18.4.
Meine Frau und ich haben ein neues Lieblingsspiel, es heißt: „Söder und Bayern“. Einer ist Söder, der andere Bayern. Bayern fragt z.B. „Darf ich noch eine von den Landjägern aus dem Kühlschrank?“ und Söder antwortet z.B. „Wer zu früh öffnet, riskiert einen Rückfall. Wir warten lieber noch eine Woche“. Anschließend reckt Bayern den Daumen und bedankt sich. Zur vollen Stunde wird getauscht.
Das Spiel ist nicht ohne, verlangt beiden Seiten alles ab. Um mich zu stärken, öffne ich mittags ein großes Glas Rumtopf. Die Kombi aus Früchten und Alkohol erscheint mir besonders sinnvoll im Kampf gegen, ach, Ihr wisst schon. Ich genieße die süffige Delikatesse und gönne mir einen klitzekleinen Nachschlag, und als das Glas bald darauf fast leer ist, staune ich. Wo ist denn der Inhalt hin? Habe ich das alles verzehrt? Den Rest des Tages hängen meine Klimperklüsen auf Halbmast, und zum „Söder und Bayern“-Spiel bin ich zu müde. Auch einen Spaziergang kriege ich nicht mehr hin. Aber ist nicht in diesen Tages alles gut, was den Feind schwächt? Und ist nicht unser größter Feind unser Antrieb, der Wille, rauszugehen, die Welt zu entdecken und sie, nebst Mitmenschen, inniglich zu umarmen? Jetzt habe ich diesem Feind mal so richtig eins auf die Mütze gegeben. Ein Held ist heutzutage, wer auf dem Sofa liegenbleibt, und die eigene Immobilität zu gewährleisten, ist vornehmste Bürgerpflicht, hicks! Der Rumtopf ist für mich, was das Marschlied für den Soldaten. Doch während das Lied dem Landser hilft, von A nach B zu stiefeln, helfen mir die feuchten Früchte, nicht vom Fleck zu kommen. Ja, heute habe ich mir einen Orden verdient, bin einer der vielen namenlosen systemirrelevanten angeschickerten Helden, denen wir den gestrigen Schlachtensieg verdanken, nämlich: die Reproduktionszahl auf 0,7 zu drücken, hicks. Zum Superhelden reicht es bei mir nicht, dazu müsste man noch ein paar Leute bei der Polizei verpetzen, weil sie im Wohnzimmer gemeinsam gepichelt haben und nicht alleine, aber dazu bin einfach zu müde. Und außerdem verhalten sich alle meine Nachbarn vorbildlich. Da ist nix anzuschwärzen, Mist. Wäre soo gerne Superheld. Heul. Ach, ich geh wieder in die Küche, ein kleiner Rest Rumtopf sollte noch da sein.
„Darf ich noch mal zum Kühlschrank, die Rumtopf-Restbestände inspizieren? - „Wer zu früh öffnet...“
19.4.
Zwei Drittel der Deutschen befürworten den Einsatz homöopathischer Mittel gegen Covid-19 (sagt Forsa). Als ich dies lese, rühre ich gerade in einem Kaffee, den ich mit einigen hundert Globuli gesüßt habe - das sind Zuckerkügelchen mit einer sehr, sehr, sehr kleinen Beimischung Wirkstoff, etwa Arnica oder Schleichkatzenkot.
Wir haben die sonderbaren Kügelchen von einer Hebamme überreicht bekommen, in einem hübschen Ledermäppchen, mit den Worten „Falls mal irgendwas ist!“ Die Lebenserfahrung lehrt, dass eigentlich immer „irgendwas ist“, aber abgesehen davon nehme ich mir vor, eine eiserne Ration Globuli zurückzubehalten, falls nämlich eines Tages Zucker weggehamstert sein sollte.
Apropos Hamsterbacke: der örtliche Backshop bietet nurmehr ein stark reduziertes Sortiment an, da in der Brotfabrik vornehmlich die Bestseller hergestellt werden - jene Brotsorten, von denen die Leute „fünf, sechs, sieben Laibe kaufen“, wie die Bäckerin achselzuckend referiert. Merke: Tiefgefrorenes Brot ist der heiße Scheiß.
Ammersee. Da sind Münchener nicht gern gesehen, manche Parkplätze für Ausflügler gesperrt, aber weil meine Frau aus der Gegend kommt, meint sie, ein Besuch sei vertretbar. Urlaub vom Urlaub sozusagen; endlich mal dieses blöde Covid-19 vergessen. Und kaum denken wir knappe fünf Minuten nicht an Corona, passieren wir die Firma Webasto in Utting. Quelle surprise! Webasto, klar, da mussten schon im Januar Mitarbeiter in Quarantäne, ein früher Hotspot der Husterie. Ob die später eine Gedenktafel aufhängen? Oder gar ein kleines Museum einrichten?
Nach Spaziergang absolvieren wir den Wochenendeinkauf in Schondorf. Ein auswärtiger SUV hat liederlich geparkt, blockiert zwei Plätze. Kennzeichen „OG“. Baden-Württemberg. Dass wir selber ein „M“ auf dem Nummernschild haben, stört Teresa nicht. Sie ruft gar zünftig „Beim nächsten Mal stay home!“ durchs Fenster.
