Weiterhin bin ich auf der Suche nach einem Tagesanbruchsritual in Form einer täglich murmelnden Wanderung. Es stehen bereits: Links an den Freisinger Nachbarn vorbei bergauf, am Steinmandl halbhalblinks, um die Schulter herum, dann auf bestem (aber nicht markiertem) Weg mit Blickrichtung auf den Rifflerkogel. Bei markanter Baumgruppe scharf rechts, steil bergauf, wieder links, zwischen Kuppe und See (verlockend bei über 30 Grad; noch schwimmen allenthalben Eiswürfel). An der Kühsteinalm steil bergauf zum Schartenjoch. Auf dem Kamm entlang zur Speikspitze (wo man, wie Börnie vorschlägt, einen Flachmann verstecken könnte), zurück zum Schartenjoch und runter zur Brunnalm. Ja. Hier bin ich noch auf einer Suche nach einer Abkürzung, die auf alten Karten gepunktet eingezeichnet ist, aber bei meinen Erkundungen schreckte ich vor allem viel Wild auf. Der Rückweg auf dem Kammweg nordwärts (auch er in alten Karten angegeben) endete im steilen Bergwald.
Der Star ist der Kamm: Totaler Überblick, es locken Mannskopf und Kapaunsalm, blühende Alpenazaleen und Gendtners Alpenmohn, wenn mein Blumenbestimmungsbuch nicht lügt. Ferner stehen dort mehrere fein aufgeschichtete Steinhaufen, ähnlich wie die Nuraghen in Sizilien - so stelle ich mir sie jedenfalls vor.
Frühstück um halb neun. Jetzt im Sommer ist das Leben hier der pralle Luxus: Die Speisekammer ist voll, die Kuhglocken bimmeln, auf der anderen Seite des Zillertals reflektieren die Dächer der Seilbahnbergstationen die Morgensonne. In der größten von ihnen begegnete ich eines Winters Sasha. „Was machst du denn hier?".
Am Spätvormittag kommt unser netter Verpächter mit seinem Onkel und dessen Frau. Wir kredenzen unseren kärglichen Pflaumenkuchenrest und reden über Gott und die Welt. Franz hat Obstler mitgebracht, ein feines Tröpfchen. „Die Kühe sind auch nicht mehr das, was sie mal waren!" winkt der Onkel ab. Alle verwöhnt und verzärtelt. Eintopf wird aufgetischt, Fliegenschutz vor die Tür geschraubt, die herabhängende Markise mit einem schmucken Stützpfeiler versehen.
Dann fügt Angela zu den Themen Gott und Welt die Politik hinzu. Flüchtlingskrise. Ist sie wahnsinnig? Gaanz dünnes Eis! Afrika. Alle retten geht nicht. Kollateralschäden für Europa. Kurz? Ein Guter. Uff, Thema durch. Mit Franz verabrede ich mich zum Wandern im August.
Unsere Rosenheimer Vorgänger waren mal drei Wochen hier, die Nachbarn oben schaffen nur eine, wie sie freimütig bekennen. Man kann eben nicht „mal eben in den Supermarkt". Und Amazon fällt auch flach. Meine Liste mit Dingen, die im August vonnöten sind, sein könnten, wird immer länger. Vor allem sollte die Bibliothek weiter ausgebaut werden.
Überraschung des Tages: Milch direkt von der Kuh schmeckt gar nicht soo anders als handelsübliche Vollmilch. Ich hatte mit einem deutlichen Unterschied gerechnet, wäre aber nicht einmal sicher, ob ich im direkten Vergleich zuordnen könnte. Kann natürlich sein, dass meine Papillen schon altersbedingt abgestumpft sind. Klar.
Am Abend staunen wir über den Abendhimmel. Das Band der Milchstraße, hurra; ich traue meinen Augen kaum. Ja, eine richtige Kamera muss auch her. Mit Stativ. Einstweilen ein Abendblick nach Westen: