Montag, 23. September 2019

Deutsche Wasser (52): Abflußgraben



Passt in keine Instastory,

fließt am Nerv der Zeit vorbei.

Wandern kann man auch woanders,

und sein Wasser schmeckt nach 


Arsch und Friedrich. Schwippschwapp

Schwaden wabern, eine Kellerassel  

gähnt. Ein Rennradrest, rotbackig vom Rost,

popelt in der Nase. An den Hängen


saurer Wein, abgefüllt in Tetrapacks.

An einem Galgen hängt ein Storch

- aufgeknüpft („Die Merkel

lässt auch jeden rein").



Sonntag, 8. September 2019

Von Wandlitz zum Auftritt nach Guben radeln.



Manche leben, um zu arbeiten, andere arbeiten um zu leben. Ich arbeite, um zu pendeln. Was gibt es schöneres, als die anfallenden Arbeitswege auf einer Vortragsreise aus eigener Kraft zurückzulegen? Von Wandlitz, nördlich von Berlin, starte ich in aller Herrgottsfrühe Richtung Guben, wo ich am Abend im Volkshaus auftreten soll. Noch ist es dunkel. Das Hotel hat mir eine Wurststulle in Klarsichthülle gepackt und umtütet auf die Rezeptionstheke gelegt. Reinbeißen und los. Autoarme Strassen führen mich durch Bernau und zum Haussee, anschließend weiter zum Krummensee. Und damit ist auch schon ein wichtiges Strukturprinzip meiner Trans-Brandenburg-Fahrt beschrieben: Man hangelt sich eine perlenreiche Seenkette entlang, zwischendurch gehts durch kleine Städtchen und Dörfer. Ackerfläche und Kiefernwald en gros, wenige Autos, kaum Hominide, schon gar keine ohne Karrosserieumhüllung. Es ist Samstagmorgen, da pennt die Streusandbüchse. Altlandsberg wird passiert, dann der Stienitzsee. Klamme Hände. Der Sommer hat sich pünktlich zu meiner Fahrt abgemeldet; ich trage Knielinge und Joppe und bin froh drum. Handschuhe hatte ich nicht eingepackt, ich Hasardeur. Nun muss ich empfindliche Kälte ertragen, und da ist keine Sonne, die mir auf den Pelz leuchten könnte. Hinterm Liebenberger See liegt Kienbaum. Kienbaum? Moment mal, da war doch was! Na klar! Kapitale des 100km-Laufs. 



Da waren (sind?) jedes Jahr deutsche Meisterschaften. Ein ostzonaler Thinktank in Sachen Leibesertüchtigung. Ehrfürchtig passiere ich die Neubauten des Leistungszentrums. Eine Bäckerei erspähe ich leider nicht. Könnte glatt was vertragen, und auf einen Hungerast sollte ich es nicht ankommen lassen - ich will ja abends noch auf die Bühne. 

Über feinsten Asphalt durch feuchten Wald gehts zum Trebuser See. Wäre noch Sommer, würde man sicher in jeden See reinhüpfen wollen und käme keinen km voran. So kann man sich das ungemütliche Herbstflair auch schönreden. 

Mein Birdy macht komische Geräusche. Klack-Klack sagt mein Tretlager. Au weia. Kaputt? Schon halte ich die Flinte, um sie ins Korn zu werfen, zügle mich aber. Erstmal gut zuhören, ob‘s schlimmer wird. Man kann auch ohne Lager treten. Etwas unrund, aber: Ich habe heute eh nichts zu tun. Absteigen und gehen erst, wenn nichts mehr geht.




Happahappa in Fürstenwalde. Fast Halbzeit, 72 km. Der Rewe am Ortseingang hat eine „Lila Bäckerei" (hat sich den Namen eine Werbeagentur ausgedacht? Wieviel haben die dafür genommen?). Ich stehe artig Schlange, suche aus, setze mich hin und kaue gründlich, mit Blick auf das (nicht abgeschlossene) Rad. 




Dehmsee, Kersdorfer See. Es wird immer trüber. In Neubrück (Spree) die ersten Tropfen, nach 100 km. Wie gut, dass ich noch die Klarsichtfolie von der Wurststulle in der Tasche habe. Ich umhülle mit ihr mein Handy, als Regenschutz. Womöglich wird mein iPhone jetzt lebenslang nach Stulle duften. Der Regen wird stärker. Immerhin überwiegt das Gefühl der landregenspezifischen Drömeligkeit, nicht das unwirsche Element. Aber nur knapp. 

Ich fahre über eine Holzbrücke, dahinter eine Tafel mit interessantem Hinweis: Hier stand das „Objekt 74", ein ehemaliges Forsthaus im Sperrgebiet, in dem die Stasi ausgestiegenen RAF-Terroristen eine neue Identität verlieh und sie aufs Leben in der DDR vorbereitete. Sogleich rattert der Projektor meines Kopfkinos, und ich male mir aus, wie Inge Viett „nach Feierabend" im Oder-Spree-Kanal badet, unter Aufsicht ihres Führungsoffiziers. 