Wie gut, dass am Montag Ikea wieder aufmacht, unsere alte Couch ist mittlerweile durchgesessen. Der Bezug ist inzwischen dünn wie ein Fledermausflügel, die Luftbläschen im Schaumstoff haben ihre Elastizität verloren und könnten höchstens durch den Anschluss an eine Beatmungsmaschine gerettet werden. Stopp, diesen Gedanken bitte sofort wieder streichen - das ist nicht nur potentiell pietätlos, sondern auch eine latent laienhafte Phantasie, und jeder Polsterer legt die Stirn in Falten, wenn er mitliest, so wie der Pneumologe, wenn er an Globuli im Corona-Einsatz denkt.
Aber irgendwas ist ja immer.
20.4.
Alle Welt fragt sich, wann das Elend eigentlich begann? Mit dem Überspringen des Virus von Fledermaus auf Mensch? Ach was, dieser Wirtswechsel ist lediglich Symptom einer Schieflage, die sich schon länger entwickelt. Nicht wenige hängen Verschwörungstheorien an und halten die Illuminaten oder 5G für die Ursache, aber diese Theorien greifen zu kurz. Wenn schon Mobilfunk, dann erscheint mir der flächendeckende Einsatz von Freisprecheinrichtungen bedeutsamer. Ich weiß noch genau, wie ich das erste Mal einen Nadelstreifenanzugträger sah, der ein Headset verwendete, mit den Armen rudernd, auf dem Bürgersteig. Ich dachte: Oha, der Arme führt Selbstgespräche; es geht um Bilanzsummen und Auftragsvergaben; er spricht einen Tick zu laut. Was für ein bitteres Schicksal, ein Fall für die Klapsmühle. Und genauso denke ich noch heute.
Eine Spezies, die sich in aller Öffentlichkeit als derartig plem-plem darstellt, dass es selbst den einfachsten Miniaturorganismen nicht verborgen bleibt, muss sich nicht wundern, wenn diese sie zur Herberge des Jahres küren.
Doch wie konnten wir so restlos unserer Orientierung verlustig gehen, welches Ereignis machte uns zur fetten Beute des Wahnsinns?
Meine These: Es war die Nachricht von Elvis Presleys Tod am 16.8.1977, die die Menschheit aus ihren Angeln hob.
Elvis war „The King“, und niemand konnte ihm seither das Wasser reichen. Das von ihm hinterlassene Vakuum in der Welt, im Rock‘n‘ Roll, in uns, lässt sich von niemandem füllen - außer von ihm selbst.
Presley sang „Ev’rybody‘s got the fever/That is something you all know/Fever isn’t such a new thing/Fever started long ago“ - singend führte Elvis uns höchstselbst auf seine Fährte.
Nach monatelanger Geheimrecherche (Einsicht der FBI Files on Elvis Presley, Gedächtnisprotokolle seines CIA-Führungsoffiziers) kann ich nunmehr zweifelsfrei feststellen: Hinter, unter „Corona“ (Krone) steckt niemand anders als The King, und wer sich ein Covid-19-Virus genau ansieht, erkennt in ihm denn auch mühelos Kopfform und Gesichtszüge des sehr späten, Blaubeerpfannkuchen liebenden Elvis.
Ist es Zufall, dass Tom Hanks und Rita Wilson an Sars-CoV-2 erkrankten, ausgerechnet als sie in Australien an Baz Luhrmanns Presley-Film mitwirkten? Hanks Rolle in diesem Biopic ist die seines Managers Colonel Parker, und der Gedanke, dass The King per Infektion Einfluss auf die Rollenanlage Hanks’ nimmt, um sein Bild zu korrigieren, die Kontrolle über seine Persönlichkeit zurückzuerlangen, drängt sich auf.
Nein, für mich persönlich ist der Fall klar: Elvis lebt. In uns. Der King ist Corona, Corona ist The King.
21.4.
Seitensprung und Puffbesuch gefährdeten früher Ehe und bürgerliche Existenz. Man ließ sich tunlichst nicht erwischen, behauptete, im Büro Überstunden absolviert zu haben. Lange blonde Haare am Revers und der Geruch nach einem fremden Parfüm konnten schwerste Krisen heraufbeschwören, und manch Privatdetektiv lebte von der Beschattung potenzieller Schürzenjäger. In der sogenannten ‚Neuen Normalität‘ ist es nicht der außereheliche Beischlaf, sondern der Besuch bei Muttern, der dich zum Schlawiner macht. Manch einer parkt drei Straßen weiter, huscht von Busch zu Busch Richtung Mama, und der Halunke sollte sich hüten, seine Absenz mit „Überstunden im Büro“ zu erklären, jedenfalls wenn er im Homeoffice arbeitet. Graue Haare am Revers und der Geruch nach 4711 kann schwere Krisen heraufbeschwören, und manch Ordnungshüter lebt von der Beschattung potenzieller Kittelschürzenjäger(innen).
Wer seine Mama allzuoft anruft, sie womöglich lieb hat, macht sich bereits verdächtig, und die Reaktion der Gesellschaft auf die vollzogene Umarmung der Mutter (oder des Vaters!) ist unerbittlich: Asozialer Milchbubi. Hängt am Rockzipfel. Disziplinloser Waschlappen. Familienmensch womöglich, igitt.
Teresas Sehnsucht nach Sozialkontakten äußert sich anders. Sie erfindet imaginäre Mitbewohner, bei denen es sich in der schnöden Realität um bloße Haushaltsgegenstände handelt. Mal plaudert sie mit Mirkowelle, mal mit Kühlfrank oder Klaustür. Außerdem anwesend sind Lichtwalter und Waschsabine. Ich bin ratlos. Soll ich einen Psychiater zu Rate ziehen? Ach was; ich mache einfach mit, freue mich über die Gesellschaft von Uschivorhang, Brotkarsten und Bücherrekarl.
