Mittwoch, 23. Januar 2019

Jugend ohne Kompott




Hier sieht man mich als Grundschüler, wahrscheinlich bei einer sonntäglichen Wandertour mit meinem Vater. Ab ca 1976 stiegen wir an allen Tagen des Herrn morgens um acht in einen zitronengelben BMW 1802 und fuhren ohne Kopfstützen und Sicherheitsgurte an einen Wanderparkplatz, irgendwo außerhalb der Stadt Oldenburg. Sodann folgte ich Papa auf einem zuvor von ihm ausgetüftelten Rundkurs. In der rechten hielt er ein Kartenblatt des niedersächsischen Landesvermessungsamtes, in der linken einen urigen Wanderstock mit allerlei angenagelten Erinnerungsplaketten. Damals meinte man, zum Wandern seien Wanderstöcke unentbehrlich, mit Knauf und Metallspitze. Was ihr Zweck war, habe ich bis heute nicht begriffen - wahrscheinlich brauchte man halt irgendeinen Aufbewahrungsort für die Blechplaketten, und am Stock fangen sie eben weniger Staub als im Tinnef-Regal. Auch ich ging damals am Stock, wie meine Handhaltung verrät. Der Wanderstab selber ist hier nicht zu sehen. Womöglich handelte es sich um ein nicht fotografierbares Spezialmodell, oder das Foto ist einfach alt und verblichen, wenigstens da, wo eigentlich der Stock sein sollte. Dafür erkennt man meinen Rucksack. Ergonomische Traggestelle waren damals noch nicht so weit verbreitet wie heute. Was im Rucksack verstaut ist? Wahrscheinlich eine Jacke sowie Proviant. Ich kann mich erinnern, dass unsere Marschverpflegung im wesentlichen aus hartgekochten Eiern bestand. Dass für Ausdauerleistungen Kohlehydrate unverzichtbar sind, wussten wir damals nicht. Anfang der 2000er Jahre unterhielt ich mich mit Reinhold Messner und fragte ihn nach seinem Proviant bei Mount Everest-Besteigungen. Im wesentlichen, so erinnerte er sich, habe man sich damals von Thunfischkonserven ernährt. Fette seien die konzentrierteste Form essbarer Energie. An Eiern gefiel mir (und gefällt), dass man keine Konservendosen mitschleppen muss, sondern die Verpackung mitgeliefert wird. Wie bei der Banane - Müllvermeidung ist Trumpf. 
Wieder daheim, markierte Papa die Wanderung mit einem neongelben Textmarker auf der Karte und errechnete die Länge der Unternehmung. Hierbei ging er ausgesprochen akribisch vor. An Strava, runtastic und ähnlichen Apps hätte mein Vater womöglich grosse Freude gehabt, aber alles, was wir damals hatten, waren hartgekochte Eier. 

Hier sehen sie mich bei einer Winterwanderung, ohne Stock, dafür mit mobiler Sitzgelegenheit.
Wenn nicht alles täuscht, wandere ich rückwärts. Heute nennt man diesen Laufstil „Retro-Running", und bei heutigen Kindern ist das Beherrschen dieses Laustils keineswegs selbstverständlich, zumal mit geschlossenen Augen. Noch heute laufe ich gerne blind durch die Gegend: Wenn ich mich langweile, klappe ich die Klüsen zu und versuche, Kurs zu halten. Recht bald weicht die Langeweile existentiellem Thrill, zumal im Straßenverkehr. Probieren Sie‘s mal aus! 

Nur wenige Jahre vergingen, und dann begann auch schon die Jugend. 



Für ein paar Jahre wurden die Farben gedeckter und ich experimentierte mit „erwachsen" anmutenden Kleidungsstücken, wie etwa diesen übergrossen Strassenschuhen. Auch in Sachen Hutmode ging ich neue Wege. Auf dem Bild dürfte ich gerade 18 geworden sein, und es zeigt mich beim Bummel durch die Oldenburger Innenstadt. Das Gewässer dürfte die Hunte sein. Hm. Ganz sicher bin ich nicht. Vielleicht bin ich auch schon 20, Zivi in Bremen, und das Blaue ist die Weser. Ja, ich war Spätentwickler. Relativ. Ein richtiger Bart wächst mir noch heute nicht. 

