Freitag, 28. Juni 2019

Hüttenglück


Weiterhin bin ich auf der Suche nach einem Tagesanbruchsritual in Form einer täglich murmelnden Wanderung. Es stehen bereits: Links an den Freisinger Nachbarn vorbei bergauf, am Steinmandl halbhalblinks, um die Schulter herum, dann auf bestem (aber nicht markiertem) Weg mit Blickrichtung auf den Rifflerkogel. Bei markanter Baumgruppe scharf rechts, steil bergauf, wieder links, zwischen Kuppe und See (verlockend bei über 30 Grad; noch schwimmen allenthalben Eiswürfel). An der Kühsteinalm steil bergauf zum Schartenjoch. Auf dem Kamm entlang zur Speikspitze (wo man, wie Börnie vorschlägt, einen Flachmann verstecken könnte), zurück zum Schartenjoch und runter zur Brunnalm. Ja. Hier bin ich noch auf einer Suche nach einer Abkürzung, die auf alten Karten gepunktet eingezeichnet ist, aber bei meinen Erkundungen schreckte ich vor allem viel Wild auf. Der Rückweg auf dem Kammweg nordwärts (auch er in alten Karten angegeben) endete im steilen Bergwald. 

Der Star ist der Kamm: Totaler Überblick, es locken Mannskopf und Kapaunsalm, blühende Alpenazaleen und Gendtners Alpenmohn, wenn mein Blumenbestimmungsbuch nicht lügt. Ferner stehen dort mehrere fein aufgeschichtete Steinhaufen, ähnlich wie die Nuraghen in Sizilien - so stelle ich mir sie jedenfalls vor. 







Frühstück um halb neun. Jetzt im Sommer ist das Leben hier der pralle Luxus: Die Speisekammer ist voll, die Kuhglocken bimmeln, auf der anderen Seite des Zillertals reflektieren die Dächer der Seilbahnbergstationen die Morgensonne. In der größten von ihnen begegnete ich eines Winters Sasha. „Was machst du denn hier?". 

Am Spätvormittag kommt unser netter Verpächter mit seinem Onkel und dessen Frau. Wir kredenzen unseren kärglichen Pflaumenkuchenrest und reden über Gott und die Welt. Franz hat Obstler mitgebracht, ein feines Tröpfchen. „Die Kühe sind auch nicht mehr das, was sie mal waren!" winkt der Onkel ab. Alle verwöhnt und verzärtelt. Eintopf wird aufgetischt, Fliegenschutz vor die Tür geschraubt, die herabhängende Markise mit einem schmucken Stützpfeiler versehen. 

Dann fügt Angela zu den Themen Gott und Welt die Politik hinzu. Flüchtlingskrise. Ist sie wahnsinnig? Gaanz dünnes Eis! Afrika. Alle retten geht nicht. Kollateralschäden für Europa. Kurz? Ein Guter. Uff, Thema durch. Mit Franz verabrede ich mich zum Wandern im August. 




Unsere Rosenheimer Vorgänger waren mal drei Wochen hier, die Nachbarn oben schaffen nur eine, wie sie freimütig bekennen. Man kann eben nicht „mal eben in den Supermarkt". Und Amazon fällt auch flach. Meine Liste mit Dingen, die im August vonnöten sind, sein könnten, wird immer länger. Vor allem sollte die Bibliothek weiter ausgebaut werden. 

Überraschung des Tages: Milch direkt von der Kuh schmeckt gar nicht soo anders als handelsübliche Vollmilch. Ich hatte mit einem deutlichen Unterschied gerechnet, wäre aber nicht einmal sicher, ob ich im direkten Vergleich zuordnen könnte. Kann natürlich sein, dass meine Papillen schon altersbedingt abgestumpft sind. Klar. 

Am Abend staunen wir über den Abendhimmel. Das Band der Milchstraße, hurra; ich traue meinen Augen kaum. Ja, eine richtige Kamera muss auch her. Mit Stativ. Einstweilen ein Abendblick nach Westen: 









Dienstag, 25. Juni 2019

Auf der Alm...



Wir haben gestern geheizt. Meine Frau fand es abends etwas kühl, und zudem mag sie das Knistern und Knacken des Holzes. Heute nun, als in der Mittagszeit alle Welt satte 40 Grad beschwitzte, heizten wir erneut ein, nämlich zum Backen eines Pflaumenkuchens à la 1850. 






Zunächst zog der Ofen nicht, womöglich war es auch dem Rauch zu heiß in der prallen Sonne, er weigerte sich, auch nur in Schornsteinnähe zu ziehen, doch schließlich gelang der Kuchen doch. Den ganzen Nachmittag pendelte ich hochkonzentriert zwischen Schür- und Knethaken und schwitzte dabei wie ein Dampflokheizer in der Bagdadbahn. 