Pädagogen stöhnen: Zwei Meter Abstand im Klassenzimmer? Die Räume sind dafür zu klein!
Vorschlag: Lasst den Unterricht draußen stattfinden, an der frischen Luft. Die meisten Schulen stinken eh nach Moder, Muff und Mottenkugel, und zudem diffundieren ausgeatmete Aerosole draußen schneller Richtung Unschädlichkeit. Waldkindergärten machen‘s vor; Lernen à belle étoile eignet sich auch für alle anderen Altersklassen. Notfalls Malerfolie als Dach.
Ein Gedanke zur Maskenpficht: Wäre es nicht sinnvoller, durchsichtige Masken zu konzipieren? Ich denke an Spuckschutzelemente aus Plexiglas. Transparente Integralhelme. Wichtig wäre erkennbare Mimik nicht zuletzt für Gehörlose - aber die gehören eben nicht zur Risikogruppe, ebensowenig wie kleine Kinder, die voraussichtlich bis August keine Spielgruppen/Kitas/Kindergärten besuchen werden. Klar, die Blagen haben ja auch kein Wahlrecht. Immerhin genießen sie mit ihrer Isolation eine vorzügliche Charakterschule; das Alleinspiel härtet ab und schult die Phantasie.
Die Ministerpräsidentinnen von Norwegen und Dänemark haben unlängst Pressekonferenzen extra für Kinder gegeben, in denen sie ihre Maßnahmen den jüngsten Mitbürgern erklärten.
Nein, von derlei Schnickschnack halten wir Deutschen nichts. Wir setzen auf Kinder, die sich Solo-Spielburgen aus Klopapier-Großpackungen bauen und auf diesen Schneeweißchen und Rosenrot oder Öffnungsdiskussionsorgien spielen. Egal; Hauptsache getrennt voneinander.
Willkommen in der Neuen Normalität! (huscht von Busch zu Busch, tritt ab)
22.4.
Wir werden alle reich. Grund: Der negative Ölpreis. Auch ich war überrascht, als ich davon hörte, dass es sowas überhaupt gibt. Spontan sah ich uns alle an Tankstellen Schlange stehen; man tankt, geht rein und holt sich sein Geld ab. Einstweilen sind jedoch nur die Broker betroffen, die sich „Futures“, Zertifikate auf spätere Öllieferungen, gekauft haben, in der Absicht, diese vor Lieferung mit Gewinn weiterzuverkaufen. Dann kam Corona, keiner wollte mehr Öl, Spekulationsgewinne jibbet nicht, genauso wenig wie Lagerkapazitäten für das nunmehr billige Öl. Dafür wurden die Lagerkosten immer teurer. Laut Tankstellenbesitzer von nebenan kann der negative Preis nicht an die Autofahrer weitergegeben werden, weil: „Das wäre ja noch schöner!“ Wart‘s ab. An wochenlange Schulschliessungen wollte ursprünglich auch niemand glauben. Und was kam? Der Lockdown. Langsam erkenne ich das System und stelle schon mal geeignete Benzinbehälter bereit: die Babybadewanne, Gießkannen, und das Wasserbett sowieso. Da geht viel rein, wie ich aus meiner Zeit bei „Nicht nachmachen!“ weiß.
Der Tankstellenbesitzer raunt mir zum Schluss unseres Smalltalks noch eine Theorie zu, die ihm unlängst ein anderer Kunde zugeraunt habe - aber der stand ähnlich weit weg wie ich jetzt, mit potentiellem Stille-Post-Effekt. Der Tankwart jedenfalls erzählt mir eine Räuberpistole, steil wie das Timmelsjoch, und jetzt ertappe ich mich dabei, dass ich Hemmungen habe, seine These weiterzuverbreiten. Denn nachher, so befürchte ich, liest der, um den es in der Theorie geht, mein Tagebuch mit, und dann bin ich geliefert. Paranoia? Gut möglich. Ach, was soll’s. Ich traue mich einfach. Also: Donald Trump soll, so sagte der Typ von der Tanke, bei einem Unfall im Biowaffenlabor in Wuhan entstanden sein. War keine böse Absicht der Chinesen, um den USA zu schaden, sondern reine Nachlässigkeit. Ich glaube da nicht dran. Eher schon, dass Trump hier mitliest. Hello Mr. President, nice to have you with us, feel comfortable!
Schade, dass das Oktoberfest abgesagt wurde. Ich hätte mich gefreut. Wo sollte man mit einem einzigen „Prosit der Gemütlichkeit“ Herdenimmunität erzielen, wenn nicht auf der Wies‘n? Außerdem hege ich gewisse Hoffnungen, dass das gute Beispiel der Negativpreise Schule macht und aufs Bier übertragen wird. Man sitzt bei der Fischer-Vroni, trinkt eine Maß und bekommt noch fuchzig Pfennig obendrein. Wird nun wohl nichts draus.
Karl Lauterbach sagt, Schule wie früher, quasi Oldschool, wird es erst 2021 wieder geben. Oha, noch so ein Knaller. Nichts ist unmööglich. Alle Gewissheiten wanken.
Selbst der angebliche Unfall im Labor in Wuhan erscheint mir von Maß zu Maß weniger unwahrscheinlich. Holadariti!
23.4.
