Dienstag, 16. Januar 2018

Ich glaub‘, es geht schon wieder los...🎶

Zeit für ein bisserl Sport. Ach Quatsch, falscher Einstieg; Schluss mit dem Untertrieb. Die Sache ist die: Ich stecke mal wieder mitten drin in einer Phase leuchtend glühender Trainingseuphorie. 

Nach schlappertem Frühherbst gelang es mir im November, verbindliche Schwimmbadbesuche ins Tagwerk zu integrieren. Halb Brust, halb Kraul, wenn energetisch möglich, sogar mit Rollwende. Ausgangspunkt war meine eherne Fracktragerei; im Bratenrock kann man prima zum Müllerschen Volksbad spazieren und fügt sich perfekt ins Jugendstilistische - eine Methode, die Diskussion, wie sich denn Stresemann und Ausdauersport textilfunktionell vertragen, elegant zu umgehen. 

Also schwamm ich eifrig, steigerte mich noch vor Weihnachten auf Tagesdosen über 3000 Meter, um dann, frisch vermählt, in den Urlaub nach Mallorca zu entschwinden. Von Valldemossa aus boten sich bonfortionöse Wanderungen an: Auf Es Cargoli, über den Reitweg des Erzherzogs, nach Deia. Viermal bestieg ich den Puig de Teix, mit Blutsverwanderten und Wanderschwagern, in klobigen Bergstiefeln, und es wuchs das Begehren, auch nach meiner Rückkehr lange Runden zu Fuss zu bewältigen. 

Auch im Mittelmeer schwamm ich einige Male, und dort, in der Brandung vor dem Port de Valldemossa, entsann ich mich eines Trainingsplans, den ich 2002 studiert hatte, anlässlich meiner Vorbereitung auf den Ems-Jade-Lauf von Emden nach Wilhelmshaven. Die Idee: Man läuft nur jeden zweiten Tag, dafür länger, und füllt die Tage dazwischen mit gelenkschonendem Alternativtraining, also schwimmend oder radelnd. So können sich Knorpel & Ko länger erholen und die Krankentrage bleibt unbelegt. 

Der Plan ist deshalb interessant, weil meine Gelenke zwischenzeitlich ungefähr alle schonmal signalisierten: Wir sind alt und marod‘, verschone uns mit deinem täglichen Trampelwahnsinn. Momentan geben sich sämtliche Schwachstellen meines Körpers unauffällig, und damit dies so bleibt, gedenke ich also Schwimmen und Laufen aufs Gesündeste miteinander zu kombinieren. 

Letzte Woche: Segment eins des Planes im engeren Sinne. Montag 16, Mittwoch 16, Freitag 19, Sonntag 20 km, dazwischen schwimmen, radeln oder nix, zudem Thaimassage und Sauna. Hüfte, Knie, Knöchel nicken zustimmend. Bisher. 

Ich schreibe diese Zeilen in Baden-Baden. Gestern habe ich an drei Folgen der Sendung „Meister des Alltags“ mitgewirkt, danach habe ich die Caracala-Therme besucht, und heute morgen bin ich durch die Dämmerung getrabt, zu den Battert-Felsen und dann rüber Richtung Merkur. Eigentlich wollte ich ganz rauf, aber es regnete fies, und die Kleidung war etwas dünn, und so habe ich mir den Gipfelsturm gespart. 

Nein, Frack trage ich beim Laufen nicht. Vorerst. Ich werde mich mal erkundigen, wie aufwendig die Anfertigung eines Stresemanns aus Goretex wäre. Bei Gelegenheit. Mein Maulwurfsfellzylinder hingegen ist beim Laufen gar nicht hinderlich, ausser bei Hitze. Da sammelt sich unangenehm viel Schweiß im überrübigen Hohlraum.

Heute also: 15 km, 350 Höhenmeter, 1:40. Ich bin voll auf Goldkurs. Und jetzt rein ins Fernsehstudio. 

Freitag, 28. Juli 2017

Fahrradgedicht (1)

Ich fang mal mit was kleinem an:

Die Klingel. Klingelingelingeling. 

