene vergessen, und der letzte lila Abendglanz, der auf den Gipfeln liegt, trägt Frieden in unsere Herzen. 28 h unterwegs, 600 km auf der Uhr. Heia. 
Rom sehen und...(2) 
by Wigald Boning on Tuesday, 17 July 2012 at 17:52 · 
Tüdelüdelüt. Handywecker. Eine Wiese in den Appeninen, morgens um halb sechs. Also: so spät, dass das irgendwann vollmundig angepeilte Zeitziel "48h" ab sofort Makulatur ist. Beim Blitzfrühstück frage ich Bernd, wo denn 
Cornelius stecke. "Steigt aus wegen Knieproblem". Schade. Vorteil des langen Ausschlafens: Bernd und ich sind guter Dinge und bestens ausgeruht. Wir rollen locker Richtung Pistoia, um dort zu frühstücken. Ein Tunnel will durchquert werden, aus dem ein ohrenbetäubender Lärm dringt. Was ist das? Leopardpanzer? Jumbo Jet? Bergdrachen? Meine Nackenhaare sträuben sich, zumal an der lautesten Stelle die Beleuchtung defekt ist. Aha, der Krachmacher ist ein an der Decke hängender Mammutventilator. Wohl kaputt. Für Autofahrer kein Problem, für Tunnelradler ohne Gehörschutz eine echte Mutprobe. Ich denke an Jim Knopf, Lukas den Lokomotivführer und den Scheinriesen, der, wenn man ihn erstmal aus der Nähe betrachtet, all seinen Schrecken verliert. 
Wir üverqueren einen Höhenzug, dessen Format dem Schwarzwald in Ost-West-Richtung entspricht; die letzten 14km schießen wir mit Höchstgeschwindigkeit bergab. Neben krampfenden Händen peinigen mich Schulterschmerzen vom vielen Stützstress. Aber die Aussicht in das Arnotal macht glücklich.

Von Pistoia geht es weiter zum Hbf nach Prato, wo wir Sigi & Co treffen, Wasser und Riegel nachladen und wo ich mir recht kleinlaut eine Landkarte kaufe, zur Absicherung. Dann wuchten wir uns Richtung Florenz. Schnellstraßenalarm, tüt-tüt. Uns egal, in der Mittagshitze ist uns Aufregung unmöglich. Lass' sie halt hupen. Von den großartigen Sehenswürdigkeiten der Arnostadt sehen wir keine, dafür aber die verrottende ehemalige forstwirtschaftliche Fakultät der Uni. Warum wir diese passieren, weiß nur unser Navi. Nicht fragen, treten. An der südwärtigen Stadtgrenze wird's steil; ab sofort traversieren wir die Hügel der Toskana. Zikadengezirpe, sonst kein Laut. Luftspiegelungen, Smaragdeidechsen. Auf jeder Kuppe bleibe ich stehen und warte auf Bernd, dem die Höhenmeter mehr zusetzen als mir. 
Ich bin das erste Mal in der Toskana und kann spontan konstatieren, dass ich nie eine anmutigere Landschaft gesehen habe. Aber hinter der geschwungenen Grazilität der Formen steckt eine eiserne Lady, die grausame Lady Toskana eben, welche den mutigen Pedaleur erröten lässt. Schwitzend schrauben wir uns höher und höher durch das Val di Pesa, müssen bereits nach zwei Stunden Getränke nachladen und kurbeln zunehmend zeitlupiger. Immer öfter wische ich mir mit meinen schmutzigen Pranken den Schweiß von der Stirn und sehe bald aus wie Lukas der Lokomotivführer. Irgendwann passieren wir irgendeinen Hauptgipfel, erkennbar durch Masten, Kreuze, Aussichtsturm und rollen mit ausgedörrten Schleimhäuten durch den Saunawind hinab nach Siena, unseren nächsten Treffpunkt. 
Als wir den Ortskern erreichen und uns zum berühmten Marktplatz durchfragen wollen, stelle ich fest, dass mein Sprechwerkzeug dehydrationsbedingt keine Laute mehr von sich zu geben vermag. Immer mal was neues.