Sex im Sommer 1984. AIDS ist dabei Thema Nr.1. Ich kaufe jede Woche den Spiegel, weil ich dort die fundiertesten Infos vermute. Hardliner damals: Peter Gauweiler, der AIDS-Zwangstests fordert. Vor AIDS gab es, so behaupten jedenfalls die Älteren, „freie Liebe“, völlig angstfrei. Den Begriff „Safer Sex“ gibt es erst seit dieser Zeit, und das Kondom ist zum Standard geworden, bis heute.
Das Kondom des Corona-Zeitalters ist der Mundschutz, und das Gesicht ist sein Penis. Ohne das Kondom der ‚Neuen Normalität’ wird man uns nie wieder sehen.
Durchbruch beim Impfstoff. Hach, wie gerne wäre ich einer der Freiwilligen, die jetzt das Zeug auf seine Verträglichkeit testen. Sowas liebe ich: Man lässt sich eine Spritze verabreichen, wartet ein paar Stunden, und dann kriegt man Pickel oder Haarausfall oder deliriert von Elvis Presley, der Grünkohl und Pinkel verzehrend im Stand auf einem Bobbycar über die Kö brettert und dabei mit vollem Mund „Muss I denn“ singt - ein klassischer Grenzgang nach Reinhold Messner (man weiß nicht, ob man lebend ankommt), aber im Gegensatz zur Mount Everest-Besteigung nicht nur das eigene Ego erhebend. Meine Schwester (beruflich vom Fach) warnt hingegen: Der Impfstoff wird am Anfang viele Nebenwirkungen haben, aber alle werden ihn wollen. Gegen herkömmliche Influenza wird sich hingegen kaum noch jemand impfen lassen - der Sensenmann dengelt schon mal sein Werkzeug, seufzt sie.
Den wackeren Schweden drücke ich beide Daumen, dass sie gut durch die Krise kommen. Ja, es gibt dort wesentlich mehr Tote als hierzulande - aber von Zuständen wie in Italien ist man weit entfernt. Schweden ist zZt das freieste Land der Welt. Schade, dass es kein (demokratisches) Land gibt, in dem man einen ECHTEN Lockdown probiert: Nehmen wir mal an, alle Bewohner der Schweiz werden in künstliches Koma versetzt und hinter Plexiglas aufbewahrt, nach drei Wochen kriechen sie auf allen Vieren wieder raus, und die Viren sind ausgehungert.
Man könnte anschließend Schweiz, Schweden und Deutschland miteinander vergleichen und überprüfen, wer am besten durch die Krise gekommen ist.
Beim Warten an der Supermarktkasse male ich mir Mundschutzmasken-Reklame im TV aus. Was auch immer inhaltlich passiert, den besten Namen als Werbeträger hat: Henry Maske.
Nicht nur ich erhelle den Tag mit derlei Geistesblitzen. Auch Teresa weiß zu witzeln. Ihr Favorit: „Fällt der Sommerurlaub aus? Für uns nicht! Wir fahren ans Meer - wissen nur noch nicht, ob Schlafzimmeer oder Wohnzimmeer“.
Schönen Tag allerseits!
24.4.
Mitte März habe ich mir ein Trimmrad bestellt, ‚made in China’; damals war noch nicht absehbar, wie streng die Ausgangsbeschränkungen werden würden, und ich wollte auf einen tatsächlichen Stubenarrest vorbereitet sein. Bald beseelte mich die Idee, herauszufinden, wer länger durchhält: Trimmrad oder Corona. Qualitativ macht der 104€-Kauf einen erstaunlich robusten Eindruck. Läuft rund.
Die Qualität von Corona ist jedoch auch nicht zu verachten. Läuft ebenfalls rund, allerdings bei wesentlich günstigerem Preis/Leistungsverhältnis.
Heute wieder Kaiserwetter, und mit der Bahn reise ich nebst Klapprad nach Murnau. Dort treffe ich meinen lieben Sohn Cyprian, und wir umradeln einträchtig Walchen- und Kochelsee. Warmherzige, körperlose Begrüßung nach turbulenten Wochen. Cyprian hat Tourismuswirtschaft studiert und hielt sich für ein Praktikum in Costa Rica auf, als es losging. Nachdem sein Arbeitgeber die Pforten schloss, wollte er die Krise in Mittelamerika auszusitzen, aber nach einer ersten Pleitewelle griff binnen Tagen Armutskriminalität um sich, und für Ausländer wurde der Aufenthalt draußen, vor allem am Strand, zu gefährlich. Und so kam Cyprian heim, mit einem Flug von San José über Toronto nach Frankfurt. Seither bangt er um einen Job auf Sardinien im Sommer. Im Herbst will er eh ein Mathe-Masterstudium beginnen, das ist gut, weil man damit nicht nur im Tourismus (womöglich eine Schrumpf-Zunft), sondern auch bei der Perforationslochberechnung in der Klopapierrollenherstellung eingesetzt werden könnte (Boom-Branche).
Sein Zwillingsbruder Leander studiert artig online, vom Bett aus. Das Liegen liegt ihm - die Horizontale ist das, wofür er steht. Und weil er Medienproduktion und -technik studiert, geben seine Profs sich bei den neuen Lehrbedingungen keine Blöße. Meine Schwägerin hingegen berichtet von einem Geisteswissenschaftler an ihrer Uni, der geschlagene eineinhalb Stunden online dozierte, mit geschlossenem Mikro. Hunderte Male kommentierten die Studenten mit „man hört sie nicht!“, aber der ältere Herr hatte die Kommentarfunktion wohl nicht auf’m Schirm. Könnte mir genauso passieren.
