Montag, 3. Juli 2017

Das Lachen der anderen

Schnupperkurs "Lachyoga". "Der Körper", so referiert die Lachyogalehrerin, "unterscheidet nicht zwischen echtem und falschem Lachen. Die Spiegelneuronen sorgen in jedem Fall dafür, dass das Lachen der anderen uns ansteckt. Also lasst uns die Mundwinkel nach oben ziehen". Ein Dutzend Interessenten steht im Kreis und grinst angestrengt. Wir befinden uns am Königsplatz; das Sportreferat der Stadt München hat die Sportvereine eingeladen, sich den Bürgern vorzustellen. Messeatmosphäre unter freiem Himmel. 

"Suchen Sie sich jetzt einen Partner, begrüßen ihn per Handschlag und lachen ein falsches Begrüssungslachen". Ich nähere mich einer kleinen Senioren, packe ihr zartes Händchen und bezaubere sie mit hahaha-Kaskaden, Staccato und in abfallender Melodie. Sie grüßt glucksend zurück; die Situation ist seltsam surreal, ein milde berauschendes Rollenspiel. Wieder in Kreisformation lassen wir unsere Schultern kreisen und atmen tief ein und aus, Yoga halt. Jetzt klatschen wir rhythmisch "ho, ho, hahaha", und zwar im Takt von "Ho, Ho, Ho Tschi Minh", wie es bei den Studentenrevolten '68 skandiert wurde. Mir gefällt der Text; schön platt, das, und ich muss ernsthaft schmunzeln.

Die Yogalehrerin klärt über die vielen gesundheitlichen Vorzüge des Lachens auf, spricht von "Glückshormonen", verrät, dass sie auch als Referentin für Firmenveranstaltungen gebucht werden kann und garniert alles mit kleinen Witzchen à la "Lassen sie ihre Rucksäcke einfach im Zelt; wir verkaufen nur die teuersten, hahaha". Oder: "Leider kann ich ihre Sorgen nicht verschwinden lassen, sonst wäre ich schon Millionärin, hoho". 

Immerhin kann man die Sorgen mit den Händen fangen, ähnlich einer Fliege, und diese unter hämischen Hahahas kleinreiben und anschließend wegpusten, hihi. Auch gut: Man geht ins Badezimmer, stellt sich vor den Spiegel und lacht sich an. Das aktiviert die Spiegelneuronen, haha. "Ob sie lachen oder nicht, ist immer ihre Entscheidung; auf jeden Fall haben wir unser Lächeln immer dabei" referiert die Yogalehrerin weise. Und das Atmen nicht vergessen! Tieef einatmen!

"Lachyoga gibt es seit 27 Jahren". Echt? Hätte auf ein weit höheres Alter getippt - vielleicht 600 Jahre. Nun denn. Zum Abschluss lädt sie zu einer Lachwanderung ein. Was das sei? "Wir gehen, bleiben stehen, lachen gemeinsam, gehen weiter, lernen uns kennen". Hihi. Bin interessiert. 


Sonntag, 2. Juli 2017

Pharisäer am Vormittag

- und die Lider werden schwer. Als ich klein war, erklärte mein Papa, wie dieses Getränk entstand: In Nordfriesland war ein Pastor erbost, dass in seiner Gemeinde so viel gesoffen wurde. Die listigen Friesen versprachen, zukünftig nur noch Kaffee zu trinken. Allerdings veredelten sie diesen mit Rum, und damit dieser nicht erschnüffelt werden konnte, kam eine Sahnehaube drüber. Bei einer Taufe entdeckte der Pastor den Schwindel und beschimpfte seine Schäfchen als "Pharisäer" - dies waren im Neuen Testament die konservativen Frömmler, Gegenspieler Jesus', welche für die christlichen Kirchen fortan Symbole der Heuchelei wurden. Die Friesen beömmelten sich, und das Getränk behielt diesen Namen. 

Ein hochgeschätzter und -gebildeter Facebookfreund machte mich gestern Nachmittag darauf aufmerksam, dass die Bezeichnung "Pharisäer" weniger drollig als vielmehr beinhart antisemitisch sei und eigentlich nicht verwendet werden sollte. Zunächst wunk ich kopfschüttelnd ab, aber rein sachlich hat er vermutlich recht. Kann mir trotzdem kaum vorstellen, dass ich zukünftig schnöden "Kaffee mit Rum" bestelle. Die Kontroverse hat für mein Leben jedoch keine große Bedeutung, denn es ist eher unwahrscheinlich, dass ich überhaupt nochmal einen Pharisäer süffeln sollte, zumal vormittags. Mit Schlafzimmerblick lézardierte ich nämlich ganztägig, erschrak Bahnschaffner und Lufthansa-Personal mit aus dem Munde wehender Fahne und erklomm erst am Abend wieder die mir eigene Höhe. Pharisäer ist offenbar nicht mein Ding. Ich bestellte ihn ja auch nur aus Neugier, aus landeskundlichem Interesse. 

