Freitag, 28. Juli 2017

Fahrradgedicht (1)

Ich fang mal mit was kleinem an:

Die Klingel. Klingelingelingeling. 

Traditionell am Lenker fest sitzt 

dieses Hoppla, jetzt komm icke-Ding

Die Menschheitstorte lässt sich teilen;

Im einen Stück: die Gerne-Klingler.

Schon in großer Ferne hupen sie metallisch

Ihr Lohn: das Hindernis erschrickt 

Und springt in Richtung Strassengraben 

Das andere Stück beinhaltet 

die Eher-ungern-Klingler. 

Alles, was phallisch, laut, aufdringlich 

Wirkt, ist ihnen potenziell suspekt

Der Frage: "Klingl'ich? Ist es gut, wenn

Der erschreckt, der vor mir träumt?"

Wird reichlich Denkplatz eingeräumt. 

Im Zweifel wird sacht' überholt,

Das Hindernis mit Dank bedacht.

Und um nicht aufdringlich zu wirken

Wird mancher wird gar zum Fahrradschieber


Und jetzt frag ich: 

Welches Stück Torte ist Euch lieber? 



Donnerstag, 20. Juli 2017

Geht miteinander ins Bett!

Verroht unsere Gesellschaft? Werden die Diskurse immer haudräufischer, persönlich diffamierender, werden wir alle immer hasserfüllter, hässlicher? 

I wo. Ich seh's so: Bei Facebook fühlt man sich zuhause. Die eigene Pinnwand ist das, was früher die eigenen vier Wände waren. Da saß der Hausherr auf'm Sofa, mit 'ner Buddel Bier in der Hand, blökte seine Alte an und kommentierte das Weltgeschehen mit "Lauf, du Sau!" et tutti quanti. Heute sitzen er (und seine Alte) vorm Display und benehmen sich wie immer, nur eben schriftlich. Ethnologisch bietet das Internet somit feine Forschungsmöglichkeiten: Es verroht die Menschen nicht, sondern es offenbart, wie sie wirklich sind, wenn sie sich dahoam, sicher und geborgen fühlen.

In Deutschland bevorzugt man Gardinen, in den Niederlanden lebt man ohne solche - der freie Blick ins Wohnzimmer sollte die moralische Integrität der Bewohner jedem Passanten sichtbar machen. Der Siegeszug der sozialen Netzwerke reißt gleichsam die Gardinen von den Stangen - allerdings entspricht das, was da zu Tage tritt, dem calvinistischen Sittenkodex nicht immer. 

Hilft das Hatespeech-Gesetz, um die Gardinen an Ort und Stelle zu halten? Nein. Wird es die Leute dazu bringen, in ihren Privatgemächern Oberhemd zu tragen, frisch gebügelt und fleckenfrei? Nein. 

Wir werden uns an freie Sicht und hellhörige Wände gewöhnen müssen. 

Und wir werden lernen, dass "die Renaissance der Schriftkultur", die viele (auch ich) vor einigen Jahren für etwas positives hielten, das gedeihliche Miteinander nicht unbedingt befördert. Nach unzähligen Versuchen weiß ich, wie schwer es ist, bei Facebook eine sachliche, tiefe, gründliche Diskussion zu einem beliebigen politischen Thema zu führen, ohne dass früher oder später irgendein Dödel rüde dazwischenquakt. Dem Chat ist das persönliche Gespräch überlegen - eben wegen der zivilisierenden Wirkung des Augenkontaktes. 

Das Überleben der Demokratie wird auch davon abhängen, ob die Menschheit sich wieder für persönliche Begegnungen begeistern lässt, auf Armlänge oder unter einer Decke, ohne zwischengeschaltete Elektronik. 

Mein Traum für die Menschheit: Klappt die Rechner zu, werft die Handys weg. Kippt Euch zusammen einen hinter die Binde, singt gemeinsam Lieder. Diskutiert. Und vor allem: Geht miteinander ins Bett! 


(Bild aus: "Der gute Ton von heute", 1953)

Samstag, 15. Juli 2017

Alpenüberquerung, letzte Etappe

Geschafft! Aber der Reihe nach: In frisch gewaschenen Klamotten verlassen wir morgens Cles und fahren über angenehm gefällige Straßen nach Cunevo - so wie viele andere Radler auch. Dass unsere Route nicht gerade ein Geheimtipp ist, verwundert nicht; im beliebten Radwanderbuch "Alpencross" von Achim Zahn ist unsere als "leichteste" Route offeriert - und eben diese suchte ich, tretroller- und teresentauglich. Dass aber auch diese "leichte" Route mit ihren drei Pässen über 1400 Meter gewisse Tücken birgt, erfahren wir buchstäblich, als wir in Sporminore unseren Abzweig verpassen und auf grandioser Serpentimenstrasse reichlich Höhenmeter gegen Fahrspass eintauschen. Als mir unten mein Fehler auffällt, weicht der Geschwindigkeitsrausch nüchternem Kater. "Ich muss dir etwas gestehen" adressiere ich Teresa, "wir haben uns verfahren". Sie vergibt ohne erkennbaren Groll, und die nächste Stunde wuchte ich, wie bereits gestern am Gampenpass, Rad und Roller durch steile Obstgärten wieder bergauf. Meine Freundin hinterher, die heute, am fünften Tag, erstmals gewisse Folgen des Erlebten vermeldet: Sie fühle sich wie ein Roboter, ihre Beine seien recht ungeschmeidig. Das sei völlig normal, doziere ich, und als ihr Tempo immer stärker nachlässt, biete ich ihr an, nicht nur unsere Fahrzeuge, sondern auch sie selber aufwärts zu ziehen. Zu diesem Zweck ergreift sie von hinten mein Trikot wie eine römische Wagenlenkerin. 

