Die Fähre, die Emden mit Borkum verbindet, kommt mir ziemlich groß vor. Fünf Decks voller Autos und Schulkinder, die mit ihren Daddelphones sämtliche Steckdosen besetzt halten. Die Klügeren schreiben per WhatsApp an die Lieben daheim. Zwei Mittelstufler am Nebentisch. Schüler 1: Wie schreibt man Fähre? Vau-E-Er-E? Oder so wie Ehre?" Schüler 2: "Keine Ahnung. Frag mal besser den Lehrer". Schüler 1 (kräht): "Herr Schulte, wie schreibt man Fähre?" Lehrer: "Eff-Ä-Ha-Er-E" Aber der Lehrer ist zu weit weg, die Akustik schlecht. Schüler wundert sich. "Eff-Ä-A-Er-E? Ist ja komisch. Naja, der Deutschlehrer wird's wissen". Und Schüler tippt.
Wir passieren passable Großfrachter, wohl für den Autotransport, und ich schmökere unter Deck in der Borkumer Zeitung, die mit der Geschichte einer Brieffreundschaft zwischen einer Borkumerin und Karl May aufmacht. Breaking News!
Unter den Erwachsenen an Bord viele Ruhrpöttler, manche im bezauberndsten Sinne weltfremd. Als ich mir an einem "WMF-Bistro" Kaffeeautomaten einen Cappuccino besorge, indem ich einen einzigen Knopf drücke, äussert eine alte Dame neben mir ihr Erstaunen: "Wie, das kommt da schon fertig gemischt ausse Maschine?" Ich nicke und wundere mich. Gibt's denn solche Maschinen nicht zwischen Duisburg und Dortmund? Die Dame schüttelt entschlossen mit dem Kopf. "Nee, sowat haben wir nicht".
Die "Kulturinsel" hat 500 Plätze, die Empore nicht inkludiert. Das Gebäude ist 40 Jahre alt und atmet den Charme der Hitparade. Am Bühneneingang findet sich eine beeindruckende Sammlung der Plakate aller Künstler, die hier aufgetreten sind. Los gehts mit:
Vor meinem Auftritt checke ich ein. Das Hotel Atlantik besticht durch volle Bücherregale auf den Fluren; Generationen von Urlaubern haben ihre Ferienlektüre dagelassen, von John Steinbeck über Konrad Lorenz, Lore-Romane und die Bibel. Bukowski schlage ich zwanghaft auf, komme aber natürlich nicht zum Lesen, klar.
Borkum wirkt ziemlich städtisch; nicht umsonst sage ich manchmal aus Versehen "Bochum". Mondän ist hier nichts, idyllisch nur wenig. Am Horizont stehen Ölbohrplattformen. Aber vielleicht ist auch nur meine Brille schmutzig.
Wohnt hier nicht neuerdings Altkanzler Schröder? Ich male mir aus, wie er seine Seele in einer der Klinkerburgen baumeln lässt, auf die Ölbohrplattform blickt und über Rohstoffgeschäfte nachdenkt. Seine Brille ist gewiss sauberer als meine, vermute ich. Dann male ich mir aus, wie es wäre, selber hier zu wohnen, oder selber Altkanzler zu sein. Auf meiner Visitenkarte steht ja lediglich "Shetlandpony a.D." Nein, Bochum ist toll. Aber hier wohnen? Nicht unbedingt.
Am Morgen nach dem Auftritt gehe ich barfuß am Strand spazieren, sammle Schnüre von zerrissenen Fischernetzen, um mir daraus einen Notgürtel zu fertigen (Hose ist zu groß). Auf dem Rückweg durch die Dünen entdecke ich dann doch noch ein wunderbares Bauwerk: einen gelblicher Kleinkegel, dessen Baumaterial zwischen zwei Pflastersteinen himmelwärts gebuckelt wurde. Bewohner sind nicht zu sehen. Ist vielleicht eine Ferienwohnung, die gerade leer steht:
Jetzt auf Fähre zurück nach Emden, von dort per Rad nach Norden-Norddeich und weiter nach Norderney. Und wenn mich meine Dispo nicht trügt, sollte ich gleich hier und jetzt Mittagessen; nachher muss alles ganz schnell gehen. Also Saven und ran an die Theke. Es gibt Krabbenburger!
Nachdem ich meine Mutter zu Ostern für ein paar Tage auf unsere Lieblingsinsel Texel einlud, sie zuvor aber mehrmals auf Borkum Urlaub machte, fiel sowohl auf der Hinfahrt, in den 3 Tagen Texel als auch auf den 6 Stunden Rückfahrt in jedem zweiten Satz "Borkum", im Zusammenhang mit "Gibt's auf Borkum auch" oder "Auf Borkum kann man das...". Seitdem ist der Name Borkum ein rotes Tuch für mich und unter allen anderen Familienmitgliedern zum augenrollenden Running Gag geworden. Ich versuch's jetzt also mal mit Bochum. Danke dafür.
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