Am sehr frühen Morgen (5 Uhr irgendwas) war ich um „unseren“ Berg herumgelaufen, ohne störende Altschneefelder (das war vor einer Woche noch völlig anders, als ich adrenalindurchsotten über tiefgefrorene Hänge balancierte). 

Melde: Speikspitze problemlos erklommen, arkadisches Terrain.




Die Kühe sind zZt nachts auf der Alm, tagsüber stehen sie im Stall, mit an der Decke festgebundenen Schwänzen. Hansel melkt am Nachmittag; unseren Kuchen verschmäht er. 

Angela kommt vom Tegernsee herbeigeradelt, kettet ihr Rad an eine der Pistenraupen am Parkplatz, stiefelt dann zu uns herauf und isst mit uns Eintopf und Pflaumenkuchen.





Hängematte montiert. 12 mal den Kopf an der tiefhängenden Markise gestoßen. Handstaubsauger als effiziente und tierfreundlichste Bremsenbeseitigungsmethode entdeckt.  

Theo spielt mit einem unserer Wasserbottiche oder räumt Holzkisten aus. Gerade bei letzterer Tätigkeit gelangt er in ernsthaften flow. Geht auch mit Mamas Koffer. 

Gerade sind Teresa und Angela draußen und bewundern die Ziegen, die soben zu den Kühen auf die Alm stoßen. Theo schläft. Ich auch gleich. Morgen wieder früh raus, auf die Speikspitze und evtl anschließend auf den namenlosen Gipfel nebenan. Du liebe Güte, ist das schön hier! 


Dienstag, 18. Juni 2019

Deutsche Flüsse (46): Donau



Die Donau kann man nicht ernst nehmen:

Sie faulenzt dahin, lässt sich treiben.

Bei einem Gegenstand bleiben? Nein.

Dafür fehlt ihr der sittliche Ernst. Schämen


sollte sie sich, aber gründlich!

Alle arbeiten: die Wärter der Schleusen,

die Donaufischer mit ihren Reusen;

die Fährleute queren sie stündlich,


hagere Bauern mit klapprigen Mähren

pflügen und eggen am Ufer das Feld. 

Was lebten wir in einer fleißigen Welt, 

wenn diese stinkfaulen Flüsse nicht wären.





Samstag, 15. Juni 2019

Auf Bremens höchsten Berg



Die höchste (natürliche) Erhebung des Landes Bremen (von „Berg" mag man hier nicht wirklich sprechen), befindet sich im Friedehorstpark im Ortsteil Lesum, also in Bremen-Nord: 32,5 Meter über Normalnull, und damit abgeschlagen auf dem letzten Platz unter den Sixteen Summits der deutschen Bundesländer. 
In den einschlägigen Foren wird er als Geheimtipp gehandelt, denn er ist der einzige Höhepunkt, auf den nicht mit Gipfelkreuz, Stein, Hütte, Plakette oder sonst wie hingewiesen wird. Hanseatische Bescheidenheit? Oder der klammen Kasse des Senats geschuldet? Nichts wie hin zum Ortstermin. 



Mag der (bezeichnenderweise namenlose) Berg der kleinste sein, so wird dafür meine Anfahrt die längste: Morgens um 5:15 besteigen mein Faltrad und ich die Hafenfähre „Reeperbahn" an den St. Pauli Landungsbrücken und lassen uns über die Elbe nach Finkenwerder schippern. Am frühen Vorabend war ich mit dem Kollegen Hirschhausen in Pilawas Quizduell zu Gast (gewonnen!), und ich durfte mit Alsterblick übernachten - darum ist Hamburg Ausgangspunkt der heutigen Expedition. 

Von Finkenwerder aus radele ich nach Buxtehude und auf eher ereignisarmen Radwegen weiter nach Zeven. Dort kehre ich im Ratscafé zum Kaffeetscherl ein, mit Blick auf den Takko-Markt. 




Es gibt gewiss viel schönere Wege von Hamburg nach Bremen, allen voran den offiziellen Radfernweg, aber zum einen möchte ich mittags bei Muttern in Oldenburg sein, und für eine echte Bummelei fehlt mir die Zeit, zum anderen handelt es sich bei dieser Strecke um eine Traditionstour. Regelmäßig, am liebsten einmal pro Jahr, befahre ich diese Route, einmal sogar zT mit meinem verehrten Sportfreund Uwe Weist, und als Konservativer ändere ich nur im Notfall die Fixpunkte meines Sportkalenders. 