Traditionell am Lenker fest sitzt 

dieses Hoppla, jetzt komm icke-Ding

Die Menschheitstorte lässt sich teilen;

Im einen Stück: die Gerne-Klingler.

Schon in großer Ferne hupen sie metallisch

Ihr Lohn: das Hindernis erschrickt 

Und springt in Richtung Strassengraben 

Das andere Stück beinhaltet 

die Eher-ungern-Klingler. 

Alles, was phallisch, laut, aufdringlich 

Wirkt, ist ihnen potenziell suspekt

Der Frage: "Klingl'ich? Ist es gut, wenn

Der erschreckt, der vor mir träumt?"

Wird reichlich Denkplatz eingeräumt. 

Im Zweifel wird sacht' überholt,

Das Hindernis mit Dank bedacht.

Und um nicht aufdringlich zu wirken

Wird mancher wird gar zum Fahrradschieber


Und jetzt frag ich: 

Welches Stück Torte ist Euch lieber? 



Donnerstag, 20. Juli 2017

Geht miteinander ins Bett!

Verroht unsere Gesellschaft? Werden die Diskurse immer haudräufischer, persönlich diffamierender, werden wir alle immer hasserfüllter, hässlicher? 

I wo. Ich seh's so: Bei Facebook fühlt man sich zuhause. Die eigene Pinnwand ist das, was früher die eigenen vier Wände waren. Da saß der Hausherr auf'm Sofa, mit 'ner Buddel Bier in der Hand, blökte seine Alte an und kommentierte das Weltgeschehen mit "Lauf, du Sau!" et tutti quanti. Heute sitzen er (und seine Alte) vorm Display und benehmen sich wie immer, nur eben schriftlich. Ethnologisch bietet das Internet somit feine Forschungsmöglichkeiten: Es verroht die Menschen nicht, sondern es offenbart, wie sie wirklich sind, wenn sie sich dahoam, sicher und geborgen fühlen.

In Deutschland bevorzugt man Gardinen, in den Niederlanden lebt man ohne solche - der freie Blick ins Wohnzimmer sollte die moralische Integrität der Bewohner jedem Passanten sichtbar machen. Der Siegeszug der sozialen Netzwerke reißt gleichsam die Gardinen von den Stangen - allerdings entspricht das, was da zu Tage tritt, dem calvinistischen Sittenkodex nicht immer. 

Hilft das Hatespeech-Gesetz, um die Gardinen an Ort und Stelle zu halten? Nein. Wird es die Leute dazu bringen, in ihren Privatgemächern Oberhemd zu tragen, frisch gebügelt und fleckenfrei? Nein. 

Wir werden uns an freie Sicht und hellhörige Wände gewöhnen müssen. 

Und wir werden lernen, dass "die Renaissance der Schriftkultur", die viele (auch ich) vor einigen Jahren für etwas positives hielten, das gedeihliche Miteinander nicht unbedingt befördert. Nach unzähligen Versuchen weiß ich, wie schwer es ist, bei Facebook eine sachliche, tiefe, gründliche Diskussion zu einem beliebigen politischen Thema zu führen, ohne dass früher oder später irgendein Dödel rüde dazwischenquakt. Dem Chat ist das persönliche Gespräch überlegen - eben wegen der zivilisierenden Wirkung des Augenkontaktes. 

Das Überleben der Demokratie wird auch davon abhängen, ob die Menschheit sich wieder für persönliche Begegnungen begeistern lässt, auf Armlänge oder unter einer Decke, ohne zwischengeschaltete Elektronik. 

Mein Traum für die Menschheit: Klappt die Rechner zu, werft die Handys weg. Kippt Euch zusammen einen hinter die Binde, singt gemeinsam Lieder. Diskutiert. Und vor allem: Geht miteinander ins Bett! 