Wahrscheinlich geben wir ein gar lustiges Gespann ab, das sich da mit einem knappen km/h hinauf nach Maurina bewegt, aber der Griff zum Schlawittchen scheint hilfreich zu sein, jedenfalls erreichen wir nach einer satten Extrastunde tatsächlich das verwunschenste Bergdörfchen, das man sich vorstellen kann. Wie Schwalbennester kleben die Häuschen am Berg und sind durch einen uralten, massiven Collonadengang miteinander verbunden. Die örtliche Bevölkerung knipst ein Bild (s.o.). Dov'è un bar? Im nächsten Ort, zwei Kilometer weiter. Klingt gut. Aber auch diese zwei km geht's bergauf, und ich agiere als Zugmaschine. In Spormaggiore rasten wir schließlich und überlegen, was zu tun ist. Doch runter an die Etsch? Etappe abkürzen? Nein. Vorsichtshalber buchen wir ein Hotelzimmer in Riva, so dass es kein Zurück gibt. Da müssen wir hin, und zwar noch heute, über zwei Berge, das volle Programm. Ok, wir geben uns die Hand drauf und tanken zwei große Teller Pasta-Brennstoff mit reichlich Oktan. 

Interessante Frage: Für wen diese Aktion wohl schwerer ist? Teresa meint, ganz klar für mich. Ich hingegen behaupte das Gegenteil. Untrainiert bei 30 Grad in fünf Tagen über die Alpen, mit allem drum und dran - das ist auch mit Schlawittchenhilfe und im Schneckentempo eine ganz besondere Leistung. Könnte glatt als sportliche Disziplin taugen: Das ungleiche Mixed-Duo. Teamwork ist Trumpf. 

Der Weg hinauf nach Andalo ist der Knackpunkt des Tages. Schlappe tausend Höhenmeter, die wir auf der stark befahrenen Strasse zurücklegen. Der Dauerblick in die Bergwelt der Brenta-Dolomiten rechtfertigt in jedem Fall die Entscheidung, nicht an der Etsch entlang zu gondeln. 

Irgendwann sind wir oben, und in zügiger Fahrt passieren wir den entzückenden Lago di Molveno. Die Landschaft wird immer verzaubernder, alle Mühen sind bald vergessen. Lauthals singe ich die "Christel von der Post", als ich hinter Teresa her durch die Schluchten jage. Alles in uns frohlockt, jubiliert, triumphiert!

Nur noch ein Anstieg, hinauf zum Passo del Ballino. Vierhundert Höhenmeter - ein Klacks! Wir trinken Café Freddo in San Lorenzo in Banale, dann geht's auffi. Um 17.50 Uhr stehen wir oben, und ab hier, welch großartige Dramaturgie, muss bis zum Hafenkai in Riva keine einzige Pedalumdrehung, kein einziger Rollertritt mehr ausgeführt werden. Unter uns taucht der Gardasee auf, er kommt immer näher, und um 18.30 endet dieses große Abenteuer, ohne Defekt, ohne Sturz, ohne Tränen.

Die schönste Reise, die ich je gemacht habe! 


Freitag, 14. Juli 2017

Alpenüberquerung, 4. Etappe

Lebt sie noch? Vorsichtig versuche ich Teresa zu wecken. Hallo? Jetzt nochmal lauter. Es ist 7 Uhr 20! Zeit für ein paar Höhenmeter! Der Gampenpass ruft! 

Zwei Spuren, mittelviel Verkehr, Leitplanke oder Felswand. Drei Tunnels. 1200 Höhenmeter mit 6-8 % Steigung. Wie raufkommen? Wir entscheiden uns für einen Wechsel aus 1. Beide gehen und schieben, 2. Teresa fährt, ich schiebe laufend links den Roller und rechts meine Freundin, und 3. Teresa fährt, ich rollere hinterher. Bei 1. und 2. hat sie noch Luft, um mir "Ich bin die Christel von der Post" aus Carl Zellers Operette "Der Vogelhändler" beizubringen. Der Text passt durchaus zur heutigen Reisegeschwindigkeit:  

🎶...Nur nicht gleich, nicht auf der Stell', denn bei der Post geht's nicht so schnell🎵


Die Auffahrt ist, nicht ganz unerwartet, eine mühsame Angelegenheit. Im Wirtshaus auf halber Höhe lassen wir uns von einem ortsansässigen LKW-Fahrer eine Abkürzung empfehlen: unterhalb der Passstrasse gäbe es einen tollen Radweg; man spare zwei ganze Kehren und habe seine Ruhe vor den Autos. Also los. Zunächst ist das Strässlein tatsächlich sympathisch, dann jedoch weicht die Asphaltdecke grobem Kies, der wiederum später durch kindskopfgrosse Wackersteine ersetzt wird. Fahren ist nicht, Schieben auch nicht. Man kann Roller und Rad nur noch fluchend aufwärts wuchten. Eine großartige Übung in Sachen Frusttoleranz. Namentlich der Roller widersetzt sich heftig meinen Trageversuchen. Schultern geht auch nicht, dafür schlägt mir das Hinterrad mehrfach an die Haxen, aua. Teresa ist von allen Tragepflichten entbunden, damit ich mich erneut betont ritterlich präsentieren kann. Also lasse ich mich nicht nur vom Roller verhauen, sondern zerre in der anderen Hand auch noch das MTB Richtung Passhöhe.

🎶...ich bin die Christel von der Post / Mein Amt ist herrlich / wenn auch beschwerlich / auf die Adresse kommt es an...🎵


Beide tragen wir lediglich Barfussschuhe, die in diesem Terrain an ihre Grenzen geraten...

🎶...aber das macht nichts, wenn man noch jung ist / wenn man nicht übel / wenn man in Schwung ist / ohne zu klagen kann man's ertragen / wenn man dabei immer lustig und frei...🎵

Der Pfad wird immer steiler, meine Flüche immer lauter, und die Geräusche der Straße sind schon lange nicht mehr zu hören. Teresa trottet erstaunt hinterher. So ist das also auf einer Fahrradtour. Interessant. 

Eineinhalb Stunden, nachdem wir dem freundlichen LKW-Fahrer Ade gesagt haben, erreichen wir endlich die Passhöhe und umarmen uns innig und erleichtert. Es ist vierzehn Uhr, also haben wir insgesamt fünfeinhalb Stunden gebraucht. Jetzt schnell die Speicher auffüllen. Im Restaurant gegenüber vom braunen Schild gibt es nur ein einziges warmes Gericht, nämlich Würstel mit Pommes. Her damit, aber pronto! 

🎶...Ich bin die Christel von der Post / klein das Salär und schmal die Kost...🎵

Wir kommen ins Gespräch mit einem Rennradler-Pärchen. Er: "Ganz hier rauf mit'm Roller? Warum?" Ich antworte wahrheitsgemäß: "Dann sind wir gleich schnell, meine Freundin und ich", und er reckt seinen Daumen empor. Gut möglich, dass unsere Tour als Anregung taugt, für alle Paare, die gerne zusammen radeln möchten, bei denen aber eine(r) schneller ist als der andere. Wir haben das Problem gelöst. 