Wie sagte Merkel vor nicht allzu langer Zeit? „Das Internet ist für uns alle Neuland“ - Corona aber auch!
„Ende der Eintracht“ im Bundestag. Gut so! Ich will endlich auch wieder andere, gerne auch unvernünftige, ja abseitige Meinungen hören. ZB.: Wir versöhnen Gesundheitsapostel und Wirtschaft, indem wir auf eine Woche Lockdown eine Woche „alte Normalität“ folgen lassen, mit Petting, Party Powershopping, und dann geht’s wieder von vorne los, immer abwechselnd, solange, bis Corona verrückt geworden ist.
In der Eisenbahn mit Mundschutz. Kriege keine Luft, so dass mir ganz blümerant wird; ich muss dringend meine Apnoe-Fertigkeiten trainieren.
Meine Frau hat beschlossen, gar keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr zu nutzen und alle Einkäufe von Hiwis durchführen zu lassen - und wenn ich mich umsehe, bin ich weit und breit der einzige, der dafür in Frage kommt.
Schönen Tag allerseits!
25.4.
Trump empfiehlt, Desinfektionsmittel gegen das Coronavirus zu spritzen. Intravenös. Wahrscheinlich meint er Domestos - damit haben wir Halbstarken uns früher weiße Flecken in die Jeanshose gebleicht - ein Hausmittel, dem alles zuzutrauen ist. Schon der Zaubertrank bei Asterix dürfte einen ordentlichen Schuss enthalten haben, wie man nicht zuletzt an den weißen Streifen in Obelix’ Beinkleid erkennt, die entstanden, als er als Kind in den Topf fiel. Ich finde, Trumps Grundidee wird zu Unrecht verlacht. Leider habe ich gerade keine Spritze parat, sonst würde ich sogleich die Probe aufs Exempel machen - aber ich fühle mich gesund, ist also nicht dringend. Im Kampf gegen Corona hat gewiss jeder seine heimlichen Hausmittel. Ich zB vertraue auf lila Listerine, gurgle jeden Abend so lange, bis mein Schlund schmerzt. Ich gebe gerne zu, dass auch mein Konzept schulmedizinisch nur unzureichend abgesichert ist, aber bekanntermaßen ist der Placebo-Effekt ein scharfes Schwert. Wer glaubt, ist im Vorteil - auch an die Präventionswirkung von Musik und Tanz. Und so sitze ich in diesen Tagen oft am Klavier und begleite meine singende Gattin (Mozart, Schubert, Schumann) oder tanze mit den Kindern alle Viren in Grund und Boden.
Sollte ich auch im Autokino auftreten, so wie die Kollegen Pocher und Feller? Tatsächlich zeichnet sich für Autokinos eine unerwartete Renaissance ab. Oper, Schauspiel, Ballett: Besser live im Auto genießen als auf irgendwelchen Displays daheim. Auch der Deutsche Bundestag sollte ins Autokino ausweichen, um seine Beschlussfähigkeit zu garantieren. Festivals wie Wacken würden auf diese Weise durchführbar werden. Schafft Parkfläche auf den Rängen der Bundesligastadien und betoniert den Ballermann - im Konzept des „Drive-In“ liegt ungeahntes Potential. Nicht nur Sangria oder Whopper, sondern auch Langostinos an Kerbelschaum lassen sich kontaktlos im Auto genießen.
Auch für politische Demonstrationen in der „Neuen Normalität“ sind Autos der Schlüssel. Hupe statt Trillerpfeife, Stau statt Lichterkette! Das Demonstrationsrecht, so verzichtbar es - neben einigen anderen Grundrechten - den Verfechtern der Epidemiokratie erscheint, böte, virensicher automobilisiert, eine Chance für die verzweifelten Fahrzeughersteller. Vorschlag: Jedem Demonstranten ein Auto geschenkt, Rechnung zahlt Olaf Scholz. Weil: Auf die paar Kröten kommt’s jetzt auch nicht mehr an. Darauf ein Stamperl Domestos auf Ex! Salute!
26.4.
Der örtliche BMW-Händler bietet meiner Frau eine Coronavirenbefreiung ihres Fahrzeugs an, für sportliche 179€. Heißt wahrscheinlich, dass ein Mitarbeiter alles feucht durchwischt, oder? Mit Sagrotan womöglich?! So weit ich weiß, halten Coronaviren auf Metall und Kunststoff maximal 72h durch, dann sind sie hi‘. Man könnte also den Wagen drei Tage am Wegesrand abstellen, für 0€, bei gleichem Ergebnis.
Wofür überhaupt ein Auto? Wir brauchen es eigentlich nur für den Weg zu unserer Berghütte im Zillertal. Da feiern die Mäuse wahrscheinlich gerade Coronapartys auf’m Tisch. Ob wir uns heuer noch zu den Nagern gesellen dürfen? Söder ist a Hundling, dem traue ich alles zu. Kanzler, klar. Aber auch, dass er die Grenzen zu Österreich noch a bisserl länger zu lässt als unbedingt nötig, als kleines Geschenk an die heimische Hotellerie. „Sommerurlaub im Ausland halte ich für sehr unwahrscheinlich“, sagt er, aber man könne ja auch wunderbar bei uns Urlaub machen. Will sagen: in Bayern.