(Bild aus: "Der gute Ton von heute", 1953)

Samstag, 15. Juli 2017

Alpenüberquerung, letzte Etappe

Geschafft! Aber der Reihe nach: In frisch gewaschenen Klamotten verlassen wir morgens Cles und fahren über angenehm gefällige Straßen nach Cunevo - so wie viele andere Radler auch. Dass unsere Route nicht gerade ein Geheimtipp ist, verwundert nicht; im beliebten Radwanderbuch "Alpencross" von Achim Zahn ist unsere als "leichteste" Route offeriert - und eben diese suchte ich, tretroller- und teresentauglich. Dass aber auch diese "leichte" Route mit ihren drei Pässen über 1400 Meter gewisse Tücken birgt, erfahren wir buchstäblich, als wir in Sporminore unseren Abzweig verpassen und auf grandioser Serpentimenstrasse reichlich Höhenmeter gegen Fahrspass eintauschen. Als mir unten mein Fehler auffällt, weicht der Geschwindigkeitsrausch nüchternem Kater. "Ich muss dir etwas gestehen" adressiere ich Teresa, "wir haben uns verfahren". Sie vergibt ohne erkennbaren Groll, und die nächste Stunde wuchte ich, wie bereits gestern am Gampenpass, Rad und Roller durch steile Obstgärten wieder bergauf. Meine Freundin hinterher, die heute, am fünften Tag, erstmals gewisse Folgen des Erlebten vermeldet: Sie fühle sich wie ein Roboter, ihre Beine seien recht ungeschmeidig. Das sei völlig normal, doziere ich, und als ihr Tempo immer stärker nachlässt, biete ich ihr an, nicht nur unsere Fahrzeuge, sondern auch sie selber aufwärts zu ziehen. Zu diesem Zweck ergreift sie von hinten mein Trikot wie eine römische Wagenlenkerin. 

Wahrscheinlich geben wir ein gar lustiges Gespann ab, das sich da mit einem knappen km/h hinauf nach Maurina bewegt, aber der Griff zum Schlawittchen scheint hilfreich zu sein, jedenfalls erreichen wir nach einer satten Extrastunde tatsächlich das verwunschenste Bergdörfchen, das man sich vorstellen kann. Wie Schwalbennester kleben die Häuschen am Berg und sind durch einen uralten, massiven Collonadengang miteinander verbunden. Die örtliche Bevölkerung knipst ein Bild (s.o.). Dov'è un bar? Im nächsten Ort, zwei Kilometer weiter. Klingt gut. Aber auch diese zwei km geht's bergauf, und ich agiere als Zugmaschine. In Spormaggiore rasten wir schließlich und überlegen, was zu tun ist. Doch runter an die Etsch? Etappe abkürzen? Nein. Vorsichtshalber buchen wir ein Hotelzimmer in Riva, so dass es kein Zurück gibt. Da müssen wir hin, und zwar noch heute, über zwei Berge, das volle Programm. Ok, wir geben uns die Hand drauf und tanken zwei große Teller Pasta-Brennstoff mit reichlich Oktan. 

Interessante Frage: Für wen diese Aktion wohl schwerer ist? Teresa meint, ganz klar für mich. Ich hingegen behaupte das Gegenteil. Untrainiert bei 30 Grad in fünf Tagen über die Alpen, mit allem drum und dran - das ist auch mit Schlawittchenhilfe und im Schneckentempo eine ganz besondere Leistung. Könnte glatt als sportliche Disziplin taugen: Das ungleiche Mixed-Duo. Teamwork ist Trumpf. 

Der Weg hinauf nach Andalo ist der Knackpunkt des Tages. Schlappe tausend Höhenmeter, die wir auf der stark befahrenen Strasse zurücklegen. Der Dauerblick in die Bergwelt der Brenta-Dolomiten rechtfertigt in jedem Fall die Entscheidung, nicht an der Etsch entlang zu gondeln. 

Irgendwann sind wir oben, und in zügiger Fahrt passieren wir den entzückenden Lago di Molveno. Die Landschaft wird immer verzaubernder, alle Mühen sind bald vergessen. Lauthals singe ich die "Christel von der Post", als ich hinter Teresa her durch die Schluchten jage. Alles in uns frohlockt, jubiliert, triumphiert!