Siena! Ah! Was für ein Marktplatz. Alles roter Ziegel, welch ein Masterplan. Zweimal im Jahr treten hier alle 13 Ortsteile in Pferderennen gegeneinander an; die Viertel bzw. Dreizehntel sind allesamt nach Tierarten benannt. Unter den Städten ihrer Größe ist Siena jene mit der niedrigsten Kriminalitätsrate. Warum dies etwas mit den Pferderennen zu tun hat, steht bei Wikipedia. Unbedingt lesen. Mit unseren invaliden Freunden essen wir Pasta, trinken Cola aus Maßkrügen, tauschen Brille gegen Sonnenbrille, verzichten auf Beleuchtung (wir treffen uns ja sicher vor Sonnenuntergang) und verlassen die auf einem Hügel gelegene Altstadt über eine spannende Rolltreppenanlage. 6 Geschosse, just wie bei Hertie, nur dass nicht Herrenkleidung und Spielwaren mit Lebensmitteln, sondern verschiedene Epochen und Baustile miteinander verbunden werden. 

Die SS 2 nach Cassia ist für Fahrräder verboten. Egal, wir probieren's trotzdem. Als aber die Autos mit 120 an uns vorbeiknattern, verlässt uns der Mut und wir geisterfahren zurück zur Auffahrt. Das Navi lenkt uns ersatzhalber über eine weitere Gebirgskette, die "Le Crete". Schlappe 25 km Umweg. Großzügige Buckel, die ich, während ich auf Bernd warte, fotografieren will, allerdings ist die Handylinse mittlerweile so von in den Trikottaschen abgesetzten Riegelresten verschmiert, dass sich nur Bilder mit David-Hamilton-Effekt knipsen lassen, und auch diese nur, nachdem ich das Telefon gründlich abgelutscht habe. Leider ist auch die Schallquelle des Handys verschmierriegelt, so dass Anrufer nur sehr leise gehört werden können. Eins wird uns auf diesem Umweg jedoch klar: Die schönsten Winkel entdeckt man durch Verirrungen. Und weil wir oft verirren, sehen wir viel schönes. Taugt auch gewiss als Metapher, die in vielen Lebensbereichen Verwendung finden kann.

Kurz vor Buoncuore lesen wir auf einem Schild: "Roma 210 km" - eine Lektüre, die uns rührt und glücklich macht. 210 könnten wir zur Not durchfahren. Zur Not. 
Aber wir haben keine Not. Fürs erste freuen wir uns, dass wir endlich legal auf die SS 2 gelangen. Wenig Verkehr, bester Asphalt, sanftes Auf und ab. Ins Handy brüllend verabreden wir uns zum Abendessen mit den anderen in der "Delfin Bar", bei km 160. Also noch 30. Und weil es dämmert, und ich mit meiner Sonnenbrille in der Düsternis nichts sehen kann, geben wir Fersengeld. 

Übernachtet wird im ausgedorrten Bachbett, ich liege, weil's so heiß ist, nackt zwischen den Disteln, und große Insekten krabbeln über die Salzkrusten, die meinen Körper bedecken. Macht mir gar nichts aus. Mir ist alles egal. Morgen sind wir in Rom 
Rom sehen und...(3) 
by Wigald Boning on Wednesday, 18 July 2012 at 08:10 · 
Brille verbogen; wohl im Schlaf draufgelegt. Ist jetzt auch egal. Es ist vier Uhr dreissig, das große Ziel liegt noch etwa 160 km entfernt und hat drei Buchstaben. Bernd und ich tragen die Räder aus dem Bachbett zur Strasse, knipsen die Lampen ein und rollen durch die Dunkelheit. Sonntagmorgen, d.h.: wir haben den Premiumasphalt der SS 2 für uns allein. Fast. Ab und zu begegnen wir Autos. Die Fahrer sind um diese Uhrzeit potentiell besoffen, und so prüfen wir jedes herannahende Fahrzeug aufmerksam auf Schlangenlinien. 
Als die Fahrt nach zwei Stunden Dämmerung im Ort Acquapendente zäh zu werden droht, öffnet sich der Blick auf einen riesigen Talkessel; unter uns liegt der kreisrunde Lago di Bolsena. Die Welt in Cinemascope. 