Hinter Zeven passiere ich die namensstarken Ortschaften Hipstedt und Ostereistedt. Hinter Tarmstedt rechts durchs Teufelsmoor, dann quer durch Worpswede, das berühmte Künstlerdorf. 

Dass man eine betont öde Gegend bewohnt, um sich bildnerisch in ihrer Trostlosigkeit zu spiegeln - das macht ja heutzutage niemand mehr. Die Instagrammer gieren alle nach Berlin, Dubai und Co. 



Paula Moderson-Becker hätte womöglich auch Instafame gesammelt, aber, nun ja, mit ganz anderen GIFs. Die Blattstrünke in heutigen Selfis gehen ja zumeist eher in diese Richtung: 🌿



Jetzt wird die Landschaft pittoresk. Weite Horizonte, viel Entengrütze in den Kanälen. An Ritterhude vorbei in die Freie Hansestadt. Der Friedehorstpark ist per Komoot schnell zu finden, nach 115 km Anfahrt. Rein in den kleinen Park und staunen. Tatsächlich, da ist nichts, was man für eine Bodenerhebung halten könnte. Eine Baumgruppe etwa da, wo Spezialseiten den Gipfel verorten, davor ein Brennesselnest. 



Ja, das könnte es sein. Die pieksige Brennessel als wehrhafter Wächter des Tors zum Himmel. Könnte. Kaum zu fassen, dass man derlei nicht anständig markiert. Bremen, so behauptet jedenfalls mein Papa gern, habe eine der größten Sektionen des DAV. Also, liebe Bremer Alpinisten, erklärt Euch, mir, warum man den Peak mühsam suchen muss. Interessiert mich wirklich! Da baut man in Bremen gernegroße Groschengräber wie den Space-Park, und die echten Attraktionen, vom lieben Gott für umme in den (Earth-)Park geworfen, versteckt Ihr Bremer geradezu. Oder gibt es hier gar keinen „höchsten Punkt"? Alles gelogen? Nein, meine Quellen sind seriös (Internet).
Um auch ja nichts zu verpassen, radle ich kreuz und quer über alle Wege. Stattliche Bäume wachsen hier. Klar, wir sind ja auch jenseits der Baumgrenze - von oben gesehen. 



Mit gemischten Gefühlen („I did it"-Gipfelglück, verquirlt mit dem Gleichmut des Desillusionierten) verlasse ich den Friedehorstpark wieder und rolle rüber nach Vegesack zur Weserfähre. Ehe wir ablegen, darf ein Seeschiff Richtung stadtbremische Häfen passieren - eine Besonderheit heutzutage. Die meisten haben schon in Bremerhaven keine Puste mehr oder steuern gleich den Jade-Port, Hamburg oder Rotterdam an. Auf der Oldenburger Seite pette ich am Deich entlang, komme zu einem Strandkorb, der mit einem Pappschild versehen ist, auf dem „Pause" steht. Würde gerne, will aber ins Elternhaus, das ich, nach Linkskurve in Berne und Endspurt durch hochsommerliche Mittagshitze, um kurz vor zwei erreiche. 153 km und ein, äh, Berg. Tolle Tour!  

Donnerstag, 13. Juni 2019

Seltene Erden (5): Kondensat



Die beiden großen Beiträge der nordamerikanischen Indianer zur Weltkultur sind: Kraulschwimmen und Rauchen. Mit dem Erkalten der Glimmstengel bleibt fürderhin nur noch das Kraulen übrig. Schade. 


Meine persönliche Raucherkarriere begann am 14. Januar 1983, sechs Tage vor meinem 16. Geburtstag. Mit der Band KIXX absolvierte ich mein erstes Konzert, und zwar im Jugendzentrum Papenburg. Für die Zugabe erklomm ich eine Getränkekiste und blökte auf dem Altsaxophon eine punkige Fassung der deutschen Nationalhymne. Nach dem Gig ließ ich mir erklären, wie man mit Filterpapier und Halfzware Shag eine Zigarette bastelte. Das frisch erworbene Wissen belohnte ich umgehend mit meiner ersten Selbstgedrehten - Heerscharen glühender Kämpfer an der Hustenfront sollten folgen. Für unser erstes Konzert kassierten wir übrigens eine Gage von DM 400,-. Auf dem Heimweg im babyblauen Opel Kadett unseres Schlagzeugers ging der Wagen kaputt. Ein zufällig vorbeikommender Bauer erklärte sich nicht nur bereit, uns abzuschleppen, sondern auch, das Auto zu reparieren, und die Reparatur kostete genau DM 400,-. Wie gewonnen, so zerronnen, wie Donald Duck zu sagen pflegte - eine Lektion fürs Leben.


