Freitag, 1. Februar 2019

Venezia Klapp Solo Nonstop




Meine längste Klappradfahrt - und gleichzeitig meine längste Solofahrt überhaupt- führte mich im Juni 2015 von Garmisch-Partenkirchen nach Venedig. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob man alleine durch die Welt gondelt oder gemeinsam mit Freunden. Alleine kann‘s auch schon mal richtig bitter werden, wenn man sich schlapp fühlt und keine Schulter da ist, an der man sich ausweinen kann. Ok, heute gibt‘s Handys, und ich neige dazu, auf meinen Alleinfahrten mitten in der Nacht meine Frau anzurufen, und wenn die nicht rangeht, irgendwelche alten Bekanntschaften, Kollegen oder auch Leute, die ich gar nicht kenne. 
Los nachmittags in Garmisch, Wetter sieht gut aus: einer der heissesten Tage des Jahres, aber keine Gewitterneigung. Es geht über Mittenwald nach Innsbruck. Zirler Berg: Das ist eine steile Passstrasse hinab ins Inntal, für Fahrräder verboten, aber ich bin sie mittlerweile dreimal gefahren. Nachts besonders aufregend, weil man unten die Lichter der Großstadt sieht, vor sich nur den kleinen gelben Kegel der Fahrradfunzel, und ansonsten ist alles schwarz. Diesmal aber rolle ich tagsüber runter, mit ordentlich Karacho, damit ich, wenn die Polizei auftaucht, schon lange über alle Berge bin. Ich bin sonst gar nicht so‘n Verkehrsrowdy, aber wenn man von Garmisch nach Innsbruck will, gibts nur zwei Möglichkeiten: den Fernpass und eben den Zirler Berg. Auf dem Fernpass herrscht noch mehr Verkehr, und die Route ist unverhältnismäßig länger. 
Abendessen in Innsbruck, dann rauf auf die Brenner-Bundesstrasse, deren gleichmäßige, moderate Steigung sehr angenehm zu fahren ist. Immer wieder unterquert man die Autobahn und ihre gewaltigen Brückenbauwerke. Die Laune ist gut, die Nacht ist lau. Als ich an der Passhöhe ankomme, beginnt gerade die Geisterstunde. Viel ist hier um 12 nicht los, obwohl theoretisch  allerhand geboten wird. Es gibt hier oben sogar einen Puff! Mir reicht allerdings ein kleiner Unterstand mit einem Kaffeeautomaten. Blick aufs Navi: Ich habe mich für die kürzeste Route entschieden, deutlich unter 400 km, durch Gegenden, die mir völlig unbekannt sind. Hauptsache schnell da; ich will nämlich in Venedig den Nachtzug mit Schlafwagen erreichen, in dem ich ein Single DeLuxe-Abteil mit eigener Dusche reserviert habe. Fahrradstellplätze gab’s keine mehr - das war überhaupt der Grund, mit’m Birdy die Alpen zu überqueren; das Klapprad kann ich zur Not auch mit ins Bett nehmen. So. Austrinken und runter nach Italien.