In der Ortschaft Bolsena überfallen wir eine Bäckerei. Zwei Vollverdreckte laufen Amok, verschlingen Hörnchen auf Hörnchen und lassen Espresso in ihre Herzkammern laufen. Apropos: Die meisten Menschen heutzutage wissen ja gar nicht, wie sich das anfühlt: Dreck. Erst, wer von knibbelfesten Krusten umgeben ist, weiß ein duftendes Seifenstück so recht zu schätzen. Zur Steigerung der Lebensqualität empfehle ich eben dies: Regelmässige Schmutzperioden, um die Sauberkeit wieder zum Erlebnis werden zu lassen. Viel Vergnügen im Modder.

Bald passieren wir ein Schild, darauf steht: "Roma 100 km". Wir nicken uns zu. Ab jetzt kann uns auch ein schwerer Defekt nicht mehr stoppen. Zur Not müsste man das Rad eben schultern. Verhalten vorfreudig entern wir die Stadt Viterbo und grübeln ein letztes Mal über einer heiklen Navigationsfrage: Fahren wir SS 2, ab hier autobahnähnlich ausgebaut, oder vertrauen wir dem Navi, das uns eine kürzere, aber verdächtig kurvige Kleinstrasse empfiehlt? Wir folgen dem Navi, haben uns von ihm ja eh versklaven lassen. Wir lachen hysterisch, als wir zuerst eine Reha-Klinik passieren ("Sollten wir uns hier nicht auf der Stelle einliefern lassen?") und lachen lauter, als wir kurz darauf in engen Serpentimen ein idyllisches Kloster ansteuern, die Abtei San Martino am Monti Cimini. Nahezu traumwandlerisch ist es uns gelungen, unsere Reiseroute mit einem weiteren heftigen Anstieg zu verzieren. Auf der Gipfelhöhe umarmt mich Bernd, und aus dem hysterischen Lachen wird das Geschnatter des Wahnsinns, irgendwo zwischen Apocalypse now und Spongebob Schwammkopf. 
Bergab geht es durch einen efeuumrankten Märchenwald. Der Schlafmangel vertieft den Eindruck satten Dunkelgrüns, und mein Herz schmilzt auf der Abfahrt vor Wohlbehagen. Linkerhand liegt der Lago di Vico, ein Vulkansee, der angeblich durch einen Keulenhieb des Herkules entstanden sein soll. Wir stellen die Räder ab und mischen uns unter die Badegäste am schwarzen Kiesstrand, trauen uns aber nicht, ganz ins Wasser einzutauchen, fürchten Sitzprobleme durch nasse Hosenpolster. Mein Hintern ist eh schon wund, aber durch Schorfkrusten gut geschützt. Das soll so bleiben. Überhaupt, mein Körper. Die Füße sind seit Florenz eingeschlafen. Sicher irgendeine Nervenirritation. Trifft sich gut, dass Sohlensensibilität auf dem Rad völlig unnötig ist. 
Nach dem Bad regulieren wir am Kiosk unseren Espressopegel und rollen weiter bergab. 