Runter Richtung Unsere liebe Frau im Wald. Ich staune so sehr über die Fahrkünste meiner Freundin, dass mir der Mund offen steht und eine Fliege hineinsaust. Zehn Minuten Husten. Über verträumte Waldpisten gondeln wir sodann nach Castelfondo. Dass wir die Sprachgrenze überwunden haben, beweist nicht zuletzt der Umstand, dass gleich am Ortseingang ein paar Bauarbeiter meiner Liebsten hinterher pfeifen.

🎶...Ist's ein galanter / ist's ein charmanter / wird es fatal oft dann und wann...🎵

Über Braz fahren wir zu unserem heutigen Zielort, nach Cles. Um dorthin zu gelangen, gilt es, auf imposanter Brücke den Lago di Santa Giustina zu überqueren. Kaum haben wir das Brückenbauwerk erreicht, öffnen sich die Himmelsschleusen. Mit knapper Not sichern wir Handys und Geldbörse im Gefrierbeutel, dann schiebe ich Teresa laufend das Hochufer hinauf. 

Cles ist ein lieblicher Ort, und das gleichnamige Hotel auf Radfahrer spezialisiert (heißt: man kann seine verdreckte Kleidung waschen lassen und bekommt ein besonders üppiges Menü). Wir trocknen uns ab, besuchen ein Fachgeschäft für Betthupferl und gehen in die Kirche. Gründe für Dankgebete gibt es reichlich, und für Bittgebete auch: Morgen letzte Etappe.



Donnerstag, 13. Juli 2017

Alpenüberquerung, 3. Etappe

Abfahrt in Nauders um halb neun. Während ich mich etwas abgeschlagen fühle, äußert Teresa keine Beschwerden. "Ich bin jung, ich bin gesund, warum soll ich nicht über die Alpen kommen?"

Noch gähnend stellen wir fest, dass die Auffahrt zum Reschenpass gar keine echte Auffahrt ist, sondern nur ein Buckelchen. Dahinter erstreckt sich der Reschensee mit dem berühmten Kirchturm des gefluteten Dorfes Graun. 

Unsere Trikots entwickeln mittlerweile die interessantesten Aromen, und Ersatzleiberl haben wir gar nicht erst eingepackt, um den Minimalismus auf die Spitze zu treiben.  Schön, dass wir uns außerordentlich gut riechen können. Fliegen aber auch. Bei jedem Halt werden wir gierig umschwirrt. Endgültig wach werden wir, als wir die ersten Bewässerungsanlagen des Südtiroler Obstanbaus durchfahren. Wasser von oben und, mangels Schutzblech, auch von unten lässt uns jauchzen wie Teenies in der Wildwasserbahn. Die Kaskaden läuten den vergnüglichsten Teil der bisherigen Radtour ein: Die autofreie Abfahrt auf perfektem Asphalt hinunter nach Burgeis, vor silbrig vergletscherter Ortler-Kulisse. Endloser Fahrspass. Gehört in die Top 10 der ersprießlichsten Radwege des Universums. 

Teresa jubiliert, reißt die Arme hoch, rast in Höllentempo am Ufer der Etsch entlang, und ich sause breit grinsend hinterher. Bis km 50 kommen wir fast ohne Treten voran, danach mit nur spärlichem Krafteinsatz. Viel los auf dem Etschtalradweg: Sportler, Familien, Reiseradler mit gewaltigen Gepäcktaschen, Elektroradler. Letztere sind manchmal besonders lustige Leute ( der eine zB saß auf tausenden von Euro, überschwere Maschine mit XXL-Federweg, war aber bergab ein Schisser und ließ sich von einer erst seit vorgestern bergradelnden Opernsängerin (die übrigens während der Abfahrt ihre Koloraturen übt) und einem 16-Zoll-Tretroller-Fahrer überholen). 

Übrigens bewährt sich mein Kostka "Street" als brauchbares Reisemobil, unempfindlich und belastbar. Als die Sonne im Zenit steht, schlage ich mir allerdings den Knöchel an der hinteren Nabe blutig. Diesen Schmerz kenne ich bereits; der Knöchel ist sozusagen die Archillesferse des Tretroller-Touristen. Klar, man könnte ihn in einen gepolsterten Schoner stecken, aber auch dies passt nicht zum minimalistischen Reisekonzept.

Mittagessen in der Rad Bar. Bohnenragout und Piadina, zum Nachtisch Apfelstrudel und Fotosession, danach lässt das Gefälle etwas nach und der Fahrspass weicht einer gewissen Nüchternheit. Tritt auf Tritt im Walzertakt, fünf bis zehn links, dann Fußwechsel, immer schnurgerade am Fluss entlang, bis nach Meran. 

Vorm schmucken Stadttheater kaffeesieren wir, dann petten wir das letzte Dreiviertelstündchen für heute, in den Ort Lana, wo wir Quartier nehmen. Über 100 km maß die Etappe, und das Bad im kleinen Pensionspool ist redlich verdient. Am Beckenrand sitzen Eidechsen und schauen uns beim Plantschen zu, und im Nachbargarten singt ein Chor aus Palme, Feige, Kaktus den Choral des Südens. 

 Und wie weiter? An der Etsch entlang nach Rovereto und dann rechts? Oder über alle Berge, das komplette Programm, mit Muskelkater-Garantie? Wir wägen die Vor- und Nachteile ab, sind uns aber schnell einig: die Bergvariante ist viel spannender! Vielleicht geht es uns ja zu gut. Abends im Bett ist durchs Fenster der Beginn der morgigen Etappe zu sehen, die Auffahrt zum Gampenpass. Vorfreude! 