Auf der breiten Bundesstraße wird man auch mit einem Westentaschenrad ganz schön schnell, und so sause ich wie ein Kugelblitz durch die Nacht, bis mich hinter Brixen die Polizei anhält und mit bösen Blicken auf den neben der Strasse verlaufenden Radweg schickt. Doof. Schmal und düster ist es hier. Als ich Bozen erreiche, haben dort noch die Tanzlokale auf, und Horden aufgedresster Halbstarker rauchen Fluppen auf der Strasse. Weg da! Ich will an die Adria! Kurze Rast an der Etsch; ich lasse aus Versehen einen Handschuh liegen. Bei diesem Bächlein...in der Nähe von...egal. Jedenfalls da. Ein pinker Latexhandschuh. Wer ihn findet, bitte melden. Danke. Dann gehts links einen steilen Berg hoch. Noch einen, mit garstigem, lauten Tunnel. Keine Schulter zum Anlehnen weit und breit. Ich rufe jemanden an, nachts um halb vier, eine verschlafene Stimme meldet sich, die Strasse wird noch steiler, ich fluche, keuche, brauche beide Hände am Lenker, lege auf. Zefix; ist das steil. Immerhin gehts irgendwann  runter. Und ich lese „Val di Fiemme" Ah, davon habe ich gehört! Da gibt‘s einen berühmten Skimarathon! Jetzt kommt der Knackpunkt meiner Tour: Ich habe mir zwar die kürzeste Route ausgesucht, aber die Kürze wird mit vielen Höhenmetern erkauft - denn auf mich wartet ab hier der Manghenpass. 40 km lang, 16% Steigung. 13 Kehren rauf, 10 runter. Ruhigen Trittes wuchte ich mich himmelwärts. Im Sitzen. Mein Birdy kann vieles, aber Wiegetritt (also: Fahren im Stehen) geht nicht. Da können sich die Speichen lockern, wie ich schonmal leidvoll gelernt habe. 
Es dämmert, und ich schwächele. Steige ab. Mampfe einen Riegel, recke die Glieder. Weiter zu Fuss. Ich schiebe mein Rad zur Passhöhe, und als ich oben ankomme, ist es taghell. Auf zum traditionellen Erinnerungsfoto mit Passhöhen-Schild. 2042 m bin ich hier über Normalnull, Triester Pegel. Hossa, sind da viele Aufkleber am Schild. Vielleicht auch so ein dubioses Ritual: So wir wir Kettenkumpanen das Schild fotografieren, so bekleben es andere. „Sticker Desease" ein Fachbegriff, den mein kürzlich verstorbener Interimsmentor, der Liverpooler Architekturprofessor David Dunster ersann.
Fotokontrolle: Der manische Irrsinn in meinem Gesicht ist gar nicht mal gespielt. Dafür implodiere ich während der Fahrt runter; allzu monoton läuten die Glocken der Kühe, und kein Auto weit und breit, das hupen könnte. Mehrfach falle ich in Sekundenschlaf. Gefährlich mit 60 Sachen auf einem kleinen Fahrrad! Bewährte Taktik: Nasenhaare ausreissen. Dann muss ich nämlich niesen und weinen und bleibe kurz wach. Aber allzu oft sollte man solche Fahrten nicht machen. Irgendwann hat der Schutzengel Ausgang, und dann..
Der Talort heisst Villa. Oder Castelnuovo, irgendwas in der Art. Schwer gähnend rolle ich ein, und es herrscht bereits brütende Hitze, schwitz. Als mich am Marktplatz eine Eisdiele anlacht, lache ich sofort zurück. Spaghettieis zum Frühstück- das lasse ich mir gefallen. Warum trage ich eigentlich diesen Skitourenhelm? Der hat zwar eine gute Beleuchtung, aber keine Lüftungsschlitze. Was soll‘s; irgendwas ist ja immer. Jetzt einfach immer am Ufer der Brenta entlang. Super Radweg, nur leider immer wieder wegen Bauarbeiten gesperrt, und um Umleitungen darf man sich selber kümmern. Glasigen Blicks studiere ich, was mein Navi empfiehlt. 40 km extra? Ich glaube, es hackt! Rauf auf die Strada Statale 47, eng eingezäumt von Leitplanken. Hier sind die Laster nicht so galant wie auf der B5, sie hupen dir ins Hohlkreuz und überholen mit einer Kinderhand Abstand. Testa di minchia! Faccia di merda! Also wieder runter ins nächste Kaff. Erstmal Spaghettieis. Und eine Cola zum Runterspülen, danke!. Vorteil der Eisdielen: Sie sind subarktisch klimatisiert, und mein Schweiss darf kurz antrocknen. Dann weiter, nach Bassano del Grappa. Ende der Alpen, ab jetzt Flachland. Ich werde immer langsamer, schleiche durch Käffer wie Castelfranco Veneto; es riecht nach Hochsommer und Schweinezucht. Immer zwei Stunden fahren, dann Helm ab zum Spaghettieis, dann weiter, so lautet die Parole des Tages. Später erfahre ich, dass es sich tatsächlich um den heißesten Tag des Jahres in Norditalien handelte, also perfekt für solche eine Spaghettieis-Verkostung (insofern ist „Nonstop" natürlich Quatsch mit Erdbeersoße). Ist ja schon doll, dass es Spaghettieis überhaupt in Italien gibt, da es doch 1969 in Mannheim erfunden wurde, und zwar von Dario Fontanella. 
Uff, was für ein langer Nachmittag. Schließlich: Mestre. Jetzt muss man nur noch die Auffahrt zum Damm finden, der Venedig mit dem Festland verbindet. Ich verfranse mich hoffnungslos, fahre mehrfach im Kreis. Fluche. Jammere. Suche Schultern. Wähle Telefonnummern. Esse Eis. Schließlich: Da ist er! Der Damm! Rüber!

Ich geniesse die lange Gerade, schwelge in Genugtuung. Der Kilometerstand, am Ortsschild: 411. Direkt hinterm Schild wartet eine Pizzeria auf mich. Das dichte Treiben auf der Strasse verstopft mein Sensorium; ich habe Mühe, die schweren Klimperklüsen offen zu halten und mir gleichzeitig den weichen Pizzalappen einzuverleiben - bin wohl schon auf Eis geeicht. Herr Ober, zahlen bitte!

Matt schiebe ich mich und mein Rad rüber zum Bahnhof. Jetzt kommt die Belohnung: Erster Klasse Schlafwagen, (neben Klapprad) die beste Reisemethode der Welt. Solange noch einige wenige Schlafwagen durch Europa rollen, gehen mir die Ziele für meine Klappradtouren nicht aus. 



1 Kommentar:

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