Freitag, 25. Januar 2019

Sport und Sütterlin



Nachdem ich am 8. Oktober 2000 erstmals eine Stunde gelaufen war, setzte eine unerhörte Dynamik ein. Quasi sofort drängte sich mir ein Ziel auf, unwiderstehlich wie die Sirenen für Odysseus: Marathon! Durch Ratgeberlektüre machte ich mich mit den wichtigsten Trainingsprinzipien vertraut, zB mit der sogenannten Zyklisierung (auf drei Wochen Steigerung des Trainingsumfangs folgt eine Erholungswoche) oder mit dem Prinzip der Superkompensation (jeder Trainingsreiz schwächt zunächst den Körper und veranlasst ihn nach einer Weile, sich für den folgenden Reiz zu wappnen, etwa, indem er Kohlehydrat-Reserven anlegt. Diesen Mechanismus gilt es zu nutzen). 
In wenigen Wochen trug ich eine umfangreiche Spezialbibliothek zusammen. Besonders ins Herz schloss ich den Universalschmöker „Marathontraining" von Manfred Steffny sowie eine etwas abseitige sowjetische Forschungsarbeit zum Thema „naive Enspannungstechniken", erworben in einem Leipziger Antiquariat. Mit diesem Begriff bezeichneten die Sportwissenschaftler der Breschnjew-Ära all jene Regenerationsmethoden, deren Wirkung nicht wissenschaftlich erklärbar sind, also zB Fernsehen, Zwiebelschneiden oder Teddys knuddeln. 
Bereits in der ersten Woche meines neuen Sportlerlebens führte ich Trainingstagebuch, in das ich gewissenhaft eintrug, was ich trainiert hatte, wie lange, wie intensiv, bei welchem Wetter und mit welchem Befinden. Etwas später, nachdem ich mir einen Pulsmesser zugelegt hatte, ergänzte ich die täglichen Einträge um meinen Ruhepuls (morgens liegend gemessen), und bald notierte ich auch die Anzahl der gerauchten Zigaretten. Hui, waren das damals viele. Heute, im Zeitalter der vielen Fitness-Apps, wird die Dokumentation ja weitgehend automatisch erledigt und ins Netz gestellt. Damals, im Spätherbst 2000, gab es noch keine Smartphones und man musste alles selber machen. Heutzutage sehe ich die Bürokratisierung des Körpers eher skeptisch, aber meinerzeit liebte ich die tägliche Tagebuchschreiberei, deren besonderer Reiz darin bestand, radikal ehrlich zu sich selbst zu sein. Klingt banal, war aber spannend. Heute ist diese Ehrlichkeit eher unausweichlich, wenn man sich nämlich einer Fitness-App anvertraut - so unausweichlich, dass man fast schon wieder Lust hätte, den unbestechlichen Big Brother im Handy zu foppen. 
Im Dezember 2000 lief ich erstmals zwei Stunden, mein Ziel fest im Visier: Ich wollte Marathon laufen und hatte für mein Debüt den Lauf in Winterthur auserkoren. Stichtag: der 20. Mai 2001. 
Auch heute noch bin ich begeisterte Dokumentarist meiner sportlichen Aktivitäten, allerdings mit anderem Schwerpunkt. Zum Vergleich werfen wir einen Blick in meinen Taschenkalender aus dem vorletzten Jahr. 17 Jahre nach meinem ersten Trainingtagebuch hat sich viel verändert: Inzwischen ist meine Handschrift auf Sütterlin umgestellt, denn neben dem Notieren der Einkaufsliste sind Tagebucheinträge eines jener wenigen Felder, die sich zum Einüben ungewöhnlicher Schriften eignen. Muss ja eh nicht jeder entziffern, was man in seiner Freizeit so anstellt. In diesem Fall dolmetsche ich gerne: Mit dem Tretroller war ich auf der Insel Sylt unterwegs, und in einer Urlaubswoche legte ich stattliche 234 km zurück. Zeiten und Tempi interessieren mich nicht mehr, mein Pulsmesser ist ausrangiert, und das Rauchen habe ich mir schon vor Jahren abgewöhnt. Was bleibt, ist der Spaß am Kilometersammeln. Und an der deutschen Schreibschrift. 


2 Kommentare:

  1. Sehr interessante Story, Wigald! Ich hoffe, es geht so noch sehr lange Dir damit gut, und Du hältst uns auf dem Laufenden!

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