Mittwoch, 12. Juli 2017

Alpenüberquerung, 2. Etappe

Aufbruch in Imst um acht Uhr. Teresa vermerkt vergnügt "ein leichtes Druckgefühl" am Gesäß. Sonst äußert sie keine Beschwerden, was mich durchaus erleichtert, denn vor uns liegt ein langer Tag. Wir radeln/rollern am Inn entlang nach Landeck. Bin bereits zum vierten Mal in diesem Jahr auf dieser Route unterwegs; seitdem Sohn Cyprian in Landeck studiert, ist der Inntalradweg so'ne Art Stammstrecke geworden. Er ist aber gerade nicht da; schade. Also weiter nach Fliess, mit allerlei auf und ab. Es wird warm. Teresa fürchtet sich vor der berüchtigten Radfahrerbräune, weil diese auf der Konzertbühne im Abendkleid blöd aussieht. Passt auch nicht zu Mozart. Leider weiß ich nicht, was man gegen die scharfen Farbränder tun kann. Alles bedecken oder alles ausziehen. In Fliess zweites Frühstück an einer schattigen Häuserwand. Dann folgen wird den Wegweisern Richtung "Pfunds/CH". 

Vor uns entblößen sich martialische Bergriesen, während sich neben uns winzige Waldbeeren im Unterholz verstecken. Wir finden Sie trotzdem. Anderes Highlight: Die schönen hölzernen Brücken über den Inn. Elastisch federnde Bretterböden. Flirrende Hitze. Mittag in Pfunds. Wasserflaschen auffüllen am Prutzer Sauerbrunnen:

In einer grottenartigen Aussparung am Weg kann man sich für umme bedienen und erhält ein säuerlich-metallisches Heilwasser. Köstlich! Dann führt uns der Wegweiser auf die Autostrasse Richtung St. Moritz. Im Tunnel überhole ich gedankenlos meine Gefährtin, die daraufhin schutzlos der Drängelei eines LKWs ausgeliefert ist. Bis auf eine Armlänge nähert sich der überlaute Monstertruck. Es geht bergab, wir sind schnell unterwegs. Teresas Schnürsenkel ist auf. Darf nicht in die Kette geraten, sonst: Walderdbeere. Psychologisch eine harte Prüfung, so'n voller Bundesstraßentunnel in den Alpen. 

Am Schweizer Zollamt in Martina legen wir zur Erholung ein Kaffeepäuschen ein. Es ist 15 Uhr und zieht langsam zu. Etwas bangbüxig gehen wir an den kalorischen Tageshöhepunkt, nämlich den Aufstieg nach Nauders, wobei "gehen" ganz wörtlich gemeint ist. Wer sein Rad liebt, so schmunzelt Teresa, der schiebt. Ich dackele hinterher und raune zwischendurch das Motivationswort "Kuuuchenbüüüffeeet", welches angeblich oben in Nauders auf uns wartet. Ab und zu fährt Teresa auch ein paar Meter, und ich skandiere "Super super Yeah!", wie wirs neulich beim Lachyoga-Schnupperkurs gelernt haben. 

Als wir ein Schild mit einer großen "10" passieren, schwant uns, dass die Kehren nummeriert sind. Ab jetzt wird runtergezählt. Kehren-Countdown. Vereinzelt treffen uns kapitale Tropfen. Regnet es etwa? Nein, noch nicht. 

9-8-7. Rücksichtslos rüpeln röhrende Sportwagen an uns vorbei. Ja, wissen die denn da nicht, wen sie da überholen? Die tapfere Teresa auf ihrer ersten Transalp! Ohne Training! Höflichkeit und Respekt geböten, dass man wenigstens verlangsamt und nett grüßt. In den folgenden Kehren denken wir uns immer neue Schimpfwörter für Porschefahrer aus - so wird's nicht langweilig. 

6-5-4. Ein drahtiger Bergradler überholt uns. "Bis nach oben ist's noch ganz schön weit; auf dem Rad geht's leichter!" "Ich wa-heiß", pampe ich zurück und nuschele ein verschwitztes "Kümmere dich um deinen eigenen Kram!" hinterher. 

3-2-1. Die letzten Meter schiebe ich meine Freundin im Laufschritt an (könnte ein taugliches Konzept für die kommenden Pässe sein). Und dann sind wir oben, auf der Norbertshöhe: 


Nach 72 km und 1130 Höhenmetern erreichen wir um 16:30 Uhr Nauders. Kaum betreten wir unser Hotel, beginnt ein prasselnder Schauer. Brillantes Timing, wie gestern. Schade: Das Küchenbüffet im Hotel ist soeben abgeräumt worden. Dafür schlagen wir beim Abendessen voll zu und lassen auch sonst Seele und Konsorten baumeln. Ich besuche die Sauna, Teresa lässt sich in der Wellness-Abteilung ein Heubad verabreichen. Idee: Man legt sich 20 min in ein Bett gefüllt mit Heu, und dazu läuft Dudelmusik. Abgesehen davon, dass sie als Pollenallergikerin dort natürlich niesen muss, konnte sie spontan keine Wirkungen erkennen. Die Heubademeisterin ordnete allerdings eine halbe Stunde Nachruhen an, um das "Nachschwitzen" zu gewährleisten, eine Aufforderung, der sich Teresa widersetzte. Wer weiß; vielleicht offenbart sich ja morgen am Reschenpass die belebende Wirkung des Heus.







Dienstag, 11. Juli 2017

Alpenüberquerung, 1. Etappe

Alpencross für Neulinge. Ich versuch's erstmals mit meinem Tretroller, meine Freundin Teresa mit dem MTB. Als Test bin ich mit ihr bereits vor Monaten einmal zum Tegernsee gefahren. Am Ziel sagte sie damals: "Alles easy; die Sache läuft". Weitere Trainingsmassnahmen fanden nicht statt. Wohlmeinende Einflüsterer legten ihr zwar die Nutzung eines E-Bikes ans Herz, aber sie entschied sich dagegen. Kernig! 

Heute also Abfahrt am Bhf in Garmisch-Partenkirchen morgens um acht. Ich habe die Ausrüstung zusammengestellt und überreiche ihr ein Paar Radhandschuhe mit Gelpolstern. "Hier, die könnten dir helfen". Sie zieht die Handschuhe verkehrt herum an, mit den Gelpolstern auf dem Handrücken. Woher soll sie's auch besser wissen? Mit Radsport hat sie sich noch nie beschäftigt. Wir kichern einträchtig, und uns wird klar, welch Abenteuer uns Grünhörnern bevorsteht. Wie komme ich eigentlich darauf, dass wir es zusammen bis nach Riva del Garda schaffen? Hm. Sie ist Opernsängerin, und als solche weiß sie sich zu schinden. So mein Kalkül. 