Letzter Akt, Nun hilft uns nix mehr, wir müssen auf die ausgebaute SS 2, ob wir wollen, oder nicht. Die Sonne scheint uns für Schnellgerichte zu halten, die gegart werden wollen, Dieselduft wabert die Auffahrt hinab, und wir stoßen mit grimmigem Blick hinein. Zwischen Leitplanke und Schnellverkehr ist zumeist ein Meterchen Platz; nur manchmal gilt es, Metallschrott oder geplatzten Mülltüten auszuweichen, die hier an der römischen Peripherie offenbar gerne durch das Autofenster entsorgt werden. Ich fahre ca. 100 Meter voraus, Bernd hinterher. Menno, wann kommt denn endlich dieses blöde Rom? Eine Stunde rollen wir nun schon über die breite Trasse, die auf Fahrradfahrer wirkt wie ein Krustenbraten auf Veganer. Oder bin ich einfach nur zu waschlappig? Da schießt irgendwann ein gut gegeelter Radsportler auf die Trasse, überholt mich freundlich grüßend und freihändig, schält behende eine Banane und nestelt an seinem Handy herum. Dass er derweil ums Haar von mehreren Autos überfahren wird, scheint der Autostrada-Crack gar nicht wahrzunehmen. Alles Übungssache, das ganze Leben. Und dann geht's noch einmal lange und raketig bergab, der Tacho zeigt 63 km/h, die Autos in Griffweite sind jedoch doppelt so schnell, und schließlich steht auf einem Ausfahrtsschild: "Roma Centro". Ich warte, einen Fuss lässig auf die Leitplanke gestellt, Bernd naht heran, ich zeige aufs Schild, grinse so breit, dass ein Teil der Dreckkruste in meinem Gesicht wegplatzt, und gemeinsam rollen wir in den Vorort Cassia hinein. Roma, città aperta. Triumphatorenparade. Eine letzte Lasagne am Straßenrand. Wo ist denn nun die Stadtgrenze genau? Keine Ahnung, aber das Straßenschilddesign und die Bushaltestellen kommen mir bereits bekannt vor, von früheren Besuchen. Da vermeldet der Tacho 1000 km Fahrtstrecke, bei 8400 Höhenmeter und 66 Stunden Gesamtzeit inklusive Schlaf. Angekommen. Um unsere Tour mit einem brauchbaren Endpunkt auszustatten, rollen wir hinab zum Tiber und machen Fotos. Zwei Räder unter einem Romulus-und-Remus-Relief. Passt doch. Und dann geht's weiter zum Hotel, wo unsere Freunde uns applaudierend empfangen. Abends Party am Campo del Fiori. Soweit mein Bericht in aller Kürze. 

Liebe Enkel, wenn es Euch dereinst gibt und Ihr dies lest: Nie hat Euer Opa eine tollkühnere Fahrradtour unternommen. Tut es ihm nach. Fahrt nach Rom. Das Gefühl bei der Ankunft ist nicht käuflich. Man muss es sich erarbeiten. Nebenbei lernt man schöne Landschaften kennen, und am "wahren Ich" rollt man auch vorbei. Regelmäßige Verirrungen steigern den Genuss, und am Ende führen tatsächlich alle Wege nach Rom. Die beschriebene Route kann ich vorbehaltlos empfehlen (abgesehen vom Zirler Berg, für den gilt: Nicht nachmachen)! Viel Spass!

Sonntag, 14. Juli 2019

Diktat: Auf dem Weg zum Holzschuhmarathon



Zweiter Holzschuhlauf Test nachdem ich im Frühjahr mein aller erstes blutiges Experiment abgebrochen hatte. Heute probiere ich es mit einer Kombination aus Skitouren Socken und speziell angefertigten dämpfenden Wollstrümpfe von Heike Zucker die diese weltführende Sockenstrickexperten unterseitig mit Latex Farbe Rutsch fest gemacht hatte.  Wichtigste Erkenntnis meiner selbst Verletzung damals: bei niedrigem Tempo wird sich die Stoßbelastung des harten Holz ist weniger gravierend aus. Also bin ich heute Motorrad unterwegs: 6:30 Uhr Start, dann gemessenen Schrittes am Nymphenburger Kanal entlang zum Schlosspark, Dort das übliche Größe am Hartmannshofer Bach, Pagodenburg, Hein und zurück. Bequemes Laufgefühl, allerdings registriere ich ab Kilometer fünf erhebliche Hitzeentwicklung unter den Fußballen. Es wäre erwägenswert, die Holzschuhe um eine weitere Lage, sprich Schuheinlagen zu ergänzen, und zwar nach Möglichkeit Kühlende. Im Extremfall ist es vielleicht günstiger meine Weltrekordversuch im Winter stattfinden zu lassen. Lieber wäre es mir jedoch aus dem Stand loszulegen davor mir zweieinhalb Wochen genial daneben das Quiz in Köln liegen, und ich über zwei freie Tage verfüge die mit recordträchtigen spazieren gehen gefüllt werden können. Da ich diese Zeilen mündlich in mein Handy spreche und auf die Diktierfunktion vertraue,Kann ich noch nicht absehen, ob die heißen Fußballen lediglich Ausdruck spät Römische Dekadenz sind, oder auf eine großflächige Ablösung der Lederhaut zurückgehen. Letzteres würde eine Laufpause erzwingen und mein Experiment in den Winter verschieben, ob ich will oder nicht.

