Mittwoch, 29. April 2020

Lockerungsdiskussionsorgien

18.4.
Meine Frau und ich haben ein neues Lieblingsspiel, es heißt: „Söder und Bayern“. Einer ist Söder, der andere Bayern. Bayern fragt z.B. „Darf ich noch eine von den Landjägern aus dem Kühlschrank?“ und Söder antwortet z.B. „Wer zu früh öffnet, riskiert einen Rückfall. Wir warten lieber noch eine Woche“. Anschließend reckt Bayern den Daumen und bedankt sich. Zur vollen Stunde wird getauscht. 
Das Spiel ist nicht ohne, verlangt beiden Seiten alles ab. Um mich zu stärken, öffne ich mittags ein großes Glas Rumtopf. Die Kombi aus Früchten und Alkohol erscheint mir besonders sinnvoll im Kampf gegen, ach, Ihr wisst schon. Ich genieße die süffige Delikatesse und gönne mir einen klitzekleinen Nachschlag, und als das Glas bald darauf fast leer ist, staune ich. Wo ist denn der Inhalt hin? Habe ich das alles verzehrt? Den Rest des Tages hängen meine Klimperklüsen auf Halbmast, und zum „Söder und Bayern“-Spiel bin ich zu müde. Auch einen Spaziergang kriege ich nicht mehr hin. Aber ist nicht in diesen Tages alles gut, was den Feind schwächt? Und ist nicht unser größter Feind unser Antrieb, der Wille, rauszugehen, die Welt zu entdecken und sie, nebst Mitmenschen, inniglich zu umarmen? Jetzt habe ich diesem Feind mal so richtig eins auf die Mütze gegeben. Ein Held ist heutzutage, wer auf dem Sofa liegenbleibt, und die eigene Immobilität zu gewährleisten, ist vornehmste Bürgerpflicht, hicks! Der Rumtopf ist für mich, was das Marschlied für den Soldaten. Doch während das Lied dem Landser hilft, von A nach B zu stiefeln, helfen mir die feuchten Früchte, nicht vom Fleck zu kommen. Ja, heute habe ich mir einen Orden verdient, bin einer der vielen namenlosen systemirrelevanten angeschickerten Helden, denen wir den gestrigen Schlachtensieg verdanken, nämlich: die Reproduktionszahl auf 0,7 zu drücken, hicks. Zum Superhelden reicht es bei mir nicht, dazu müsste man noch ein paar Leute bei der Polizei verpetzen, weil sie im Wohnzimmer gemeinsam gepichelt haben und nicht alleine, aber dazu bin einfach zu müde. Und außerdem verhalten sich alle meine Nachbarn vorbildlich. Da ist nix anzuschwärzen, Mist. Wäre soo gerne Superheld. Heul. Ach, ich geh wieder in die Küche, ein kleiner Rest Rumtopf sollte noch da sein. 
„Darf ich noch mal zum Kühlschrank, die Rumtopf-Restbestände inspizieren? - „Wer zu früh öffnet...“

19.4.
Zwei Drittel der Deutschen befürworten den Einsatz homöopathischer Mittel gegen Covid-19 (sagt Forsa). Als ich dies lese, rühre ich gerade in einem Kaffee, den ich mit einigen hundert Globuli gesüßt habe - das sind Zuckerkügelchen mit einer sehr, sehr, sehr kleinen Beimischung Wirkstoff, etwa Arnica oder Schleichkatzenkot. 
Wir haben die sonderbaren Kügelchen von einer Hebamme überreicht bekommen, in einem hübschen Ledermäppchen, mit den Worten „Falls mal irgendwas ist!“ Die Lebenserfahrung lehrt, dass eigentlich immer „irgendwas ist“, aber abgesehen davon nehme ich mir vor, eine eiserne Ration Globuli zurückzubehalten, falls nämlich eines Tages Zucker weggehamstert sein sollte. 
Apropos Hamsterbacke: der örtliche Backshop bietet nurmehr ein stark reduziertes Sortiment an, da in der Brotfabrik vornehmlich die Bestseller hergestellt werden - jene Brotsorten, von denen die Leute „fünf, sechs, sieben Laibe kaufen“, wie die Bäckerin achselzuckend referiert. Merke: Tiefgefrorenes Brot ist der heiße Scheiß. 
Ammersee. Da sind Münchener nicht gern gesehen, manche Parkplätze für Ausflügler gesperrt, aber weil meine Frau aus der Gegend kommt, meint sie, ein Besuch sei vertretbar. Urlaub vom Urlaub sozusagen; endlich mal dieses blöde Covid-19 vergessen. Und kaum denken wir knappe fünf Minuten nicht an Corona, passieren wir die Firma Webasto in Utting. Quelle surprise! Webasto, klar, da mussten schon im Januar Mitarbeiter in Quarantäne, ein früher Hotspot der Husterie. Ob die später eine Gedenktafel aufhängen? Oder gar ein kleines Museum einrichten? 
Nach Spaziergang absolvieren wir den Wochenendeinkauf in Schondorf. Ein auswärtiger SUV hat liederlich geparkt, blockiert zwei Plätze. Kennzeichen „OG“. Baden-Württemberg. Dass wir selber ein „M“ auf dem Nummernschild haben, stört Teresa nicht. Sie ruft gar zünftig „Beim nächsten Mal stay home!“ durchs Fenster. 
Wie gut, dass am Montag Ikea wieder aufmacht, unsere alte Couch ist mittlerweile durchgesessen. Der Bezug ist inzwischen dünn wie ein Fledermausflügel, die Luftbläschen im Schaumstoff haben ihre Elastizität verloren und könnten höchstens durch den Anschluss an eine Beatmungsmaschine gerettet werden. Stopp, diesen Gedanken bitte sofort wieder streichen - das ist nicht nur potentiell pietätlos, sondern auch eine latent laienhafte Phantasie, und jeder Polsterer legt die Stirn in Falten, wenn er mitliest, so wie der Pneumologe, wenn er an Globuli im Corona-Einsatz denkt. 
Aber irgendwas ist ja immer.

20.4.
Alle Welt fragt sich, wann das Elend eigentlich begann? Mit dem Überspringen des Virus von Fledermaus auf Mensch? Ach was, dieser Wirtswechsel ist lediglich Symptom einer Schieflage, die sich schon länger entwickelt. Nicht wenige hängen Verschwörungstheorien an und halten die Illuminaten oder 5G für die Ursache, aber diese Theorien greifen zu kurz. Wenn schon Mobilfunk, dann erscheint mir der flächendeckende Einsatz von Freisprecheinrichtungen bedeutsamer. Ich weiß noch genau, wie ich das erste Mal einen Nadelstreifenanzugträger sah, der ein Headset verwendete, mit den Armen rudernd, auf dem Bürgersteig. Ich dachte: Oha, der Arme führt Selbstgespräche; es geht um Bilanzsummen und Auftragsvergaben; er spricht einen Tick zu laut. Was für ein bitteres Schicksal, ein Fall für die Klapsmühle. Und genauso denke ich noch heute. 
Eine Spezies, die sich in aller Öffentlichkeit als derartig plem-plem darstellt, dass es selbst den einfachsten Miniaturorganismen nicht verborgen bleibt, muss sich nicht wundern, wenn diese sie zur Herberge des Jahres küren. 
Doch wie konnten wir so restlos unserer Orientierung verlustig gehen, welches Ereignis machte uns zur fetten Beute des Wahnsinns? 
Meine These: Es war die Nachricht von Elvis Presleys Tod am 16.8.1977, die die Menschheit aus ihren Angeln hob. 
Elvis war „The King“, und niemand konnte ihm seither das Wasser reichen. Das von ihm hinterlassene Vakuum in der Welt, im Rock‘n‘ Roll, in uns, lässt sich von niemandem füllen - außer von ihm selbst. 
Presley sang „Ev’rybody‘s got the fever/That is something you all know/Fever isn’t such a new thing/Fever started long ago“ - singend führte Elvis uns höchstselbst auf seine Fährte. 
Nach monatelanger Geheimrecherche (Einsicht der FBI Files on Elvis Presley, Gedächtnisprotokolle seines CIA-Führungsoffiziers) kann ich nunmehr zweifelsfrei feststellen: Hinter, unter „Corona“ (Krone) steckt niemand anders als The King, und wer sich ein Covid-19-Virus genau ansieht, erkennt in ihm denn auch mühelos Kopfform und Gesichtszüge des sehr späten, Blaubeerpfannkuchen liebenden Elvis. 
Ist es Zufall, dass Tom Hanks und Rita Wilson an Sars-CoV-2 erkrankten, ausgerechnet als sie in Australien an Baz Luhrmanns Presley-Film mitwirkten? Hanks Rolle in diesem Biopic ist die seines Managers Colonel Parker, und der Gedanke, dass The King per Infektion Einfluss auf die Rollenanlage Hanks’ nimmt, um sein Bild zu korrigieren, die Kontrolle über seine Persönlichkeit zurückzuerlangen, drängt sich auf. 
Nein, für mich persönlich ist der Fall klar: Elvis lebt. In uns. Der King ist Corona, Corona ist The King.

21.4.
Seitensprung und Puffbesuch gefährdeten früher Ehe und bürgerliche Existenz. Man ließ sich tunlichst nicht erwischen, behauptete, im Büro Überstunden absolviert zu haben. Lange blonde Haare am Revers und der Geruch nach einem fremden Parfüm konnten schwerste Krisen heraufbeschwören, und manch Privatdetektiv lebte von der Beschattung potenzieller Schürzenjäger. In der sogenannten ‚Neuen Normalität‘ ist es nicht der außereheliche Beischlaf, sondern der Besuch bei Muttern, der dich zum Schlawiner macht. Manch einer parkt drei Straßen weiter, huscht von Busch zu Busch Richtung Mama, und der Halunke sollte sich hüten, seine Absenz mit „Überstunden im Büro“ zu erklären, jedenfalls wenn er im Homeoffice arbeitet. Graue Haare am Revers und der Geruch nach 4711 kann schwere Krisen heraufbeschwören, und manch Ordnungshüter lebt von der Beschattung potenzieller Kittelschürzenjäger(innen). 
Wer seine Mama allzuoft anruft, sie womöglich lieb hat, macht sich bereits verdächtig, und die Reaktion der Gesellschaft auf die vollzogene Umarmung der Mutter (oder des Vaters!) ist unerbittlich: Asozialer Milchbubi. Hängt am Rockzipfel. Disziplinloser Waschlappen. Familienmensch womöglich, igitt. 
Teresas Sehnsucht nach Sozialkontakten äußert sich anders. Sie erfindet imaginäre Mitbewohner, bei denen es sich in der schnöden Realität um bloße Haushaltsgegenstände handelt. Mal plaudert sie mit Mirkowelle, mal mit Kühlfrank oder Klaustür. Außerdem anwesend sind Lichtwalter und Waschsabine. Ich bin ratlos. Soll ich einen Psychiater zu Rate ziehen? Ach was; ich mache einfach mit, freue mich über die Gesellschaft von Uschivorhang, Brotkarsten und Bücherrekarl.
Pädagogen stöhnen: Zwei Meter Abstand im Klassenzimmer? Die Räume sind dafür zu klein! 
Vorschlag: Lasst den Unterricht draußen stattfinden, an der frischen Luft. Die meisten Schulen stinken eh nach Moder, Muff und Mottenkugel, und zudem diffundieren ausgeatmete Aerosole draußen schneller Richtung Unschädlichkeit. Waldkindergärten machen‘s vor; Lernen à belle étoile eignet sich auch für alle anderen Altersklassen. Notfalls Malerfolie als Dach. 
Ein Gedanke zur Maskenpficht: Wäre es nicht sinnvoller, durchsichtige Masken zu konzipieren? Ich denke an Spuckschutzelemente aus Plexiglas. Transparente Integralhelme. Wichtig wäre erkennbare Mimik nicht zuletzt für Gehörlose - aber die gehören eben nicht zur Risikogruppe, ebensowenig wie kleine Kinder, die voraussichtlich bis August keine Spielgruppen/Kitas/Kindergärten besuchen werden. Klar, die Blagen haben ja auch kein Wahlrecht. Immerhin genießen sie mit ihrer Isolation eine vorzügliche Charakterschule; das Alleinspiel härtet ab und schult die Phantasie. 
Die Ministerpräsidentinnen von Norwegen und Dänemark haben unlängst Pressekonferenzen extra für Kinder gegeben, in denen sie ihre Maßnahmen den jüngsten Mitbürgern erklärten. 
Nein, von derlei Schnickschnack halten wir Deutschen nichts. Wir setzen auf Kinder, die sich Solo-Spielburgen aus Klopapier-Großpackungen bauen und auf diesen Schneeweißchen und Rosenrot oder Öffnungsdiskussionsorgien spielen. Egal; Hauptsache getrennt voneinander. 
Willkommen in der Neuen Normalität! (huscht von Busch zu Busch, tritt ab)

22.4.
Wir werden alle reich. Grund: Der negative Ölpreis. Auch ich war überrascht, als ich davon hörte, dass es sowas überhaupt gibt. Spontan sah ich uns alle an Tankstellen Schlange stehen; man tankt, geht rein und holt sich sein Geld ab. Einstweilen sind jedoch nur die Broker betroffen, die sich „Futures“, Zertifikate auf spätere Öllieferungen, gekauft haben, in der Absicht, diese vor Lieferung mit Gewinn weiterzuverkaufen. Dann kam Corona, keiner wollte mehr Öl, Spekulationsgewinne jibbet nicht, genauso wenig wie Lagerkapazitäten für das nunmehr billige Öl. Dafür wurden die Lagerkosten immer teurer. Laut Tankstellenbesitzer von nebenan kann der negative Preis nicht an die Autofahrer weitergegeben werden, weil: „Das wäre ja noch schöner!“ Wart‘s ab. An wochenlange Schulschliessungen wollte ursprünglich auch niemand glauben. Und was kam? Der Lockdown. Langsam erkenne ich das System und stelle schon mal geeignete Benzinbehälter bereit: die Babybadewanne, Gießkannen, und das Wasserbett sowieso. Da geht viel rein, wie ich aus meiner Zeit bei „Nicht nachmachen!“ weiß. 
Der Tankstellenbesitzer raunt mir zum Schluss unseres Smalltalks noch eine Theorie zu, die ihm unlängst ein anderer Kunde zugeraunt habe - aber der stand ähnlich weit weg wie ich jetzt, mit potentiellem Stille-Post-Effekt. Der Tankwart jedenfalls erzählt mir eine Räuberpistole, steil wie das Timmelsjoch, und jetzt ertappe ich mich dabei, dass ich Hemmungen habe, seine These weiterzuverbreiten. Denn nachher, so befürchte ich, liest der, um den es in der Theorie geht, mein Tagebuch mit, und dann bin ich geliefert. Paranoia? Gut möglich. Ach, was soll’s. Ich traue mich einfach. Also: Donald Trump soll, so sagte der Typ von der Tanke, bei einem Unfall im Biowaffenlabor in Wuhan entstanden sein. War keine böse Absicht der Chinesen, um den USA zu schaden, sondern reine Nachlässigkeit. Ich glaube da nicht dran. Eher schon, dass Trump hier mitliest. Hello Mr. President, nice to have you with us, feel comfortable! 
Schade, dass das Oktoberfest abgesagt wurde. Ich hätte mich gefreut. Wo sollte man mit einem einzigen „Prosit der Gemütlichkeit“ Herdenimmunität erzielen, wenn nicht auf der Wies‘n? Außerdem hege ich gewisse Hoffnungen, dass das gute Beispiel der Negativpreise Schule macht und aufs Bier übertragen wird. Man sitzt bei der Fischer-Vroni, trinkt eine Maß und bekommt noch fuchzig Pfennig obendrein. Wird nun wohl nichts draus.
Karl Lauterbach sagt, Schule wie früher, quasi Oldschool, wird es erst 2021 wieder geben. Oha, noch so ein Knaller. Nichts ist unmööglich. Alle Gewissheiten wanken. 
Selbst der angebliche Unfall im Labor in Wuhan erscheint mir von Maß zu Maß weniger unwahrscheinlich. Holadariti!