Biegenbrück, Müllrose. Merkwürdiger Name, schöner See. Ich bin mittlerweile rechtschaffen durchfeuchtet, ziehe mir die Kapuze untern Helm. Mit der zunehmenden Verwässerung geht eine immer vollständigere Menschenleere einher. Dörfer mit Kirche, ja, aber ohne Kneipe. Die Theke, das Fundament allen kulturellen Lebens: weg. Wahrscheinlich hängendie Leute daheim vorm PC in ihren Facebookforen. Nass auch alle Wahlplakate, die hier noch hängen. „Die Wende vollenden" „Freiheit statt Sozialismus, damals wie heute"- so dichtet die AfD und macht, bitter, dies zu konstatieren, den muntersten Eindruck. Andere vertrauen ganz auf die Kraft ihrer Köpfe und verzichten auf Text. Naja. Schlimm auch die kryptischen Botschaften der FDP, so verquast, dass ich sie mir gar nicht erst merken kann, trotz 7 h wiederkehrender Beäugung. Irgendwas à la „Brandenburg muss durch seine Menschen wachsen". 

Fünfeichen. Apropos Eichen: Mehrfach komme ich an uralten Oschis vorbei, 1000 Jahre alten Baumgreisen, die viel gesehen haben: Womöglich kam mal Karl der Große vorbeigeritten, da war man noch ein Eichenkind, frisch gekeimt, dann Renaissance, Barock, lauter Spaziergänger mit gepuderten Perücken, dann die ersten Flugzeuge, DDT, DDR, saurer Regen; eines Tages wurde das Schild „Naturdenkmal" angenagelt, und nu kömm ich und piesel an die nasse Borke.

Erleichterung: Das Tretlager klappert nicht mehr. War wohl nur eine Klapperschlange. 

Es regnet zu stark; die Frischhaltefolie schwächelt. Also stelle ich um auf Akustik und verstaue das Handy in der Brusttasche. Klappt nicht so gut, in Möbiskruge missinterpretiere ich die Ansagerin und fahre zweihundert Meter falsch. Hiervon abgesehen: Eine Fahrt ohne Verirrung. Eisenhüttenstadt lasse ich links liegen, noch ein paar sanfte Hügel, und dann rolle ich in die ehemalige Wilhelm-Pieck-Stadt. 



Erste Attraktion: Die fabulöse Brücke über die Neisse. Oder was von ihr übrig ist. Der zweite Weltkrieg: hier ist er hochaktuell, auch im Strassenbild.

Appelfest mit Jahrmarkt. Günter von Hagen. Und da ist auch schon das Hotel. Fazit: 150 verwunschne Kilometer ohne Hast und Hetze. Netto 7:18h unterwegs.

Abends auf der Bühne: Spannend die Frage, ob ich nach der langen Regenfahrt volle Kraft voraus hinbekomme, ohne Hölzchen, Stöckchen und Lapsüssen aller Art. Ja, klappt gut. Insofern: Neue persönliche Bestleistung im Kulturbiathlon (ein Begriff, den unlängst die Violinistin Franziska Strohmayr prägte, die ebenfalls von Auftritt zu Auftritt radelte, mit Bachs Solosonate g-moll und ihrer Geige aufm Gepäckträger). 




Sonntag, 25. August 2019

Deutsche Wasser (51): Alster





HH said the clown 


Von der Krugkoppel stieg 

ich entblättert zu den Schwänen


Es schmeckte schwach

nach gelben Zähnen


Ein Kaleu im Optimist

(optisch Alexander Hold) 

machte „Dududu“


Ich hörte zu & schwamm & schwieg 

bis zum Jungfernstieg







Freitag, 23. August 2019

Deutsche Wasser (50): Ems




Eine Woche vor meinem 16. Geburtstag spielte „KIX“ im Jugendzentrum Papenburg. Unsere Band hieß so, weil Trompeter Lars den großen Miles Davis verehrte, und der schrieb ein Stück eben dieses Namens. 

Als Zugabe erklomm ich eine Bierkiste und intonierte auf meinem verbeulten Altsaxophon die deutsche Nationalhymne. 

Angereist waren wir im babyblauen Opel Kadett unseres Schlagzeugers, und als Gage gab es gute DM 400,-. Einen Hunni für jeden von uns, auch für das Nesthäkchen - mein erstes selbstverdientes Geld. 

Bei der Rückfahrt am nächsten Tag ging der Kadett kaputt; wir blieben auf einer Landstraße liegen, irgendwo zwischen Ems und Jeddeloh eins. 

Es war Sonntag, Handys waren noch nicht erfunden, und wie die Suche nach einer Werkstatt vonstatten ging, habe ich vergessen. 

An die Reparaturkosten kann ich mich allerdings erinnern. Sie betrugen genau DM 400,-





Mittwoch, 21. August 2019

Deutsche Wasser (49): Altmühl




Im Traum crowdsurfte ich die Altmühl entlang. Tausende helfende Hände säumten die Ufer, und auf einer Insel erblickte ich Udo Lindenberg, der seine Unterhosen ordnete. 

Ich glitt mit Schrittgeschwindigkeit über die Köpfe dahin, in der Ferne folgte ein Elefant, Staatsgeschenk des Schahs von Persien. 

Eine Herdplatte lief noch, darauf ein Nudelsieb, das zügig schmolz. Der weiße Kunststoff tropfte vom Herd und ergoss sich zischend in die Altmühl. 

Die Helfer gerieten in Panik, stieben in alle Richtungen davon. Der Elefant begann zu fliegen, Udo rückte raunend seine Sonnenbrille zurecht. 

Montag, 19. August 2019

Deutsche Wasser (48): Chiemsee



In Ramersdorf stellen wir uns an die Autobahn und halten die Daumen hoch. Ich bin 17, meine Freundin 18, wir schreiben das große George-Orwell-Jahr. Ein weißer Golf GTI hält, verziert mit Rallyestreifen. Am Steuer sitzt ein kükengelber Wischmopp über rotem Dunsen. Durch geränderte Äuglein blinzelt die Erschöpfung einer lumumbalangen Nacht - und des anschließenden Tages, der gerade zu Ende geht. 

„Wo wollt ihr hin?" 

„Italien!" 

„Wo in Italien?"

„Egal!"

„Einsteigen!" 

Und mehr sagt er nicht. Aus den waschtrommelgroßen Boxen ertönt „Spaghetti Carbonara" von Spliff. „Pico-Pico" hört man da gesprochen, ganz hinten im Playback, und ich weiß bis heute nicht, warum. Der Wischmopp drückt aufs Gaspedal, Holzkirchen fliegt vorbei. 180 Sachen. Sein großer Onkel hat einen Tatterich und sorgt für unruhiges Fahrgefühl. Ruckediguh. Wir krallen uns fest, erbleichen. Die Troddeln an den Slippern des Mopps wippen spliffisch. Pico-Pico. 

Bayern wird immer bayerischer, der Fahrer fahriger. 

Ein großes Wasser schwappt direkt an die Autobahn. Ich versuche einen Small-Talk einzuleiten, auch mit dem Hintergedanken, ihn im übernächsten Schritt um eine gemächlichere Fahrweise zu bitten. 

„Ist das der Schiemsee?"

Er dreht die Musik leiser.

„Es heißt Chiemsee. Man sagt ja auch nicht Schina.

Und dann dreht er die Musik wieder laut, so laut, dass Brezenkrümeln und tote Fliegen auf den Boxen hüpfen. Bald sausen wir durch den Tauerntunnel, und im letzten Dämmerlicht steigen wir aus. 

Pico-Pico. Und ich weiß bis heute nicht, warum.


Samstag, 17. August 2019

Deutsche Wasser (47): Dümmer



Eines Tages erhob am Dümmer ein Flusskrebs seinen kantigen Kopf und schälte sich selbst aus der Schale.

„Was machst du da?" fragten, die Schuppen runzelnd, Zander, Barsche und Aale.

Der Krebs sprach unter Anlockgebärden: „Ich will ein Striptease-Tänzer werden!"

Die Fische verlachten ihn fiese.

Der Krebs jedoch wollt’ unbeirrt nach St. Pauli. 

„Mit meinen Kneifzangen tease und tanze ich auf dem Table und zwinker wie der junge Clark Gable für Touris und Trinker!"


Als auf der Reeperbahn angekommen, wollten die Etablissements ihn mitnichten, argumentierten mit Äußerlichkeiten. 

Er musst‘ auf die Tänzerkarriere verzichten, schnibbelte mit seinen Scheren im „Zwick" Gemüse, um seinen Unterhalt zu bestreiten.

Er wohnte in einem Souterrain-Zimmer, mit feuchten Wänden (zum Glück). 

Sie nannten ihn „den mit den Scherenhänden" und, auf seine Herkunft gemünzt, „dumm & dümmer".

Im Kollegenkreis wurde gestreut, dass er roch.

Doch bald bewies er Spezialkompetenz im Umgang mit Krustentieren, schulte um, wurde Koch, kreierte seine berühmten „Krabben mit Käse", übernahm den Laden, zog nach Blankenese und machte dabei eher wenig Gewese. 

Schließlich verwirklichte er seinen Traum und tanzte im eigenen Club an der Stange, umschmeichelt von Ibiza-Seifenschaum.


Er traf ein Go-Go-Girl namens Anne und lebte mit ihr in wilder Ehe. 

Dann stolperte er bei der Arbeit und landete selbst in der Pfanne, just an dem Tag, als sein Buch erschien: „Mein Wille geschehe - vom Flusskrebs im Manne"

Mit Knoblauch und Pasta musste er sieden - 


Penne in Frieden.









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