Ich rauchte also gerundet vom 16. bis zum 44. Lebensjahr und müsste in diesen Jahren mindestens 100.000 Zigaretten vertilgt haben. Jetzt, da ich dies notiere, ärgere ich mich etwas, dass ich nicht von Anfang an mitgezählt habe - ein Fest zu Ehren meiner 100.000sten Zigarette wäre nicht unulkig gewesen, mit Freitabak für alle Festgäste, dem Sensenmann als Stargast und einer Tombola. Hauptpreis: Eine Reise auf die Plantagen in Reval, Trostpreis: Eine Dauerkarte im Hallenbad (weil: Kraulschwimmen und Rauchen schließen sich aus. Schlaue Leute, die Indianer). 


In Friedenszeiten ist das entschlossene Dauerrauchen eine der besten Gelegenheiten, anderen, aber vor allem sich selbst, die eigene Heroentauglichkeit zu beweisen: Der Raucher raucht, komme, was wolle, solange das Zwerchfell ein Inhalieren ermöglicht (der Beitrag der Lunge ist nebensächlich). Ich kenne einige baff machende Heldengeschichten, etwa jene meines Freundes J., der sich nach einem schweren Herzinfarkt selber ins Krankenhaus kutschierte, auf dem Weg jedoch erstmal einen Zigarettenautomaten ansteuerte, um ein paar Päckchen Marlboro zu erwerben. O-Ton J.: „Woher sollte ich denn wissen, wie lange ich im Krankenhaus bleiben würde?! Da geht man doch lieber auf Nummer sicher."


Meine eigene Raucherkarriere endete unspektakulär mit einer Erkältung. Nach einer verschleimt-fiebrigen Woche ließ ich’s einfach bleiben, und zu meinem größten Erstaunen ereilte mich seither praktisch nie das Verlangen, wieder anzufangen. Durchschnittlich einmal im Jahr träume ich, dass ich in irgendeiner zugigen Ecke stehe und frierend an der Kippe sauge. Da spukt also noch irgendwas im Hinterkopf, aber im Wachzustand denke ich nie dran. 


Den Siegeszug der E-Zigarette kapiere ich nicht. Sie riecht nach Pups und hat - nicht unpassend - die Aura eines verschossenen Arschgeweihs.


Kondensat, dies gebe ich gerne zu, ist unter den elaborierten Teeren eine Spezialität. So wie Onassis die Bar seiner Yacht angeblich mit Hockern möbliert hatte, die mit der Vorhaut von Bartenwalen bespannt waren, so werden die Superreichen der nahen Zukunft ihre Privatstraßen mit Fahrbahnbelägen aus einst inhalierten Asphalten ausstatten. Jahrgangsteere. Sortenreiner Virginia. Oder exhumierte Rauchrückstände von Prominenten, etwa Georges Perec, Ben Webster oder Helmut Schmidt. 


Und als Fahrbahnbegrenzungspfähle empfehle ich überdimensionale Zigaretten. Sehen ja eh ganz ähnlich aus. 

Mittwoch, 12. Juni 2019

Seltene Erden (4): Slime



Im hohen einstelligen Alter öffnete ich eine apfelshampoogrüne, miniaturisierte Mülltonne. In ihrem Innern steckte eine gleichfarbige, klebrige, halbflüssige Substanz, deren Einsatzmöglichkeiten ebenso diffus wie divers waren: Man konnte die Weichknete von der Schwerkraft in die Länge ziehen lassen, die Haare der Schwester besudeln und - nein, an weitere Funktionen erinnere ich mich nicht. „Slime“, so hieß die geheimnisvolle Substanz, wurde in Fernsehwerbespots beworben, an deren Ende jemand auf einen großen Gong haute, während eine martialische Stimme „von Matell“ deklamierte. 

Aus derselben Spieleschmiede stammte auch das „Spiel des Lebens“, mit dem ich hunderte Stunden auf einem Bastteppich im Zimmer meines Nachbarn hockte und dem ich alle wesentlichen Vorbereitungen auf meinen weiteren Weg verdanke. Auf dem Bastteppich erfuhr ich, dass Hochzeiten mit Geschenken verbunden sind, Lottospielen lohnt und, vor allem, so’n „Leben“ enorm lang sein kann. Es zieht sich mitunter wie Slime, um auf diese merkwürdige Substanz zurückzukommen, die unter anderem aus Borsäure (Bild) besteht und während des Spiels damals weit mehr Bor absonderte, als in der EU heute erlaubt ist. 