23.4.
Sex im Sommer 1984. AIDS ist dabei Thema Nr.1. Ich kaufe jede Woche den Spiegel, weil ich dort die fundiertesten Infos vermute. Hardliner damals: Peter Gauweiler, der AIDS-Zwangstests fordert. Vor AIDS gab es, so behaupten jedenfalls die Älteren, „freie Liebe“, völlig angstfrei. Den Begriff „Safer Sex“ gibt es erst seit dieser Zeit, und das Kondom ist zum Standard geworden, bis heute. 
Das Kondom des Corona-Zeitalters ist der Mundschutz, und das Gesicht ist sein Penis. Ohne das Kondom der ‚Neuen Normalität’ wird man uns nie wieder sehen.
Durchbruch beim Impfstoff. Hach, wie gerne wäre ich einer der Freiwilligen, die jetzt das Zeug auf seine Verträglichkeit testen. Sowas liebe ich: Man lässt sich eine Spritze verabreichen, wartet ein paar Stunden, und dann kriegt man Pickel oder Haarausfall oder deliriert von Elvis Presley, der Grünkohl und Pinkel verzehrend im Stand auf einem Bobbycar über die Kö brettert und dabei mit vollem Mund „Muss I denn“ singt - ein klassischer Grenzgang nach Reinhold Messner (man weiß nicht, ob man lebend ankommt), aber im Gegensatz zur Mount Everest-Besteigung nicht nur das eigene Ego erhebend. Meine Schwester (beruflich vom Fach) warnt hingegen: Der Impfstoff wird am Anfang viele Nebenwirkungen haben, aber alle werden ihn wollen. Gegen herkömmliche Influenza wird sich hingegen kaum noch jemand impfen lassen - der Sensenmann dengelt schon mal sein Werkzeug, seufzt sie. 
Den wackeren Schweden drücke ich beide Daumen, dass sie gut durch die Krise kommen. Ja, es gibt dort wesentlich mehr Tote als hierzulande - aber von Zuständen wie in Italien ist man weit entfernt. Schweden ist zZt das freieste Land der Welt. Schade, dass es kein (demokratisches) Land gibt, in dem man einen ECHTEN Lockdown probiert: Nehmen wir mal an, alle Bewohner der Schweiz werden in künstliches Koma versetzt und hinter Plexiglas aufbewahrt, nach drei Wochen kriechen sie auf allen Vieren wieder raus, und die Viren sind ausgehungert. 
Man könnte anschließend Schweiz, Schweden und Deutschland miteinander vergleichen und überprüfen, wer am besten durch die Krise gekommen ist. 
Beim Warten an der Supermarktkasse male ich mir Mundschutzmasken-Reklame im TV aus. Was auch immer inhaltlich passiert, den besten Namen als Werbeträger hat: Henry Maske. 
Nicht nur ich erhelle den Tag mit derlei Geistesblitzen. Auch Teresa weiß zu witzeln. Ihr Favorit: „Fällt der Sommerurlaub aus? Für uns nicht! Wir fahren ans Meer - wissen nur noch nicht, ob Schlafzimmeer oder Wohnzimmeer“.
Schönen Tag allerseits!

24.4.
Mitte März habe ich mir ein Trimmrad bestellt, ‚made in China’; damals war noch nicht absehbar, wie streng die Ausgangsbeschränkungen werden würden, und ich wollte auf einen tatsächlichen Stubenarrest vorbereitet sein. Bald beseelte mich die Idee, herauszufinden, wer länger durchhält: Trimmrad oder Corona. Qualitativ macht der 104€-Kauf einen erstaunlich robusten Eindruck. Läuft rund. 
Die Qualität von Corona ist jedoch auch nicht zu verachten. Läuft ebenfalls rund, allerdings bei wesentlich günstigerem Preis/Leistungsverhältnis. 
Heute wieder Kaiserwetter, und mit der Bahn reise ich nebst Klapprad nach Murnau. Dort treffe ich meinen lieben Sohn Cyprian, und wir umradeln einträchtig Walchen- und Kochelsee. Warmherzige, körperlose Begrüßung nach turbulenten Wochen. Cyprian hat Tourismuswirtschaft studiert und hielt sich für ein Praktikum in Costa Rica auf, als es losging. Nachdem sein Arbeitgeber die Pforten schloss, wollte er die Krise in Mittelamerika auszusitzen, aber nach einer ersten Pleitewelle griff binnen Tagen Armutskriminalität um sich, und für Ausländer wurde der Aufenthalt draußen, vor allem am Strand, zu gefährlich. Und so kam Cyprian heim, mit einem Flug von San José über Toronto nach Frankfurt. Seither bangt er um einen Job auf Sardinien im Sommer. Im Herbst will er eh ein Mathe-Masterstudium beginnen, das ist gut, weil man damit nicht nur im Tourismus (womöglich eine Schrumpf-Zunft), sondern auch bei der Perforationslochberechnung in der Klopapierrollenherstellung eingesetzt werden könnte (Boom-Branche). 
Sein Zwillingsbruder Leander studiert artig online, vom Bett aus. Das Liegen liegt ihm - die Horizontale ist das, wofür er steht. Und weil er Medienproduktion und -technik studiert, geben seine Profs sich bei den neuen Lehrbedingungen keine Blöße. Meine Schwägerin hingegen berichtet von einem Geisteswissenschaftler an ihrer Uni, der geschlagene eineinhalb Stunden online dozierte, mit geschlossenem Mikro. Hunderte Male kommentierten die Studenten mit „man hört sie nicht!“, aber der ältere Herr hatte die Kommentarfunktion wohl nicht auf’m Schirm. Könnte mir genauso passieren.
Wie sagte Merkel vor nicht allzu langer Zeit? „Das Internet ist für uns alle Neuland“ - Corona aber auch! 
„Ende der Eintracht“ im Bundestag. Gut so! Ich will endlich auch wieder andere, gerne auch unvernünftige, ja abseitige Meinungen hören. ZB.: Wir versöhnen Gesundheitsapostel und Wirtschaft, indem wir auf eine Woche Lockdown eine Woche „alte Normalität“ folgen lassen, mit Petting, Party Powershopping, und dann geht’s wieder von vorne los, immer abwechselnd, solange, bis Corona verrückt geworden ist. 
In der Eisenbahn mit Mundschutz. Kriege keine Luft, so dass mir ganz blümerant wird; ich muss dringend meine Apnoe-Fertigkeiten trainieren.
Meine Frau hat beschlossen, gar keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr zu nutzen und alle Einkäufe von Hiwis durchführen zu lassen - und wenn ich mich umsehe, bin ich weit und breit der einzige, der dafür in Frage kommt. 
Schönen Tag allerseits!

25.4.
Trump empfiehlt, Desinfektionsmittel gegen das Coronavirus zu spritzen. Intravenös. Wahrscheinlich meint er Domestos - damit haben wir Halbstarken uns früher weiße Flecken in die Jeanshose gebleicht - ein Hausmittel, dem alles zuzutrauen ist. Schon der Zaubertrank bei Asterix dürfte einen ordentlichen Schuss enthalten haben, wie man nicht zuletzt an den weißen Streifen in Obelix’ Beinkleid erkennt, die entstanden, als er als Kind in den Topf fiel. Ich finde, Trumps Grundidee wird zu Unrecht verlacht. Leider habe ich gerade keine Spritze parat, sonst würde ich sogleich die Probe aufs Exempel machen - aber ich fühle mich gesund, ist also nicht dringend. Im Kampf gegen Corona hat gewiss jeder seine heimlichen Hausmittel. Ich zB vertraue auf lila Listerine, gurgle jeden Abend so lange, bis mein Schlund schmerzt. Ich gebe gerne zu, dass auch mein Konzept schulmedizinisch nur unzureichend abgesichert ist, aber bekanntermaßen ist der Placebo-Effekt ein scharfes Schwert. Wer glaubt, ist im Vorteil - auch an die Präventionswirkung von Musik und Tanz. Und so sitze ich in diesen Tagen oft am Klavier und begleite meine singende Gattin (Mozart, Schubert, Schumann) oder tanze mit den Kindern alle Viren in Grund und Boden. 
Sollte ich auch im Autokino auftreten, so wie die Kollegen Pocher und Feller? Tatsächlich zeichnet sich für Autokinos eine unerwartete Renaissance ab. Oper, Schauspiel, Ballett: Besser live im Auto genießen als auf irgendwelchen Displays daheim. Auch der Deutsche Bundestag sollte ins Autokino ausweichen, um seine Beschlussfähigkeit zu garantieren. Festivals wie Wacken würden auf diese Weise durchführbar werden. Schafft Parkfläche auf den Rängen der Bundesligastadien und betoniert den Ballermann - im Konzept des „Drive-In“ liegt ungeahntes Potential. Nicht nur Sangria oder Whopper, sondern auch Langostinos an Kerbelschaum lassen sich kontaktlos im Auto genießen. 
Auch für politische Demonstrationen in der „Neuen Normalität“ sind Autos der Schlüssel. Hupe statt Trillerpfeife, Stau statt Lichterkette! Das Demonstrationsrecht, so verzichtbar es - neben einigen anderen Grundrechten - den Verfechtern der Epidemiokratie erscheint, böte, virensicher automobilisiert, eine Chance für die verzweifelten Fahrzeughersteller. Vorschlag: Jedem Demonstranten ein Auto geschenkt, Rechnung zahlt Olaf Scholz. Weil: Auf die paar Kröten kommt’s jetzt auch nicht mehr an. Darauf ein Stamperl Domestos auf Ex! Salute!

26.4.
Der örtliche BMW-Händler bietet meiner Frau eine Coronavirenbefreiung ihres Fahrzeugs an, für sportliche 179€. Heißt wahrscheinlich, dass ein Mitarbeiter alles feucht durchwischt, oder? Mit Sagrotan womöglich?! So weit ich weiß, halten Coronaviren auf Metall und Kunststoff maximal 72h durch, dann sind sie hi‘. Man könnte also den Wagen drei Tage am Wegesrand abstellen, für 0€, bei gleichem Ergebnis. 
Wofür überhaupt ein Auto? Wir brauchen es eigentlich nur für den Weg zu unserer Berghütte im Zillertal. Da feiern die Mäuse wahrscheinlich gerade Coronapartys auf’m Tisch. Ob wir uns heuer noch zu den Nagern gesellen dürfen? Söder ist a Hundling, dem traue ich alles zu. Kanzler, klar. Aber auch, dass er die Grenzen zu Österreich noch a bisserl länger zu lässt als unbedingt nötig, als kleines Geschenk an die heimische Hotellerie. „Sommerurlaub im Ausland halte ich für sehr unwahrscheinlich“, sagt er, aber man könne ja auch wunderbar bei uns Urlaub machen. Will sagen: in Bayern. 
Seit einer Woche trage ich mein Mountainbike-Trikot aus den 80er Jahren. Meine Frau säuselt, sie liebe den Duft, vielleicht meint sie das aber gar nicht so. Auch ihr traue ich alles zu, Kanzlerin, mindestens so wie Söder, aber auch Ironie. Jedenfalls: Streng riechende Kleidung ist der effektivste Weg zum gesunden Abstand. Heute meinte ich im Gesicht eines Passanten bereits in fünf Metern Entfernung eine Reaktion auf meinen Körpergeruch zu erkennen: ein zartes Erbleichen, gefolgt von einer Verschlankung der Mundlinie und anschließendem leichten Zittern der Kinnpartie. Ob ich mich nicht schäme? Nein, ich bin nach meiner Tätigkeit bei „Die Doofen“ („Mief - Nimm mich jetzt auch wenn ich stinke“) abgestumpft. Wer Abstandsregeln ernst nimmt, folge meinem Beispiel; an der olfaktorischen Schwelle scheiden sich Möchtegern-Einsiedler von den wahren Alleingängern - denen, die nicht nur niemanden anstecken wollen, sondern auch niemanden anstecken können, mangels Umgang. 
Unser neues Tandem ist da, und wir radeln mit beiden Kindern im Anhänger ans Isarufer beim Deutschen Museum. Dort herrscht mehr Betrieb als an den letzten Wochenenden; der Trend zur Gruppenbildung ist klar. Gut möglich, dass Drosten recht hat, wenn er für Anfang Juni einen Anstieg der Reproduktionszahl größer als Eins ankündigt und wir alle wieder auf Stube geschickt werden. Ja, ich würde mich fügen, aus staatsbürgerlicher Notwendigkeit heraus, und weil ich Robert Koch und seinen Erben nie, wirklich niemals widersprechen würde. 
In manchen, schwachen Momenten denke ich aber auch: Scheiß auf die Virologen, diese halbgebildeten Wichtigtuer, vergesst die Husterie! Wascht Euch die Hände, haltet Abstand - und für alles andere ist sowieso der liebe Gott zuständig. Der lässt Dich genau dann Deinen letzten Luftzug atmen, wenn er den Zeitpunkt für gekommen hält - da kann die Beatmungsmaschine noch so emsig pumpen. Fügt Euch in Dankbarkeit für das Privileg, das ihr genossen habt, indem ihr Euch diese Veranstaltung, die man Leben nennt, mal aus der Nähe anschauen durftet. Denkt an die zigtausend Spermien, die bei Eurer Zeugung nicht zum Zuge kamen. Was für ein Geschenk, das ausgerechnet mir, Dir, uns, Euch widerfahren ist, hört auf zu jammern, zu kämpfen, genießt! Und dann danket alle Gott und macht die Augen zu.
Aber derlei traue ich mich kaum zu schreiben (außer in dieses Tagebuch), denn sonst handelt man sich schnell den Vorwurf ein, nicht mitzuziehen in diesem „Krieg“, und ruckzuck wird man zum Verräter, Seniorenhasser, In-die-Hand-Nieser. Und das bin ich nun wirklich nicht. Hatschi!👋🏻