Nur noch ein Anstieg, hinauf zum Passo del Ballino. Vierhundert Höhenmeter - ein Klacks! Wir trinken Café Freddo in San Lorenzo in Banale, dann geht's auffi. Um 17.50 Uhr stehen wir oben, und ab hier, welch großartige Dramaturgie, muss bis zum Hafenkai in Riva keine einzige Pedalumdrehung, kein einziger Rollertritt mehr ausgeführt werden. Unter uns taucht der Gardasee auf, er kommt immer näher, und um 18.30 endet dieses große Abenteuer, ohne Defekt, ohne Sturz, ohne Tränen.

Die schönste Reise, die ich je gemacht habe! 


Freitag, 14. Juli 2017

Alpenüberquerung, 4. Etappe

Lebt sie noch? Vorsichtig versuche ich Teresa zu wecken. Hallo? Jetzt nochmal lauter. Es ist 7 Uhr 20! Zeit für ein paar Höhenmeter! Der Gampenpass ruft! 

Zwei Spuren, mittelviel Verkehr, Leitplanke oder Felswand. Drei Tunnels. 1200 Höhenmeter mit 6-8 % Steigung. Wie raufkommen? Wir entscheiden uns für einen Wechsel aus 1. Beide gehen und schieben, 2. Teresa fährt, ich schiebe laufend links den Roller und rechts meine Freundin, und 3. Teresa fährt, ich rollere hinterher. Bei 1. und 2. hat sie noch Luft, um mir "Ich bin die Christel von der Post" aus Carl Zellers Operette "Der Vogelhändler" beizubringen. Der Text passt durchaus zur heutigen Reisegeschwindigkeit:  

🎶...Nur nicht gleich, nicht auf der Stell', denn bei der Post geht's nicht so schnell🎵


Die Auffahrt ist, nicht ganz unerwartet, eine mühsame Angelegenheit. Im Wirtshaus auf halber Höhe lassen wir uns von einem ortsansässigen LKW-Fahrer eine Abkürzung empfehlen: unterhalb der Passstrasse gäbe es einen tollen Radweg; man spare zwei ganze Kehren und habe seine Ruhe vor den Autos. Also los. Zunächst ist das Strässlein tatsächlich sympathisch, dann jedoch weicht die Asphaltdecke grobem Kies, der wiederum später durch kindskopfgrosse Wackersteine ersetzt wird. Fahren ist nicht, Schieben auch nicht. Man kann Roller und Rad nur noch fluchend aufwärts wuchten. Eine großartige Übung in Sachen Frusttoleranz. Namentlich der Roller widersetzt sich heftig meinen Trageversuchen. Schultern geht auch nicht, dafür schlägt mir das Hinterrad mehrfach an die Haxen, aua. Teresa ist von allen Tragepflichten entbunden, damit ich mich erneut betont ritterlich präsentieren kann. Also lasse ich mich nicht nur vom Roller verhauen, sondern zerre in der anderen Hand auch noch das MTB Richtung Passhöhe.

🎶...ich bin die Christel von der Post / Mein Amt ist herrlich / wenn auch beschwerlich / auf die Adresse kommt es an...🎵


Beide tragen wir lediglich Barfussschuhe, die in diesem Terrain an ihre Grenzen geraten...

🎶...aber das macht nichts, wenn man noch jung ist / wenn man nicht übel / wenn man in Schwung ist / ohne zu klagen kann man's ertragen / wenn man dabei immer lustig und frei...🎵

Der Pfad wird immer steiler, meine Flüche immer lauter, und die Geräusche der Straße sind schon lange nicht mehr zu hören. Teresa trottet erstaunt hinterher. So ist das also auf einer Fahrradtour. Interessant. 