Ich erlaube mir, das Ergebnis meines Diktats und verbessert zu lassen, und reiche den medizinischen Befund nach Heimkehr und Frühstück per P. S. Nach.


P.S.: Daheim: 11 km in 1:53 - neue persönliche Bestleistung im Holzschuhdauerlaufen. Die Fußsohlen sind gereizt, werden sich aber in Kürze erholt haben. 

Die Diktierfunktion erfüllt ihren Zweck ähnlich wie ein Holzschuh: Leidlich, sagt man wohl. Nein, ich war nicht „Motorrad" unterwegs, sondern „moderat". Bruche mer net, fott damet. 

Samstag, 13. Juli 2019

Alles übertrieben




„Alles übertrieben!" findet der niederbayerische Besenschwinger. Seit neun Jahren arbeitet die Reinigungsfachkraft in List auf Sylt, hat sich in die, wie er meint, „schönste deutsche Insel" verschossen und kommt nicht mehr weg. Aber, so fügt er missmutig hinzu, es sei mittlerweile eben alles hier übertrieben. Alleine der Autoverkehr. Selbst in den ruhigsten Wohngegenden Kampens droht jederzeit eine Überrollung, was umso schwierwiegender ist, als dass die überrollenden Fahrzeuge alle schwer wiegen. Wer Glück hat, wird nur vom Porsche Carrera geplättet, das leichteste Kfz, das in der Nähe des Avenariusparks anzutreffen ist. Dabei ist dieser Park unbedingt sehenswert: Schmucker Rasen, lindnerbartkurz, auch für die Wege. Ein Boulodrom, was meine Mama, die ja im Verein boult, frohlocken lässt. Und natürlich flotte Katen mit Reetdach, an denen sich die Relativität des Begriffs „Armut" gut zeigen lässt. „Arm" ist, so meine ich mich zu erinnern, wer über weniger als 60% des Durchschnittseinkommens verfügt. Rund um den Avenariuspark liegt das Durchschnittseinkommen bei einer sehr vorsichtig geschätzten Million pro Jahr und Kopf. Aber auch hier gibt es eben Armut: Bewohner von Reetdachhäusern von mittelfrüher, mit einfachen Teerosen auf den Findlingsmauern statt Nizzadeluxe-Züchtung. Einer scheint gar keinen Gärtner zu beschäftigen, sein Garten sieht nahezu ungepflegt aus. Du liebe Güte, macht der arme Kerl das selber? Tränen steigen mir in die Augen, und ich erwäge zu klingeln, um dem Tropf ein paar Tausender als milde Gabe zuzustecken. 




Teresa kriegt böse Blicke zugeworfen, weil sie Theo stillt, in aller Öffentlichkeit. Das ist den alten, weißen Männern unter ihren Reetdächern gar zu zigeunerhaft. Aber nicht nur den Männern. Neulich im Bus sorgte sie schon für böse Kommentare alter, weisser Damen. „Schlimm, wenn man jedes Schamgefühl verloren hat" raunten sie ihr zu. Ich war nicht dabei, glücklicherweise, denn so schamhaft ich sein kann, so kurz ist meine Lunte, wenn ich derlei höre. Kein nackter Busen kann jemals so aufdringlich, so verdorben sein wie, wie...ein Auto. 



Kupferkanne, schönes Café. Hier war ich auch schon mit Walter, 1988, und ich kaufe im Store eine Fahrradklingel für kleines Geld, als Finishermedaille für meine Radelei von Hamburg hier her. Reelle Preise sind auf Sylt nicht selbstverständlich: Für 3h Schwimmbadbesuch als Nicht-Hotelgäste zahlten wir zu zweit im A-Rosa satte 126€, allerdings zwei Langnese-Eiskrem inklusive. In meiner Perplexität habe ich die Schlussrechnung nicht eingehend studiert, so dass ich davon absehen möchte, irgendjemanden des Wuchers zu beschuldigen. Vielleicht haben die Speiseeis-Preise in letzter Zeit ja stark angezogen, etwa wegen Bienensterben plus Klimawandel. Keine Bienen keine Blüten keine Früchte keine Polkappen kein Eis kein Langnese, so in etwa, und der Löwenanteil des Obolus ging fürs Schleckvergnügen drauf.