Zuvor waren wir per Flugzeug von Juist nach Norddeich übergesetzt, und der Pilot hatte mich angeschnauzt, wie ich denn darauf käme, dass er Klappräder transportieren würde. Ich verwies auf die Kurverwaltung, die ihr OK gegeben hatte; ein Wort gab das andere, und bald blaffte ich, dass ich ja keineswegs auf Juist auftreten müsse - zukünftig könne ich ja auch ganz einfach zuhause bleiben. Teresa als Oberbayerin meint, Norddeutsche seien grundsätzlich im Schnitt unfreundlicher als andere, und ich ärgere mich immer, wenn dieser Eindruck durch derlei Vorkommnisse gestützt wird. Vielleicht bin ich nach zwei Jahrzehnten am Alpenrand allerdings selber versüddeutscht, und ich erkenne den bärbeißigen Charme des Nordens nicht mehr als solchen. Womöglich ist momentan auch einfach das Wetter gar zu schlecht. 

Ach, ich leg mich wieder hin. 

P.S.: Zum versöhnlichen Abschluss hier ein Bild der sehr hübschen Sitzpolsterung in der Bremer Straßenbahn: 




  

Freitag, 30. Juni 2017

Hätte hätte Stiefelette

Schietwetter. Gegen die Regenpeitsche im Gesicht helfe, so meinen wir, Rückwärtsgehen. Ok, grundsätzlich eine gute Idee, aber dafür tappt man häufiger in knöcheltiefe Pfützen. Fußfeucht hüpfen wir sodann im Kleinflugzeug nach Harlesiel, steigen in den Bus und schnattern schlimm, als wir Norden erreichen. In einem Traditionslokal in der Innenstadt benehmen wir uns daneben, indem wir unsere eisklumpigen Füße, eingewickelt in Schals, auf einer Sitzbank zu wärmen trachten. Dududu! Dafür ist Norden eine tolle Einkaufsstadt; ich erwerbe einen runtergesetzten Trainingsanzug von Erima und muss kaum noch frieren (außer an den Quanten). 15:25 Bus nach Norddeich, dann rauf aufs Schiff nach Juist. Ganz schön straff, so'ne Bädertournee. Hatte gedacht, man chillt in den Dünen, kriegt Sonnenbrände und Speckröllchen, aber, wie sagt man an der Oper? Hätte, hätte, Koloratursoubrette.


An Bord der Fähre zwei Jazzmusiker aus Ungarn. Einer ist 1600 km im Auto angereist, der andere saß 26 Stunden in der Bahn. Für ein paar Takte Edith Piaf in der Kurmuschel? Nein, sie bleiben zwei Wochen. Je ne regrette rien, aber beim nächsten Mal nehme ich mir mehr Zeit. 

Juist hat den Umriss eines gewaltsam gedehnten Dackels ohne Beine und Hundemarke. Weiterhin Dauerregen. Das wirkt sich positiv auf den Kartenverkauf aus. Im "Haus des Kurgastes" ist erfreulich viel los, und ich schwitze schlimm im Bühnenscheinwurf. Danke, lieber Trainingsanzug! Endlich wieder warm! 

Tagesnebenthema: Welche Alternativen gibt es sonst noch zur Steinbrückschen Fahrradkette, die mittlerweile doch arg gelängt ist? Schweinefette, Pferdewette, Christmette, Hansestädte...

Ich tippe dies morgens im Bett. Unglaublich leise, dieser gedehnte Dackel. Das Fenster ist auf, und man hört: nichts. 






Donnerstag, 29. Juni 2017

Auf der schiefen Bahn

Aus der Reihe "Der besondere Radweg" zeige ich heute ein Bild der Strecke nach Harlesiel. Vorm Deich, mit Dauerneigung. Fühlt sich an, als läge man allzeit in'ner Kurve, wie beim Bahnradfahren, allein: Es geht immer geradeaus. Nicht auszudenken, wenn man ausschließlich hier führe - wie ungleich sich die Reifenmäntel abnutzten; links hui, rechts pfui. 