Seit einer Woche trage ich mein Mountainbike-Trikot aus den 80er Jahren. Meine Frau säuselt, sie liebe den Duft, vielleicht meint sie das aber gar nicht so. Auch ihr traue ich alles zu, Kanzlerin, mindestens so wie Söder, aber auch Ironie. Jedenfalls: Streng riechende Kleidung ist der effektivste Weg zum gesunden Abstand. Heute meinte ich im Gesicht eines Passanten bereits in fünf Metern Entfernung eine Reaktion auf meinen Körpergeruch zu erkennen: ein zartes Erbleichen, gefolgt von einer Verschlankung der Mundlinie und anschließendem leichten Zittern der Kinnpartie. Ob ich mich nicht schäme? Nein, ich bin nach meiner Tätigkeit bei „Die Doofen“ („Mief - Nimm mich jetzt auch wenn ich stinke“) abgestumpft. Wer Abstandsregeln ernst nimmt, folge meinem Beispiel; an der olfaktorischen Schwelle scheiden sich Möchtegern-Einsiedler von den wahren Alleingängern - denen, die nicht nur niemanden anstecken wollen, sondern auch niemanden anstecken können, mangels Umgang.
Unser neues Tandem ist da, und wir radeln mit beiden Kindern im Anhänger ans Isarufer beim Deutschen Museum. Dort herrscht mehr Betrieb als an den letzten Wochenenden; der Trend zur Gruppenbildung ist klar. Gut möglich, dass Drosten recht hat, wenn er für Anfang Juni einen Anstieg der Reproduktionszahl größer als Eins ankündigt und wir alle wieder auf Stube geschickt werden. Ja, ich würde mich fügen, aus staatsbürgerlicher Notwendigkeit heraus, und weil ich Robert Koch und seinen Erben nie, wirklich niemals widersprechen würde.
In manchen, schwachen Momenten denke ich aber auch: Scheiß auf die Virologen, diese halbgebildeten Wichtigtuer, vergesst die Husterie! Wascht Euch die Hände, haltet Abstand - und für alles andere ist sowieso der liebe Gott zuständig. Der lässt Dich genau dann Deinen letzten Luftzug atmen, wenn er den Zeitpunkt für gekommen hält - da kann die Beatmungsmaschine noch so emsig pumpen. Fügt Euch in Dankbarkeit für das Privileg, das ihr genossen habt, indem ihr Euch diese Veranstaltung, die man Leben nennt, mal aus der Nähe anschauen durftet. Denkt an die zigtausend Spermien, die bei Eurer Zeugung nicht zum Zuge kamen. Was für ein Geschenk, das ausgerechnet mir, Dir, uns, Euch widerfahren ist, hört auf zu jammern, zu kämpfen, genießt! Und dann danket alle Gott und macht die Augen zu.
Aber derlei traue ich mich kaum zu schreiben (außer in dieses Tagebuch), denn sonst handelt man sich schnell den Vorwurf ein, nicht mitzuziehen in diesem „Krieg“, und ruckzuck wird man zum Verräter, Seniorenhasser, In-die-Hand-Nieser. Und das bin ich nun wirklich nicht. Hatschi!👋🏻
27.4.
Beim Frühstück diskutiere ich mit Teresa, womit man in Zukunft seine Brötchen verdienen könnte. Ab Anfang Mai sind in Brandenburg Veranstaltungen mit bis zu 50 Personen draußen erlaubt. Damit wird meine Performance mit Jürgen Urig („Ifpupo“) am 11.6. im Theater in Brandenburg wieder realistisch, hurra! Vielleicht gibt’s da einen Hinterhof mit Stehtischen? Ich würde auch hinreisen und notfalls zwischen Mülltonnen auftreten, auch, wenn die Besucherzahl auf 15 limitiert wäre, so wie in den bayerischen Kirchen.
Und meine Frau? Nächster Termin: Beethoven im November. Bis dahin gibt es theoretisch 1000€ pro Monat für drei Monate vom Freistaat Bayern pro Künstler (Anträge noch nicht verfügbar). Kein Wunder, dass viele in ihrer Branche den Kaffee auf haben. Der Bund hält sich vornehm zurück, angeblich, weil dies ein schlechtes Signal innerhalb der EU sei. „Für Künstler habt Ihr Unterstützung, aber nicht für uns“ könnte Italien klagen - dies jedenfalls befürchte, so wurde aus der CDU-Spitze kolportiert, die Kanzlerin.
Ein Wiener Opernkollege meiner Frau, der Tenor Paul Schweinester, mit dem Teresa in Bozen sang, hat auf „singenden Fahrradkurier“ umgesattelt - nicht die schlechteste Lösung für passionierte Biker. Andere sitzen zuhause, seufzen und schluchzen sich quer durch den Quintenzirkel. Und dann gibt’s noch einen von mir hochgeschätzten Regisseur mit Steuerschulden, dessen Ratenzahlungen an den Fiskus ausgesetzt wurden - er fürchtet sich lediglich davor, dass diese Krise eines Tages zu Ende sein könnte.
