Mit'm Klapprad übern großen Teich? Der Reihe nach. Im Team mit Roberto Blanco konnte ich beim gestrigen "Quiz für den Westen" leider nichts mehr reißen. Aber immerhin schaffte es mein 80-Jähriger Kollege, mich Kraft seines kompromisslosen Verzichts auf Wettbewerbsmentalität in Bestlaune zu versetzen. Schnellraterunde: "Welche Soße erfand der Düsseldorfer Sowieso im Jahr 18irgendwas?" beantwortete er mit "Vormittags oder Nachmittags?" Null Punkte. Ein Triumph der Scheißegalité.
Heute Wecker um halb fünf und ab nach Osnabrück. (Die Strecke Köln-OL, 300 km, steht bei ebenfalls auf'm Zettel, aber momentan fühle ich mich nicht frisch genug. Also heute die moderate Variante).
Als ich vom Hbf losrolle, ist mir sogleich mein Birdy suspekt. Schwabbeliges Fahrgefühl. Vorgestern habe ich neue, pannensichere Mäntel aufgezogen. Muss zentriert werden? Da springt auch schon die Kette ab, au wei! Ich schaue bang aufs Kettenblatt. Es hat einen monumentalen Schlag, eiert unrund vor sich hin. Halunke, wo bist Du?! Wer hat mein Rad kaputt gemacht? Muss wohl beim Lufttransport von M nach K passiert sein, gestern. Der Haken, mit dem das Vorderrad am Restrahmen befestigt wird, ist auch kaputt. Aber immerhin komme ich vorwärts, nachdem ich die Kette füßelnd wieder aufgelegt habe. Hm. Ob ich es auf dieser ramponierten Mähre bis zu meinen Eltern nach Oldenburg schaffe? Dort gibt es heute Mittag Schnibbelbohnen. Daumen drücken!
Osnabrück ist am Sonntagmorgen enorm verpennt, öder als in den schlimmsten Vorurteilen, die man gerade als Oldenburger genüsslich pflegt. Umso spannender präsentiert sich das nördliche Umland. Zunächst passiere ich Kalkriese, wo die berühmte Varusschlacht stattfand, und ich male mir tausende römische Legionäre aus, die verängstigt und verdrossen, sehr fern der Heimat, in diesem Wald eins auf die Mütze kriegten. Und zwar bei deutlich mieserem Wetter als heute. Nein, die Römer werden Osnabrück nicht langweilig gefunden haben, eher schon unangenehm aufregend. Ich schaue konzentriert nach Überbleibseln. Liegt da ein Stück römischer Rüstung im Rinnstein? Nein, s'ist nur eine Red-Bull-Dose. Gut auch der Ortsname Lappenstuhl. Hihi. Und einen Alfsee gibt's in der Nähe auch, null problemo!
Dann: Moor! Echtes Moor, mit Torfstich! So richtig wie früher. Sensation! Ich dachte, sowas sei schon seit Kanzler Helmut Schmidt verboten, von wegen Umweltschutz. In langen Reihen sind die Torfsoden zum Trocken aufgereiht. Werden die verfeuert? Im Kraftwerk? Viele meiner Vorfahren waren Torfbauern und starben mit 40 an Altersschwäche; ich bin familiär dem braunen Sumpf verbunden - ob ich will oder nicht.
Aufs Camper Moor folgt sogleich der nächste Höhepunkt: Die Dammer Berge - Autofahrern wegen der dazugehörigen Autobahnraststätte ein Begriff. Vom Fahrrad aus passiert man nördlich von Damme ein grünes Schild, auf dem "Dammer Schweiz" steht. Dann ein 10-minütiger, moderater Anstieg. Den "Gipfel" markiert das "Schweizer Haus", ein Ausflugslokal. Runterwärts machen Baumwurzeln den Radweg rumpelig, und mein angeschlagener Drahtesel jault vor Schmerz.
Vechta. "Verein ehemaliger Christen" deuteten wir das KfZ-Kennzeichen VEC, während CLP "Christliches Lumpenpack" bedeuten sollte. Tiefreligiöse Gegend, katholischer als die Sprosse der Familie Boning aus Goldenstedt ist schwer möglich (ich bin die Ausnahme).
Kurz halte ich nach dem Rolf Dieter Brinkmann-Haus Ausschau, das vor einigen Jahren eröffnet wurde. Brinkmann ist einer meiner persönlichen Helden und der wichtigste Sohn der Stadt Vechta sowieso. Das hören die Vechtaer nur gar nicht so gern. Nestbeschmutzer, der. Brinkmann hörte ich erstmals ca. 2000 auf einer nächtlichen Autofahrt im Radio. Eine Dichterlesung auf Englisch. Ich wusste sofort, wer da spricht, und zwar wegen des typischen südoldenburgischen Akzent. Es war "The Last One", live in Cambridge. Wutbürger in gut.
Am Ahlhorner Dreieck steht dann die Freiheitsstatue im Vorgarten eines Spargellokals. 2 m hoch. Leider ohne Inschrift. Auf dem Original liest man das folgende Gedicht von Emma Lazarus:
Puh, da kriege ich sofort Gänsehaut (wenngleich die Praxis in Ellis Island nicht immer ganz so einladend war).
Inzwischen ahne ich, dass nicht die Laufräder zentriert werden müssen, sondern der vordere Mantel der Übeltäter ist, offenbar ein Montagsexemplar, mit merkwürdiger Gummibeule. Mantel-Mumps? Das ganze Rad muss dringend in die Werkstatt. Am teuersten dürfte das neue Kettenblatt werden.
Am Sager Commenwealth-Friedhof vorbei nähere ich mich Oldenburg, das letzte Stück auf'm Deich des Osternburger Kanals, und nach 109 km im 23er Schnitt (leichter Rückenwind) klingele ich bei Mama und Papa. Schnibbelbohnen, lecker. Danke, krankes Birdy, fürs Duchhalten!