Zuvor, an Bord der Langeoog-Fähre, koste ich erstmals weiße Trinkschokolade (himmlisch!), und halte mit der Kioskfachkraft übereinstimmend fest, um wie vieles komplizierter doch das Leben geworden ist. Früher, sagt er, gab es nur Kaffee und Bier. Und heute? Ach, geh mir los...

Auch einen neuen Buchstaben gibt es seit heute: das große ß. Endlich! Die weiße Trinkschokolade unter den Buchstaben. Willkommen auf der Welt, Du Riesenbaby! 

In Wangerooge ist der kleine Kursaal ausverkauft, aber die Technik muckt. Die Fernbedienung, mit der ich die Bilder weiterklicke, reicht nicht bis zum Laptop. Au Backe. Gut, dass Teresa sich an den Klapprechner setzt; sie kennt den Vortrag und übernimmt. Später fällt der Ton aus, schließlich auch der Laserpointer, und ich arbeite großgestisch. Das Publikum amüsiert sich prächtig. Nichts hat höheren Unterhaltungswert als Stromausfall, Wannacry etc. Im Publikum sitzen auch meine Eltern. Papa hat den Einkaufszettelvortrag noch nie gehört. Ich weiß, dass er mit seinen ollen Augen nicht viel sehen kann, aber es scheint ihm trotzdem Spaß zu machen. Klar; Schwachsichtigkeit gehört ja im Grunde auch zu diesen Defekten, die so'nen Abend lustiger machen. Großes Hallo, als ich meinen minimalistischen Wangerooger Zettel präsentiere (Jever + Espresso). Ja, Kaffee und Bier. Mehr braucht man nicht in einem nasskalten Inselwinter. 

Wangerooge ist meine Lieblingsinsel. Hier war ich schon oft, von Kindheit an. Die Proportionen stimmen, die Landschaft ist arkadisch, und Es! Gibt! Keine! Autos! Hier würde ich eines Tages gerne wohnen, seufze ich mit Blick auf die beleuchteten Containerschiffe am nächtlichen Horizont. Geht aber wohl erst, wenn ich nicht mehr als vortragsreisender Defekthascher die Welt durchmesse (und das könnte noch ein Weilchen dauern). 


Skandal! 

Auf Langeoog gibt's Dünensingen! Was da wohl erklingt (Tacitus schrieb ja "Frisia non cantat"). Na wartet, das finde ich heraus...

Erstmal kurze Führung. Ein Junge baute zwischen seinem 11. und 21. Lebensjahr die komplette Insel aus Lego nach, ganz alleine, und das Ergebnis ist heute eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Insel. Der Tourismus-Chef zeigt mir auch das Müll-Museum, eine Ausstellung rund um das Thema Plastik im Meer. Wie's denn grundsätzlich um den Tourismus bestellt sei? Ganz hervorragend, antwortet er, durch den Terror anderswo kämen immer mehr Leute an die Nordsee. Heute sei ganzjährig Saison. Das Hauptproblem seien die hässlichen Bauten aus den 60er Jahren, die jetzt alle saniert werden müssen. "Jedenfalls ist Langeoog der berühmteste Strand der Welt" sagt er stolz. Warum? "Na wegen der 1 Mio. Überraschungseier, die unlängst nach der Havarie eines Containers an den Strand gespült wurden". Nix von gehört. "Echt nicht? Ischa'n Ding!"

Nachdem ich durch prasselnden Regen von Norddeich nach Bensersiel geradelt bin, komme ich bereits müde auf dem Eiland an, welches durch sein sedierendes Naturell alles und jeden umgehend einschläfert, hätte ich fast geschrieben, nein, einnicken lässt. Zudem habe ich auf der Fähre per Telefon Vorgespräche für Fernsehauftritte geführt, eine für mich grundsätzlich verzichtbare Tätigkeit. Das ganze Elend des deutschen Fernsehens entspringt dieser Unsitte. Vor der Kamera wird immer nur das Konzentrat dieser Telefonate rekapituliert, was zwangsläufig in die totale Ödnis führt, einschläfernd im schlechten Sinne, während Langeoog wirkt wie ein frisch gemachtes Bett - man will sich sofort reinlegen und genüsslich glucksen. Langeoog ist sozusagen das Deutsche Fernsehen in gut. 