Eineinhalb Stunden, nachdem wir dem freundlichen LKW-Fahrer Ade gesagt haben, erreichen wir endlich die Passhöhe und umarmen uns innig und erleichtert. Es ist vierzehn Uhr, also haben wir insgesamt fünfeinhalb Stunden gebraucht. Jetzt schnell die Speicher auffüllen. Im Restaurant gegenüber vom braunen Schild gibt es nur ein einziges warmes Gericht, nämlich Würstel mit Pommes. Her damit, aber pronto! 

🎶...Ich bin die Christel von der Post / klein das Salär und schmal die Kost...🎵

Wir kommen ins Gespräch mit einem Rennradler-Pärchen. Er: "Ganz hier rauf mit'm Roller? Warum?" Ich antworte wahrheitsgemäß: "Dann sind wir gleich schnell, meine Freundin und ich", und er reckt seinen Daumen empor. Gut möglich, dass unsere Tour als Anregung taugt, für alle Paare, die gerne zusammen radeln möchten, bei denen aber eine(r) schneller ist als der andere. Wir haben das Problem gelöst. 

Runter Richtung Unsere liebe Frau im Wald. Ich staune so sehr über die Fahrkünste meiner Freundin, dass mir der Mund offen steht und eine Fliege hineinsaust. Zehn Minuten Husten. Über verträumte Waldpisten gondeln wir sodann nach Castelfondo. Dass wir die Sprachgrenze überwunden haben, beweist nicht zuletzt der Umstand, dass gleich am Ortseingang ein paar Bauarbeiter meiner Liebsten hinterher pfeifen.

🎶...Ist's ein galanter / ist's ein charmanter / wird es fatal oft dann und wann...🎵

Über Braz fahren wir zu unserem heutigen Zielort, nach Cles. Um dorthin zu gelangen, gilt es, auf imposanter Brücke den Lago di Santa Giustina zu überqueren. Kaum haben wir das Brückenbauwerk erreicht, öffnen sich die Himmelsschleusen. Mit knapper Not sichern wir Handys und Geldbörse im Gefrierbeutel, dann schiebe ich Teresa laufend das Hochufer hinauf. 

Cles ist ein lieblicher Ort, und das gleichnamige Hotel auf Radfahrer spezialisiert (heißt: man kann seine verdreckte Kleidung waschen lassen und bekommt ein besonders üppiges Menü). Wir trocknen uns ab, besuchen ein Fachgeschäft für Betthupferl und gehen in die Kirche. Gründe für Dankgebete gibt es reichlich, und für Bittgebete auch: Morgen letzte Etappe.



Donnerstag, 13. Juli 2017

Alpenüberquerung, 3. Etappe

Abfahrt in Nauders um halb neun. Während ich mich etwas abgeschlagen fühle, äußert Teresa keine Beschwerden. "Ich bin jung, ich bin gesund, warum soll ich nicht über die Alpen kommen?"

Noch gähnend stellen wir fest, dass die Auffahrt zum Reschenpass gar keine echte Auffahrt ist, sondern nur ein Buckelchen. Dahinter erstreckt sich der Reschensee mit dem berühmten Kirchturm des gefluteten Dorfes Graun. 

Unsere Trikots entwickeln mittlerweile die interessantesten Aromen, und Ersatzleiberl haben wir gar nicht erst eingepackt, um den Minimalismus auf die Spitze zu treiben.  Schön, dass wir uns außerordentlich gut riechen können. Fliegen aber auch. Bei jedem Halt werden wir gierig umschwirrt. Endgültig wach werden wir, als wir die ersten Bewässerungsanlagen des Südtiroler Obstanbaus durchfahren. Wasser von oben und, mangels Schutzblech, auch von unten lässt uns jauchzen wie Teenies in der Wildwasserbahn. Die Kaskaden läuten den vergnüglichsten Teil der bisherigen Radtour ein: Die autofreie Abfahrt auf perfektem Asphalt hinunter nach Burgeis, vor silbrig vergletscherter Ortler-Kulisse. Endloser Fahrspass. Gehört in die Top 10 der ersprießlichsten Radwege des Universums. 