27.4.
Beim Frühstück diskutiere ich mit Teresa, womit man in Zukunft seine Brötchen verdienen könnte. Ab Anfang Mai sind in Brandenburg Veranstaltungen mit bis zu 50 Personen draußen erlaubt. Damit wird meine Performance mit Jürgen Urig („Ifpupo“) am 11.6. im Theater in Brandenburg wieder realistisch, hurra! Vielleicht gibt’s da einen Hinterhof mit Stehtischen? Ich würde auch hinreisen und notfalls zwischen Mülltonnen auftreten, auch, wenn die Besucherzahl auf 15 limitiert wäre, so wie in den bayerischen Kirchen. 
Und meine Frau? Nächster Termin: Beethoven im November. Bis dahin gibt es theoretisch 1000€ pro Monat für drei Monate vom Freistaat Bayern pro Künstler (Anträge noch nicht verfügbar). Kein Wunder, dass viele in ihrer Branche den Kaffee auf haben. Der Bund hält sich vornehm zurück, angeblich, weil dies ein schlechtes Signal innerhalb der EU sei. „Für Künstler habt Ihr Unterstützung, aber nicht für uns“ könnte Italien klagen - dies jedenfalls befürchte, so wurde aus der CDU-Spitze kolportiert, die Kanzlerin. 
Ein Wiener Opernkollege meiner Frau, der Tenor Paul Schweinester, mit dem Teresa in Bozen sang, hat auf „singenden Fahrradkurier“ umgesattelt - nicht die schlechteste Lösung für passionierte Biker. Andere sitzen zuhause, seufzen und schluchzen sich quer durch den Quintenzirkel. Und dann gibt’s noch einen von mir hochgeschätzten Regisseur mit Steuerschulden, dessen Ratenzahlungen an den Fiskus ausgesetzt wurden - er fürchtet sich lediglich davor, dass diese Krise eines Tages zu Ende sein könnte. 
Fahrradkurier, hm. Bin ehrlich gesagt etwas neidisch auf den Tenor. Saunameister wäre auch was für mich. Innovativer Bestattungsunternehmer („Sterben ist der schönste Tod“) - beides ist aber auch nicht krisensicher. Gestorben wird zwar immer, aber momentan sind ja nicht mal ordentliche Trauerfeiern erlaubt. Wolfgang Schäuble heute sinngemäß: Wenn es im Grundrechtskatalog des GG einen überragenden Artikel gibt, dann nicht Art 2/2, „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, sondern Art 1, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Ok, strenggenommen gehören Bestattungen womöglich nicht zu dieser Würde (da das dazugehörige Leben dann ja bereits vorbei ist), aber der Abschied der Angehörigen zu Lebzeiten ganz bestimmt. Unklar, ob Schäuble dies im Sinn hatte, als er auf Artikel 1 hinwies (es gibt so einige Gründe für diese Intervention), auf jeden Fall verschaffte sie mir große Erleichterung. Danke.
Abends kommt Sohn Leander, mit üppigem Bart und rosiger Gesichtsfarbe. Er hat gleich zu Beginn des Lockdowns das Rauchen aufgegeben, um sein Risiko zu verringern. Chapeau. Ob er schon weiß, dass Nikotin angeblich gegen Corona hilft? „Die Hypothese ist, dass Nikotin an Zellrezeptoren anhaftet, die vom Coronavirus genutzt werden und damit die Anhaftung des Virus verhindern“, erklärt Prof. Jean-Pierre Changeux vom Institut Pasteur in Paris. Schon wurden in Frankreich Hamsterkäufe von Nikotinpflastern verboten. 
Ich habe sogleich Tabakindustriekapitäne vor Augen, die sich freuden- und schampustrunken in den Armen liegen und „Jauchzet! Frohlocket!“ jubilieren. Ob ich meinen Sohn auf diese überraschende Wendung hinweisen soll? Mir raucht der Kopf. 
Abends Anne Will. Ich kann keine Politiker mehr ertragen, die über den Bürger (also über mich) reden wie über ein unmündiges Kind. Ich streike jetzt. Sucht Euch gefälligst andere Bürger! (stampft mit dem Fuß auf, wirft sich auf den Boden, zieht sich den Mundschutz vors Gesicht und geht ab). 
Schönen Tag allerseits!

28.4.
Zur gemeinsamen Bergtour reist Sohn Cyprian mit dem Auto an und wird prompt von der Polizei kontrolliert. Wachtmeister mit Du-Du-Zeigefinger im Stand-By-Modus: „Wohin des Wegs?“ - „Zum Wandern auf den Herzogstand!“ - Aber sie wissen schon, dass das nicht geht?“ Cyprian, angstfrei wie immer: „Natürlich geht das. Es wird davon abgeraten, aber es ist nicht verboten“. Dann zeigt er dem Schupo einen Screenshot der entsprechenden Pressemitteilung des Staatsministeriums. Der Ordnungshüter möchte wissen, welche Berge mein Sohn denn sonst so besteige. „Dremelspitze, Holzgauer Wetterspitze, Parseierspitze, und zwar alleine“, antwortet er. „Alles klar, genehmigt“, lacht der offenbar alpinistisch versierte Polizist und winkt ihn durch. Berg heil! 
Wie im Agentenfilm, nur ohne Trenchcoat:  Nachmittäglicher Spaziergang mit einer Wissenschaftskoryphäe, die über beste Kontakte nach Wuhan verfügt. Das dortige Labor sei von seinen chinesischen Bekannten von Anfang an für den Ursprungsort der Pandemie gehalten worden, und nicht der Wochenmarkt. Mittlerweile stehe das Labor leer. Alles ausgeräumt, alle Spuren beseitigt. Und dann berichtet er von einem Zusammenhang zwischen Letalität und Cortison-Überdosierung: Viele Opfer in nahezu allen heimgesuchten Staaten seien nicht an Corona, sondern an zweifelhaften Behandlungen verstorben. Im Gegensatz zu den Opfern sei die Pandemie für Politiker mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung ein Geschenk: Nach Jahren der Politikverdrossenheit werde jede Entscheidung von der Bevölkerung maximal wahrgenommen, auch von denen, die sich eigentlich nicht die Bohne für Politik interessieren. Und nach seiner Beobachtung seien die pathologischen Narzissten unter den Politikern immer auch Hypochonder. Warum? Weil sie meinen, sobald ihre Gesundheit einen Knacks erleide, breche der ganze Laden zusammen. Systemrelevantissimo quasi.
Erster Einkauf mit Maske. Eine Frau bleibt im Eingang stehen, sie hat ihren Mundschutz vergessen. Kurzerhand hält sie sich einen Sack Kartoffeln vors Gesicht - Problem erledigt. Ich hingegen kriege wieder keine Luft. Die Vorstellung, bis zum Sanktnimmerleinstag mein Antlitz auf diese Weise verbergen zu müssen, bereitet mir allergrößten Kummer. Ich klammere mich an die Vorstellung, dass es sich nur um ein temporäres Gesetz handelt, das spätestens dann, wenn die Impfung da ist, ausläuft. 
Bei der abendlichen Brotzeit bereichert mein Sohn Leander den Tag um einen originellen Gedanken: Vor dem Hintergrund des offenkundigen Wettbewerbs der Nationen um das fähigste Krisenmanagement erinnerten ihn die nun allgegenwärtigen Schutzmasken an die vielen Deutschland-Fahnen während des Sommermärchens 2006: ein Statement der Einigkeit, völlig unverkrampft und fast freiwillig. 
Und dann erzählen wir uns schlechte Lauterbach-Witze und räsonieren uns bittersüß dem Sonnenuntergang entgegen. 
Ach ja; Info des Tages: Das Wort „Homeoffice“ wird nur auf Deutsch als Synonym für Telearbeit verwendet. Stand so in der „Welt“, die ich krisenbedingt abonniert habe und morgens um sechs zum Kaffee lese. 
Home Office ist in Großbritannien: das Innenministerium.
Schönen Tag allerseits!

29.4.
Telefonat mit meinen Eltern. Mein Vater (84) redet sich angenehm in Rage: ‚Da behauptet diese Gesellschaft, der Schutz des Lebens gehe ihr über alles. Und weißt Du, woran man am besten erkennt, wie verlogen das ist? Jeder kann abtreiben, wie er will“. - „Nun ja“, wende ich beschwichtigend ein, „die Leute betrachten den Fötus eben noch nicht als vollwertiges Lebewesen“ - „Genau“, schnaubt mein Papa, „als Mensch gilt man hier erst, wenn man eine Steuernummer hat. Spass beiseite; was die Leute antreibt, ist ihr eigenes Leben. Ihre Angst. So, ich geh jetzt eine Runde Einkaufen!“
Gute Idee. Auch wir packen unsere Schnutenpullis ein und radeln in die Münchener Innenstadt. Dallmayer. Hilfe, ist das abgefahren. Hinterm David-Hamilton-Filter meiner beschlagenen Brille sehe ich das altbekannte Schlaraffenland, aber das maskierte Personal wirkt in dieser Szenerie wie die Komparserie eines Horrorfilms. „Hospital der Geister“ gelingt es mir noch zu assoziieren, dann fehlt mir der Sauerstoff, ich kriege Kreislauf und stürze ins Freie. Könnte mir de jure ein Attest geben lassen wegen Asthma, aber dann müsste ich wahrscheinlich immer mit gezückter Spezialerlaubnis die Läden betreten, würde trotzdem schäl angesehen oder gar angeschnauzt werden. Womöglich käme ich auch in die Bildzeitung als Härtefall, mit Foto, auf dem ich traurig gucke, Mitleidsadressen der Kollegen und Spendenaufruf. Nein, lieber ersticke ich, als dass ich mir diese Extrawurst braten lasse. Ich frage mich, ob ich der Einzige bin, dem unter dem Mund- und Nasenschutz blümerant wird? Meine Gattin beruhigt mich und verweist auf eine Doktorarbeit von Ulrike Butz, vorgelegt an der TU München (2005): „Rückatmung von Kohlendioxid bei Verwendung von Operationsmasken als hygienischer Mundschutz an medizinischem Fachpersonal“. Kernaussage: „Sofort nach Anlegen einer normal dünnen OP-Maske wird ausgeatmetes CO2 rückgeatmet. Es kommt u.a. zu Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, schnellerer Atmung, schlechterer Feinmotorik. Menschen mit verminderter Lungenfunktion werden durch das Tragen solcher Masken gefährdet. Die Maske bei Infizierten schützt andere, aber belastet die Träger selbst erheblich“. Hätte nicht übel Lust, alle zu verklagen: Bayern, EU, Bundesrepublik Deutschland, WHO, Wochenmarkt Wuhan, Robert Koch, wegen Verstoß gegen Artikel Wasweißich. Mir erscheint die juristische Sachlage klar, so klar, wie es meine beschlagenen Brillengläser eben erlauben, aber ich habe neben zwei großen auch zwei kleine Kinder, somit keine Zeit für derlei Sperenzchen. Nein, ich muss Wickeln, Turnen, Bobbycarrennen fahren, nicht irgendwelche Jens Spahns verklagen. Zwist liegt mir doch gar nicht. Meine innere Stimme meldet sich: Beruhige Dich, Boning. Du atmest schon wieder zu schnell. Das schaffst Du schon. Schau doch die Leute um dich herum, die lassen die Nase frei, Laschet-Style, ganz lässig. Hast Du das nicht drauf? So, wie die Hipster einen Rucksack mit nur einer Schlaufe über der Schulter tragen? Nein, ich bin so entsetzlich folgsam in derlei Fragen. Ein Mega-Spießbürger. Man stelle mir mitten in der Wüste ein Schild „Betreten verboten! vor die Nase, und ich versuche sogleich, mich zu verdünnsieren...japs...mir wird...schwarz vor Augen...ich werde ohnmächtig...
Im Traum betrete ich das Purgatorium. Am übergroßen Himmelsschlüssel erkenne ich Petrus, mit den Zügen des jungen Markus Söder. Um gut Wetter zu machen, singe ich ihm „Are you lonesome tonight“ vor, mit reichlich Elvis-Timbre. Dann behaupte ich, regelmäßig CSU gewählt zu haben. Söder schaut finster. „Du lügst!“. Dann öffnet sich eine Klappe unter mir, ich falle tief und wache schweißgebadet auf.

P.S.: 8:36 Uhr. Bin von verschiedenen Seiten darauf aufmerksam gemacht worden, dass ich einer vereinfachenden, womöglich verfälschenden Zusammenfassung der Doktorarbeit aufgesessen bin, die von Aluhutträgern für Aluhutträger angefertigt wurde. Oder für Naivlinge wie mich, die für ihre Luftnot medizinische Gründe verantwortlich machen wollen und nach Argumentationshilfen suchen. Ich ärgere mich sehr darüber, dass mir dieser Lapsus unterlaufen ist. Am liebsten würde ich mich aus Scham bei Facebook abmelden, wie schon einige Male zuvor. Aber wie lautet das alte albanische Sprichwort? „Es kann nicht immer Sonntag sein“. Weitermachen.

Freitag, 17. April 2020

Corona: Vom Hammer zum Tanz.

25.3.
Wenn man im Park trimmtrabt, begegnet man zwei Gruppen: die eine sucht auf den Wegen die weitestmögliche Distanz, geht gebückt und hastig, die Blicke sind ernst, wenn nicht gar hinter Mundschutz verborgen. Die andere Gruppe grüßt verschwörerisch, und mir war, als sei mir mehr als einmal zugezwinkert worden. 
Gravitätisch rollen Polizeiautos über die Wege, sie ähneln den Schwänen auf dem Nymphenburger Kanal. Unfreiwillig komisch wirken hingegen jene roten Kleinbusse, die durch Münchens Straßen rollen und mit „harten Strafen“ denen drohen, die sich nicht an die Ausgangsbeschränkungen halten. Die Stimme ist eins zu eins aus „Fahrenheit 451“, dem Truffaut-Film. 
Fast hätte ich gestern gesündigt und wäre zum Beten in die Kirche gegangen. Theo schlief, und er ist eh noch zu klein, um mich zu verpetzen...