Fahrradkurier, hm. Bin ehrlich gesagt etwas neidisch auf den Tenor. Saunameister wäre auch was für mich. Innovativer Bestattungsunternehmer („Sterben ist der schönste Tod“) - beides ist aber auch nicht krisensicher. Gestorben wird zwar immer, aber momentan sind ja nicht mal ordentliche Trauerfeiern erlaubt. Wolfgang Schäuble heute sinngemäß: Wenn es im Grundrechtskatalog des GG einen überragenden Artikel gibt, dann nicht Art 2/2, „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, sondern Art 1, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Ok, strenggenommen gehören Bestattungen womöglich nicht zu dieser Würde (da das dazugehörige Leben dann ja bereits vorbei ist), aber der Abschied der Angehörigen zu Lebzeiten ganz bestimmt. Unklar, ob Schäuble dies im Sinn hatte, als er auf Artikel 1 hinwies (es gibt so einige Gründe für diese Intervention), auf jeden Fall verschaffte sie mir große Erleichterung. Danke.
Abends kommt Sohn Leander, mit üppigem Bart und rosiger Gesichtsfarbe. Er hat gleich zu Beginn des Lockdowns das Rauchen aufgegeben, um sein Risiko zu verringern. Chapeau. Ob er schon weiß, dass Nikotin angeblich gegen Corona hilft? „Die Hypothese ist, dass Nikotin an Zellrezeptoren anhaftet, die vom Coronavirus genutzt werden und damit die Anhaftung des Virus verhindern“, erklärt Prof. Jean-Pierre Changeux vom Institut Pasteur in Paris. Schon wurden in Frankreich Hamsterkäufe von Nikotinpflastern verboten.
Ich habe sogleich Tabakindustriekapitäne vor Augen, die sich freuden- und schampustrunken in den Armen liegen und „Jauchzet! Frohlocket!“ jubilieren. Ob ich meinen Sohn auf diese überraschende Wendung hinweisen soll? Mir raucht der Kopf.
Abends Anne Will. Ich kann keine Politiker mehr ertragen, die über den Bürger (also über mich) reden wie über ein unmündiges Kind. Ich streike jetzt. Sucht Euch gefälligst andere Bürger! (stampft mit dem Fuß auf, wirft sich auf den Boden, zieht sich den Mundschutz vors Gesicht und geht ab).
Schönen Tag allerseits!
28.4.
Zur gemeinsamen Bergtour reist Sohn Cyprian mit dem Auto an und wird prompt von der Polizei kontrolliert. Wachtmeister mit Du-Du-Zeigefinger im Stand-By-Modus: „Wohin des Wegs?“ - „Zum Wandern auf den Herzogstand!“ - Aber sie wissen schon, dass das nicht geht?“ Cyprian, angstfrei wie immer: „Natürlich geht das. Es wird davon abgeraten, aber es ist nicht verboten“. Dann zeigt er dem Schupo einen Screenshot der entsprechenden Pressemitteilung des Staatsministeriums. Der Ordnungshüter möchte wissen, welche Berge mein Sohn denn sonst so besteige. „Dremelspitze, Holzgauer Wetterspitze, Parseierspitze, und zwar alleine“, antwortet er. „Alles klar, genehmigt“, lacht der offenbar alpinistisch versierte Polizist und winkt ihn durch. Berg heil!
Wie im Agentenfilm, nur ohne Trenchcoat: Nachmittäglicher Spaziergang mit einer Wissenschaftskoryphäe, die über beste Kontakte nach Wuhan verfügt. Das dortige Labor sei von seinen chinesischen Bekannten von Anfang an für den Ursprungsort der Pandemie gehalten worden, und nicht der Wochenmarkt. Mittlerweile stehe das Labor leer. Alles ausgeräumt, alle Spuren beseitigt. Und dann berichtet er von einem Zusammenhang zwischen Letalität und Cortison-Überdosierung: Viele Opfer in nahezu allen heimgesuchten Staaten seien nicht an Corona, sondern an zweifelhaften Behandlungen verstorben. Im Gegensatz zu den Opfern sei die Pandemie für Politiker mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung ein Geschenk: Nach Jahren der Politikverdrossenheit werde jede Entscheidung von der Bevölkerung maximal wahrgenommen, auch von denen, die sich eigentlich nicht die Bohne für Politik interessieren. Und nach seiner Beobachtung seien die pathologischen Narzissten unter den Politikern immer auch Hypochonder. Warum? Weil sie meinen, sobald ihre Gesundheit einen Knacks erleide, breche der ganze Laden zusammen. Systemrelevantissimo quasi.
Erster Einkauf mit Maske. Eine Frau bleibt im Eingang stehen, sie hat ihren Mundschutz vergessen. Kurzerhand hält sie sich einen Sack Kartoffeln vors Gesicht - Problem erledigt. Ich hingegen kriege wieder keine Luft. Die Vorstellung, bis zum Sanktnimmerleinstag mein Antlitz auf diese Weise verbergen zu müssen, bereitet mir allergrößten Kummer. Ich klammere mich an die Vorstellung, dass es sich nur um ein temporäres Gesetz handelt, das spätestens dann, wenn die Impfung da ist, ausläuft.
Bei der abendlichen Brotzeit bereichert mein Sohn Leander den Tag um einen originellen Gedanken: Vor dem Hintergrund des offenkundigen Wettbewerbs der Nationen um das fähigste Krisenmanagement erinnerten ihn die nun allgegenwärtigen Schutzmasken an die vielen Deutschland-Fahnen während des Sommermärchens 2006: ein Statement der Einigkeit, völlig unverkrampft und fast freiwillig.
Und dann erzählen wir uns schlechte Lauterbach-Witze und räsonieren uns bittersüß dem Sonnenuntergang entgegen.