Dienstag, 22. Januar 2019

Kraft durch Farbe



Hier sieht man mich in einer typischen Pose, die meinen Hang zur Upside-down-Weltsicht mit dem aufrechten Gang zu kombinieren trachtet. Noch heute nehme ich diese Haltung bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein, und auch die Badehose trage ich weiterhin gerne. Überhaupt, Bademoden. Ich habe das Privileg, in einer Zeit meine Kindheit verbracht zu haben, in der die Badehosen exquisit gestaltet waren. 

Kraftvolle Farben in eindeutigen Anordnungen sind nicht nur ein Hinweis auf guten Geschmack, sondern sie feuern den Träger an, spenden ihm Kraft und lassen ihn Dinge tun, die er sich ohne energetisierende Kleidung kaum zutraut. 



Hier sehen sie mich ca 1976 bei meinem ersten erfolgreichen Versuch, die Welt aus ihren Angeln zu heben. Durchschaufen, Anheben, Hochspringen. Voilà! Kurz hatte ich sie damals tatsächlich gelüpft, mithin aus der Bahn geworfen, aber wenige Sekunden nach dieser Aufnahme fiel sie wieder ganz von selbst dorthin, wo sie hingehört, und mein Husarenstreich blieb von der Weltpresse unbemerkt.




Auch dieses Hosendesign hat kräftigende Wirkung: Ich kann, trotz objektiv mangelhafter Beinlänge, ein Tretboot bewegen. Mein Gesichtsausdruck verrät die schier übermenschliche Anstrengung. 

Wo ich‘s hintrat und -lenkte, weiss ich nicht mehr. Amerika? Färöer? Vergessen. Auch wer der Typ neben mir ist, weiss ich nicht mehr. Aber er tritt nicht mit. Braucht er auch nicht, denn ihm fehlt die Kraft. Seine Hose ist schwarz. Armer Kerl. Ich wiederum habe nur den schwarzen Gürtel, und zwar im Tretbootfahren. 

Nur zum Vergleich: Jene Hose, mit der ich gerade vorgestern schwimmen war, sieht so auch: 





High Noon in der Badewanne



Warum liegt, bzw steht mir der Kopfstand so außerordentlich? Eventuell, weil ich schon früh von meiner Mutter auf das Leben mit gehobenen Füssen vorbereitet wurde. Meine ersten Lebensmonate verbrachte ich kopfunter, eventuell inspiriert vom Kinderlied „Alle meine Entchen", in dessen Text es ja heisst: Köpfchen unters Wasser, Schwänzchen in die Höh’. 

Damals war das Kinder-an-den-Füssen-durch-die-Gegend-tragen nichts ungewöhnliches, aber heute, im Zeitalter der Helikopter-Eltern, ist man vorsichtiger, weil ja das Blut ins Gehirn läuft und von dort, so fürchten viele, nicht mehr den Weg in die Füsse findet. Es verläuft sich quasi. Blutkörperchen haben ja kein Navi. „Nächste Ader scharf rechts". „In der Aorta einen Meter geradeaus!" „Jetzt umkehren!" (Nanu)


Übrigens weiss ich aus Experimenten mit einer Spezialbrille bei der Fernsehshow „Clever", dass sich das Gehirn umstellt. Betrachtet man die Welt acht Tage lang auf dem Kopf stehend, wird das Bild im Gehirn zwar weiterhin als auf-dem-Kopf-stehend wahrgenommen, allerdings für normal gehalten, so dass volle Handlungsfähigkeit gegeben ist - und dann wird es nicht nur sinnlos, sich wieder auf die Füsse zu stellen, sondern sogar lästig. Ich tippe diese Zeilen auf einem Handy, das ich verkehrtherum halte und ärgere mich, weil das Schriftbild immer wieder umspringt, gleichsam auf die Füsse hüpft. Irgendwo kann man die Automatik doch ausschalten...Moment...jetzt. Geschafft. 