Teresa jubiliert, reißt die Arme hoch, rast in Höllentempo am Ufer der Etsch entlang, und ich sause breit grinsend hinterher. Bis km 50 kommen wir fast ohne Treten voran, danach mit nur spärlichem Krafteinsatz. Viel los auf dem Etschtalradweg: Sportler, Familien, Reiseradler mit gewaltigen Gepäcktaschen, Elektroradler. Letztere sind manchmal besonders lustige Leute ( der eine zB saß auf tausenden von Euro, überschwere Maschine mit XXL-Federweg, war aber bergab ein Schisser und ließ sich von einer erst seit vorgestern bergradelnden Opernsängerin (die übrigens während der Abfahrt ihre Koloraturen übt) und einem 16-Zoll-Tretroller-Fahrer überholen). 

Übrigens bewährt sich mein Kostka "Street" als brauchbares Reisemobil, unempfindlich und belastbar. Als die Sonne im Zenit steht, schlage ich mir allerdings den Knöchel an der hinteren Nabe blutig. Diesen Schmerz kenne ich bereits; der Knöchel ist sozusagen die Archillesferse des Tretroller-Touristen. Klar, man könnte ihn in einen gepolsterten Schoner stecken, aber auch dies passt nicht zum minimalistischen Reisekonzept.

Mittagessen in der Rad Bar. Bohnenragout und Piadina, zum Nachtisch Apfelstrudel und Fotosession, danach lässt das Gefälle etwas nach und der Fahrspass weicht einer gewissen Nüchternheit. Tritt auf Tritt im Walzertakt, fünf bis zehn links, dann Fußwechsel, immer schnurgerade am Fluss entlang, bis nach Meran. 

Vorm schmucken Stadttheater kaffeesieren wir, dann petten wir das letzte Dreiviertelstündchen für heute, in den Ort Lana, wo wir Quartier nehmen. Über 100 km maß die Etappe, und das Bad im kleinen Pensionspool ist redlich verdient. Am Beckenrand sitzen Eidechsen und schauen uns beim Plantschen zu, und im Nachbargarten singt ein Chor aus Palme, Feige, Kaktus den Choral des Südens. 

 Und wie weiter? An der Etsch entlang nach Rovereto und dann rechts? Oder über alle Berge, das komplette Programm, mit Muskelkater-Garantie? Wir wägen die Vor- und Nachteile ab, sind uns aber schnell einig: die Bergvariante ist viel spannender! Vielleicht geht es uns ja zu gut. Abends im Bett ist durchs Fenster der Beginn der morgigen Etappe zu sehen, die Auffahrt zum Gampenpass. Vorfreude! 


Mittwoch, 12. Juli 2017

Alpenüberquerung, 2. Etappe

Aufbruch in Imst um acht Uhr. Teresa vermerkt vergnügt "ein leichtes Druckgefühl" am Gesäß. Sonst äußert sie keine Beschwerden, was mich durchaus erleichtert, denn vor uns liegt ein langer Tag. Wir radeln/rollern am Inn entlang nach Landeck. Bin bereits zum vierten Mal in diesem Jahr auf dieser Route unterwegs; seitdem Sohn Cyprian in Landeck studiert, ist der Inntalradweg so'ne Art Stammstrecke geworden. Er ist aber gerade nicht da; schade. Also weiter nach Fliess, mit allerlei auf und ab. Es wird warm. Teresa fürchtet sich vor der berüchtigten Radfahrerbräune, weil diese auf der Konzertbühne im Abendkleid blöd aussieht. Passt auch nicht zu Mozart. Leider weiß ich nicht, was man gegen die scharfen Farbränder tun kann. Alles bedecken oder alles ausziehen. In Fliess zweites Frühstück an einer schattigen Häuserwand. Dann folgen wird den Wegweisern Richtung "Pfunds/CH". 