Ich, der ich zur ersten verslimten Generation gehöre, müsste eigentlich schwere Gesundheitsschäden davon getragen haben, womöglich sogar tot sein. Dass ich noch lebe, verdanke ich wahrscheinlich der ausgleichenden, das Dasein dehnenden Kraft des „Spiel des Lebens“. 

Die Lebensdauer des Homo ludens kann man womöglich als Summe seiner spielerischen Aktivitäten begreifen, minus und plus, und ganz zum Schluss drückt Gott auf den größten Knopf seiner Registrierkasse, das Resultat erscheint, und wir hören, komprimiert wie aus einem verschneiten Nordmende-Portable mit drei schwarz-weißen Programmen, den finalen Gong. 

Dienstag, 11. Juni 2019

Seltene Erden (3): Blasenstein



Alle Adern ausgebeutet, alle Böden durchgesiebt. Diamanten konnten schon damals, im 21. Jahrhundert, künstlich hergestellt werden, und was heute nicht synthetisiert werden kann, wird recycelt. Nein, Bodenschätze sind démodé; Bergwerke werden nur zu touristischen Zwecken unterhalten, als Escape rooms. Das große Ding der Jahrhundertwende sind: Blasensteine. 

Große Exemplare sind begehrt als Schmucksteine (etwa als Augenweide, also in der Iris), aus kleinen lassen sich individualisierte Displays und Mangiotheken fertigen. Für Weltenbürger ohne Zugang zu KI oder WI (wohltätige Intelligenz), dafür mit der passenden Veranlagung, ist eine purinreiche Spezialdiät, unterstützt durch Power-Enzyme, die auf den Bargeldmärkten überall angeboten werden, ein gangbarer Weg zu Ansehen und Wohlstand. 

Ist der Blasenstein groß genug, wird er von Mineralienhändlern auf den Messen in Antwerpen oder Xi‘an verkauft. Ein Exemplar der ersten Güteklasse entspricht einem (alten) Emissionszertifikat, mit anderen Worten: Der Spender hat ausgesorgt, von der fälligen Belobigung durch die Loge der weisen Rechenmaschinen ganz abgesehen. 

Ein Problem ist höchstens die rationierte Operationskapazität: Vor den Toren Xi’ans, bis hinein in die Wüste Gobi, warten Abermillionen auf ihr Date mit dem OP-Roboter. 

Weitsichtige Eltern lassen ihren Kindern bereits während der Schwangerschaft die Blase durch ein widerstandsfähigeres Kunstorgan ersetzen, damit die Mineralienzucht schmerz- und komplikationsfrei abläuft. Meine eigene Blase ist aus recyceltem Neopren - ganz was feines. Einen Stein von mir könnten Sie womöglich schon mal gesehen haben: Ludmilla (₩•₽•¥°), ja, die „Gletscherfrau aus Gibraltar", trug ihn neulich im linken Auge, von innen senfgelb beleuchtet. Ja, das war meiner. 

Da staunen Sie, was? Zurecht! 

Montag, 10. Juni 2019

Seltene Erden (2): Modder



Die Mutter aller Matsche ist der Modder.

Unterfüßig blasiges Gequatsche ist Indiz

auf diesen Mix aus Mineral und H2O.

Für den Bau von Handys ist der Modder

wenig unverzichtbar - als Alternative für

den Fall ins Klo ist jener in den Modder

aber gut: Gern verstopft er Buchsen,

arbeitet sich über die Platinen. Telefonen, 

die noch eben brauchbar schienen, 

schwinden Rechenkraft und Lebensglut.

Fortan muss der User selber rechnen,

Landkarten entfalten, Handschriften

gestalten, händisch Knie umschließen, 

Liebespfeile schießen, Passionsfrüchte 

gießen, Lebensbünde schließen.

„Blauer Planet"? (ei, wie abgedroschen):

Eine Beleuchtungsfrage. Ist die Sonne 

erst verloschen, dominiert das Moddergrau.

Effizient und ehrlich wie einst Katsche:

Modder - die Mutter aller Matsche. 





Samstag, 8. Juni 2019

Seltene Erden (1): Vogelsand



Der Sittich braucht für seine Wonne 

nicht nur Jod S-11 und Sonne, einen

Plastik-Badetiegel sowie einen 

Glockenspiegel, nahezu entscheidend 

ist nicht nur, was der Piepmatz frisst, sondern

wie er seibt und sitzt, ob der Sand am

Käfiggrunde für Geflügel kerngesunde

Mineralien enthalte, auf dass dieser seine

Flügel möglichst lange froh entfalte. 