Über Grainau nach Ehrwald, auf dem Radweg neben der Bundesstraße. Es geht sanft bergauf. Als ich gedankenlos enteile, bittet meine Freundin um Rücksicht - ihr sei lieber, wenn der Abstand zwischen uns möglichst klein sei. Ich nehme mir vor, in den nächsten Tagen geduldig zu warten, so oft es nötig sein werde. 

Im M-Preis Biberwier erster Kaffeestopp, planmäßig nach zwei Stunden. Für unser minimalistisches Gepäck habe ich am Rollerlenker eine Ortleb-Packtasche befestigt, außerdem eine Lenkertasche für Kleinkram, Proviant und Flickzeug. Auf diese Weise reist Teresa gepäckfrei - ich will ihr die Sache so leicht wie möglich machen, nachdem sie meine Klickpedale verschmäht hat. Nein, sie ist auf ganz normalen Pedalen unterwegs. Puh. Bin gespannt, wie weit sie, wie weit wir kommen - zumal sie wie ich auf ihre Barfusschuhe setzt (etwas anderes war bei Abfahrt nicht zur Hand, äh, Fuß).

Rechts ab ins Gelände, einem Wanderwegweiser "Fernpass/Loisachquellen" folgend. Auf breitem Schotterweg gehts bergauf, bald erlahmt die Beinkraft, und wir schieben. "Möchtest du meinen Roller schieben? Vielleicht geht das leichter?" "Nein Danke!". Nach einer Weile kommen wir an ein Schild, darauf steht: "MTB-Schiebestrecke". Naja, denke ich, wir schieben ja schon die ganze Zeit. Fortan geht es einen steilen Bergpfad hinauf, mit Wurzelgewucher und Naturtreppenstufen. Schieben reicht nicht; man muss die Geräte tragen. Auf halber Höhe fragt Teresa: "Kannst du nicht erst deinen Roller hochschleppen, dann das Rad?" Klar, mache ich gerne. Ich eile ein paar Dutzend Höhenmeter hinauf, lege den Roller ab, wieder runter, schultere das MTB, wieder rauf. Teresa schlurft hinterher, und ich fühle mich angenehm ritterlich. 

Als wir oben sind, wird der Mittersee sichtbar, tief unter uns. Zwei Schilder, "zum Fernpass" und "zur Fernpassstrasse". Wir entscheiden uns für letzteres, noch unter dem Eindruck der Tragestrecke. Bremsenattacke. Stich folgt auf Stich; ich enteile den Viechern, hinter mir höre ich Teresa Verwünschungen deklamierend. Warten, Wigald! So hast Du's Dir vorgenommen! Gut, dass auf feuchtem Waldpfad eine Abfahrt ansteht; so bleibt den Insekten nur wenig Zeit, uns auszusaugen. Auf der ruppigen Piste setzt mein Trittbrett mehrfach auf. Au weia; hoffentlich geht in den nächsten Tagen nichts kaputt! Es wäre vermessen, meinen "Koska Street" für ein offroad-taugliches Gefährt zu halten. Als wir die Fernpasstrasse erreichen, wird uns klar, dass wir viele Höhenmeter umsonst geschoben sind. Egal; im Sysiphussischen sind wir daheim, nur dass wir eben keine Kugel, sondern Bike und Roller rollen. 

Teresa möchte nach der Wildnisserfahrung lieber auf der Asphaltstraße fahren. Ich runzle die Stirn. Es ist Urlaubszeit, der Fernpass stark befahren. Nun gut; ich ermahne zur Vorsicht und sichere nach hinten ab. Busse, Wohnmobile, schwere Trucks drücken uns an die Leitplanke. Manch einer traut sich nicht vorbei, und hinter uns wächst ein Stau. Ängstlich rege ich an, auf die Schotterpiste im Wand auszuweichen, aber meine Freundin winkt ab. 

EditSchneller als gedacht kommen wir zum Rasthof "Zugspitzblick". Es ist zwölf. Penne arrabiata und der Duft von nassem Hund. Schönes Fotopodest. Herr Ober, zahlen bitte! Eine Kurve weiter erreichen wir die Passhöhe, wo wir uns stolz von einem Trucker ablichten lassen. Ab hier nutzen wir den herrlichen Radwanderweg auf der historischen Via Claudia Augusta, ergötzen uns am Fernsteinschloss und -See. 


Über Nassereith gelangen wir auf Waldwegen nach Imst und nehmen am südlichen Ortsausgang Quartier. Geschätzte 55 km. Kein Defekt, kein Unfall, kein Regen. Bang befrage ich meine Gefährtin: Tut nichts weh? Keine Sitzprobleme? I wo. Alle Sportsleute wohlauf. Oh, wie stolz ich auf meine kühne Freundin bin! Als wir eingecheckt haben, kippt das Wetter, und es regnet garstig. Wir schmunzeln. Gutes Timing. 



Samstag, 8. Juli 2017

Wie kann man die Welt verbessern?

Die Tätigkeit des Weltverbesserers besteht aus zwei Teilen: Erstens herausfinden, WAS die Welt verbessert. Jeder wird hier zu eigenen Ideen kommen. Meine persönlichen Ziele sind  "Freundlichkeit" und "Verzicht". Wer freundlich ist, kann nicht gleichzeitig Krieg führen. Klar, man kann "freundlich tun", und dabei Böses im Schilde führen, aber das meine ich natürlich nicht. Ich meine die echte, unverstellte, naive Freundlichkeit gegenüber allen Menschen, auch gegenüber jenen, die selber unfreundlich sind, verschlagen, einen miesen Charakter haben, auch gegenüber Putin, Erdogan und Trump. Freundlichkeit ist Lächeln, Hilfsbereitschaft, Sanftmut. Die Sanftmut ist eh eine wunderbare Tugend - ich stolperte unlängst über sie in Pablo Nerudas Gedichten, und sie wird in unserer Zeit maßlos unterschätzt. Sie, ja; die Sanftmut ist weiblich. Momentan liest man ja häufig von einer "Krise der Männlichkeit" - ich wünschte mir, die Frauen spielten eine größere Rolle auf der Welt. Gleichberechtigung reicht nicht. Träfen sich zum G20-Gipfel mehrheitlich Frauen, wäre es um die Welt besser bestellt. Warum? Weil Testosteron ein Gegenspieler der Sanftmut ist; es vernebelt die Sinne, macht aus Männern Angeber und zerstört unseren Planeten. 