Vor uns entblößen sich martialische Bergriesen, während sich neben uns winzige Waldbeeren im Unterholz verstecken. Wir finden Sie trotzdem. Anderes Highlight: Die schönen hölzernen Brücken über den Inn. Elastisch federnde Bretterböden. Flirrende Hitze. Mittag in Pfunds. Wasserflaschen auffüllen am Prutzer Sauerbrunnen:

In einer grottenartigen Aussparung am Weg kann man sich für umme bedienen und erhält ein säuerlich-metallisches Heilwasser. Köstlich! Dann führt uns der Wegweiser auf die Autostrasse Richtung St. Moritz. Im Tunnel überhole ich gedankenlos meine Gefährtin, die daraufhin schutzlos der Drängelei eines LKWs ausgeliefert ist. Bis auf eine Armlänge nähert sich der überlaute Monstertruck. Es geht bergab, wir sind schnell unterwegs. Teresas Schnürsenkel ist auf. Darf nicht in die Kette geraten, sonst: Walderdbeere. Psychologisch eine harte Prüfung, so'n voller Bundesstraßentunnel in den Alpen. 

Am Schweizer Zollamt in Martina legen wir zur Erholung ein Kaffeepäuschen ein. Es ist 15 Uhr und zieht langsam zu. Etwas bangbüxig gehen wir an den kalorischen Tageshöhepunkt, nämlich den Aufstieg nach Nauders, wobei "gehen" ganz wörtlich gemeint ist. Wer sein Rad liebt, so schmunzelt Teresa, der schiebt. Ich dackele hinterher und raune zwischendurch das Motivationswort "Kuuuchenbüüüffeeet", welches angeblich oben in Nauders auf uns wartet. Ab und zu fährt Teresa auch ein paar Meter, und ich skandiere "Super super Yeah!", wie wirs neulich beim Lachyoga-Schnupperkurs gelernt haben. 

Als wir ein Schild mit einer großen "10" passieren, schwant uns, dass die Kehren nummeriert sind. Ab jetzt wird runtergezählt. Kehren-Countdown. Vereinzelt treffen uns kapitale Tropfen. Regnet es etwa? Nein, noch nicht. 

9-8-7. Rücksichtslos rüpeln röhrende Sportwagen an uns vorbei. Ja, wissen die denn da nicht, wen sie da überholen? Die tapfere Teresa auf ihrer ersten Transalp! Ohne Training! Höflichkeit und Respekt geböten, dass man wenigstens verlangsamt und nett grüßt. In den folgenden Kehren denken wir uns immer neue Schimpfwörter für Porschefahrer aus - so wird's nicht langweilig. 

6-5-4. Ein drahtiger Bergradler überholt uns. "Bis nach oben ist's noch ganz schön weit; auf dem Rad geht's leichter!" "Ich wa-heiß", pampe ich zurück und nuschele ein verschwitztes "Kümmere dich um deinen eigenen Kram!" hinterher. 

3-2-1. Die letzten Meter schiebe ich meine Freundin im Laufschritt an (könnte ein taugliches Konzept für die kommenden Pässe sein). Und dann sind wir oben, auf der Norbertshöhe: 


Nach 72 km und 1130 Höhenmetern erreichen wir um 16:30 Uhr Nauders. Kaum betreten wir unser Hotel, beginnt ein prasselnder Schauer. Brillantes Timing, wie gestern. Schade: Das Küchenbüffet im Hotel ist soeben abgeräumt worden. Dafür schlagen wir beim Abendessen voll zu und lassen auch sonst Seele und Konsorten baumeln. Ich besuche die Sauna, Teresa lässt sich in der Wellness-Abteilung ein Heubad verabreichen. Idee: Man legt sich 20 min in ein Bett gefüllt mit Heu, und dazu läuft Dudelmusik. Abgesehen davon, dass sie als Pollenallergikerin dort natürlich niesen muss, konnte sie spontan keine Wirkungen erkennen. Die Heubademeisterin ordnete allerdings eine halbe Stunde Nachruhen an, um das "Nachschwitzen" zu gewährleisten, eine Aufforderung, der sich Teresa widersetzte. Wer weiß; vielleicht offenbart sich ja morgen am Reschenpass die belebende Wirkung des Heus.







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