Freitag, 14. Juli 2017

Alpenüberquerung, 4. Etappe

Lebt sie noch? Vorsichtig versuche ich Teresa zu wecken. Hallo? Jetzt nochmal lauter. Es ist 7 Uhr 20! Zeit für ein paar Höhenmeter! Der Gampenpass ruft! 

Zwei Spuren, mittelviel Verkehr, Leitplanke oder Felswand. Drei Tunnels. 1200 Höhenmeter mit 6-8 % Steigung. Wie raufkommen? Wir entscheiden uns für einen Wechsel aus 1. Beide gehen und schieben, 2. Teresa fährt, ich schiebe laufend links den Roller und rechts meine Freundin, und 3. Teresa fährt, ich rollere hinterher. Bei 1. und 2. hat sie noch Luft, um mir "Ich bin die Christel von der Post" aus Carl Zellers Operette "Der Vogelhändler" beizubringen. Der Text passt durchaus zur heutigen Reisegeschwindigkeit:  

🎶...Nur nicht gleich, nicht auf der Stell', denn bei der Post geht's nicht so schnell🎵


Die Auffahrt ist, nicht ganz unerwartet, eine mühsame Angelegenheit. Im Wirtshaus auf halber Höhe lassen wir uns von einem ortsansässigen LKW-Fahrer eine Abkürzung empfehlen: unterhalb der Passstrasse gäbe es einen tollen Radweg; man spare zwei ganze Kehren und habe seine Ruhe vor den Autos. Also los. Zunächst ist das Strässlein tatsächlich sympathisch, dann jedoch weicht die Asphaltdecke grobem Kies, der wiederum später durch kindskopfgrosse Wackersteine ersetzt wird. Fahren ist nicht, Schieben auch nicht. Man kann Roller und Rad nur noch fluchend aufwärts wuchten. Eine großartige Übung in Sachen Frusttoleranz. Namentlich der Roller widersetzt sich heftig meinen Trageversuchen. Schultern geht auch nicht, dafür schlägt mir das Hinterrad mehrfach an die Haxen, aua. Teresa ist von allen Tragepflichten entbunden, damit ich mich erneut betont ritterlich präsentieren kann. Also lasse ich mich nicht nur vom Roller verhauen, sondern zerre in der anderen Hand auch noch das MTB Richtung Passhöhe.

🎶...ich bin die Christel von der Post / Mein Amt ist herrlich / wenn auch beschwerlich / auf die Adresse kommt es an...🎵


Beide tragen wir lediglich Barfussschuhe, die in diesem Terrain an ihre Grenzen geraten...

🎶...aber das macht nichts, wenn man noch jung ist / wenn man nicht übel / wenn man in Schwung ist / ohne zu klagen kann man's ertragen / wenn man dabei immer lustig und frei...🎵

Der Pfad wird immer steiler, meine Flüche immer lauter, und die Geräusche der Straße sind schon lange nicht mehr zu hören. Teresa trottet erstaunt hinterher. So ist das also auf einer Fahrradtour. Interessant. 

Eineinhalb Stunden, nachdem wir dem freundlichen LKW-Fahrer Ade gesagt haben, erreichen wir endlich die Passhöhe und umarmen uns innig und erleichtert. Es ist vierzehn Uhr, also haben wir insgesamt fünfeinhalb Stunden gebraucht. Jetzt schnell die Speicher auffüllen. Im Restaurant gegenüber vom braunen Schild gibt es nur ein einziges warmes Gericht, nämlich Würstel mit Pommes. Her damit, aber pronto! 

🎶...Ich bin die Christel von der Post / klein das Salär und schmal die Kost...🎵

Wir kommen ins Gespräch mit einem Rennradler-Pärchen. Er: "Ganz hier rauf mit'm Roller? Warum?" Ich antworte wahrheitsgemäß: "Dann sind wir gleich schnell, meine Freundin und ich", und er reckt seinen Daumen empor. Gut möglich, dass unsere Tour als Anregung taugt, für alle Paare, die gerne zusammen radeln möchten, bei denen aber eine(r) schneller ist als der andere. Wir haben das Problem gelöst. 

Runter Richtung Unsere liebe Frau im Wald. Ich staune so sehr über die Fahrkünste meiner Freundin, dass mir der Mund offen steht und eine Fliege hineinsaust. Zehn Minuten Husten. Über verträumte Waldpisten gondeln wir sodann nach Castelfondo. Dass wir die Sprachgrenze überwunden haben, beweist nicht zuletzt der Umstand, dass gleich am Ortseingang ein paar Bauarbeiter meiner Liebsten hinterher pfeifen.

🎶...Ist's ein galanter / ist's ein charmanter / wird es fatal oft dann und wann...🎵

Über Braz fahren wir zu unserem heutigen Zielort, nach Cles. Um dorthin zu gelangen, gilt es, auf imposanter Brücke den Lago di Santa Giustina zu überqueren. Kaum haben wir das Brückenbauwerk erreicht, öffnen sich die Himmelsschleusen. Mit knapper Not sichern wir Handys und Geldbörse im Gefrierbeutel, dann schiebe ich Teresa laufend das Hochufer hinauf. 

Cles ist ein lieblicher Ort, und das gleichnamige Hotel auf Radfahrer spezialisiert (heißt: man kann seine verdreckte Kleidung waschen lassen und bekommt ein besonders üppiges Menü). Wir trocknen uns ab, besuchen ein Fachgeschäft für Betthupferl und gehen in die Kirche. Gründe für Dankgebete gibt es reichlich, und für Bittgebete auch: Morgen letzte Etappe.



4 Kommentare:

  1. Ich lies mir jeden Tag euren Fortschritt durch und freu mich als Südtiroler das eine oder andere Fleckchen zu kennen. Nur will mir dein Rittertum nicht so recht in den Kopf: gerne mal Gentleman sein aber sich teils so abackern? Trotzdem sehr spannend zu lesen. :) Viel Erfolg weiterhin!

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  2. Haha, die Christl von der Post! Hättest Du Deine Freundin nicht, dann hätten wir nicht so eine unterhaltsame Geschichte bekommen, Danke!

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  3. 🎵ohne zu klagen
    kann man's ertragen.
    Wenn man dabei immer lustig und frei.🎵
    Zauberhaft! Erholt euch gut 😉

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