Gestern in Kampen: Jazzfestival, wir zu früh vor Ort, und ich will dem soundcheckenden Till Brönner wenigstens die Hand drücken. Aber ein Security-Mensch mit gelben Zähnen pfeift mich barsch zurück. Uff, sowas schlägt auf die Laune. Könnte meinen Freunden bei Gosch nicht passieren. Jürgen Gosch habe ich schon 1988 bewundert, als er noch selber in seiner Fischbude stand und ulkige Döntjes erzählte. Heute steht er noch immer an gleicher Stelle, allerdings ist aus der Fischbude ein Viertel geworden, mit Riesenrad, Tonnenhalle, Kunstausstellung- in Ausmaß und Bedeutung für List etwa das, was die „Autostadt" für Wolfsburg ist. Goschs Thainudeln habe ich in den letzten Jahrzehnten dutzende Male verdrückt: An den Hauptbahnhöfen in Köln und München; ich bin Fan und Fachmann, und auf Sylt fällt zudem die unaufgesetzte Nettigkeit seines Personals auf. Und so fällt unser Urteil durchwachsen aus, so wie das Wetter in den vergangenen Wochen. Sylt scheint, Sylt sucks. Entscheidend ist, dass die Familie in trauter Runde Geburtstag gefeiert hat, den 1. und den 78., und dass wir alle am Leben geblieben sind und nicht überrollt wurden von irgendeinem Bentley oder AMG-Mercedes. Und das, lieber Besenschwinger, ist nicht übertrieben! 




Montag, 8. Juli 2019

Luft und Liebe



Sylt. Hier ist es momentan kalt und windig. Nein, völlig falsche Wortwahl. Hier ist es erfrischend, und die Luft lebt. Wir genießen das gesunde Reizklima im Strandkorb und schauen Theo dabei zu, wie er versucht, in seiner fünflagigen Polarausstattung Sandburgen zu bauen. Gar nicht so leicht. Manchmal schafft er es, einige Meter gegen den Wind anzukrabbeln, dann sieht er aus wie eine seltene Schildkrötenart, die schwer deutbare Spuren im Sand hinterlässt. 

Zwischendurch wirft mein Vater trinkkulturell bemerkenswerte Salute aus den Fünfzigern ein, zB: „Alle Menschen sollen leben, die uns was zu trinken geben. Jenen aber, die dies neiden, wollen wir mit tausend Freuden Daunenfedern aus den Nasen zentnerweis ins Arschloch blasen. Und dies bei konträrem Wind, bis sie unsere Freunde sind. Prost!“

Die Abende verbringen wir mit Blick aus dem Fenster, auf das Dach des Nachbarhauses. Diesem fehlen zwei Dachpfannen, und bereits kurz nach unserer Ankunft hatten wir über dieses Fehlen allerlei Theorien entworfen. Inzwischen wissen wir, dass es sich um die Arbeitswege zweier Steinmarder handelt, die den Dachboden zu ihrem Lustschloss gemacht haben. Eigentlich sind Steinmarder Einzelgänger, nur zur Paarung ertragen sie ihresgleichen. Und wenn sie sich nicht gerade paaren, schauen sie aus dem Fenster - genau wie wir. Womit ich nicht sagen will, dass ich meine Frau nur in besonderen Situationen ertrage, i wo. Ganz im Gegenteil. Wir teilen alles miteinander, und zwar gerne. Wobei wir ja neben unserer Liebe wenig brauchen - im Grunde nur erfrischende, quicklebendige Luft. Prost! 

The biggest Arztroman ever

Willkommen in meinem neuen Tagebuch („Post-Coronik“), das sich womöglich auch in diesem virtuellen Gewölbekeller vornehmlich mit Corona befa...

Beliebte Beiträge