Der beste Vogelsand ist fein und offenbart

im Lampenschein seine Herkunft aus dem

Meer. Muschelkalk und Oktopus, 

Haifischflosse und ein Schuss Korallenbein,

Krallenhorn vom Tiefseeschwein, feingerieben,

dann durch mehrmaliges Sieben von

allem befreit, was stört (Störe sind jedoch

erlaubt). Vorher schon entlaubt und frisch

gewaschen, landet in der Siebe Maschen, 

was dem Vogel schaden könnte: 

Joghurtbecher, Badeente, Gabel, Messer,

Dreizack, Forken, alte Autos, Kronenkorken.


An geschulten Mustervögeln wird das 

Endprodukt getestet: Wird der Bird vom

Sand verpestet? Gibt‘s an seinem Schnabel

Schäden, lässt der Farbton jeden Tag

aufs neue unsere Vögel leben, lachen, 

unsere treuen Freunde werden?

Wie sieht‘s aus mit Krankheitsherden: 

Federmilben, Vogelmumps; macht der 

Sittich vorschnell plumps, wenn er infizierte

Sande frisst? Ist der Vogelrüde müde, wird

die Eierschale weich? 


Unlängst ließ ein Saudi-Scheich 

knapp 300 Vogelkundler forschen, 

ob das Schuppenkleid von Dorschen,

hocherhitzt und dann zerstäubt, Vogelflöhe

erst betäubt und ihnen dann den Atem raubt.

Das Ergebnis: Leider nicht, aber man glaubt, 

gleichsam durch Zufall, ein Mittel gegen

Vogelgicht ganz nebenbei entdeckt, ohne

dies bezweckt zu haben. Für Sittichzecken,

apropos, sind elaborierte Sande No-Go-Areas,

imstande, jeden dieser Plagegeister wie ein

unflüssiger Kleister dingfest zu fixieren.


Beste Sande zieren Austernbruch mit Perle, 

auf das unsere bunten Kerle auf der Stange 

möglichst lange flattern, schweben, zwitschernd

sagen: JA zum Leben!





Deutsche Flüsse (45): Hunte



Im Traum bereitete ich mich mit viel Larifari auf einen Sprung von der Cäcilienbrücke vor. 

Es war ein düsterer Spätherbstabend, als ich zur Vorbesichtigung das Osternburger Ufer inspizierte. Mit einer vollbärtigen Kamerafrau (Handy) vereinbarte ich einen gereckten Daumen als Startzeichen, und umständlich begrübelte ich die Frage, wo ich meine Brille während des Sprunges verstauen könnte. Zunächst entschied ich mich für eine Skijacke, kam dann aber wieder hiervon ab, weil diese das Schwimmen erschwert hätte. Stattdessen lieber Kontaktlinsen? Sportbrille aus Kork oder gar aufblasbar? Unschlüssig besah ich mein Spekuliereisen. 

Als Absprungstelle schwebte mir das Kabuff des Hebewarts in der Brückenmitte vor. 

Einen Platz, von dem aus ich wieder an Land gehen können würde, fanden wir nicht. 

Am Ende des Traumes war es duster, Eisschollen trieben die Hunte hinab, und meine Sprunglust wich phlegmatischer Sofasehnsucht. 

Mittwoch, 5. Juni 2019

Wie die ÖBB ihre deutschen Kunden abzockt.

Verehrter Herr Stein, 

bitte stellen Sie sich für einen Moment vor, Sie seien der betroffene Kunde: Sie erwerben online bei einer Partnergesellschaft der ÖBB ein Ticket für eine Ihrer Strecken und stellen fest, dass der beabsichtigte Radtransport online nicht hinzu gebucht werden kann. Also spazieren Sie zum nächsten Bahnhof, in diesem Fall Landeck-Zams, und erhalten dort die Auskunft, dass ein Platz fürs Fahrrad von Landeck-Zams aus nicht reserviert werden könne, wohl aber am Schalter in Rovereto, kurz vor Fahrtantritt. 

Was würden Sie tun? Wahrscheinlich würden Sie sich auf die Information des Kollegen verlassen und frohen Mutes die geplante Radtour über die Alpen absolvieren. In Rovereto angekommen, gehen Sie zur Biglietteria und erfahren von der Dienst habenden Mitarbeiterin, dass diese Ihnen aus technischen Gründen leider keineswegs Ticket und Reservierung für das Fahrrad verkaufen könne, da man nach dem Umstieg am Brenner in einem Zug der ÖBB unterwegs sei. Nach ihrem Dafürhalten wäre es am schlauesten, sich am Schalter in Bozen zu informieren. Gerne verkaufe sie aber eine Fahrradkarte für den italienischen Teil der Strecke. Was würden Sie tun? 