Neben die Freundlichkeit trete der Verzicht. Ohne Verzicht sehen unsere Zukunftsaussichten düster aus. Dem weltweit verbreiteten Haben-Wollen gilt es, ein attraktives, mitreißendes Nicht-Haben-Wollen entgegenzusetzen. Meldet Eure Autos ab. Verschenkt Eure Kleidung. Nehmt den ÖPNV, fahrt Rad, geht zu Fuß. Lasst die Heizung aus. Vermeidet Plastik. Trinkt Gänsewein. Schlaft auf der Parkbank. Verschenkt Eure Klapprechner, Euer Wissen, Eure Liebe. 

So, und nun zu Teil zwei: Der Weltverbesserer muss nicht nur Ideen entwickeln, WAS die Welt verbessern könnte, sondern auch, WIE er diese Ideen wirksam werden lassen kann. Ich persönlich glaube, die wirksamste Methode besteht daran, ein Vorbild zu sein, das sympathischer, "sexier" ist als, sagen wir mal, Trump und Konsorten. Wer zum Beispiel den Verzicht als Übung der Askese vorlebt, schmallippig und sittenstreng, muss sich nicht wundern, wenn der Wohlstandsbürger abwinkt. Diesen erreicht man nur mit jenem Mittel, das die Werber und Lobbyisten so erfolgreich nutzen: das Mittel der Verführung. Es gilt z.B. "Freiheit und Abenteuer" zu betonen. Wer verzichtet, hat weniger Stress, mehr Zeit, erlebt die besseren Geschichten. Der gesundheitliche Effekt des Fahrradfahrens ist ja eh klar, überzeugender ist doch, dass man auf dem Rad mehr von der Welt sieht als im Blechgefängnis.

Das, in aller Kürze, sind meine morgendlichen Gedanken zu den G20-Protesten. Ich wünsche allen viel Glück, die mit anderen Konzepten die Welt gesünder und gerechter machen wollen - Ihr Erfolg ist unser aller Erfolg. Wer allerdings Gewalt oder Brandstiftung rechtfertigt, ist kein Weltverbesserer, sondern unterstützt Terroristen. 

Freitag, 7. Juli 2017

Süß (Symbolbild)

Nein, das ist nicht meine Katze. Dass ich ein eigenes Haustier "besaß", ist schon ein Weilchen her. Heute finde ich ja schon das Verb "besitzen" im Zusammenhang mit Tieren diskussionswürdig, und wenn man's zu Ende denkt, ist auch unklar, ob wir Menschen Pflanzen besitzen sollten - die sind ja schließlich ebenfalls Geschöpfe, womöglich ausgestattet mit unveräußerlichen Freiheitsrechten. 

Mein letztes Haustier hieß jedenfalls "Didi", war ein grüner Wellensittich und teilte seinen Käfig mit "Fidi", einem gelben Artgenossen. Als Didi hochbetagt starb, war vor allem meine Schwester in tiefer Trauer. Mein Vater wollte den Vogelring bergen, als Erinnerungsstück, und versuchte ihn vom Sittichbein zu entfernen. Der jedoch saß unerwartet fest. Als alle feinmotorischen Knibbel-Versuche scheiterten, wurde Papa ungehalten und riss Didi, natürlich ungewollt, das ganze Bein aus. Meine Schwester schluchzte laut auf; die Dramatik des Moments war enorm. 

Mittwoch, 5. Juli 2017

Leipziger Jazztage 1986

Gestern besuchte ich den MDR in Leipzig, und bei dieser Gelegenheit erinnerte ich mich an meinen ersten DDR-Besuch, 1986, mit KIXX bei den Leipziger Jazztagen. Wir kamen in der Dunkelheit per Bandauto an und wurden von einem ansässigen Schiebermützen&Schnauzbartträger vom Parkplatz zur Veranstaltungshalle begleitet, in der wir am nächsten Tag auftreten sollten. Während des kurzen Spazierganges erläuterte er die unterirdische Flussbettung der Pleiße (?), und ich vermerkte milde geschockt, dass hierzulande deutsch gesprochen wurde, gerade so wie daheim in der BRD. Klingt komisch, ja, aber in diesen letzten Jahren der deutschen Teilung nahm man als nordwestdeutscher Teenager die Existenz der DDR nur selten wahr, wenigstens, wenn man keine Ost-Verwandtschaft besaß. Alle vier Jahre standen medaillenverzierte Athleten in hellblauen Trainingsanzügen auf den olympischen Podesten, und es erklang die Becher-Hymne, zwischendurch fuhren Udo und FJS zu Honni und brachten Lederjacke bzw. Milliardenkredite - das war's dann auch schon. 

Den Abend verbrachten wir in der Moritz-Bastei, feucht-fröhlich im Kreise spontan geschlossener Freundschaften mit jungen Musikfreunden. Man kannte uns vom Hörensagen, und auch die eine oder andere LP hatte irgendwie den Weg ostwärts gefunden. Unser Manager, Ulli Blobel, war kurz zuvor von Ost-Berlin in den Westen ausgereist, wohnte nun im Freejazz-Mekka Wuppertal, verfügte aber weiterhin über alle notwendigen Kontakte zum Kulturbüro der DDR. Dies hatte unseren Festivalauftritt ermöglicht. 

Die Gespräche in der Moritz-Bastei waren samt und sonders politisch, aber auf eine vorsichtig-verschämte Art; viele meiner Zuproster hatten als Bausoldaten gedient (also den Wehrdienst verweigert), andere berichteten von permanentem Ärger mit der Stasi, und zu später Stunde wurde auf die Verlegung der Grenze angestoßen, die, so deklamierten wir lallend, nicht mehr Ost und West, sondern Nord und Süd teilen sollte (war wohl so eine Art Übersprungsforderung - zu mehr reichte unser Mumm nicht. Naja; hätte allerdings auch ernsthaft unerfreulich enden können). 