26.3.
Für Einbrecher brechen harte Zeiten an. Nur besonders kernige Spitzbuben trauen sich derzeit in fremder Leute Wohnungen, zum einen, weil diese in der Regel bevölkert sind, zum anderen, weil die Insassen, Verzeihung, die Bewohner ja positiv sein könnten und dann an jeder Schmuckschatulle, an jedem Tresorknauf die fiesen Viren kleben. Immerhin dürfen Einbrecher auch weiterhin mit dem Auto auf die Straße, denn Mobilität ist in diesem Gewerbe unverzichtbar. Theoretisch, denn praktisch sind die meisten Einbrecher klassische Freiberufler und mit Kurzarbeit kaum zu retten. Bleibt nur das „Helikoptergeld“, 5000€ Soforthilfe aus der Gießkanne. 
Ich überlege weiterhin, wie ich mir unsere Lage schönreden kann. Derzeitiger Favorit: die Annahme, dass wir nach langer Zeit die ersten Europäer sind, die durch eine Seuche großen Stils ihren Wohlstand ruinieren. Corona komplettiert gleichsam unsere Bildung; wir können besser nachfühlen, was die Bibel meint, wenn sie neben Erdbeben, Meerwasser (?), Dürre und Heuschrecken eben von Seuchen als einer Geißel der Menschheit spricht. 
Nachrichten aus Neuseeland. Erstmal: Faszinierend, dass unsere dortigen Freunde vor exakt den gleichen Herausforderungen stehen wie wir. Vier Wochen Ausgangsbeschränkung, ähnlich wie in Bayern, wobei Mountainbiken verboten ist. Unsere Freunde sind neuerdings arbeitslos, aber das Ausfüllen des Nothilfeformulars dauerte kaum zwei Minuten und am nächsten Tag war eine Zuwendung von 7000 neuseeländischen Dollar pro Nase auf dem Konto, wobei ein Dollar momentan 0,54 € wert ist. Wie lange man mit diesem Geld auskommen muss, konnten unsere Freunde auch nicht sagen - aber wer kann sowas schon in diesen Tagen? Niemand.
Was ich bereits heute nicht mehr hören kann: die Grußformel „Bleiben Sie gesund!“ Ich persönlich habe schon umgesattelt auf „Schönen Urlaub!“. Wobei ich mir unter echten Corona-Ferien etwas völlig anderes vorstellte. Hatte an ein Leben im Schlafanzug gedacht, mit offener Mähne und Däumchendreh imGummihandschuh, aber alle Nase lang ruft jemand an und fragt, ob ich an einer dieser TV-Shows mitwirken möchte, in denen ungepuderte Promis in ihre Webcams stieren und sich gegenseitig ins Wort fallen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sage ich natürlich alles ab, vor allem, weil ich gar kein brauchbares WLAN im Haus habe. Lieber preise ich mich für den übernächsten Schritt an, der sicher in einigen Wochen im TV Furore macht: Heimlich rausgehen, völlig grundlos, aber mit echter Kamera, und womöglich auf echte Menschen treffen, mit angedeutetem Handshake (Spannungsmusik). Morgen allerdings bin ich in der Comedy Konferenz bei SAT1 dabei, mit Hugo. Man hat in einem Studio in Unterföhring mein Wohnzimmer nachgebaut, auch ohne WLAN, aber mit echter Kamera. Ich habe mir vorgenommen, mich volkspädagogisch nützlich zu machen, indem ich verzweifelten Eltern ein paar simple Experimente zur Beschäftigung ihrer Rabauken an die Hand gebe. Hugo hat sich vorgenommen, das Wort „Corona“ nicht ein einziges Mal fallen zu lassen. Ein hehrer, aber übermenschlich erscheinender Vorsatz. Morgen, 20:15, SAT1.

27.3.
Wir werden alle Erntehelfer. Kellner, Komiker und leichte Mädchen stechen den Spargel, in Highheels, und zwar nicht unbedingt, weil die wirtschaftliche Not sie zwingt, sondern weil man auf diese Weise mal raus kommt, ins Grüne, weite Blicke bis zum Horizont genießen kann, mit der begehrten PlatinCard des Gewerbeaufsichtsamtes. 
Was ich auch für denkbar halte: Ein neues Zeitalter der Kleinstaaterei bricht an. Die Reichsbürger wünschen sich das Deutschland von 1937? Pustekuchen! Bayern macht seine eigenen Regeln; 1937 hätte ein Markus Söder gewiss kein eigenes Infektionsschutzgesetz verabschieden dürfen. Ich denke eher an 1815, Graf Montgelas und den Kini. 
In Hessen wiederum darf man nur noch ganz alleine spazierengehen, à la „Erbarmen, der Hesse kommt!“ 
Wie ich gestern hörte, sind in Köln alle Hotels zu, während es in Düsseldorf noch Zimmer gibt. Deutschland, ein Flickenteppich: Jetzt ist sie da, die Chance für uns Oldenburger, das unausgegorene niedersächsische Experiment endlich zu beenden. Wir wiederbeleben den Großherzog und setzen ihm die Korone auf. 
Puh, immer diese unfreiwilligen Geschmacklosigkeiten. Gestern in der SAT1-Comedy-Konferenz ging es ja u.a. darum, Hits von den Lippen abzulesen. Ein Hit war „Atemlos durch die Nacht“, nun ja. Man muss aufpassen wie ein Haftlmacher! 
Ich freue mich schon auf die Zeit, in der man Trash-Klamotten über unsere Ära drehen kann. Eingangsszenario: Chinesische Generäle sitzen im Brainstorming und überlegen, wie sie die Panne im Wuhaner Biowaffenlabor vertuschen können. In die konzentrierte Stille hinein sagt einer: „Ich hab‘s! Wir sagen, der Virus kommt vom Wochenmarkt!“ Schweigen. General zwei: „Aber das ist doch völlig unglaubwürdig! Wer sowas behauptet, wird für einen Aluhutträger gehalten werden!“ Der Magen des Obergenerals knurrt. „Wir brauchen eine Lösung und gleich ist Mittag. Gibt’s weitere Vorschläge? Und was gibt’s heute eigentlich in der Kantine?“ General drei: „Fledermausragout“. Der Obergeneral erhebt sich. „Gut. Die Fledermäuse haben Schuld, die von Flugsäuger Schmidt am Wochenmarkt. Bitte Bericht anfertigen und mir vorlegen. Mahlzeit allerseits!“
Nach der SAT1 „Comedy Konferenz“ (gute Ansätze, aber etwas kurz) schwinge ich mich in der Geisterstunde aufs Rad und fahre durchs mucksmäuschenstille München. Zwei Omnibussen begegne ich, ferner meine ich auf der Leopoldstraße ein Taxi zu erahnen. Sonst nichts, kein Mensch, kein Auto, auf 15 km Wegstrecke. Ich muss gestehen, dass ich dieses Dornröschenhafte genieße. Das erste Mal, dass ich eine Stadt so leise erlebe seit der Ölkrise 1973, als ich auf dem Oberrohr des väterlichen Hollandrades über die Oldenburger Umgehungsstraße kutschiert wurde, auch bei Dunkelheit - ein Moment, der sich tief eingeprägt hat. 47 Jahre musste ich auf die Neuauflage warten. Um zwei im Bett, melancholisch und beglückt.

28.3.
„Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben“ (schrieb Rilke). Anbandeln wird immer schwerer. Erst war „Me Too“, jetzt Corona (sagt meine Frau). Aus der „Armlänge Abstand“ sind nunmehr zwei Armlängen geworden. Gut, dass die Äußerung von meiner Gattin kommt und nicht von mir, denn als Mann muss man mit derlei vorsichtig sein. Sonst droht social distancing (Kackwort). Gestern wurde ich bei Facebook bereits für die „Geistige Scheiße“ gerügt, die ich im Zusammenhang mit Covid 19 absondern würde, wohl, weil ich alles in einen Topf würfe. Kack, Scheiß, Topf - auch sprachlich lässt sich unsere kollektive Analpsychose in diesen Tagen gut erkennen, die Klopapier zur weichen Ersatzwährung der Deutschen hat werden lassen. Wegen weniger Rollen hat es schon Prügeleien gegeben, und eine Frau wurde in Handschellen vom Kassenband getragen, weil sie nur eine Großpackung mit nach Hause nehmen durfte und daraufhin randalierte. Ich kann dieses Hakle-Horten nicht verstehen: Wozu Klopapier, wenn man sich doch eh nicht mehr die Hand gibt? 
Gestern im Hirschgarten. Tolles Wetter, viel Betrieb. Ein halbes Dutzend grüne Minnas, zudem zwei Polizeipferde sorgen für Abstand. Beliebter Zeitvertreib: Andere Kleingruppen beobachten und darüber spekulieren, ob tatsächlich alle zu einem Hausstand gehören. Ist binnen Tagen zu so einer Art Volkssport geworden. Eine Frau blökt in ihr Handy, die Familie nebenan sei ja wohl kaum blutsverwandt, höchstens Patchwork. In ihrem Blick liegen Sorge und Tadel. Warum denn die Polizei da nicht einschreite? Sowas will doch wenigstens überprüft werden! 
Theo möchte die Hirsche im Gehege füttern, wir haben aber nichts dabei. Eine fremde Frau überlässt ihm ein paar Karotten. Um Ansteckung zu vermeiden, gibt sie ihm die Möhren aber nicht in die Hand, sondern legt sie auf den Boden und weicht rückwärts zurück - so wie man früher nach der Audienz beim König den Thronsaal verließ. Bin gespannt, ob wir jemals zurückfinden zur naiven Knuddelei. Womöglich werden wir dereinst den jungen Leuten erzählen, dass es da mal eine Zeit gab, in der man sich umarmte und küsste. „Küssen?“ - „Das ist, wenn sich die Lippen berühren“ - „Ohne Mundschutz?“ - „Ja!“ Ungläubige Kinderaugen.

29.3.
Am Zeitungsstand (systemrelevant, uff). Einmal „Die Welt“ bitte. Während der Verkäufer mein Exemplar aus einem Blattstapel fischt, nuschelt er „Die Welt am Abgrund“, und ich muss lachen. „Ist doch wahr“, sagt er, „ das sollten die zu ihrer Unterzeile machen, wo sonst „unabhängig und überparteilich“ steht. Gute Idee. 
Wir sind Stammkunden in einem Münchener Café („Ooh baby I like it raw“), das neuerdings Lieferservice anbietet, allerdings nur innerhalb des mittleren Ringes, und wir wohnen außerhalb. Also rauf aufs Klapprad-Tandem, mit Kinderanhänger zu viert ins Gärtnerplatzviertel. Am Eingang kommen wir mit dem Kurierfahrer ins Gespräch (shame on us), der eigentlich als Übersetzer für die Polizei arbeitet, aber derzeit arbeitslos ist, mangels Kriminalität. Ja, das ist sein Ernst; eine der stillen Sensationen am Wegesrand des Weltenlaufs. Nun hat die Polizei in diesen Tagen auch wahrlich besseres zu tun als Langfinger dingfest zu machen, nämlich die Einhaltung der Ausgangsbeschränkungen durchzusetzen. Mit den erworbenen Sandwiches suchen wir nach einem Ort für den Verzehr (im Café natürlich verboten, davor ebenso). Am Gärtnerplatz wird eine der Parkbänke frei, und wir lassen uns nieder. Die Polizeistreife geht umher und fordert die Menschen auf, sich zu zerstreuen, und mit einem Ohr schnappen wir auf, dass „Picknick nicht erlaubt“ sei. Geistesgegenwärtig holt meine Frau ihren Busen aus der Bluse und stillt Mathilda, woraufhin uns die Polizei gewähren lässt - wohl, weil Stillen auf dem fahrenden Rad weit weniger akzeptabel wäre. Andererseits: Ist denn Stillen an der frischen Luft etwas anderes als ein „Picknick“, wenigstens im juristischen Sinn?
Weniger Glück haben wir kurz darauf im Englischen Garten. Ich tolle mit Theo auf einer Grünfläche. Die nächsten Personen sind fünfzig Meter entfernt, sonnenbadende Amerikaner mit nacktem Oberkörper. In einem Moment der Unkonzentriertheit entschließe ich mich zu einem kleinen Nickerchen, kuschle mich an mein Söhnchen und schließe die Augen. Prompt nähert sich ein Mannschaftswagen der Polizei und scheucht uns per überlauter Lautsprecherdurchsage auf. Nur Sport und Spaziergänge seien erlaubt; sich auf den Grünflächen niederlassen sei ein nicht statthafter Versuch, die Ausgangsbeschränkungen zu unterlaufen. In mir ringt die Scham des Ertappten mit dem Unmut des passionierten Mittagsschläfers, der sich um seinen Tageshöhepunkt betrogen fühlt. Also ab nach Hause.
„Home Office“ klappt bei mir gar nicht. In unserem kleinen, nun aber immens wertvollen Garten habe ich mein Zelt aufgebaut, ja, jenen Walmagen, in dem ich einst zweihundert Nächte kampierte, in der Hoffnung, hier ab und an zu produktiver Tätigkeit zu finden. Inzwischen jedoch ist es zur Außenstelle einer Bibliothek geworden, gefüllt mit Suchwimmelbüchern und Titeln wie „Mathilda Huhn“, „Biene Bibi“ und „Henriette Bimmelbahn“, und sobald ich mich Richtung Zelt bewege, folgt mir Theo mit einem weiteren Buch und besteht darauf, dass ich ihm vorlese. Nur gut, dass mein Kalender derzeit leer ist wie die Straßenbahnen, die geisterhaft durch unser Viertel fahren - mein Berufsleben hat Pause. Diesen Text schreibe ich im Wohnzimmer, am Morgen, während die Kinder ausschlafen. Höre gerade: Theo ist wach. Muss schließen. Schönen Tag allerseits!

30.3.
Ob es einen Bewohner dieser Stadt gibt, der noch nichts von diesem Conora, äh, Corolla-Gedöns gehört hat?
Auf den Grünstreifen am Romanplatz lagen vor einem gefühlten Jahrzehnt gebrauchte Kondome und Taschentücher, heute sind sie ersetzt durch einzelne blaue und schwarze Gummihandschuhe sowie ausrangierte Mundschutze. Ich betrachte den Krisenmüll und überlege, ob ich mir nicht einen eigenen, schicken Mundschutz nähen sollte. Irgendetwas originelles, glamouröses, vielleicht mit Pailletten. Oder aus einem alten Netzhemd. Habe doch gerade gelesen, dass Mundschutz auch kontraproduktiv sein kann, indem er nämlich ein trügerisches Sicherheitsgefühl vermittelt und zur Unvorsicht verleitet. Dann vielleicht gleich aus Netz, ohne Funktion, aber immerhin mit Punk. 
Ich weiß noch, wie amüsiert meine Frau und ich uns vor einigen Wochen anschauten, als in einer Talkshow ein Epidemiologe auf die Frage der Moderatorin, wie man die neuen Viren bekämpfen könnte, antwortete: „Am besten, wir schließen zwei Wochen lang Schulen, Läden, das ganze öffentliche Leben...“ Neben dem Wissenschaftler saß Karl-Josef Laumann, der Gesundheitsminister von NRW, und zog die Stirn in Falten. Und wir meinten zu erahnen, was er dachte, nämlich: Mutiger Vorschlag, aber komplett undurchführbar. Crazy shit. Mag ein fähiger Wissenschaftler sein, aber vom wahren Leben hat er keine Ahnung, köstlich. Hoffentlich lachen sie ihn daheim nicht aus. Und heute?
Telefonat mit einer befreundeten Ärztin, die seit kurzem Leiterin einer Corona-Station ist. Die Röntgenbilder der schweren Fälle sähen schlimm aus, und es gäbe Fälle in allen Altersklassen. Allerdings habe man noch Kapazitäten, und wenn die Ausgangsbeschränkungen wirkten wie erhofft, würde es mit Glück Intensivplätze für alle geben. Warum es in Italien nur wenig Rückgang bei den Neuinfizierten gäbe? Weil sich die Leute nicht an die Vorschriften halten würden. Und was sie von der Diskussion um die „Exit-Strategie“ hält? Sie könne sich vorstellen, dass in einer Übergangszeit die Risikogruppen daheim blieben, die Läden und Restaurants öffneten, aber alle Mundschutz trügen, konsequent. Hm, denke ich, Mundschutze aus alten Netzhemden wird sie da kaum im Auge haben, und ich rüge mich innerlich für meine Burschikosität. Und dann male ich mir ein 5-Sterne-Lokal aus, und die livrierten Kellner tragen kleine Frackschöße im Gesicht. Und maskierte Prostituierte, womit wir doch wieder beim Netzgewebe wären.
Den abendlichen Tatort überspringen wir und schauen uns ohne Vorfilm einen Horrorschocker namens „Anne Will“ an. Großartig besetzt und gruselige Dialoge. Plot: Was ist besser, so schnell wie möglich das öffentliche Leben wieder zulassen und ein Wiederaufflammen in Kauf nehmen oder langer Shutdown? Erkenntnis: Ein langer Shutdown schützt nicht vorm Wiederaufflammen. Ob denn die Wirtschaft überhaupt noch zu retten sei? Gute Frage. Eine Woche kostet Deutschland ungefähr einen kompletten Verteidigungshaushalt. Erträglich wird der Reißer, ganz wie im wahren Leben, durch das, was man in Hollywood den „Comic Relief“ nennt. Peter Altmeier: „Wir muten den Leuten viel zu, und sie halten sich daran. Das ist eine großartige Erfahrung“. Fragt sich nur, für wen...

