So mancher mag sich fragen: Warum läuft man 100 km? Warum laufen all die Marathonis überhaupt? Vor wem laufen sie weg? Vor sich selber? Hm. Vor sich selber wegzulaufen ist, wenn‘s jetzt um die Physis geht, leicht und schwierig zugleich. Natürlich kann man vor jener Person flüchten, die man eine Sekunde zuvor an einem anderen Ort war, etwa einen Meter weiter hinten. Wir alle verändern uns unaufhörlich, werden immer älter, ganz abgesehen von der Heisenberg’schen Unschärferelation, die, wenn ich die Grundidee nicht ganz missverstanden habe, annimmt, dass ein Atom nie zweimal am selben Ort sein kann. Man muss also gar nicht hetzen, wenn man seinem vormaligen Ich ade sagen will. Man kann auch einfach sitzen bleiben, abwarten und eine Tasse Tee trinken.
Hochkompliziert ist auch das „Laufend zu sich selber finden". Wie sagte der Schauspiellehrer Hugo Egon Balders zu seinen Eleven? „Hören sie nicht in sich hinein - da ist nichts!" Manch einer läuft und läuft, stößt aber, wenn überhaupt, auf eine Person, die er nie sein wollte. Und dann gilt es Reißaus nehmen - was aber eben nicht funktioniert.
Kann man sich vor Sorgen, Problemen, Alltagsödnis in den Ausdauersport flüchten? Ja, das geht. So wie man sich auch in Alkohol oder Liebesromane flüchten kann, allerdings löst Alkohol die Probleme nicht nur nicht, sondern man bekommt obendrein eine Fahne. Das Bücherlesen verursacht keine Fahne, kann aber, so wie Alkohol, zu Schwindel und Herzklopfen führen. Das Herz wiederum wird auch vom Laufen trainiert, darüberhinaus jedoch auch große Teile der Skelettmuskulatur (sehr schwere Schmöker können die Haltearme trainieren, das wars dann aber auch). Das angelesene Wissen kann im Alltagsleben hilfreich sein, so wie der strunzgesunde Body des Athleten zB auch beim Möbeltragen hilft, etwa wenn ein Umzug ansteht. Manch Spirituose schmeckt sehr gut - besser als viele Fitnessriegel, und Bücher schmecken holzig. Schwierig zu sagen, was da als Fluchthelfer am wirksamsten ist.
Jeder Arzt wird konstatieren, dass Ausdauersport die gesündeste Variante ist, aber erstens: Da das Leben im Regelfall mit dem Tod endet, ist Gesundheit zwar ein hohes Gut, aber kein Allheilmittel. Der Sensenmann ist Kenianer hoch zwei, hätte ich fast geschrieben. Zweitens: Natürlich ist moderate Bewegung gesund, aber 100 km eben nicht. Fragen Sie meine Fußnägel. Die Crux an der Sache: Mit einem Ziel trainiert es sich leichter, und das Training selbst ist gesund. Als Neueinsteiger spürt man die positiven Effekte täglichen Trainings nach drei Monaten auf allen Ebenen (so lange sollte man allerdings durchhalten).
Ist denn auch ein Leben ohne „Flucht" vorstellbar? Vielleicht sogar besser? Anzustreben? Weiss ich nicht. Nach meiner Lebenserfahrung sehnt der Mensch sich aus Prinzip fast immer nach irgendetwas, was gerade nicht verfügbar ist. Schnee. Sonne. Arbeit. Urlaub. Einsamkeit. Zweisamkeit. Das Unterwegs-Sein entspricht der nomadischen Natur des Menschen vielleicht besser, weil er eben unterwegs ist, noch nicht angekommen an einem Ort, von dem er sich ja sowieso schon bald wieder fortwünscht. Immerhin waren unsere Vorfahren täglich mit der Jagd beschäftigt, legten in der afrikanischen Savanne 30 km zurück, womöglich barfuss. Und da war kein „Mann mit dem Hammer" - unser Vorfahr war selber ein Mann mit Hammer. Ja, das „Zurück zur Natur"-Argument ist stark. Andererseits kann man noch so sehr ein Leben praktizieren, das unsere Steinzeitgene berücksichtigt - aus eigener Erfahrung weiss ich, dass man auch beim Laufen den Wunsch verspüren kann, ganz woanders zu sein, nämlich daheim auf der Couch.
Was ist mit „flow" und „Serotonin"? In einen meditativen Zustand kann man, etwas Übung und Talent vorausgesetzt, hineinlaufen. Dösen in Bewegung. Man denkt an nichts bestimmtes, und zack! ist wieder eine Stunde rum. Die Freuden der Serotonin-Ausschüttung, womöglich gar auf Rauschgift-Niveau („Runner‘s High") sind mir leider nie begegnet. Wahrscheinlich bin ich einfach zu unsensibel. Nein, zu echtem Heroin ist Laufen dann wahrscheinlich doch keine ernstzunehmende Alternative.
Gerne hört man auch von laufenden DAX-Vorständen und ähnlichen Zeitgenossen den Satz: „Beim Laufen kommen mir die besten Ideen". Nein, mir ist beim Laufen noch nicht viel eingefallen. Ich habe Ideen überhaupt höchstens dann, wenn ich muss. Eine Idee beim Laufen fände ich auch gar nicht so günstig, weil ich sie dann notieren müsste. Also Handy raus, eintippen, und das kann ich nur im Gehen, besser noch im Stehen.
Ein schönes Argument für Sport, oder, ums mal etwas runterzubrechen, „Bewegung an der frischen Luft" ist die Möglichkeit, mit kleinstem Aufwand größte Abenteuer zu erleben. Wer erstmals 100 km zurücklegt, oder Marathon, oder vielleicht auch nur 5 km, betritt eine persönliche Terra inkognita, wird zu Christoph Columbus in eigener Sache. Einfach raus inden Park oder in die Nachbarstadt. Oder hundert mal um den Block. Kostet nichts und sorgt für tolle Anekdoten, die man später im Kaminzimmer des Altersheims zum Besten geben kann. Und darum geht‘s doch im Leben.
Schnöde formuliert kann man natürlich sagen, es gehe vielen Läufern um Angeberei. Ich-besessene Narzissten, die ihre Mitmenschen mit den ewig gleichen Fotos belästigen, zB. laufend vor irgendwelchen Bergpanoramen. Ja.
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