Manchmal komme ich auch einfach an. Zum Beispiel mit dem Fahrrad. Ich liebe es, mich mit kleinem Gepäck auf ein Rad zu setzen und von A nach B zu gelangen - auf möglichst gerader Linie. Die Aussicht, einen fernen, lockenden Ort anzusteuern, entzündet in mir ein heroisches Feuer, das alle Schmerzen und Zweifel verbrennt (ausser in Bayerisch-Eisenstein). Für solche Touren kommen alle möglichen Räder in Frage, aber Klappräder haben es mir besonders angetan. Pardon, eigentlich sagt man „Falträder" zu dem Radtypus, den ich meine, aber das Wort „Klapprad" klingt einfach knuffiger. Mein Lieblingsmodell ist das „Birdy" von Riese und Müller. Es ist für alle Strassen dieser Welt tauglich, sehr bequem, und zudem ist die Rückreise in der Bahn mit einem Birdy einfacher: Man braucht kein extra Radticket, und auch die Reservierung entfällt, die in vielen Zügen für Fahrräder Pflicht ist.
Eine meiner schönsten Klappradtouren war eine Nachtfahrt von Hamburg nach Berlin, und zwar auf der legendären Bundesstrasse 5.
Juni 2016. Nachmittags gibt‘s Pressegespräche im Hochbunker auf dem Heiliggeistfeld; der Sender HISTORY stellt die Reihe „Geschichtsjäger" vor, an der ich mitwirkte. Dann schultere ich meinen kleinen Rucksack und radele bei leichtem Nieselregen ostwärts durch die Rushhour nach Geesthacht. Ich lasse das Atomkraftwerk links liegen und erklimme das Hochufer Richtung Lauenburg. In Boizenburg an der Elbe kehre ich in die Döner-Pizzeria am Marktplatz ein und futtere mich durch die Dämmerung.
Bei der Weiterfahrt auf der B5 erfreue ich mich nur spärlichen Autoverkehrs; wahrscheinlich nutzen die heutigen Automobilisten lieber die Autobahn. 1830 wurde die spätere Reichsstrasse 5 fertiggestellt- sie war damals die erste sogenannten Kunststrasse im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin.
Alle paar Meilen säumen kleine Obelisken die Fahrbahn, auf denen man ablesen kann, wie weit man noch zu fahren hat. In der DDR war dies übrigens die einzige Transitstrecke nach West-Berlin, die man mit dem Fahrrad befahren durfte (Nach meiner Tour lernte ich sogar jemanden kennen, der die B5 in den frühen 80ern abgeradelt ist, noch als Teenager, ein Radsportler aus Westberlin. Soll sehr abenteuerlich gewesen sein, und Pausieren war nur an den dafür vorgesehenen Plätzen gestattet).
Mitternacht in Ludwigslust. Hier ist Halbzeit, was vorm Schloss mit einem besonders hohen Obelisken angezeigt wird. Ein kurzer Umweg führt mich zu einer geöffneten Tankstelle, an der ich mir einen heissen Kaffee einflöße. Kurzer Plausch mit der komplett ungläubigen jungen Dame an der Kasse. Nach Berlin? Mit dem Klapprad? Dat geht doch gar nicht! Doch, und ob. Sie schüttelt noch immer geschockt den Kopf, als ich davon rolle. Die Strasse gehört jetzt mir - und seltenen, aber dafür überdimensional großen Lastzügen aus Polen und Dänemark, die auf dieser Strecke unterwegs sind, um die Maut einzusparen. Schätze ich mal. Man hört sie schon in großer Entfernung herannahen, der Lärm schwillt an, ich halte mich streng rechts, möchte mir die Ohren zuhalten, muss aber den Lenker festhalten, da mich, sobald der Riesenlaster vorbei gebraust ist, ein Windsog umzureißen droht. Puh. Wenigstens lassen die Brummis ausnahmslos maximalen Sicherheitsabstand. Ein Hoch auf Rücklicht und Reflektoren!
Bei Rambow (guter Name!) wird’s kurz etwas zäh und ich schalte mein Handyradio ein, aber bald wieder aus, weil ich befürchte, dass die Lastzüge denn doch meine volle Konzentration erfordern. Perleberg, Kyritz. In der dortigen Innenstadt trabt ein Fuchs hinter mir her. An einer roten Ampel kommt er bis auf die berühmte Armlänge an mich heran, eh ich mit pochendem Herzen flüchte. Hat er Tollwut? Wenigstens bin ich jetzt richtig wach. Etwas später, in Wusterhausen/Dosse (es ist schon fast hell) kommt mir die Strasse enorm bekannt vor. Na klar! Hier bin ich doch erst neulich auf’m Tretroller entlanggerollert, als ich nämlich in einer Landgaststätte aus meinem Zeltbuch vorgelesen habe! Lustig; da gibt es in Deutschland tausende Strassen, und dann sowas!
Mit Sonnenaufgang nimmt der Autoverkehr zu, und ich wechsele auf verwunschene Weglein. Nauen, die Rundfunkstadt. Das ist doch direkt vorm Berliner Ring, oder? Wenn ich jetzt vom Rad fiele, könnte ich schon fast sagen: „Ich hab’s geschafft!" Ich kehre zum Frühstück in einen Kiosk mit Schankraum ein, in dem eine des Deutschen ohnmächtige Vietnamesin von einem Hobbyangler erbarmungslos zugetextet wird. Welche Wobbler und Blinker beim Zander ziehen und welche nicht. Ab und an wirft sie etwas ein, was ich nicht verstehe und ihn nicht weiter beirrt. „Also, beim Barsch verhält es sich so..."
Der Weg durch Falkensee ist nochmal etwas unangenehm wegen des starken Berufsverkehrs. Ausserdem verfahre ich mich ein bisserl, weil die Konzentration langsam nachlässt. Und so ist die Freude groß, als ich um 11 Uhr nach 300 und ein paar zerquetschen km am Ku‘damm mein Hotelzimmer beziehe. Jetzt ausschlafen, morgen bin ich bei Kerners „Quizchampion" im ZDF zu Gast.