Nicht nur unsere Voucher sind verschwunden, sondern auch mein Kulturbeutel. Immerhin nimmt man uns umstandslos im Hotel auf, einer durchaus schlaraffischen Anlage auf der Halbinsel „Le Morne“, deren namensgebenden Hügel einst Zufluchtsort entwischter Sklaven war. Als englische Soldaten, so erzählt der Taxifahrer, den Sklaven mitteilen wollten, dass die Sklaverei abgeschafft sei, sahen die Befreiten die heraufkletternden Soldaten, kriegten es mit der Angst und stürzten sich in die Tiefe. Merkwürdiges Nebeneinander von tiefster Tragik und himmelhochjauchzender Urlaubsfreude.
Das Meer ist hühnersuppenwarm, man muss betont langsam schwimmen, um keinen Herzkasper zu kriegen. Die Hotelzimmer wiederum sind auf knappe 10 Grad herabgefrostet; man könnte hier völlig neue Saunastrategien entwickeln. Unser Essen jedenfalls ist prima: Ich verzehre Seeigel (wenig gelbes Fleisch in der halbierten Stachelschale, das man mit rotem Essig so würzt, dass praktisch nur der Essig den Weg in die Zungenpapillen findet). Besser finde ich große Wasserschnecken, die hierzulande in Majonaise getunkt werden. Neulich habe ich mir noch den Schleim (der Schnecken, nicht die Majonaise) im Gesicht verschmiert, jetzt verzehre ich die Schönheitslieferanten. Ich werde immer gastropodophiler.
Wir lümmeln uns durch den Nachmittag, und lesen ausführlich „Die Zeit“, wie man das nach altem Brauch in der Flitterwoche so macht. Übrigens haben wir beschlossen, fortan jedes Jahr eine Flitterwoche einzulegen - diese Streckung erscheint uns nachhaltiger als die Verurlaubung mehrerer Freiwochen auf einen Schlag. Extrafrühe Heiakiste.
💤
Wecker klingelt um 6; rauf auf den Hügel! Geht leider nicht, wie Komoot es vorschlägt; der Hügel ist hotelseitig abgesperrt. Also jogge ich zur Rückseite, finde einen eventuellen Einstieg nach oben, muss aber wegen der tropischen Hitze einstweilen zurück. Zur Besteigung ist ein Wasservorrat ratsam. Darum bleibt es sportlich bei 10 km Laufen und ein wenig Hühnersuppendümpelei.
Auf dem Rückweg zum Hotel begegnen mir wieder Schnecken: Schöne, stattliche Landschnecken mit prächtigen Verzierungen am Baldachin. Die Schnecke - der symbolische Gegenentwurf zum heute üblichen hektischen Twitter-Gewitter. Snailen statt Twittern. Auf zum Frühstück!