Wahrscheinlich würden Sie verfahren wie wir: dem Rat der Fachfrau folgen, ein Teil-Ticket kaufen und sich auf den Weg nach Bozen machen.

Am Schalter in Bozen erfahren Sie, dass man von diesem aus keinen Zugriff auf die Reservierungen für das Fahrradabteil habe, aber die Kollegen im Zug seien gewiss bereit, Ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen - das sei ja schließlich Ihre Aufgabe. 

Ein mulmiges Gefühl beschleicht Sie: Offenbar ist nicht auf alle Ratschläge der Transportfachleute Verlass. Was tun? Das Fahrrad vorsorglich vorm Bahnhof an eine Laterne ketten, salutieren und alleine weiterreisen? Natürlich nicht! Sie unterdrücken das mulmige Gefühl, besteigen mit Ihrem treuen Drahtesel den Zug und fahren weiter zum Brenner. Der italienische Kollege stempelt Ihr Ticket ab und rät Ihnen auf Nachfrage in freundlichem Ton, in Anbetracht der kurzen Umsteigezeit nicht den Schalter aufzusuchen, sondern sich auf der Weiterfahrt vom Brenner nach Innsbruck an den austriakischen Zugbegleiter zu wenden. Dieser stelle Ihnen gewiss eine Fahrradkarte für den Rest der Strecke aus. 

Erneut frage ich: Was würden Sie, verehrter Herr Stein, tun? Mangels Alternative würden Sie dem Rat des Schaffners folgen. Umstieg im Laufschritt, Weiterfahrt nach Innsbruck. 

Und dann passiert folgendes: Sie adressieren beflissen den Schaffner, um Ihren guten Willen, Ihre unbedingte Zahlungsbereitschaft zu demonstrieren, tragen die Geldbörse bereits in der Hand und ein Lächeln im Gesicht. 

Zu Ihrer großen Bestürzung werden Sie vom unangenehm unfreundlichen Zugbegleiter aufgrund der fehlenden Radreservierung der Schwarzfahrerei bezichtigt und zur Zahlung eines erhöhten Entgelts in Höhe von 135 € aufgefordert. Was würden Sie, verehrte Herr Stein, hierauf sagen? Womöglich würde es Ihnen, wie im vorliegenden Fall uns geschehen, schlichtweg die Sprache verschlagen, weil Sie seit dem Besuch des Bahnhofes in Landeck aufs Peinlichste darauf bedacht waren, eben just diesen Fall zu verhindern; im Gegenteil, Sie wollten Ärger vermeiden, alle notwendigen Tickets und Reservierungen redlich erwerben, dachten nicht im Traum daran, sich eine Beförderung zu erschleichen! Franz Kafka lässt grüssen. 

Wissen Sie, in Deutschland sind wir viel Kummer mit der DB gewohnt - deren Züge sind oft unpünktlich, die Qualität verfügt über, nun ja, Optimierungspotential. Vielleicht ist es ja lediglich einem blöden Zufall geschuldet, dass der vorliegende, unzweifelhaft skandalöse Fall ausgerechnet in einem Zug der ÖBB stattfand, jedenfalls würden mit Sicherheit auch Sie von Wut gepackt werden und im Geiste geharnischte Beschwerdebriefe vorformulieren, die Sie - zugegebenermassen etwas boulevardesk, aber inhaltlich korrekt-  „Wie die ÖBB ihre Kunden abzockt!“ betiteln. 

Schade, dass Sie meinen Appell an Ihre Kulanz abgelehnt haben. 

Ihre ebenso verständnislosen Worte von der Stange, Ihr beunruhigender Mangel an Empathie für Ihre Kunden schlagen dem Bahnhofsvorsteher die Trillerpfeife aus dem Mund, wie wir Piefkes zu sagen pflegen. 

Gerne hätten wir den Fall persönlich mit Ihnen besprochen, uns von Ihnen erklären lassen, worin unser Fehlverhalten eigentlich bestand. Jedoch ist eine fernmündliche Kontaktaufnahme mit Ihnen für den geneigten Kunden offenbar gar nicht erst vorgesehen - womöglich aus, lassen Sie mich raten: technischen Gründen. „Bitte verstehen Sie, dass es zu dieser Nachforderung keine weiteren Stellungnahmen der ÖBB-Personenverkehr AG geben wird“ - so schließt Ihr Brief. Grußformel 2.0.

Der Kunde ist König? Für die ÖBB sind Kunden vor allem Opfer - jedenfalls Radtouristen aus dem Ausland. 