Der Saal, in dem ich nach meinem kapitalen Nachmittagsschlaf auftrete, ist gut gefüllt, die Stimmung prächtig. Als Zugabe überreicht mir eine Kassiererin von der Insel zwei Zettel, gefunden am Arbeitsplatz. Auf dem einen steht:

Steht da tatsächlich "Frau"? Nun ja, wahrscheinlich eher "Grau", aber dennoch ist der Zettel eine Preziose; die Schrift ist angenehm alt, und "Brot Grau" sowie "Creme Zahn" verraten eine interessante Neigung zur Inversion. Eh ich jetzt den Weg Rück antrete, schau ich noch beim Turm Leucht vorbei, um einen Blick Panorama zu erhaschen. 

Der zweite Zettel ist vorderseitig nicht so spannend, aber dafür die Rückseite umso mehr: 


Noch Fragen? 




Mittwoch, 28. Juni 2017

Ehe für Aale


Was kümmert sich der Staat eigentlich um die Heiraterei? Die Ehe steht unter dem Schutz des Grundgesetzes, ja, aber warum? Mir leuchtet sofort ein, dass Kinder ein besonderes Schutzbedürfnis haben und jene steuerlich und sonstwie entlastet werden sollten, die sich entschließen, Verantwortung für Kinder zu übernehmen. Aber die gemeine Double-Income-No-Kids-Liaison? Was ist daran schutzwürdig? Kann man das heilige Sakrament der Ehe nicht einfach den Kirchen überlassen bzw. Heiratswilligen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, einen zivilrechtlichen Mustervertrag anbieten, ähnlich einem Mietvertrag? Bonus-Plus: Ein solcher Vertrag könnte bei Bedarf gekündigt werden, zumal, wenn man einen akzeptablen Nachmieter präsentiert, oder aber er verlängert sich "bis dass der Tod euch scheidet". Schließt also die Standesämter und macht Kitas draus - das ist, weiß Gott, wichtiger.


Mein Notgürtel ist fertig. Bin ziemlich sicher, dass dieses Modell Avantgarde ist; irgendetwas sinnvolles muss mit dem Müll, den wir in die Meere geworfen haben, ja passieren. Einsammeln und zu Kleidung verarbeiten. Vielleicht kann man auch Möbel draus basteln, Perücken, Prothesen, Hängematten, Häuser, Straßen, Städte bauen. Eines Tages werden wir alle in alten Fischernetzen leben, und die Aale sagen Dankeschön. 

Zum Conversationshaus, in dem ich gestern auftrat, steht der Gürtel in denkbar scharfem Kontrast. Voll etepetete, der Schuppen. Auf der Bühne steht ein wuchtiger Konzertflügel, und draußen auf der Terrasse plündern ebenso wuchtige Raubmöwen die Teller der Kurgäste. Was mir überhaupt nicht einleuchtet: Warum man hier mit'm Auto fährt. Der "Unique Selling Point" der Ostfriesischen Inseln ist doch gerade die Autofreiheit; die frohe Botschaft, dass es ein Paradies auf Erden gibt, nämlich hier - ruhig, archaisch und friedlich - wird durchs Brummbrumm doch komplett unglaubwürdig. Zudem ist das Eiland im Auto doch binnen Minuten durchmessen - selbst auf dem Rad habe ich ruckzuck alles gesehen. Seltsam. Der Baltrumer Bürgermeister nebenan denkt in die andere Richtung. Er möchte sogar mit "Zonen ohne Handyempfang" werben. Ihm, da bin ich mir sicher, gehört die Zukunft. 


Nach dem Auftritt wurde ich für mein zusammengeklapptes Birdy gelobt. "Das ist aber ein schicker Rollator!" meinte eine ältere Dame, und eine andere sagte, ich würde sie mit meiner neuen Brille an Alexander Dobrindt erinnern. Hm. Unklar, ob ich mich über diese Komplimente freuen soll. Besser wäre natürlich eine Brille aus Plastikmüll. Oder aus Fischbein.

Heute ist Regenwetter, und vor mir liegt eine Radtour von Norddeich nach Bensersiel, immer am Deich entlang. Diese Zeilen schreibe ich noch im Trockenen, nämlich im "Salon" der Fähre von Norderney zum Festland. Es ist 9:30, und ich hätte nicht übel Lust auf einen Grog. Oder einen Pharisäer. Das passt besser zum Ehe-Thema. Ich frag mal, ob's hier sowas gibt.