31.3.
Meine Frau war beim Apotheker, der versucht, sich mit Gold und Silber zu schützen. „Bitte wie? Wovor soll das schützen? Vor Wertverlust? Er kauft also Gold und Silber?“ - „Nein, er nimmt‘s oral. Sogenannte Kolloide oder so ähnlich“. Meine Stirn wirft Falten. „Das hilft? Was ist denn das für‘n Apotheker?“ - „Ein ganzheitlicher. Sagt er. Und dann hat er mir noch Thermalwasser empfohlen. Wirkt angeblich besser gegen Viren als ein Mundschutz“. Mit bedeutungsschwangerem Blick überreicht sie mir eine kleine Spraydose mit französischem Thermalwasser, das man sich, so der ganzheitliche Apotheker, zum Schutz vor Ansteckung einfach ins Gesicht sprüht. Fasziniert probiere ich‘s sogleich aus. Schmeckt salzig. Kombiniere: Bei Corana handelt sich um sehr salzophobe Süßwasser-Viren, und der innerlich vergoldete Apotheker ist ein Genie - oder eben nicht. 
Unweit der Apotheke befindet sich unser Lieblingsbuchladen, der nunmehr nach Hause liefert. Problem: Titel, die auch nur entfernt mit Seuchen zu tun haben, sind derzeit nur schwer lieferbar, offenbar ähnlich begehrt wie Schutzausrüstung und Backhefe. Und so bestellen wir vor allem Bücher, die uns momentan nicht die Bohne interessieren, für später. Unsere Lieblingseisdiele können wir leider nicht mehr unterstützen; sie wurde behördlich geschlossen, nachdem Kunden ihr Eis vor dem Geschäft verzehrt haben sollen, wogegen der Eisdealer vehementer hätte vorgehen müssen. Puh, auch für ihn werde ich beten, in meiner neuen Gartenkapelle. Habe nämlich im Zelt einen kleinen Reisealtar vom Flohmarkt installiert, ein aufklappbares, ziemlich ramponiertes Kleinod, ausgeschlagen mit rotem Samt. Dass meine Gebete dem Erhalt der Eisdiele helfen, kann ich zwar nicht garantieren, aber wirkungsloser als der Einsatz von Thermalwasser werden sie kaum sein. 
Zu Besuch bei meiner Schwägerin Vroni. Sie wohnt im vierten Stock in Schwabing. Wir fahren mit unserem Klapptandem nebst Kinderanhänger vor und rufen an. Sie erscheint auf ihrem kleinen Balkon und wir rufen uns „Wie geht’s?“ und „Muss ja!“ zu. In meiner Kindheit gab‘s bei Radio Bremen eine Sendung, die hieß „Schnack übern Gartenzaun“ - daran muss ich denken. Könnte man jetzt schon mal wieder neu konzipieren: Talk auf Distanz. Übern großen Teich, hinter der Mauer, durch Geschossdecken hindurch. 
Mama am Telefon: „So neu ist die Situation für mich nicht. Früher gab‘s ja TB“. Tuberkulose, ach ja. Hat unsereiner schon fast vergessen, dabei gibt es noch heute weltweit eineinhalb Millionen Tote pro Jahr. Und dann erzählt sie mir von einem Kindergeburtstag, den ich besuchte, und der Lebensgefährte der Mutter des kleinen Jubilars hatte „offene“ (also ansteckende) TB, woraufhin alle Festgäste, auch ich, zum Röntgen der Lunge ins Krankenhaus mussten. Ich kann mich an nichts erinnern, aber vielleicht ist Corona weniger ein „Einschnitt“ als eine „Rückkehr zur Normalität“ - Seuchen gehören zu unserem Dasein einfach dazu, so wie Schneeregen, Silberfische und der Sensenmann. Wir hatten‘s nur zwischenzeitlich vergessen.

1.4.
Aua, aua. Meine Frau hat Zahnschmerzen, und eine Wurzelbehandlung ist fällig. Problem: Der Zahnarzt hat nur noch begrenzte Mundschutz-Reserven, und sobald diese aufgebraucht sind, muss die Behandlung (vier Termine) abgebrochen werden. Dabei ist er einer der wenigen Dentisten, die in unserer Gegend überhaupt noch aktiv sind. 
Mundschutz ist seit heute in österreichischen Supermärkten Pflicht. Vielleicht ist dies auch ein guter Zeitpunkt, um das Burka-Verbot aufzuheben, denn eine Burka ist epidemiologisch nicht zu verachten. Gibt es eigentlich seriöse Studien über Tröpfcheninfektion in Afghanistan? Wenn ich Christian Drosten richtig zugehört habe, müsste schon ein simpler Schnupfen in Kabul eine Rarität sein, sofern die Hände regelmäßig gewaschen werden. Eine Burka hat als Schutzkleidung den zusätzlichen Vorteil, dass ihr Tragen das Zum-Gesicht-Führen der Hände deutlich erschwert. Wer weiß; vielleicht kommt eines fernen Tages sogar die Burka-Pflicht für alle, also zB nächste Woche - nie veränderte sich das öffentliche Bewusstsein schneller als derzeit. Das gilt natürlich auch fürs Handy-Tracking, auf das ich persönlich mich lieber einlassen würde als auf eine totale Ausgangssperre wie etwa in China. 
Gerade versicherte der Gesundheitsminister, die Verwendung der Tracking-App beruhe bei uns auf Freiwilligkeit. Und wenn schon; käme ein Handyzwang, würde sich für mich persönlich wenig ändern; ich habe mein Handy eh immer zwanghaft dabei, muss ja die News checken - im Gegensatz zum Händewaschen, an dessen Zwanghaftigkeit ich noch arbeite. Eine Zeitlang meinte ich, mich mit Handschuhen vor Viren schützen zu können, nicht zuletzt, weil man dann besser erkennt, wenn man sich unbewusst im Gesicht herumfuhrwerkt. In der Praxis jedoch ärgerte ich mich darüber, dass man in Fäustlingen so schlecht popeln kann - und zog sie bald wieder aus. Jetzt wasche ich zwar mindestens die geforderten fünf Mal täglich, aber selten volle 30 Sekunden lang. Nach spätestens 20 Sekunden fragt eine innere Stimme, warum ich mir denn so oft die Hände wasche, wenn ich doch eh den ganzen Tag zuhause verbringe, wo ich mich ja kaum anstecken könne. Noch arbeite ich an einer plausiblen Antwort auf diese Frage.
Meine Frau ist strikt gegen das Handytracking, egal ob freiwillig oder nicht, sie ist aber auch gegen Hausarrest und will möglichst sofort in den Urlaub fliegen, woraufhin mir ein unbedachtes „Wir müssen jetzt die Zähne zusammenbeißen“ herausrutschte. Aua, aua. Wird schon.

2.4.
Ich mag das Wort „Corona“ nicht mehr hören, nicht in den Mund nehmen, ich mochte „Corona“ noch nie. Schon wie dieser Strolch rumläuft, mit seinen kantigen roten Warzen. Welche Designer-Null hat sich diesen Quatsch ausgedacht? Ähnelt einem billigen Massageball von der Resterampe, einem dieser leicht klebrigen Gummiteile mit stechenden Ausdünstungen. Ja, mit diesem Virus kann man keinen Blumentopf gewinnen, jedenfalls, was die Optik angeht. 
Im Innern sieht’s nicht besser aus. Das Ding taugt nicht. Keine hochwertigen Rohstoffe, nur stinknormale Ribonukleinsäure und handelsübliches Eiweiß. Auch geschmacklich gewiss kein Meisterwerk, schmeckt nach Arsch und Friedrich. 
Über die Geistesleistungen dieses Emporkömmlings unter den Ärgernissen müssen wir gar nicht diskutieren: Jedes halbe Hähnchen hat mehr Grips als Co...nein, ich spreche den Namen nicht aus. 
Vom Umgang mit populistischen Parteien sollten wir gelernt haben: Indem man sie und ihr Wirken überhaupt zum Thema macht, ihren Namen nennt, schenkt man ihnen wertvolle Publicity, man macht sie erst groß. Schluss damit! Schweigt die Dinger einfach tot! Da sollten gerade die Öffentlich-Rechtlichen mal in sich gehen. Ja, es stimmt, dass das Virus selbst in den Talkshows kaum zu Wort kommt, aber all die Animationen, Hochglanzfilmchen, Virologen. Das hätte ich auch gern, dass ich nicht in die Talkshow gehe und stattdessen ein Boningologe mich erklärt. Diese Wissenschaftler-Nummer macht den Corolla-Halunken doch nur noch wichtiger! Dann interviewt lieber gleich das Virus, ich wette, der Wichtigtuer kriegt das Maul nicht auf. Hat nicht eine funktionierende Lösung für die wahren Probleme in petto. Und Probleme gibt‘s nun wirklich zuhauf. Jetzt Rettungsschirm für Galeria Kaufhof. In meiner geliebten „Karstadt-Raucherecke“ haben Olli Dittrich und ich wichtige Doofen-Titel geschrieben, und ein Deutschland ohne Galeria Kaufhof mag ich mir nicht vorstellen. 
Ich wette, Corolla kennt noch nicht einmal die Grundzüge des Insolvenzrechtes. Ist völlig inkompetent, ja gefährlich - da muss ich noch nichtmal die berühmte Nazi-Keule bemühen, um dies festzustellen. Ihr Fernsehgewaltigen, nehmt um Himmels Willen diesen Corolla aus dem Programm! Danke schön.

3.4.
Die Arbeit ruft. Seit Tagen, lauter und lauter. Sie ist schon ganz heiser. Viele Stunden saß ich in den letzten Wochen mit Theo in der Sandkiste, schippte Sand in einen großen Eimer, von dort auf die Schaufel eines kleinen Plastikbaggers und wieder zurück in den Eimer, imposante 150l/h, aber es gelang mir nicht, die Stimme unterm Spielsand zu begraben, die da krächzte: „Da ist noch ein Artikel, den Du schreiben wolltest, für das Radmagazin „Fahrstil“!“ Ich bin seit drei Tagen überfällig, was mein Gewissen peinigt, und die Tatsache, dass Theo es nicht gerne sieht, wenn ich ungefragt die Sandkiste verlasse, taugt als Ausrede nur bedingt. Also reiße ich mich schlussendlich zusammen, drücke meiner Frau die Schaufel in die Hand und verstecke mich im neuen Home Office, also hinter zugezogenen Gardinen auf dem Balkon, wo ich den Artikel ins Handy tippe. Wie eigentümlich, sich gedanklich mit einem Text zu beschäftigen, der harmlose Fahrradtouren behandelt. Naja, man könnte auch Artikel über Fernreisen schreiben müssen oder Bussibussi oder eine Theaterkritik, das wäre noch unpassender derzeit. 
Nach der Fertigstellung schiebe ich Theo auf seinem Bobbycar eine Runde spazieren. Normalerweise wäre dies viel zu gefährlich, wegen des vielen Verkehrs, aber derzeit geht’s. Das gehört zu den Vorteilen dieser Tage, so wie die saubere Luft, das irisierende Licht, die angenehme Ruhe, das besonders frische Grün. Der ansonsten von mir geschätzte Chefredakteur der Welt, Ulf Poschardt, twitterte hierzu: „die umweltfreunde, die sich angesichts tausender toter, intubierter und sterbender über das aktuelle aufatmen der natur freuen, sind zumindest ehrlich“, und ich antworte: „Weiß ich nicht. Ich liege morgens im Bett und stelle fest, dass die Vögel lauter zwitschern. Ist es unmoralisch, sich hieran zu erfreuen? I wo.“ Ein weiterer Quell der guten Laune: Hemmungsloser, entfesselter Knoblauchkonsum. Aglio e Olio ist unser neuer Spitzname, und der Weg zurück in die Gesellschaft wird uns schwerfallen - wenn er denn überhaupt je kommt.
Erste Überlegungen bezüglich Haarschnitt. Abrasieren? Verlottern lassen? Ich favorisiere einen klassischen Topfschnitt. Heute besorge ich Schere und Haarschneidemaschine (sofern noch erhältlich), Töpfe sind vorhanden, und dann darf Teresa sich an mir austoben. Schnippschnapp!

4.4.
Ich nehme zu. Der Mundschutz lässt im Supermarkt meine Brillengläser beschlagen, und dann sehe und nehme ich es nicht mehr so genau, was an der Kasse im Wagen liegt. Kennt Ihr diese extragroßen Tafeln Schokolade, fast wie kleine Bügelbretter? Keine Ahnung, wer mir die untergeschoben hat. Könnte dieser Astronaut am Eingang gewesen sein, der Einweiser mit dem Integralvisier. Oder die Mascarponecreme und die Weichgummis, wo kommen die her? Übergesprungen, so wie die Viren auf den Menschen? Beim Verzehr lautet mein Motto: Wenn schon Ausgangsbeschränkungen, dann wenigstens keine Eingangsbeschränkungen, und: happs. Sollte die Krise länger dauern, passe ich bald nicht mehr durch die Wohnungstür, so dass die Polizei sich um mich schon mal nicht mehr kümmern muss. I (Bäuerchen) stay at home. 
Da steckt doch ein Plan dahinter! Cui Bono? Der Einzelhandel könnte die Sache eingetütet haben, angeführt von den internationalen Papierherstellern, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen, entlang der Perforationsstanzungen ihrer vierlagigen Toilettprodukte. Womöglich stecken sie unter einer Decke mit der Discounter-Mafia unter der Ägide von Mas Capone (bitte nicht weitersagen). Andere Kenner der Szene behaupten allerdings, der Plan habe die Abschaffung des Bargeldes zum Ziel, was der Papierindustrie weniger helfen würde, und die Wortkargen unter den Welterklärern belassen es bei schlanken zwei Silben: „Fünf“ und „G“.
Ortstermin beim dm am Rotkreuzplatz: Zwischen den Kassenspalieren hängen neuerdings blickdichte Folien von der Decke, welche die Spuckschutzverglasungen ergänzen. Haarschneidescheren sind aus - das hatte ich mir fast gedacht. Stattdessen landen Nougat-Eier, Hustenbonbons (präventiv) und Studentenfutter im Wagen. 
Weiter zum Kaufhof nebenan. Der hat zwar eigentlich zu, aber die Lebensmittelabteilung im Untergeschoss ist geöffnet, und um dorthin zu gelangen, durchquert man Schuhe und Parfüm. Es brennt nur eine Notbeleuchtung, und alle Regale sind unter Folien verschwunden. Assoziation: Tarnnetze und Verdunkelung. Man denkt unwillkürlich an Kriegswirtschaft, wobei mein 96-jähriger Onkel W. (Lungensteckschuss in Sewastopol) gestern die Krise etwas rustikal kommentierte : „Da war’s ja im Krieg noch besser - da hatten wenigstens die Kneipen auf!“
Zuhause zaubert meine Gattin einen neuen Smoothie, der neben Banane und Chia-Samen ein Viertelpfund Erdnussmus enthält, einen sogenannten Musi. Meine, unsere Versorgung mit vollwertigen Leerkalorien, so viel ist sicher, hat mit echter Kriegs- und Mangelwirtschaft derzeit nichts zu tun (blubb).