Als wir am nächsten Tag in der Halle spielten, war diese rappelvoll, die Neugier riesig, zum einen auf Freejazz, speziell, wenn dieser mit Rock- und Punkelementen verknüpft war, noch spezieller, wenn die Musiker aus dem Westen kamen. An unserem Schlagzeug saß Jim Meneses, Gitarre, Trompete und Gesang steuerte Lars Rudolph bei, Bass und Bontempi bediente Willy Hart, und ich hantierte mit Casio-Keyboard, Schallplattenspieler, Altsaxophon und Gesang. Wir waren ganz schön laut, infernalischer Krach unsere Spezialität. 



Auch im "Klub der Nationalen Front" spielten wir bei dieser Gelegenheit, im "Nato", den es, so meine ich zu wissen, immer noch gibt. Das Konzert fand morgens statt, und wieder knüpften wir viele Freundschaften, etwa mit der New-Wave-Duo "HerTZ". In meinem Erinnerungsalbum finde ich soeben ein wunderbares Bandfoto von HerTZ: 

Mit dem Schlagzeuger verband mich anschließend eine Brieffreundschaft; unter anderem versorgte ich ihn mit Trommelfellen, die in der DDR nur schwer zu ergattern waren, zumal, wenn man abseits der offiziellen Bühnen musizierte. 

An diesen ersten Besuch in Leipzig schloss sich im darauffolgenden Jahr eine ausgewachsene DDR-Tournee an. Aber das ist eine andere Geschichte, nämlich das größte Abenteuer meiner jungen Jahre. Könnte man mal zu einem irrwitzigen, dicken Roman verarbeiten.





Dienstag, 4. Juli 2017

Mein Steinzeichen und ich: 

Unternehmen Capricorn. Kurz vorm Einschlafen in der Rappenseehütte erzählt der mürrische Bergsteiger, mit dem wir unser Zimmer teilen, dass er morgen via Heilbronner Weg bis auf den Hochvogel wandert. Nicht schlecht! "Und was habt ihr so vor?" "Nur aufs Hohe Licht. Die harten Sachen kommen erst nächste Woche". "Soso. Und was sind für Euch "harte Sachen"? "Mit dem Tretroller nach Riva". "Nach Riva, aha..." Ende des Gesprächs. Keine Ahnung, was er denkt. Meschugge, die. Oder: Vollidiot, der. Riecht schon so komisch (das Fenster, so befiehlt er, muss die ganze Nacht sperrangelweit auf sein; gekippt reicht nicht). 

Schnarchischnarch. Frühes Frühstück, dann rauf aufs Hohe Licht, 2651 Meter hoch. Der zweithöchste Berg der Allgäuer Alpen, nach dem Großen Krottenkopf. Oben ganz schön kalt, trotz Sommersonne. Idealpanorama. 


Auf dem Gipfelbild teste ich eine neue In-Geste. Muss mir noch einen hippen Namen ausdenken, irgendwas mit "vier Finger für...". Oder ein Four-Letter-Word. Wieder runter und weiter auf dem Heilbronner Weg. Deutschlands unterhaltsamster Steig. Schön, dass so wenig Betrieb herrscht. Sohn Cyprian präsentiert auf den folgenden Fotos drei Highlights, oder, wie der Allgäuer sagt, Hohe Lichter des Traditions-Pfades: 


Das Heilbronner Törle. 


Eine Leiter.


Noch eine Leiter. 

Auf dem nächsten Bild mache ich wieder das Model, lasziv neben das frisch vom Schreiner angelieferte neue Gipfelkreuz des Bockkarkopfes (2609 m), den wir auf dem Heilbronner Weg ebenso überschreiten wie den Steinschartenkopf (2615m) und den Wilden Mann (2578m). Wer genau hinschaut, sieht, dass ich in Schuhen unterwegs bin; für Barfüßige erscheint mir die Gegend etwas zu beschwerlich. 


In der Nähe der Bockkarscharte kommt es dann zum endgültigen Gipfeltreffen: Ich begegne meinem eigenen Sternzeichen, und zwar mehrfach. So weit, so selten. Und jetzt kommt die Pointe: Mein Sternzeichen läuft nicht weg! Bis auf fünf Meter kann man sich den unerschrockenen Tieren nähern. Da staunt der Laie, und der Astrologe wundert sich. Ein gutes Dutzend Hornisten zählen wir, dann steigen wir ab zur Waltenberger Haus. Die Wirtin erzählt, dass sich die Steinböcke (früher in Deutschland so gut wie ausgestorben) sehr, allzu sehr an die vielen Bergwanderer gewöhnt hätten. Immer häufiger rufe jetzt die Bergwacht bei ihr an, und bitte sie, Wanderern zu helfen, die sich vor den Tieren fürchteten. Sonnten sich diese auf dem Weg, würden sich manche Touristen nicht mehr weiter trauen und forderten in ihrer Not bei der Bergwacht eine Luftrettung an. Sachen gibt's...



Montag, 3. Juli 2017

Neues Hosenbelüftungssystem erfunden! 

Und wie bei so vielen großen Erfindungen stand auch diesmal Professor Schwund Pate: Mit dezentem Peng platzte meine Hose auf der Wanderung von Oberstdorf zur Rappenseehütte. Die Hosenhavarie begann im zentralen Schrittbereich und dehnte sich im Laufe der Bergtour in beide Richtungen aus - vorderseitig rechts parallel zum Hosentürl, hinterseitig knapp links neben der Mittelnaht. Nach vorabendlicher Jause in Deutschlands größter Berghütte wurde das so entstandene Belüftungsloch umgegend einem alpinen Praxistest unterzogen, indem nämlich der Rappenseekopf (2495m) luftumströmt erklommen wurde, begleitet von Sohn Cyprian. Die Versuchswanderung belegte die Praxistauglichkeit der Textilinnovation; Schwitzwasser trocknet im Testmodell deutlich schneller als in einer zuen Vergleichshose, schneller auch als in einer solchen mit offenem Hosenstall - wahrscheinlich hängt letzteres mit der überlegenen Größe des Luftlochs zusammen. Der Erfinder (ich) ließ sich nicht lumpen und gab zur Feier des Tages eine Runde "Strammer Max" aus. Anschließend durfte die Hose sich an einem Garderobenhaken im zweiten Obergeschoss der Rappenseehütte ausruhen, wobei sich die Größe des Lochs auch als Vorteil beim An-den-Haken-hängen entpuppte. Das stolze Hosenherrchen (ich) verbrachte die Nacht mit Blickkontakt zu seinem Prachtstück im Untergeschoss eines Etagenbettes im Vierbergfexezimmer, ehe er sich am frühen Morgen anschickte, mit Sohn und Hosenloch via Heilbronner Weg das "Hohe Licht" zu erklimmen. 


