Oder ist ein Schaf, wer denkt, dass Wolle und Maulwurfsfell am Berg nichts taugen? Gestern war ein prima Testtag. Blauer Himmel, 0 Grad in Rottach-Egern am Tegernsee, und meine Gattin bittet um Lesezeit im Panoramarestaurant. Sie fährt also per Bahn voraus. Beziehungsweise: Sie steht ersteinmal an der Talstation der Wallbergbahn Schlange, und zwar eine geschlagene Stunde lang. Ich entledige mich meines Oberhemdes; nur mein Schiesser-Doppelripp-Leibchen bleibt unterm Gehrock (Baujahr 1920). An den Beinen trage ich eine braune Cordhose, darunter ebenfalls Doppelripp. Um den Bereich zwischen Solar Plexus und Kinnspitze zu wärmen, setze ich auf einen Schal aus Schiessmichtot von Mama. Weiß nicht, wie das Gewebe heißt. Ariola? Alabama? Alcantara? Meine Schuhe sind aus Leder, Handschuhe sind heute nicht vonnöten.
Auf den ersten Metern bergauf alles prima, abgesehen von den etwas zu engen Manchester-Hosenröhren. Der Weg ist zwei Meter breit, wird nach oben hin immer schmaler, der Schnee ist griffig. Parallel zum Weg verläuft die Wallberg-Rodelbahn, eine über sieben Kilometer lange Naturtrasse für Erwachsene, die am heutigen Prachttag bestens besucht wird. Die Geräuschkulisse ähnelt einem Freibad während der Hundstage. Davon abgesehen ist es still; mit jedem Höhenmeter wird die Bergeinsamkeit konturöser. Der erste Teil des Weges verläuft im Schatten, mein Temperaturempfinden registriert den üblichen Übergang von „Neutral“ zu „Rotbäckchen“ und weiter zu „Ofenkommainnerer“. Nach einem Viertelstündchen vermerke ich die erste Manifestation einer Schweißtröpfchenbildung, und zwar am inneren Vorderrand der Zylinderkrempe (naja, äußerlich wäre ja auch sonderbar. Da würde man eher auf Regentropfen tippen). Aufreizend langsam läuft der Tropfen über meine Schläfe. Ganz Detektiv, lüfte ich den Hut und stelle fest: Meine Haare sind nass wie nach einer Ärmelkanaldurchquerung. Oha! Nun kommt der Mama-Schal ins Spiel. Ich wische mein schütteres Haupt trocken und begreife, warum Schal und Zylinder in der europäischen Geschichte so oft gemeinsam getragen wurden: Der Zylinder dient als Wärmesammler, in ihm sammelt sich ein feuchtes Gasgemisch, dass um Entsorgung fleht - im Ottomotor wie auf dem Herrenkopf. Doch während im Motor die Zündkerze das Gasgemisch explodieren lässt, besorgt auf dem Kopf der weiße Schal die Entsättigung. Das Hutlüften zum Gruße könnte also kulturgeschichtlich auch mit dem Kavalierstart verwandt sein: Heute lässt man den Motor aufheulen, früher präsentierte, ja offerierte man durchs Hutheben die körperliche Sammelwärme, Indiz für virile Aktivität, Tatendrang und Fitness.
Eine Lichtung. Welch schöner Tag für einen Textiltest. Weiter. Ein spanischer Tourist bittet um ein Selfi. Fände mich „cool“, behauptet er auf englisch. Das macht der Zylinder, ist klar. Ein anderer (Deutscher) fragt, warum ich den trage. „Aus religiösen Gründen!“ Er nickt ernst, ich eile weiter gipfelwärts. Nun erhöht sich die Tropfenflußgeschwindigkeit, und zudem registriere ich Nässe an Rücken und unter den Achseln.
An zwei Passagen kontrolliere ich bewusst meine Schritte, ansonsten habe ich nie den Eindruck, mich in Lebensgefahr zu bewegen - was ja bekanntlich auch wieder ein lebensbedrohender Eindruck ist. Ich überhole sie alle: Anorakträger, Polyesterverehrer, Gore-Tex-Mexikaner, auch Skitourengeher lasse ich hinter mir, und zwar mit Genuss. Nach einer guten Stunde erreiche ich die Baumgrenze, ganz ähnlich gekleidet wie die ersten Alpinpioniere, die Erstbesteiger und dekadenten Engländer, hurray. Ich stehe im Spätschnee und freue mich des Lebens. Es gibt ja so viele Arten, sich einen besonderen Tag zu kredenzen.
Sicher, Teile meiner Kleidung mögen nasser sein als chemisch gestrickte Fasern, aber wer fragt schon nach derlei Kleinigkeiten, wenn er nach knapp 900 Metern solch einen Blick hinab auf den Tegernsee genießt:
Und also ich an der Bergstation meinen Gehrock zum Trocknen an die Garderobe hänge und mir die von Teresa mitgebrachte Wechselkleidung anlege, muss ich mir nichts schönreden, als ich konstatiere: Funktionskleidung ist enorm überschätzt. So wie Kohlefaser für den Radrahmenbau, Convenience Food, Casting Shows, IPhone X, Flachbildschirme, dieses neue Netzwerk, wie heisst das gleich? „Vero“, genau. Oder früher Minipli. Kann man alles genießen - das Leben lebt sich jedoch auch ohne. Jedenfalls bei gutem Wetter. Und sobald es ordentlich regnet, werden mein Zylinder und ich einen anderen Berg erklimmen - dann folgt Testbericht Nummer 2.
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