Ach ja; Info des Tages: Das Wort „Homeoffice“ wird nur auf Deutsch als Synonym für Telearbeit verwendet. Stand so in der „Welt“, die ich krisenbedingt abonniert habe und morgens um sechs zum Kaffee lese.
Home Office ist in Großbritannien: das Innenministerium.
Schönen Tag allerseits!
29.4.
Telefonat mit meinen Eltern. Mein Vater (84) redet sich angenehm in Rage: ‚Da behauptet diese Gesellschaft, der Schutz des Lebens gehe ihr über alles. Und weißt Du, woran man am besten erkennt, wie verlogen das ist? Jeder kann abtreiben, wie er will“. - „Nun ja“, wende ich beschwichtigend ein, „die Leute betrachten den Fötus eben noch nicht als vollwertiges Lebewesen“ - „Genau“, schnaubt mein Papa, „als Mensch gilt man hier erst, wenn man eine Steuernummer hat. Spass beiseite; was die Leute antreibt, ist ihr eigenes Leben. Ihre Angst. So, ich geh jetzt eine Runde Einkaufen!“
Gute Idee. Auch wir packen unsere Schnutenpullis ein und radeln in die Münchener Innenstadt. Dallmayer. Hilfe, ist das abgefahren. Hinterm David-Hamilton-Filter meiner beschlagenen Brille sehe ich das altbekannte Schlaraffenland, aber das maskierte Personal wirkt in dieser Szenerie wie die Komparserie eines Horrorfilms. „Hospital der Geister“ gelingt es mir noch zu assoziieren, dann fehlt mir der Sauerstoff, ich kriege Kreislauf und stürze ins Freie. Könnte mir de jure ein Attest geben lassen wegen Asthma, aber dann müsste ich wahrscheinlich immer mit gezückter Spezialerlaubnis die Läden betreten, würde trotzdem schäl angesehen oder gar angeschnauzt werden. Womöglich käme ich auch in die Bildzeitung als Härtefall, mit Foto, auf dem ich traurig gucke, Mitleidsadressen der Kollegen und Spendenaufruf. Nein, lieber ersticke ich, als dass ich mir diese Extrawurst braten lasse. Ich frage mich, ob ich der Einzige bin, dem unter dem Mund- und Nasenschutz blümerant wird? Meine Gattin beruhigt mich und verweist auf eine Doktorarbeit von Ulrike Butz, vorgelegt an der TU München (2005): „Rückatmung von Kohlendioxid bei Verwendung von Operationsmasken als hygienischer Mundschutz an medizinischem Fachpersonal“. Kernaussage: „Sofort nach Anlegen einer normal dünnen OP-Maske wird ausgeatmetes CO2 rückgeatmet. Es kommt u.a. zu Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, schnellerer Atmung, schlechterer Feinmotorik. Menschen mit verminderter Lungenfunktion werden durch das Tragen solcher Masken gefährdet. Die Maske bei Infizierten schützt andere, aber belastet die Träger selbst erheblich“. Hätte nicht übel Lust, alle zu verklagen: Bayern, EU, Bundesrepublik Deutschland, WHO, Wochenmarkt Wuhan, Robert Koch, wegen Verstoß gegen Artikel Wasweißich. Mir erscheint die juristische Sachlage klar, so klar, wie es meine beschlagenen Brillengläser eben erlauben, aber ich habe neben zwei großen auch zwei kleine Kinder, somit keine Zeit für derlei Sperenzchen. Nein, ich muss Wickeln, Turnen, Bobbycarrennen fahren, nicht irgendwelche Jens Spahns verklagen. Zwist liegt mir doch gar nicht. Meine innere Stimme meldet sich: Beruhige Dich, Boning. Du atmest schon wieder zu schnell. Das schaffst Du schon. Schau doch die Leute um dich herum, die lassen die Nase frei, Laschet-Style, ganz lässig. Hast Du das nicht drauf? So, wie die Hipster einen Rucksack mit nur einer Schlaufe über der Schulter tragen? Nein, ich bin so entsetzlich folgsam in derlei Fragen. Ein Mega-Spießbürger. Man stelle mir mitten in der Wüste ein Schild „Betreten verboten! vor die Nase, und ich versuche sogleich, mich zu verdünnsieren...japs...mir wird...schwarz vor Augen...ich werde ohnmächtig...
Im Traum betrete ich das Purgatorium. Am übergroßen Himmelsschlüssel erkenne ich Petrus, mit den Zügen des jungen Markus Söder. Um gut Wetter zu machen, singe ich ihm „Are you lonesome tonight“ vor, mit reichlich Elvis-Timbre. Dann behaupte ich, regelmäßig CSU gewählt zu haben. Söder schaut finster. „Du lügst!“. Dann öffnet sich eine Klappe unter mir, ich falle tief und wache schweißgebadet auf.
P.S.: 8:36 Uhr. Bin von verschiedenen Seiten darauf aufmerksam gemacht worden, dass ich einer vereinfachenden, womöglich verfälschenden Zusammenfassung der Doktorarbeit aufgesessen bin, die von Aluhutträgern für Aluhutträger angefertigt wurde. Oder für Naivlinge wie mich, die für ihre Luftnot medizinische Gründe verantwortlich machen wollen und nach Argumentationshilfen suchen. Ich ärgere mich sehr darüber, dass mir dieser Lapsus unterlaufen ist. Am liebsten würde ich mich aus Scham bei Facebook abmelden, wie schon einige Male zuvor. Aber wie lautet das alte albanische Sprichwort? „Es kann nicht immer Sonntag sein“. Weitermachen.