Dienstag, 27. Juni 2017

Brief von der Borkum-Fäare

Die Fähre, die Emden mit Borkum verbindet, kommt mir ziemlich groß vor. Fünf Decks voller Autos und Schulkinder, die mit ihren Daddelphones sämtliche Steckdosen besetzt halten. Die Klügeren schreiben per WhatsApp an die Lieben daheim. Zwei Mittelstufler am Nebentisch. Schüler 1: Wie schreibt man Fähre? Vau-E-Er-E? Oder so wie Ehre?"  Schüler 2: "Keine Ahnung. Frag mal besser den Lehrer". Schüler 1 (kräht): "Herr Schulte, wie schreibt man Fähre?" Lehrer: "Eff-Ä-Ha-Er-E" Aber der Lehrer ist zu weit weg, die Akustik schlecht. Schüler wundert sich. "Eff-Ä-A-Er-E? Ist ja komisch. Naja, der Deutschlehrer wird's wissen". Und Schüler tippt. 

Wir passieren passable Großfrachter, wohl für den Autotransport, und ich schmökere unter Deck in der Borkumer Zeitung, die mit der Geschichte einer Brieffreundschaft zwischen einer Borkumerin und Karl May aufmacht. Breaking News! 


Unter den Erwachsenen an Bord viele Ruhrpöttler, manche im bezauberndsten Sinne weltfremd. Als ich mir an einem "WMF-Bistro" Kaffeeautomaten einen Cappuccino besorge, indem ich einen einzigen Knopf drücke, äussert eine alte Dame neben mir ihr Erstaunen: "Wie, das kommt da schon fertig gemischt ausse Maschine?" Ich nicke und wundere mich. Gibt's denn solche Maschinen nicht zwischen Duisburg und Dortmund? Die Dame schüttelt entschlossen mit dem Kopf. "Nee, sowat haben wir nicht". 

Die "Kulturinsel" hat 500 Plätze, die Empore nicht inkludiert. Das Gebäude ist 40 Jahre alt und atmet den Charme der Hitparade. Am Bühneneingang findet sich eine beeindruckende Sammlung der Plakate aller Künstler, die hier aufgetreten sind. Los gehts mit: 


Vor meinem Auftritt checke ich ein. Das Hotel Atlantik besticht durch volle Bücherregale auf den Fluren; Generationen von Urlaubern haben ihre Ferienlektüre dagelassen, von John Steinbeck über Konrad Lorenz, Lore-Romane und die Bibel. Bukowski schlage ich zwanghaft auf, komme aber natürlich nicht zum Lesen, klar. 

Borkum wirkt ziemlich städtisch; nicht umsonst sage ich manchmal aus Versehen "Bochum". Mondän ist hier nichts, idyllisch nur wenig. Am Horizont stehen Ölbohrplattformen. Aber vielleicht ist auch nur meine Brille schmutzig. 

Wohnt hier nicht neuerdings Altkanzler Schröder? Ich male mir aus, wie er seine Seele in einer der Klinkerburgen baumeln lässt, auf die Ölbohrplattform blickt und über Rohstoffgeschäfte nachdenkt. Seine Brille ist gewiss sauberer als meine, vermute ich. Dann male ich mir aus, wie es wäre, selber hier zu wohnen, oder selber Altkanzler zu sein. Auf meiner Visitenkarte steht ja lediglich "Shetlandpony a.D." Nein, Bochum ist toll. Aber hier wohnen? Nicht unbedingt. 

Am Morgen nach dem Auftritt gehe ich barfuß am Strand spazieren, sammle Schnüre von zerrissenen Fischernetzen, um mir daraus einen Notgürtel zu fertigen (Hose ist zu groß). Auf dem Rückweg durch die Dünen entdecke ich dann doch noch ein wunderbares Bauwerk: einen gelblicher Kleinkegel, dessen Baumaterial zwischen zwei Pflastersteinen himmelwärts gebuckelt wurde. Bewohner sind nicht zu sehen. Ist vielleicht eine Ferienwohnung, die gerade leer steht: 


Jetzt auf Fähre zurück nach Emden, von dort per Rad nach Norden-Norddeich und weiter nach Norderney. Und wenn mich meine Dispo nicht trügt, sollte ich gleich hier und jetzt Mittagessen; nachher muss alles ganz schnell gehen. Also Saven und ran an die Theke. Es gibt Krabbenburger! 



The biggest Arztroman ever

Willkommen in meinem neuen Tagebuch („Post-Coronik“), das sich womöglich auch in diesem virtuellen Gewölbekeller vornehmlich mit Corona befa...

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