5.4.
Jetzt ist Zeit, nicht nur in der Wohnung, sondern auch im Grundgesetz aufzuräumen. Dem einen oder anderen mag aufgefallen sein, dass wesentliche Grundrechte momentan außer Kraft gesetzt sind, etwa Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit, Freizügigkeit. Ich persönlich sehe die Notwendigkeit der getroffenen Maßnahmen durchaus ein, wundere mich aber über die Distanz zwischen dem, was im Grundgesetz steht und unserer Lebenswirklichkeit - die ist deutlich größer als 1,50m. 
Vorschlag zur Güte: Artikel 8 lautet zukünftig „Alle Menschen haben das Recht, sich zu versammeln, solange der Epidemiologe mit dem meisten Einfluss auf die Politiker dies für vertretbar hält“. Zu schwammig? Wir könnten den Chef-Virologen zum Verfassungsorgan machen, zum „Seuch“. Ja, das klingt ein bisschen wie „Scheich“, stimmt, aber eigentlich dachte ich an eine Abkürzung von „Saubere Hände bzw. Stubenarrest für euch“. Beim Seuch ließen sich Kompetenzen des Gesundheitsministers, des Kanzlers, des Bundestags-, des Bundesrats-, des Bundes- sowie der Ministerpräsidenten bündeln, und als Dienstsitz empfehle ich den Podcast des NDR (hat sich bewährt). 
Sie meinen, es bringe nichts, jetzt im Grundgesetz rumzupfuschen? Hm. Andere Idee: Wir lassen das Grundgesetz so, wie es ist, ersetzen lediglich die Präambel durch das Infektionsschutzgesetz, dessen Bestimmungen im Zweifel immer über den nachfolgenden Regelungen stehen. Für jene, die beruflich das „Grundgesetz unterm Arm tragen“ müssen, empfehle ich eine leichtgewichtige Kurzfassung der neuen Präambel, nämlich: „Hauptsache gesund!“
Unser Fernseher ist kaputt. Beim Finale von „Deutschland sucht den Superstar“ blockieren digitale Bildfehler den Informationsfluss, und auch der Ton bleibt sekundenweise weg. Das WLAN ist schon länger im Eimer. Ist bereits untersucht worden, ob sich SARS-CoV-2 auch in Rechenmaschinen einnisten kann, quasi als Computervirus? Mir war neulich, als habe mein Handy Husten, jedenfalls wenn man es auf laut stellt. Was, wenn unsere Partner, Freunde, unsere liebsten Lieben, nämlich unsere Smartfons, auch erkranken können? Ich weiß nicht, was Ihnen der Seuch empfiehlt, aber ich setze vorsorglich auf digital distancing, bzw. im Notfall Schutzkleidung am Display. 
Habe ich eigentlich Angst? Wir Bonings halten uns seit Generationen für unangreifbar. Schwere Krankheiten werden traditionell mit einer Mischung aus Ignoranz und Alkohol niedergestreckt. Mein Vater ist 84 und geht jeden Tag einkaufen, ohne Handschuhe und Mundschutz, und die Hände wäscht er sich anschließend auch nur, weil meine Mama so nachdrücklich darauf besteht. 
Ich persönlich bin unsicher, ob ich hohes Fieber überhaupt bemerken würde, da mir die hierfür notwendige Sensibilität fehlt - ein Mangel, den ich kaum noch werde beheben können. Auch mit der Flaute in meinem Arbeitskalender und dem bevorstehenden Verlust meiner Rücklagen („einmalige Vermögensabgabe“) habe ich mich innerlich längst abgefunden. Wovor ich mich allerdings fürchte, sind diese besonders martialisch anmutenden Schutzmasken, die manche Menschen jetzt tragen. Neulich beim Rossmann: Ein junger Mann mit riesiger Gasmaske, zwei Filter links und rechts, wie ein Erschrecker in der Geisterbahn. Megagruselig, wie Dieter Bohlen sagen würde. Entsetzt wich ich nach hinten zurück, wo sich allerdings gerade eine ältere Dame Sagrotantücher in den Wagen legte und mich für meine übergriffige Nähe ein „Rindvieh“ schimpfte.
P.S.: Hat Chiara eigentlich gewonnen?

6.4.
Ein älterer Jogger muss husten. 
Wir beobachten ihn aus der Ferne, auf einem Hügel im Hirschgarten stehend. Es ist typisch für diese Ära: Einer hustet, und alle merken auf. Gespräche enden abrupt, egal, worum’s ging, und ernste Blicke richten sich gen Klangquelle, auch die Blicke der jüngeren Dame im Läuferdress, die unterhalb von uns ihre Oberschenkel dehnt. 
Gespannte Stille. Dann hört man, dass der Husten keineswegs trocken ist (schon mal gut). Überdeutlich zieht der ältere Herr Rotz aus Hals und Nase in die Mundhöhle, kaut schnaufend auf dem Batzen herum und spuckt diesen dann mit Verve auf die Rasenfläche neben sich - so wie’s in anderen Tagen auch ein Christiano Ronaldo getan hätte. 
Wir stehen weiter auf unserem Hügel, etwas perplex, aber entspannt, da sich der Vorgang doch sichere 40 Meter entfernt abspielt. Der ältere Jogger, jetzt von der Last des Sputums befreit, läuft frohgemut weiter und will unseren Hügel passieren. Da zeigt die junge Dame unter uns mit ihrem Finger auf den Herrn und blafft in schneidigem Feldwebelton: „Das nächste Mal gefälligst in die Armbeuge!“ Der Gemaßregelte hält an, sein Blick ist leer, er weiß offenkundig nicht, was er sagen soll. Die Ansprache ist ihm gewiss unangenehm, aber er hat wahrscheinlich wenig Erfahrung damit, in einer Grünanlage von einer jungen Frau in einem Ton gerügt zu werden, den man am ehesten aus den Militärklamotten der 70er Jahre kennt, etwa „Wo bitte geht’s zur Front?“ oder „Kompanie stillgestanden!“
Ohne weitere Regung setzt der Mann seinen Dauerlauf fort. Teresa und ich müssen lachen, woraufhin sich die junge Frau zu uns umdreht. Theo hat mittlerweile auch seinen Arm ausgestreckt und deutet auf den davontrabenden Herrn. „Ist doch wahr“, erklärt die Standpaukistin, jetzt im zivilen Flötenton, „das ist doch ein schlechtes Beispiel für ihren Sohn!“ Wir lachen lauter, und Theo zeigt weiter mit dem Finger hinter dem Herrn hinterher und imitiert nun die Spuckrüge im Offizierston. Und dann kläre ich sie über den Grund unseres Gelächters auf, nämlich, dass man in die Armbeuge sehr wohl niesen soll, nicht aber spucken. Jedenfalls nicht unbedingt. Und dass es sicher lustig wäre, wenn der angetrocknete Rotz in der Armbeuge zum Alltag gehörte, auch auf Stehempfängen in der feinen Gesellschaft.
Apropos: Boris Johnson wurde ins Krankenhaus gebracht. An ihm habe ich mich in den letzten Jahren abgearbeitet. Ich war sein Fanboy, sein Verächter. Habe sogar einen Zeitungsartikel über ihn geschrieben. Dass ausgerechnet bei ihm der Krankheitsverlauf schwerer zu sein scheint, geht mir seltsam nah. 
Als unsere Kirche leer ist, singt Teresa konspirativ „Laudate Dominum“. Will sie ab jetzt jeden Tag machen. Und am Abend musizieren meine Frau und ich gemeinsam bei Instagram.„Ridente la Calma“, auch von Mozart. Genieße die Ruhe.

7.4.
„Das Spiel ist die Arbeit des Kindes“, sagte Hannah Arendt. Und viele Kinder arbeiten momentan unter erschwerten Bedingungen: Ihre Arbeitsplätze, die Sandkisten, Schaukeln und Rutschen sind geschlossen, die Lieferketten gestört (niemand da, dem man die Schaufel wegnehmen kann), und die Treffen der Spielgruppen, in denen Theo (20 Monate) mitarbeitet, fallen aus. Eine von denen, so wurde gestern vorgeschlagen, solle jetzt per Skype stattfinden, Unkostenbeitrag 7,50€. Wir lehnen mit hochgezogenen Brauen ab, dachten eigentlich, Kurzarbeitergeld werde gezahlt, nicht entrichtet. 
Lieber versuchen wir, den Mangel zu ersetzen, singen nicht nur „Schotterwagen“, „Auf der grünen Wiese steht ein Karussell“ und andere Action-Hits, sondern ich verbringe weite Teile dieser Tage in der Horizontale, als lebendes Trampolin. Auch ein Wörterbuch habe ich angelegt, mit den Grundbegriffen der theodorischen Sprache: „Ata“ ist Wasser, „Ane“ Katze, „Ütata“ Hubschrauber. Ich spreche es nahezu fließend! 
Beim Spaziergang im Hirschgarten begegnet uns ein fremdes Kind, auf das Theo lächelnd zuläuft. Der Adressierte beginnt hemmungslos zu weinen. Nein, wahrscheinlich nicht aus Angst vor Ansteckung, aber vielleicht, weil die Übung fehlt. Interaktion als Sonderfall - der Gleichaltrige als Exot. 
Apropos „Ane“: Die Nachricht, dass in New York Tiger positiv getestet wurden, lässt für die Katzen in Deutschland nichts gutes erwarten. Sollten auch sie den Virus übertragen können, heißt es Pfotenwaschen, kommt die Maulschutzpflicht, mindestens. 
Auch die Zukunft der EU sehe ich inzwischen leider pessimistisch. Gut möglich, dass es die gewohnte Reisefreiheit alsbald nicht mehr geben wird. Bundeskanzler Kurz: „Die Grenzen bleiben zu, bis es eine Impfung gibt“. Realistisch betrachtet kann das dauern, jedenfalls lang genug, um sich so richtig in die Haare zu kriegen. Kurz brüstet sich damit, ein besonders rigoroser Kämpfer gegen das Virus zu sein, und Ruprecht Polenz (CDU) erinnert daraufhin auf Kurz‘ Seite bei facebook erstaunlich undiplomatisch an Ischgl. So undiplomatisch, dass in einem anderen Kommentar Wolfgang Ischinger (Münchener Sicherheitskonferenz) zur Mäßigung aufruft. Derlei Töne kenne ich, und zwar aus den Spielgruppen, wenn’s Streit um die Schaufel gibt. 
Jetzt basteln alle Länder an ihrer eigenen Corona-App. Kann man nicht wenigstens den europäischen Überwachungs-Instrumente-Bau bündeln? Im Gegensatz zu Überwachungs-Apps habe ich Eurobonds schon immer für eine gute Sache gehalten, aber alleiner stand ich selten auf weiter Flur als heutzutage, jedenfalls unter uns Deutschen. Die Italiener werden uns unsere leeren Intensivbetten kaum nachsehen. Hoffentlich fliegt uns der Laden nicht komplett um die Ohren. Irgendwo habe ich doch noch einen 10-Mark-Schein liegen, den kann ich schon mal suchen gehen...
Und zwar am besten zügig. Die Entwicklung geht so irre schnell, dass ich kaum mitkomme. War nicht Jürgen Klopp bis gerade eben noch Held der Liverpooler Fans? Jetzt ist er bei denen unten durch, weil der Verein Gehälter aus dem Notprogramm der Regierung zahlen lässt. Der Premierminister kann sich hierzu nicht äußern, er kämpft um sein Leben. Ich bete für ihn, so wie für alle anderen schwer Erkrankten, ihre Angehörigen, die Ärzte, Schwestern und Pfleger, und Teresa singt in unserer leeren Kirche Gounods Ave Maria. Ich wünsche uns allen Gesundheit. Genießt den Tag, so oder so.

8.4.
Papa (84) am Telefon. Er ist bester Laune, und das ist nicht selbstverständlich, fällt doch in diesem Jahr das Wildeshauser Schützenfest aus. 
Er: „Ich kenne einen prima Corona-Witz. Willste hören? Also. Da geht einer jeden Tag in die Kneipe (schonmal gut), bestellt sich drei Bier und trinkt sie hintereinander auf ex. So geht das tagaus, tagein. Irgendwann fragt ihn der Wirt: „San‘se mal: Was ist das eigentlich fürn Ding mit diesen drei Bieren, die sie da immer trinken?“ 
Mann: „Ich habe einen Freund in Amerika und einen in Australien, und wir sehen uns nur selten. Und da haben wir vereinbart, jeden Tag getrennt voneinander, aber in Gedanken gemeinsam in die Kneipe zu gehen und ein Bier zu trinken“. „Aha“ nickt der Wirt, „alles klar!“
Ein paar Wochen gehen ins Land, und eines Tages bestellt der Mann keine drei, sondern nur noch zwei Biere. Der Wirt fragt besorgt: „Oha, ist einer ihrer Freunde tot?“ - „Nein, ich habe aufgehört zu trinken“.
Glucks.
Meine Managerin Steffi und ich glauben, dass frühestens im Sommer wieder Fernsehsendungen produziert werden, bei denen ich mitmachen kann. Den Wiederbeginn des Theaterlebens erwarten wir nicht vor 2021 - könnte also eine längere Pause werden. Genug Zeit zum ausgiebigen Zeitunglesen, konstatiere ich, und spendiere mir ein 3-Monatsabo der „Welt“, richtig auf Papier, hurra. Lustig: Mein Papa hatte just exakt die gleiche Idee, allerdings mit der Süddeutschen Zeitung.
To-Do-Liste abgearbeitet. Gedichte für Roberto eingesprochen, auf dass er sie vertonen kann. Kleine Filme für „HISTORY“. Ein Video-Glückwunsch für das Krankenhaus Waldfriede in Berlin, auf dessen Dach ich einst eine Woche zeltete (wird 100 Jahre alt). Ein Blutspendeaufruf für Werder Bremen. Ein kurzes Interview für das Rad-Magazin. Teilnahme an Tommy Krappweis‘ Twitch-Talkshow. Zeit zum Zeitunglesen? Von wegen...
Teresa singt in unserer Kirche „Kinderlieder“ von Aribert Reimann, was a capella nach vereinsamtem Wahnsinn klingt (also völlig normal heutzutage). Als der irritierte Küster (?) auftaucht, schiebt sie noch ein Stück ‚Exsultate Jubilate’ von Mozart hinterher. 
Alles wieder gut.

9.4.
Die Kapelle St.Corona steht seit 1672 in einem Wäldchen südlich von München. Corona hieß eine junge Syrerin, die im zweiten Jahrhundert als Christin hingerichtet wurde, und später stieg sie zur Schutzheiligen bei Hagel, in Geldangelegenheit und bei Seuchen auf. Dass diese drei Probleme zusammengehören, weil Epidemien Bilanzen verhageln, hat sich bis heute nicht geändert, nicke ich verständig und betrachte die vielen frischen Kerzen im kleinen Vorraum der Kapelle. Draußen wartet mein Rad, auf dem ich hierher gerollt bin, um die Namensgeberin unserer bizarren Ära zu besuchen - jedenfalls vermute ich, dass die SARS-Viren nach der Syrerin benannt wurden und nicht etwa nach der mexikanischen Bierspezialität. 
Auf einer Erklärtafel wird detailliert Coronas Tod im Jahr 172 beschrieben: Man band sie mit Armen und Beinen an zwei starke, zu Boden gebogene Palmen und ließ diese anschließend emporschnellen, woraufhin ihr Körper in zwei Teile gerissen wurde. Merkwürdige Strafe; wer denkt sich sowas aus? Und lassen sich alle Palmen bruchlos zu Boden biegen? Sodann grüble ich, welcher Tod unerfreulicher ist: Jener durch Ersticken oder der auf dem Palmen-Katapult? Ich male mir beide Ablebe-Methoden am eigenen Körper aus, kann mich nicht aber entscheiden, was ich nehmen sollte, wenn man mich vor die Wahl stellte. Katapult geht schneller, aber in der modernen Palliativmedizin gibt es Morphium plus Stimmungsaufheller, deren Wirkung mich - theoretisch - durchaus interessieren würde. Blass und blümerant wanke ich ins Freie. Welch sonniger, wonniger Tag.
Wie ich lese, haben sich Hamburg und Schleswig-Holstein auf eine Öffnung der Grenzen geeinigt. Letztes Wochenende mussten Radler und Spaziergänger aus Hamburg nämlich am Rand der Hansestadt umkehren, gestoppt von Schleswig-Holsteinischer Polizei. Deren Aktion gehört in eine Spezialschublade, zu der ich auch das Verbot einer Demonstration mit zwei (!) Teilnehmern in Rheinland-Pfalz zählen möchte sowie die Inhaftierung (!) eines Stuttgarters, der zu einer Demo aufgerufen hatte. Diese Schublade möchte ich mal mit dem Wort „unverhältnismäßig“ beschriften, um Unsachlichkeit zu vermeiden. Noch schlimmer finde ich den doppelten Grenzzaun in Konstanz, und dass Pendler aus Lothringen an der saarländischen Grenze von Bundespolizisten als „dreckige Franzosen“ beschimpft worden sein sollen (Quelle für alle Vorfälle: ZDF Spezial). Höre ich sowas, gerate ich schnell in einen köchelnden Zustand, kriege leichtes Fieber. Ganz zu schweigen von den Lagerkindern auf den griechischen Inseln. Und da erzähle mir noch einer etwas über die „großartige Solidarität“ in diesen Tagen. Hui, so langsam rede ich mich in Rage. Wird Zeit, dass die Mundschutzpflicht eingeführt wird. Die Gesichter mancher meiner Landsleute werden dadurch nämlich erheblich gewinnen. Ist gut; brrrr, ruhig Brauner; ich regele mich schon wieder runter. War gar nicht böse gemeint; bitte herzlich um Entschuldigung. Schönen Tag allerseits!

10.4.
Staubsaugerbeutel, so sagt das Radio, lassen sich in fünf Minuten zu einem passablen Mundschutz umbauen. Sogleich öffne ich meinen alten Kobold, entnehme den Beutel und überlege, wie der Tipp anzuwenden ist. Atmet man durch das Loch, durch welches normalerweise der Staub in den Beutel gelangt? Ich mache einen kurzen Test, muss aber husten, weil der Beutel bereits gefüllt ist. Immerhin lässt sich erkennen, dass man mit einem Staubsaugerbeutel, den man sich vors Gesicht schnallt, einem Tapir ähnelt. Genau mein Ding. Gehe gleich am Karsamstag ins Fachgeschäft und kaufe ein Vorratspack - wenn die Beutel dann nicht schon lange ausverkauft sind. 
Ein Blick ins Jahr 2100. 
Covid-19 ist lange besiegt, die Impfung flächendeckend, an die große Pandemie können sich nur die ganz Alten erinnern. „Corona“ war zwei Dekaden lang ein Synonym für Desaster, ähnlich wie „Rammstein“ einige Jahre zuvor. Doch so wie man bei „Rammstein“ im Präcoronikum an laute Musik mit tiefdröhnenden Stimmen dachte, so steht „Corona“, wie wir alle wissen, heute für Freiheit und Abenteuer. „Bonfortionöse Corona“ sagen die Leute, und sie meinen damit: Ein unterhaltsamer Ausflug, bunte Kurzweil. Wie kam es zu dieser Umdeutung? Während der großen Depression, die auf die Krise folgte, geriet der Tourismus des 20. und frühen 21. Jahrhunderts in Vergessenheit. Man blieb daheim; die meisten Flugzeuge wurden gebraucht, um Schutzausrüstungen zu transportieren, der Rest unterstützte den Grenzschutz oder wurde, um der Erderwärmung Herr zu werden, verschrottet. Wenn gereist wurde, dann virtuell, mit VR-Brillen, aus denen VR-Ganzkörpermaschinen, schließlich VR-Räume entstanden, in denen man die Grenzen von Sein und Zeit überwand. Im späten Postcoronikum langweilten sich die Leute zunehmend mit Virtual Reality - sie sehnten sich nach „echten“ Erlebnissen, scheuten sich aber weiter davor, die Grenzen zu überwinden, die unsere Länder und Sicherheitssektoren seit der Krise trennen, aus der tradierten Angst vor Handschlägen und Denunziantentum. Gleichzeitig gelangen der Schrumpfungsforschung spektakuläre Erfolge: Pünktlich zum 50. Jubiläum des Großen Sieges der Welt über das Virus gelang es erstmals, einen Menschen auf die halbe Größe eines Tabakmosaikvirus zu verkleinern. Karl-Heinz Drosten-Hülshoff aus Kerpen unterzog sich freiwillig der riskanten Prozedur und überlebte mehrere Jahre mopsfidel in einem Reagenzglas in Heidelberg. Bereits drei Jahre später wurde die erste kommerzielle Reise in einem zum Tauchboot umgebauten Coronavirus durch einen menschlichen Körper unternommen, und schon in der Grippesaison 2081/82 wurden virale Reisen in die Bronchiolen bekannter Persönlichkeiten zum Dealbreaker der tot geglaubten Tourismusindustrie. Natürlich waren diese Unternehmungen spektakuläre Touren; mit etwas Glück endete eine solche Reise im Niesflug bei 300 km/h, was sich für einen Menschen mit einer Körperlänge im einstelligen Mikrometer-Bereich nochmal rasanter anfühlt als für einen ungeschrumpften Zeitgenossen (UZG) - von denen es heutzutage bekanntlich nur noch sehr wenige gibt, wegen des Platzproblems auf der Erde. 
Na jedenfalls: Wilde Ritte, spannende Begebenheiten wurden bald generell „Corona“ genannt - und das ist bis heute so geblieben.

11.4.
„Früher war alles besser“ - nie war dieser Spruch so gut wie heute. Sagt meine Frau Teresa, die in der neuen Zeit noch immer nicht so recht angekommen ist. Vorm Ruffini in Neuhausen steht eine Schlange, bestehend aus zwei Senioren, zwischen die eine der frühen Dampflokomotiven passen würde, als Virenschutzdistanz. Ich verlangsame in aller Vorsicht bereits einen ganzen Häuserblock von der Kuchentheke entfernt - so wie man sich als Trapper im alten Amerika den Indianern näherte: Waffe ablegen, Joppe öffnen, Hände hoch. Dann mit offnem Lächeln näher kommen. In diesem Geiste schiebe ich den Kinderwagen voran, allerdings nicht freundlich lächelnd, sondern mit geschlossenem Mund, Lippen aufeinander gepresst. Halt auf der anderen Straßenseite. 
Teresa läuft einfach weiter, Baby Mathilda in der Trage. Die Dame hinten hebt den Finger. „Hallo?! Nicht vordrängeln, junge Frau!“ Teresa, etwas unwirsch: „Ich möchte nur gucken, was es gibt!“ Mir schwant böses. Der Herr vorne: „Sie da! Zwei Meter Abstand einhalten!“ Teresa, jetzt mit irritiertem Blick: „Zwei Meter stehe ich doch von ihnen weg, oder nicht? - „Nein, das sind keine zwei Meter!“ - „Ich bitte sie, das sind mindestens zwei Meter!“ Er: „Ich kann ja ein Maßband holen, dann messen wir nach“. Ich amüsiere mich. Natürlich beträgt der Abstand zwei Meter, aber Angst essen Maßband auf, wie schon Fassbinder bemerkte. Aus der Sicht des Seniors sind zwei Meter gefühlte 50 cm. Ausserdem hängt da ja noch die kleine Mathilda in der Trage - quasi doppelte Todesgefahr, macht nach Adam Riese 25 cm. Dies versuche ich nach dem Kuchenkauf meiner Gattin zu vermitteln, dringe aber kaum zu ihr durch. Sie sehnt sich auch weiterhin immer raus, will spazieren, auf Parkbänken ein Buch lesen, während ich mich in der neuen Welt bereits häuslich eingerichtet habe. Ich will gar nicht mehr ins Freie, fühle mich draußen gehemmt und unwohl, will zurück ins Bett. Und als auf der Heimfahrt auf unserem Oldtimer-Tandem das Tretlager kaputt geht, suche ich die Schuld sogleich bei mir. Geschieht mir recht, in Wirklichkeit haben wir nichts an der frischen Luft verloren, schon gar nicht im Sitzen. Söder gibt sich zwar in den letzten Tagen großzügig und behauptet, man dürfe sich auf einer Parkbank niederlassen, aber ich glaube ihm nicht. Das ist doch nur ein hinterlistiger Indianertrick. Häuptling Söding Bull will mich in eine Falle locken, und dann bin ich umzingelt; Schwarzfußindianer vom Stamme der CSU binden mich an den Marterpfahl, und dort werde ich unter Mundgeheul herdenimmunisiert. Nicht mit mir, Freundchen! 
Meiner Schwester erzähle ich am Telefon vom wohl endgültigen Fahrtende unseres 50 Jahre alten Doppeldrahtesels, und sie witzelt: „Tja, es sind die Alten, die Corona nicht überleben“ Bevor wir nun wegen Unernst in einem Shitstorm ertrinken: Knöpft euch mich vor, aber lasst meine Schwester in Ruhe. Sie ist Krankenschwester, kann die mildernden Umstände der Systemrelevanz beanspruchen. 
Jetzt, ohne Tandem, werde ich Phase 2 einleiten: Noch zuhauser, die Arme überm Kopf zum Dach geformt, wie das Promis in diesen Tagen eben machen. Und dann: Nicht bewegen, auch wenn die Arme lahm werden.

12.4.
„Liever düd aß Slaawe“ sagten die alten Friesen, also: lieber tot als unfrei. Kommt mir manchmal in den Sinn, wenn es für eine Selbstverständlichkeit gehalten wird, den Infektionsschutz über die Grundrechte zu stellen. Die Friesen dachten bei ihrem Wahlspruch allerdings nicht an Viren, sondern an einen anderen Plagegeist, nämlich den holländischen Grafen Wilhelm IV., und sie entledigten sich seiner nicht durch Händewaschen, sondern indem sie ihn in der Schlacht bei Warns 1345 über den Jordan beförderten. 
Das ist lange her, gefühlt ähnlich lange wie eine Reportage aus China, die ich im Januar im Fernsehen sah. Ich schaute sie in einem Hotelzimmer in Köln, gemeinsam mit meinem Sohn Leander. Wir hörten von einer neuartigen Erkrankung, sahen leere Straßen, Ordnungskräfte mit Mundschutz. Unschön, dachten wir. Aber auch sehr weit weg. So wie die Buschfeuer in Australien.
Und jetzt ist Ostern. Man traut sich ja heuer kaum, in Schokoladen-Osterhasen zu beißen, nachdem auf dem Wochenmarkt in Wuhan die Viren von obskuren Wildtieren auf Menschen wechselten. Alles verdächtig, verwirrt, vergiftet. 
Die Viren gehen neue Wege, aber wir Menschen auch: Überm Bodensee, so lese ich, fahnden Polizisten vom Zeppelin aus nach Menschen, die sich nahe stehen. Zeppelin, das klingt drolliger als Drohne. Drohnen sind bedrohlich, Zeppeline angenehm altmodisch - man denkt an Knickerbocker, geschwungene Schnurrbärte und Absinth im Abendlicht. Von Polizeiwachtmeister Dimpfelmoser lässt man sich lieber beschatten als von Big Brother. Tschako, Tschako!
Söders Osteransprache kann ich leider nicht folgen, zu sehr bin ich gebannt vom detailreichen Bühnenbild. Strauß-Büste, klar. Links Graf Montgelas? Wahrscheinlich. Ferner: Ein stilisierter Baum - oder ist‘s ein hölzerner Lungenflügel? Ganz rechts: Eine Miniatur im klobigen Rahmen. Nein, wahrscheinlich doch nur eine Lebkuchendose. Söder ist doch Nürnberger, gell? Aus dieser Dose bietet er seinen Gästen sicher Lebkuchen-Printen an. Dicke Folianten in ferrero-braun. Das Bild riecht nach Zigarre, nach „Handelsgold“ rauchendem Landesvater, der sein Volk im Zeppelin über den Bodensee steuert, durch dunkle Wolken, Blitze zucken hinter den Bergen, in Italien, da, wo die Piemont-Kirsche blüht. Vor uns sieht man den Lindauer Leuchtturm. Wenn er seine Zigarre dort sicher landet, wird Söder Bundeskanzler, das steht fest. Und wenn die Landung misslingen sollte, à la Lakehurst 1937, dann bleibt uns nur die Wiederauferstehung. Frohe Ostern allerseits!