Ich wünsche Ihnen, verehrter Herr Stein, dass Sie auf Ihren Reisen lebenslang ein glücklicheres Händchen haben als wir - gerade auch bei der Wahl des Sie und gegebenenfalls Ihren Sohn, Ihr Fahrrad befördernden Transportunternehmens. 

Und wenn Sie denn weiterhin darauf beharren, mir die Rückgabe meines Geldes zu verwehren, hoffe ich wenigstens, dass dieses in den Aufbau einer internationalen Taskforce investiert wird, die sich mit einer Harmonisierung der Reservierungsmöglichkeiten für Fahrräder im grenzüberschreitenden Verkehr beschäftigt. 


Wir hoffen, Ihnen und Ihrem Unternehmen ein wertvolles Feedback gegeben zu haben. 

Machen Sie was draus! 


Mit freundlichen Grüßen,

Wigald Boning & Cyprian Völker

Da Gruff



Gråsige Schrøften, tratziger Borscht

Gruckselndes Wibbeln, fibålnder Horscht

Macken mog muh putu, hacken Hoog hup du zu

Dünn draht da Casa, mick matt mom basa


O mi grobo Oha Bibø Brummi Flummi Veto

Olga ritt muss melba sitten muttu selba hitten

Hågar tett täterätt @ metal bett mett!

Jetero pim hetero eko lobo lütten steak


Baumel Prønella pillemang up de Zang

Labbel par åbbel mopp mittenmang 

Kross grippal tüten grippon grapsche

Gruff! Grote Gruff! Grote, grote Gruff! 



Samstag, 1. Juni 2019

Deutsche Flüsse (44): Hundertwasser



Magdeburg. Hat Spass gemacht, wobei das Gefühl auf der Bühne bei „Wie ich Weltmeister im Langsamschwimmen wurde" ein sehr anderes ist als bei den Einkaufszetteln. Auch gestern blickte ich bisweilen in Gesichter, die sagen wollten: „Wovon redet der Mann da?" Einkaufszettel - da weiss jeder, worum es geht. Niemand hat noch keinen verfasst. Beim Ausdauersport sieht die Sache anders aus. Gewiss: Jeder hat sich schon vom berühmten inneren Schweinehund übermannen lassen, aber nur wenige gehen, laufen, radeln durchs Leben mit eher sporadischem Schweinehunde-Kontakt. Dadurch bleibt mein Tun in den Augen vieler Zuhörer merkwürdig, und ich werde als Exot beäugt, nicht als Repräsentant oder gar Spiegel. Nichtsdestotrotz hatten wir Spaß, die Magdeburger und ich. 

Voll war‘s auch, trotz Biergartenwetter. 

Ob ich meinen Vortrag nach zugänglicher gestalten sollte? Aus Gesprächen mit Autofahrern und Couchkartoffeln weiss ich, dass die häufigste Frage jene ist, wie man sportliches Training durchhält. Wenigstens meinen Zähneputzvergleich sollte ich zum Besten geben: Zähneputzen macht man ja auch täglich, ohne zu jammern, und der Clou dürfte sein, dass es eben jeden Tag passiert, routiniert, ohne viel Gewese. So fällt auch das Sporteln leichter (oder sagen wir: „Bewegung an der frischen Luft"): Erstens ausnahmslos jeden Tag, zweitens klimbimfrei (zB ohne Anfahrt zum Fitnessstudio, Dusche und ähnlichen Schnickschnack, sondern in den Alltag integriert). 

Ich war zum dritten Mal im Theater in der „Grünen Zitadelle", dem letzten Bau, den Friedensreich Hundertwasser verantwortete. Dass man sich in einem Hundertwasser-Bau befindet, ist in jedem Raum offensichtlich, auch im Klo der Künstlergarderobe. Wobei die deutsche Flagge zwischen den typisch „organisch" geklebten Fliesen als Bruch verstanden werden kann. Als liebenswerte Hommage, „entspannt", à la „Sommermärchen". Oder als nationalkritischen Witz (manch Popstar hat seine Goldenen Schallplatten ebenfalls auf’m Klo). Oder als spitzbübisches Fanal eines Fliesenlegers, also ganz privat. Wobei ich jetzt zweifle...werden Fliesen innerhalb der EU nicht mehrheitlich von Polen verlegt? Dies würde dafür sprechen, dass es tatsächlich Hundertwasser war, der sich einen Wiener Flaggen-Fliesen-Schmäh erlaubt hat. 

Erstmals bei einem Besuch der Grünen Zitadelle schlage ich nicht mein Zelt auf dem Dach mit seinem bezaubernden Garten auf, sondern übernachte im Hotel. Langweiliger geht’s nicht. Machen das Leben nicht schöner, diese Dächer überm Kopf. Muss ich wieder ändern.