Auch für meinen Weg zum Weltmeister im Langsamschwimmen wurden die Grundlagen in den ersten Lebenswochen gelegt, beginnend mit meinem Gebärmutteraufenthalt. Neun Monate Dauerschwimmen, ganz ohne Pause, bei nur geringfügiger Strecke, die zurück gelegt wird: Jeder, buchstäblich jeder Mensch ist der geborene Langsamschwimmer. Mehr Trainingslager geht kaum. Glücklich ist, wer eine Mutter hat, die die Karriere konsequent weiter fördert, so wie meine Mama. Jeden Tag um 12 Uhr mittags wurde ich gebadet, erzählte sie erst unlängst. Dolles Ding. Jeden Tag. Immer 12 Uhr. Manch einer denkt da sogleich an „High Noon", den berühmten Western, gedreht im eher wasserarmen Millieu, aber ebenso auf schwarz-weiss-Film gebannt wie ich auf diesem Bild. Das Glockenläuten der nahen Kirche kann man sich mühelos hinzudenken: 12 Schläge. Macht man das heute noch so? In heutigen Elternratgebern wird empfohlen, Kinder abends zu baden, auf dass diese müde werden und gut schlafen. Ich muss mich demnach müde durch jeden halben Tag geschleppt haben - auch eine Form von Ausdauertraining. 




Montag, 21. Januar 2019

Mit Kopfstand zur Weltmeisterschaft 1974

Unlängst bat ich meine Mutter, daheim die Fotoalben zu durchforsten, auf der Suche nach Bildern, die ich bei meinem Diavortrag „Wie ich Weltmeister im Langsamschwimmen wurde“ einsetzen kann. Bevor ich mich an die eigentliche Erarbeitung des Vortrages mache, hier schon mal ein Blick auf die Ausbeute meiner Mutter.


Dieses Bild zeigt mich im Hochsommer 1974 im Ostseebad Großenbrode beim Training meiner damaligen Lieblingsdisziplin: Kopfstand. Ich habe die erste Schulklasse erfolgreich besucht, und meine ersten Versuche, die Welt auf den Kopf zu stellen, sind allesamt misslungen. Ehe ein müder Realismus in mein Leben einzieht, versuche ich, wenn denn schon die Erde zum Umdrehen zu unhandlich ist, einen radikalen Perspektivwechsel herbeizuführen. Der Versuch gelingt, und bis heute ist Kopfstand (seit der Teenagerzeit bevorzugt in der Yoga-Variante) eine meiner leichtesten Übungen. Den Sommer 74 dürfte ich zu 30% auf dem Kopf verbracht haben (weitere 30 liegend, den Rest schwimmend, essend, tobend und „Lustige Taschenbücher“ lesend). 

Von diesem Urlaub blieb mir übrigens nur ein einziger Moment im Gedächtnis: Als Gerd Müller im Endspiel der WM das 2:1 gegen Cruyff und Co schoss, stand ich auf dem Kopf, den Blick landeinwärts gerichtet. An der Oberkante meines Blickfeldes befand sich ein Campingplatz, und die spitzen Dächer der Zelte, aus denen Toor-Rufe herüberhallten, wiesen nach unten, wo ein  bedeckter Himmel vor sich hin dräute. 

Der weisse Strich im Vordergrund könnte ein Nasenhaar sein, evtl. sogar von mir (vergleiche mein Gedicht von vor drei Tagen)


Später las ich über Saxophonist Charlie Parker, dass er zwischen zwei Sets gerne in den Hinterhof des Jazzclubs gegangen sei, um sich dort zwischen den Mülltonnen hin- und herzurollen. Als man ihn fragte, was das solle, antwortete er: Man spielt danach anders. Ich weiss, was er meint. 


P.S.: Nein, das weisse Haar stammt nicht von mir, und auch nicht von meiner Mama. Es sieht mehr aus wie eine Wimper...ein Schnurrbarthaar...es ist...ja...ein Hasr meines Mwerschweinchens Fridolin, das Anfang der 80er Jahre verstarb. Mein handwerklich begabter Onkel Helmut hatte für das liebe Tier mit den kuscheligen Rosetten ein herrliches Häuschen gezimmert: gediegenes Fachwerk, gelb/rot/schwarz, das als verkleinerte Version eines norddeutschen Schafskobens nichts anderes als einen Höhepunkt des ambitionierten Modellbaus darstellte. Dummerweise hatte Fridolin viel Appetit, und mein Papa füttert Kleintiere für sein Leben gern. Ihrem Leben bekommt das Gefüttertwerden nicht wirklich. Fridolin passte bald nicht mehr dorch die Tür seines Fachwerkhauses. Die Öffnung musste mit einer Säge brachial vergrößert werden, das schöne Stück war hi‘. 



