Gut: Sohn Leander begleitet mich morgens zum zweiten Tag der "Ghostsitter"-Hörspiel-Aufnahme zur Bummfilm nach Otterfing. Leander hat in den letzten Wochen das Fahrradfahren für sich entdeckt und einige 80-km-Touren hinter sich gebracht - mitunter sogar alleine und bei Dreckswetter. "Aus Langeweile" antwortet er auf die Frage nach seiner Motivation, und die Begründung ist durchaus glaubwürdig, nachdem er einem eventuellen Studium zunächst ein Sabbatical vorangestellt hat. Also rollen wir einträchtig durchs frühsommerliche Oberbayern und diskutieren die Rede Ulli Hoeneß' ("Jeder hat das Recht, sich ungerecht behandelt zu fühlen"), den Brexit ("Früher galten die Briten als besonders rational, heute sind sie mehr, äh, hormonell gesteuert") und Nationalratswahl in Österreich ("Kurz hat lange Ohren"). Da wir beide unsere Diskussionsbeiträge gerne gestisch untermalen, radeln wir vorwiegend freihändig.
Wo sich vorgestern noch die bronzene Blindschleiche im Siberlicht aalte, steht heute ein goldiges Rehkitz, reg- und arglos. Kaum fünf Meter trennen uns; wir blicken uns an wie Gut und Böse im Showdown von "High Noon", dann fällt kein Schuss, und wir passieren beglückt den Faunaklimax des heutigen Tages.
Für "Ghostsitter" spreche ich den Rechtsanwalt Rufus T. Feuerflieg, einen überkandidelten Schnellredner à la Groucho Marx. Alle Dialoge werden gemeinsam von allen Beteiligten eingesprochen, u.a. von Kollege Bernhard Hoecker, und diese Vorgehensweise macht die Chose angenehm lebendig.
Alle 15 Minuten ordnet Tommy eine Lüftungspause an und fügt verdächtig offensiv an, dass dies nicht mit dem Aroma meines Radlwams zu tun habe. Hm. Wechselkleidung habe ich keine dabei. Wenn Hörspielproduktionen einen Vorteil haben, dann doch den, dass die Kleidung völlig egal ist. Dachte ich.
Als der Heimweg ansteht, warnt man uns eindringlich vor der Radfahrt nach München. Schwere Unwetter mit Golfball-Hagelschlag hätten bereits ein Produktionsauto beschädigt. Als wir zudem ein paar Inline Skates stadtwärts transportieren sollen, folge ich höflichkeitshalber den Empfehlungen meiner Kollegen, den Rückweg doch besser per S-Bahn zurückzulegen. Wir stempeln Streifenkarten ab (auch für die Räder) und steigen in den spärlich besetzten Zug ein - vorschriftsmäßig, wie wir glauben. Prompt geraten wir in eine Fahrkartenkontrolle und erfahren, dass Fahrräder zwischen 16 und 18 Uhr in der S-Bahn verboten sind - außerdem brauche man eine Fahrrad-Tageskarte der DB. Ein doppeltes Fahrpreiserschleichungsdelikt quasi. Meine Halsschlagader schwillt auf Überbrückungskabelstärke an, und mit der Stimmfärbung einer gereizten Klapperschlange zische ich meinen Dank für die ausgedruckte Kostennote hervor. 120 €. Ohne böse Absicht. Der Kontrolleur: "Ich kann leider keinen Promibonus anwenden, weil: wir haben hier überall Kameras". Meine Stimmung kippt endgültig, und ich skandiere heiser: "Es! Ist! Ja! Wohl! Auch! Völlig! Egal! Wer! Ich! Bin!" Oh, wie ich sie alle hasse: Den ÖPNV und seine kafkaesken Regularien. Die Autos auch. Und meinen Heuschnupfen. Lasst mich einfach radeln, Ihr alle! (Dass wir durchs Zugfenster keinen Tropfen, kein Hagelkörnchen sehen, möchte ich an dieser Stelle am liebsten gar nicht erwähnen).
Ja, jeder hat das Recht, sich ungerecht behandelt zu fühlen. Nicht nur Ulli Hoeneß.
36 km.
Oh, ich kann es so verstehen! Mein Versuch, zwei Menschenfahrkarten inklusive zweier Fahrradfahrkarten von Köln nach Aachen zu buchen, ging kläglich im Gestrüpp der Reservierungsverstrickungen unter. Hier muss nochmal über das Grundbedürfnis der Mobilität nachgedacht werden.
AntwortenLöschenSorry, aber ich schmeiß mich gerade weg, sozusagen ... *GRÖÖÖÖÖÖÖÖHL* ... :.D
AntwortenLöschenUps. Ich werde nie wieder jemandem sagen, wenn ich mit einem Firmenwagen in ein Unwetter geraten bin.
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