13.4.
Wann habe ich das letzte Mal jemandem die Hand geschüttelt? Vor genau einem Monat, am 12. März, bei meinem Gastspiel im Stuttgarter Renitenztheater. Corona war bereits Thema Nummer eins und die Warnungen allgegenwärtig. Backstage traf ich den Intendanten. Wahrscheinlich wollten wir beide nicht den Verdacht aufkommen lassen, zu diesen neumodischen Angsthasen zu gehören, die Jever Fun trinken, orthopädische Einlagen tragen und dreimal jährlich zur professionellen Zahnreinigung antreten. Nein, wie echte Männer wollten wir wirken, lachten guttural und bleckten unsere gelben Zähne. „Wir geben uns weiter die Hand!“ bestimmte ich mit grotesk bemühter Seewolf-Attitüde und packte seine Pranke. Wahrscheinlich dachten wir da beide in Wahrheit „Au weia, hoffentlich geht das gut!“. Kaum war er um die Ecke, wusch ich meine Flunken, und aus seinem Büro drang ebenfalls das Kikeriki eines Wasserhahns. 
Mein Vortrag am darauffolgenden Tag in Auenwald war bereits abgesagt (schade, ausverkauft), so wie alle Auftritte sämtlicher Kollegen. Dass nach den Schlagzeilen der vergangenen Tage im Renitenztheater überhaupt nennenswert Publikum zugegen war, bauchpinselte mich. Eine schlüssige Erklärung lieferte eine ältere Dame: „Mir sin Schwabe, mir hän bezahlt“. Soweit ich weiß, bin ich der letzte Mensch, der sich in Stuttgart auf einer Bühne beklatschen ließ - bis heute. 
Ob ich jemals wieder Hände schütteln werde? Aus derzeitiger Sicht undenkbar. Kalle Schwensen hat den festesten Händedruck, kraftvoll wie eine Olivenpresse, wie Raimund Harmsdorff als Seewolf, der rohe Kartoffeln zerquetschte. Hat? Hatte! Nie wieder werde ich innerlich aua zetern, natürlich ohne mir meinen Schmerz anmerken zu lassen. Hugo Egon Balder hat diese weichen, warmen Hände, die werde ich vermissen - im Gegensatz zu manch nasser, kalter Schwitzehand. Auch „High Five“: Passé, ebenso wie „Toi toi toi“, mit Über-die-Schulter-spucken, wie man‘s im Theater so macht(e). Die Spuckerei ist eh sinnlos, wenn alle Maske tragen. Ich persönlich freue mich auf Mundschutz auf der Bühne, etwa bei Hamlet: „Ef ift waf faul im Ftaate Dänemark“. Man wird immer meinen, man schaue einen „Tatort“ mit Til Schweiger. Gut genuschelt ist halb gewonnen.

14.4.
Die Wolle muss weg! Zu den lange ersehnten Höhepunkten der Corona-Festspiele zählt der Friseurbesuch. Wobei als „Friseur“ de jure nur zwei Personen in Frage kommen, nämlich meine Frau und ich. Als Gentleman überlasse ich ihr nur zu gerne die frisch erworbene Schere, nehme im Garten Platz und entscheide mich für einen klassischen Topfschnitt. Wir nutzen eine eng sitzende Schüssel als Schablone, und ich muss an Michel aus Lönneberga denken, der in einer Episode seinen Kopf in eine Suppenterrine steckte und nicht mehr rausbekam. 
Die Schneidetechnik meiner Gattin Teresa ist unorthodox. Mehr rupft sie, als dass sie die Haare durchtrennt, was Geräusche erzeugt, die man eher in einer Gärtnerei vermuten würde als beim Figaro. Großräumig segeln die Locken zu Boden, und ich beschließe, meine Notfrisur „Lockdown“ zu nennen. 
Mich erstaunt die enorme Geschwindigkeit, mit der Teresa zu Werke geht; ihre Schopfung dauert kaum länger als das Schälen eines Kohlrabis - dabei ist dies immerhin ihre Premiere als Hairstylistin. Sie selbst ist von ihrer Kreation hingerissen - bis der Rasierer zum Einsatz kommt. Auf einen Schlag wird sie blass und kleinlaut und murmelt: „Ach so, das geht direkt bis auf die Haut“. Inzwischen ist Mathilda aufgewacht und will an die Brust, während Theo unbedingt mit der Schere spielen will, und als wir ihm dies verwehren, sammelt er das Schnittgut und stopft es sich in die Backentaschen. 
So endet Teresas Ersteinsatz mit furiosem Endspurt und „undone“, wie die Künstler in Berlin-Mitte zu sagen pflegen. Ich beschließe, mich nicht verunsichern zu lassen - und das klappt gewiss am besten, wenn ich Selfies & Spiegel in den nächsten Wochen konsequent meide. 
Wollt Ihr auch? Was, wenn wir nicht nur alle zusammen unseren Häuslichkeitsrausch geniessen, sondern auch gemeinsam-getrennt die Treppe runter fallen? Ein ganzes Volk mit Löchern im Pelz, asymmetrischen Zotten oder schlechtem Prinz Eisenherz. Wer keinen Partner hat, macht sich’s einfach selber. Und während ich dies tippe, fahre ich mir mit der freien Hand durch die verbliebenen Federn und versuche zu ergründen, wie ich wohl aussehe. Werde es beim heutigen Gang zum Einkauf in den Gesichtern meiner (unmaskierten) Mitmenschen erkennen. 
Die Leopoldina empfiehlt eine Lockerung des Stillstands. Vorschlag: Was, wenn wir Deutschland aufteilen? ZB. zeitlich: Morgens dürfen die Risikogruppen ungefährdet einkaufen, nachmittags der Rest. Oder räumlich: Nordfriesische Inseln werden für die Risikogruppen reserviert, ostfriesische für die andern. Und wer gesundet und immun ist, kriegt einen All-Area-Pass um den Hals gehängt. 
Klingt unangenehm nach Apartheid? Auweia, stimmt. War ja nur so’ne Idee. Ich denke weiter nach. Ziel ist klar: Der Michel muss wieder raus aus der Suppenterrine. Wir müssen zu Potte kommen - wenn möglich.

15.4.
Ein Infektionsgeschehen mit exponentieller Dynamik bedroht Deutschland: Langeweile. Vom Kurzarbeiter bis zum Kellner, vom Küfer bis zum Künstler, alle können sie Opfer dieser Epidemie sein. Gefährdet sind sämtliche Altersklassen.
In der Regel findet die Übertragung durch sogenannte Langweiler statt. Als Übertragungswege sind optische und akustische Signale („Gelaber“), aber auch bisher von der Wissenschaft nur unzureichend entschlüsselte Codes („Ausstrahlung“) denkbar. Die Erreger der Langeweile überleben unerfreulich lange auch auf Bildschirmen, Fensterscheiben und Tapeten, sofern man diese lang genug anstarrt. Das von Fachleuten empfohlene Therapeutikum „Malen nach Zahlen“ sowie das Hausmittel „Lesen“ bieten keinen zuverlässiger Schutz, ebenso können Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielbretter nur temporär die Langeweile aus der Luft filtern. Manch einer meint, sich in Skype-Konferenzen flüchten zu können - ein gefährlicher Irrtum. Homöopathische Mittel wie „Stars unter Palmen“ können sogar kontraproduktiv wirken. 
Hat sich die Langeweile erst einmal im Kopf eingenistet, folgen körperliche Symptome wie Müdigkeit und Abgeschlagenheit, Gähnkrämpfe und schließlich völlige Rammdösigkeit. Auch Fälle innerer Unruhe sind dokumentiert: Der Gelangweilte räumt dann die Wohnung auf, telefoniert mit entfernten Verwandten und hört im letzten Stadium des Befalls wissenschaftliche Podcasts, die ihn unter normalen Umständen niemals interessieren würden, etwa solche zum Thema Virologie. Eine Impfung gibt es nicht. 
Vorerkrankungen wie chronische Interessenlosigkeit und Stubenhockerei können den Krankheitsverlauf erschweren. 
Sterbefälle sind im letzten Stadium nicht ungewöhnlich, der Betroffene „langweilt sich zu Tode“. 
(Gähn) Bin ich womöglich infiziert? Habe ich Teresa bereits angesteckt? Bang blicke ich auf meine vom vielen Waschen trockenen, rissigen Hände (Gähn). Bin ich Hypochonder,  ist meine Müdigkeit normal? Lustlos blättere ich in einem antiquarischen Werk über grammatikalische Besonderheiten der georgischen Sprache. Teresa fragt: „Ist was mit dir?“ Mit matter Stimme antworte ich: „Wieso? (Gähn) Was soll denn sein?“ - „Du wirkst so, als wenn da irgendwas wäre, in deinem Inneren!“ Erschrocken horche ich in mein Inneres. Doch da ist nichts. Draußen kläffen zwei Hunde um die Wette. Auf dem Herd blubbert das Nudelwasser (Gähn). Von der Decke rieselt der Putz. Ja, ich langweile mich. Jetzt nur keine Panik. Wir schaffen das.

16.4.
Lange haben sie getagt, die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin. 
Macht Heidi Klum auch immer so, bei GNTM. Dauert ewig, versichert meine Frau, macht man so, um die Spannung zu erhöhen. 
Während der Wartezeit male ich mir die Skype-Konfi der Großkopferten aus. Ob das da auch so abläuft wie bei unsereiner? 
„Moment, Leute, ich muss noch eben mein Headset holen! Wo zum Teufel habe ich das wieder hingelegt?“ 
„Kretschmann, rück mal näher ans Mikro; wir hören Dich nicht!“ 
„Armin, du hängst schon wieder! Hast du überhaupt WLAN an oder LTE?“
Das Verbot von Großveranstaltungen bis Ende August heißt wahrscheinlich, dass es beim Fussball, wenn überhaupt, nur noch Geisterspiele geben wird. Wir vom Fernsehen haben ja inzwischen gute Erfahrungen mit Applaus vom Band gemacht - sowas könnte ich mir auch für die Bundesliga vorstellen. Torjubel, Fangesänge, „Schiedsrichter Telefon“ - derlei würde ich liebend gerne live dazumischen, noch lieber im Studio selber aufnehmen. James Last nannte sowas „Party Track“: Die Mitglieder seines Orchesters lachten, johlten, applaudierten, und später wurde die Spur der Musik beigemischt. 
Die Bundesliga ist angehalten, an eigenen Sicherheitskonzepten zu arbeiten. Tipp von mir: Momentan wird in den Clubs in Kleingruppen trainiert. Dieses Konzept lässt sich gewiss auch ins Stadion übertragen: Zur Not spielt man halt drei gegen drei. Drei Freunde sollt ihr sein. So entsteht automatisch reichlich Sicherheitsabstand.
Für mich persönlich bedeutet das Verbot, dass die „24h von Allach“ ausfallen. Schade. 2021 werde ich einen neuen Versuch starten, mit Hugo Egon Balder, Roberto Di Gioia und Gästen eine ganze Erdumdrehung lang auf der Bühne zu stehen. 
Viel wichtiger ist, dass die kleinen Buchhändler wieder öffnen dürfen. Für mich die schönste Nachricht der letzten Wochen. 
Und die Schule? Ach, Schule wird weithin überschätzt. Gerade in diesen Tagen. Es gibt doch eh nur ein Thema, nämlich dieser mysteriöse Husten; wie soll man sich da auf Kurvendiskussion und Konjunktiv II konzentrieren? Im deutschen Herbst 1977 war ich zehn Jahre alt und gezwungen, das Fieberthermometer zu manipulieren, um mich zwei Wochen lang von morgens bis abends einem einzigen Thema widmen zu können, nämlich Schleyer, RAF und Mogadischu. Fake-fiebernd sah ich jede einzelne Nachrichtensendung, und einiges blieb bis heute hängen, zB, dass der erste Politiker, der nach geglückter Geiselbefreiung Kanzler Schmidt gratulierte, man glaubt es kaum, Erich Honnecker war. 
Wäre ich heute Schüler und hätte nicht sowieso frei, würde ich wieder wochenlang schwänzen - und zwar solange, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht. 
Teresa und ich haben ein neues Lieblingsspiel. Es heisst: „Wegen des Infektionsschutzgesetzes“ und geht so: Einer stellt eine Warum-Frage, und der andere antwortet mit den Worten: „Wegen des Infektionsschutzgesetzes“. Beispielfragen: „Warum räumst du deine Socken nicht auf?“ 
„Warum feiert man Pfingsten?“ 
„Warum liegt hier Stroh?“

17.4.
Schluss mit lustig; ich will endlich meinen Freund Roberto Di Gioia treffen! Aber wo? Bei ihm daheim geht nicht, weil seine Frau Ärztin ist, Ihr wisst schon, systemrelevant und so. Aber was ist mit den Irrelevanten? Denen bleibt nur der Weg an die Werkbank, in die Fabrik oder eben ins Tonstudio. Wir haben uns bei Jack White eingemietet, mit Toningenieur, Bösendorfer und einem Haufen goldener Schallplatten an der Wand, etwa von KC and the Sunshine Band, Dire Straits und Depeche Mode. Bin pünktlich da, unterm Arm ein Stapel Gedichte über deutsche Fließgewässer. Nichts mit Corona - das Thema ist durch. Erstmal Smalltalk mit den Mitarbeitern. Ja, alle haben Soforthilfe beantragt, Geld hat noch keiner. Mit Steuerstundung kann niemand etwas anfangen: Heißt ja nur, dass man später um so mehr zahlen muss. „Wenn im Herbst immer noch nichts geht, sattle ich um“, sagt einer, „nämlich auf Hopfenpflücker“ - „Hat meine Mama früher auch gemacht“, berichtet Roberto, „da hat man monatelang schwarze Hände“.
Dann nimmt mein Freund am Flügel Platz, ich stehe in einer Sprecherkabine, Toningenieur Jan sitzt im Erdgeschoss - sämtliche Infektionswege sind somit blockiert. Wir nehmen 25 Gedichte mit Klavierbegleitung auf, à la „Lyrik und Jazz“, in einem Rutsch, lassen Mittagessen kommen, plaudern und scherzen, und anschließend nehmen wir alles nochmal auf, um Auswahl zu haben. Schon lustig: Was privat verboten ist, nämlich analoge Geselligkeit mit Freunden (NATÜRLICH mit dem erforderlichen Sicherheitsabstand Ausrufezeichen Ausrufezeichen), ist völlig ok, wenn es der Wertschöpfung dient. Wobei, ganz unter uns: Mit „Lyrik und Jazz“ hat man nur bescheidene Aussichten, die Studiomiete zu erwirtschaften - das dürfte eher mit Hopfenpflücken gelingen. 
Roberto traut sich nicht so recht in die S-Bahn, woraufhin ich ihm meinen gebrauchten Mundschutz anbiete, den mit dem schicken Katzenmuster, genäht von der großartigen Heike Zucker. Aber dann fällt mir auf, dass es womöglich nicht schicklich ist, dem besten Freund seinen vollgerotzten Topflappen unterzujubeln. 
Ich radle heim, und dort wartet bereits Nachschub: Zwei Niqabs aus Ägypten, die nur einen kleinen Schlitz für die Augen übrig lassen. Eine für Teresa, eine für mich. Nichts für ungut, liebe Heike, aber mit Niqab sieht man gottesfürchtig und geheimnisvoll aus, zumal, wenn der Träger ein Mann ist und den Schleier mit einem Tirolerhut kombiniert. Viel besser als der bescheuerte Krankenhaus-Look, der um sich gegriffen hat und mir den Appetit selbst im Feinschmeckerfachgeschäft vergällt. Tausendundeine Nacht. That‘s the way aha aha I like it! 
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