Das Lachen der anderen

Schnupperkurs "Lachyoga". "Der Körper", so referiert die Lachyogalehrerin, "unterscheidet nicht zwischen echtem und falschem Lachen. Die Spiegelneuronen sorgen in jedem Fall dafür, dass das Lachen der anderen uns ansteckt. Also lasst uns die Mundwinkel nach oben ziehen". Ein Dutzend Interessenten steht im Kreis und grinst angestrengt. Wir befinden uns am Königsplatz; das Sportreferat der Stadt München hat die Sportvereine eingeladen, sich den Bürgern vorzustellen. Messeatmosphäre unter freiem Himmel. 

"Suchen Sie sich jetzt einen Partner, begrüßen ihn per Handschlag und lachen ein falsches Begrüssungslachen". Ich nähere mich einer kleinen Senioren, packe ihr zartes Händchen und bezaubere sie mit hahaha-Kaskaden, Staccato und in abfallender Melodie. Sie grüßt glucksend zurück; die Situation ist seltsam surreal, ein milde berauschendes Rollenspiel. Wieder in Kreisformation lassen wir unsere Schultern kreisen und atmen tief ein und aus, Yoga halt. Jetzt klatschen wir rhythmisch "ho, ho, hahaha", und zwar im Takt von "Ho, Ho, Ho Tschi Minh", wie es bei den Studentenrevolten '68 skandiert wurde. Mir gefällt der Text; schön platt, das, und ich muss ernsthaft schmunzeln.

Die Yogalehrerin klärt über die vielen gesundheitlichen Vorzüge des Lachens auf, spricht von "Glückshormonen", verrät, dass sie auch als Referentin für Firmenveranstaltungen gebucht werden kann und garniert alles mit kleinen Witzchen à la "Lassen sie ihre Rucksäcke einfach im Zelt; wir verkaufen nur die teuersten, hahaha". Oder: "Leider kann ich ihre Sorgen nicht verschwinden lassen, sonst wäre ich schon Millionärin, hoho". 

Immerhin kann man die Sorgen mit den Händen fangen, ähnlich einer Fliege, und diese unter hämischen Hahahas kleinreiben und anschließend wegpusten, hihi. Auch gut: Man geht ins Badezimmer, stellt sich vor den Spiegel und lacht sich an. Das aktiviert die Spiegelneuronen, haha. "Ob sie lachen oder nicht, ist immer ihre Entscheidung; auf jeden Fall haben wir unser Lächeln immer dabei" referiert die Yogalehrerin weise. Und das Atmen nicht vergessen! Tieef einatmen!

"Lachyoga gibt es seit 27 Jahren". Echt? Hätte auf ein weit höheres Alter getippt - vielleicht 600 Jahre. Nun denn. Zum Abschluss lädt sie zu einer Lachwanderung ein. Was das sei? "Wir gehen, bleiben stehen, lachen gemeinsam, gehen weiter, lernen uns kennen". Hihi. Bin interessiert. 


Sonntag, 2. Juli 2017

Pharisäer am Vormittag

- und die Lider werden schwer. Als ich klein war, erklärte mein Papa, wie dieses Getränk entstand: In Nordfriesland war ein Pastor erbost, dass in seiner Gemeinde so viel gesoffen wurde. Die listigen Friesen versprachen, zukünftig nur noch Kaffee zu trinken. Allerdings veredelten sie diesen mit Rum, und damit dieser nicht erschnüffelt werden konnte, kam eine Sahnehaube drüber. Bei einer Taufe entdeckte der Pastor den Schwindel und beschimpfte seine Schäfchen als "Pharisäer" - dies waren im Neuen Testament die konservativen Frömmler, Gegenspieler Jesus', welche für die christlichen Kirchen fortan Symbole der Heuchelei wurden. Die Friesen beömmelten sich, und das Getränk behielt diesen Namen. 

Ein hochgeschätzter und -gebildeter Facebookfreund machte mich gestern Nachmittag darauf aufmerksam, dass die Bezeichnung "Pharisäer" weniger drollig als vielmehr beinhart antisemitisch sei und eigentlich nicht verwendet werden sollte. Zunächst wunk ich kopfschüttelnd ab, aber rein sachlich hat er vermutlich recht. Kann mir trotzdem kaum vorstellen, dass ich zukünftig schnöden "Kaffee mit Rum" bestelle. Die Kontroverse hat für mein Leben jedoch keine große Bedeutung, denn es ist eher unwahrscheinlich, dass ich überhaupt nochmal einen Pharisäer süffeln sollte, zumal vormittags. Mit Schlafzimmerblick lézardierte ich nämlich ganztägig, erschrak Bahnschaffner und Lufthansa-Personal mit aus dem Munde wehender Fahne und erklomm erst am Abend wieder die mir eigene Höhe. Pharisäer ist offenbar nicht mein Ding. Ich bestellte ihn ja auch nur aus Neugier, aus landeskundlichem Interesse. 

Zuvor waren wir per Flugzeug von Juist nach Norddeich übergesetzt, und der Pilot hatte mich angeschnauzt, wie ich denn darauf käme, dass er Klappräder transportieren würde. Ich verwies auf die Kurverwaltung, die ihr OK gegeben hatte; ein Wort gab das andere, und bald blaffte ich, dass ich ja keineswegs auf Juist auftreten müsse - zukünftig könne ich ja auch ganz einfach zuhause bleiben. Teresa als Oberbayerin meint, Norddeutsche seien grundsätzlich im Schnitt unfreundlicher als andere, und ich ärgere mich immer, wenn dieser Eindruck durch derlei Vorkommnisse gestützt wird. Vielleicht bin ich nach zwei Jahrzehnten am Alpenrand allerdings selber versüddeutscht, und ich erkenne den bärbeißigen Charme des Nordens nicht mehr als solchen. Womöglich ist momentan auch einfach das Wetter gar zu schlecht. 

Ach, ich leg mich wieder hin. 

P.S.: Zum versöhnlichen Abschluss hier ein Bild der sehr hübschen Sitzpolsterung in der Bremer Straßenbahn: