Samstag, 26. Januar 2019

Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Räder



Im Winter 2001/2002, als ich enthusiastisch auf meinen ersten Marathon hintrainierte, stolperte ich in nahezu allen Laufratgebern auch über die Erwähnung des Fahrrades als Alternative zum täglichen Trimmtrab. Hatte ich nicht seit Monaten über Staus und Parkplatzsuche auf meinen Fahrten nach München geklagt? Eineinhalb Stunden brauchte ich von Bernbeuren am Auerberg in die Stadt, und ich konnte mir kaum ausmalen, wie lang man mit dem Fahrrad unterwegs sein würde. Einen, zwei Tage? Eine Woche? Hinzu kam, dass ich als Oldenburger das Radeln im Flachland erlernt hatte, auf einem Bonanzarad mit Bananensattel und Dreigangschaltung auf dem Oberrohr. Die hügelige Landschaft des Allgäus erschien mir praktisch unbefahrbar. Ich hatte kurz nach meinem Zuzug eiben Test auf einem uralten Mountainbike unternommen, dass ich im Speicher gefunden hatte. Bereits an der ersten Steigung war ich kopfschüttelnd abgestiegen. 
Da ich aber immer wieder Menschen aller Altersklassen auf Fahrrädern im Allgäu herumrollen sah, konnte man nicht ausschließen, dass der Fehler nicht bei der Landschaft lag, sondern bei mir. 
Eines Tages betrat ich das Fahrradfachgeschäft von Herrn Lerf in Schongau und trug ihm mein Anliegen vor. Er nichte verständig und machte mich mit der Funktionsweise einer Gangschaltung vertraut. In den Bergen gilt: Je mehr Gänge, desto leichter (jetzt mal grob vereinfacht). Ich vertraute seinem Fachwissen und liess mir ein Cross-Trecking-Rad von Univega andrehen, ausserdem Klickpedale, die dazugehörigen Schuhe, einen Helm, und was man halt so braucht für eine 99-km-Tour. Genau so lang ist nämlich der Weg in die Stadt, den ich am Tag darauf per Wanderkarte ausbaldowerte (Navigationssoftware für Fahrräder gab es damals noch nicht). 


An einem sonnigen Tag im April 2001 wagte ich mich dann erstmals auf grosse Fahrt: Ich führ morgens um 9 los, durchquerte Schongau, striff nach einsamer Radelei durch idyllische Einöden das Südufer des Ammersees, rauf nach Pähl, über den Golfplatz, weiter nach Starnberg, via Olympiastraße nach München. Unterwegs verzehrte ich, wie von Herrn Lerf empfohlen, zwei Riegel, trank meine Trinkflaschen leer und stieg zweimal zwecks Pinkelpause ab (nein, das hatte Herr Lerf mir nicht empfohlen). Für die Strecke mit ca. 700 hm (kein Problem dank Gangschaltung) brauchte ich etwas über vier Stunden. Ok, mit dem Auto ist man auch bei Stop&Go schneller, aber schöner ist‘s auf dem Rad. Motto: Freiheit und Abenteuer. Andere Leute fahren extra in Urlaub, um dort zu radeln - kann man machen, ist aber gar nicht nötig. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Man radele ganz banal zur Arbeit und verlebe auf diese Weise einen kurzen, schönen Urlaub. 
Damals, Anfang der 2000er, drehte ich die Sendung „WiB-Schaukel", bei der ich Promis an Orten interviewte, die sie sich selber ausgesucht hatten. Für Schnitt und Vertonung musste ich immer wieder zwei, drei Tage in Pullach basteln. Ich übernachtete in München und fuhr nach getaner Arbeit zurück an den Auerberg. Rückwärts dauerte es etwas länger wegen mehr Höhenmetern. 
Nein, ganz ersetzte ich das Auto nicht durchs Fahrrad. Vor allem im Winter war das Töfftöff in Bernbeuren unverzichtbar. Erst, als ich viele Jahre später nach München zog, gab ich mein Auto an einen Sohn weiter, der jwd studierte. Seither kombiniere ich das Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel, und ich habe mein Auto nie, nie, nie vermisst. 
Ja, auch meine erste Tour nach München habe ich als besonderes Erlebnis in Erinnerung, aber es war weniger Stolz, der mich erfüllte, sondern Erstaunen. Man konnte also aus eigener Kraft an einem einzigen Vormittag hundert Kilometer zurücklegen und dabei Spass haben. Ja, warum sitzen die Leute alle in ihren Blechschachteln herum und ärgern sich? Und mit diesem Staunen verfolge ich auch heute die Dieseldebatte: Wenn die Leute wüssten, was ihnen entgeht! Wie schön es ist, sich Wind und Wetter um die Nase wehen zu lassen! Und am Ziel muss man nicht dreimal um den Block schleichen, auf der Suche nach einem Parkplatz. Man stellt die Mähre einfach vor dem Imbiss ab und schlägt sich den Bauch voll. Denn auf dem Rad verbrennt man Fett statt Diesel, und  nach 100 km darf der Tank mit bestem Gewissen aufgefüllt werden. Guten Appetit! 
Ein Bild von meinem ersten Rad besitze ich nicht (damals habe ich überhaupt nur analoge Fotos gemacht, also auf Film). Was ich aber noch habe: Alle meine Landkarten. Von denen könnte ich mich nur schwer trennen. 

1 Kommentar:

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