Sonntag, 20. Januar 2019

Zum Geburtstag



Wieder einmal bin ich um die Sonne

auf der Raumfahrtwanderroute

ohne Pause rumgeflogen

Wäre ich links abgebogen

(hab ich mehrfach dran gedacht)

hättet ihr mich ausgelacht


Laufsportler, die zweiundfünfzig

lange Jahre auf einer ovalen Bahn

brav Runde an Runde reihen

würde man der Doofheit zeihen


Merkwürdig: Beim Flug der Kugel

die uns durch das Weltall trägt

gilt mitnichten als verrückt

wem noch eine Runde glückt

(er kriegt gar die Hand gedrückt)


Sekt und Selters bis zum Schwipse

- auf die kommende Ellipse! 







Freitag, 18. Januar 2019

Betr.: Altersbedingte Absage

In meiner Nase schwingen mittlerweile

kaum noch schwarze Seile, mittels derer

man von einem Baum zum anderen

übersetzen könnte. 

Nun ist in meiner Nase gar kein Raum

für größere Gewächse. 

Und welche Echse/Affe, welche Jane 

sollte denn in meiner Nase schwingen

Und warum? Was soll das bringen?

Im Ernst: Vom innerlichen Nasendach

hängen überwiegend weisse Taue

runter. Ihre Eignung als Lianen lässt

sich nur noch schwach erahnen. 

Zudem steht die ganze Gegend 

dauerhaft im Feuchten, Scheinwerfer

und Leuchten mögen das nicht so. 

Parkplätze sind rar, es gibt kein Klo

und zudem wär das Honorar gar nicht

mal billig. Ich will Sie mitnichten linken,

darum will ich Ihnen nach gründlichem 

Ringen mit dem Ausdruck des Bedauerns 

zur geneigten Kenntnis bringen, 

dass ich Ihnen meinen Zinken 

nicht als Drehort für den neuen

Tarzan zur Verfügung stellen kann.


Mit freundlichen Grüßen und bis dann. 


Donnerstag, 17. Januar 2019

Betavoltaik

Nickel 63 bröselt ohne Gamma-Strahlung

leise vor sich hin. 

Zum Zweck der Strahlenschutzverschalung 

reicht ein Stück Bonbonpapier - 

ideal für Herzschrittmacher, deren Batterien 

bisher nach einer Dekade aus der Batterienlade

rausgefummelt und erneuert werden müssen.

Nickel 63, sollten Herzpatienten wissen, 

bummelt 100 Jahre dienstbeflissen 

vor sich hin.

Man kann es gefahrlos nutzen, 

notfalls essen, küssen - also mit Bonbonpapier. 

Rin damit ins offene Herz, auf dass der 

Klumpen wieder pumpen kann im Takt 

und nicht verkackt, weil eines Tages ihre 

Batterien nicht mehr angeboten werden!

Ihre Existenz gefährden würde solch ein 

Nachschubmangel; sparen Sie sich das 

Gerangel an den Kassen, Bettelbriefe an 

die Batterienmacher, gönnen sie sich lieber 

gleich das Herzens-AKW, den leisen Kracher, 

wie wir halb im Scherz beteuern, da ihr Herz 

durch das Produkt geräuschlos zuckt und 

das Erneuern ganz entfällt. 

In unserem Institut Selenogorsk, Sibirien

reichern wir den Brennstoff an, auf satte 

800 Promille. 

Kerngesunde Tatkraft, Wille

und Know-How gestatten uns den Bau

der Bonbon-Batterie. 

Verlässlich wie Beton, mit Garantie:

Unser Batterie-Bonbon im Schutzpapier.

Ihr

Rosatom. 



The biggest Arztroman ever

Willkommen in meinem neuen Tagebuch („Post-Coronik“), das sich womöglich auch in diesem virtuellen Gewölbekeller vornehmlich mit Corona befa...

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