Samstag, 13. April 2019

Deutsche Flüsse (8): Rhein




Das erschreckendste, was über den Rhein geschrieben wurde, ist womöglich Heinrich von Kleists Ode „Germania an ihre Kinder":


„Zu den Waffen, zu den Waffen! 

Was die Hände blindlings raffen!

Mit dem Spieße, mit dem Stab,

Strömt ins Tal der Schlacht hinab!

(...)

So verlaßt, voran der Kaiser,

Eure Hütten, Eure Häuser,

Schäumt, ein uferloses Meer, 

Über diese Franken her!"


Gemeint sind die bösen Franzosen. Und weiter: 


„Alle Plätze, Trift‘ und Stätten,

Färbt mit ihren Knochen weiß;

Welchen Rab und Fuchs verschmähten,

Gebet ihn den Fischen preis;

Dämmt den Rhein mit ihren Leichen;

Laßt, gestäuft von ihrem Bein,

Schäumend uns die Pfalz ihn weichen,

Und ihn dann die Grenze sein!

Eine Lustjagd, wie wenn Schützen

Auf die Spur dem Wolfe sitzen!

Schlagt ihn tot! Das Weltgericht

Fragt euch nach den Gründen nicht!"


Unangenehm zu lesen, gell? Bedeutend lieber ist mir jene Szene aus Carl Zuckmayers „Des Teufels General", in welcher Harras - im berühmten Film vom knorrigen Curt Jürgens verkörpert - einem jungen Offizier, der aufgrund mangelnder Rassereinheit um seine Karriere bangt, folgende Worte mit auf den Lebensweg gibt:


„Schrecklich, diese alten verpanschten, rheinischen Familien...

Stellen sie sich mal ihre womögliche Ahnenreihe vor:

Da war ein römischer Feldherr. Schwarzer Kerl. Der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie - das war ein ernster Mensch; der ist schon vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. Dann kam ein griechischer Arzt dazu, ein keltischer Legionär, ein graubündener Landsknecht, ein schwedischer Reiter. Und ein französischer Schauspieler. Ein böhmischer Musikant. Und das alles hat einmal am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen, gesungen und Kinder gezeugt. Und der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven. Und der Gutenberg. Und der Matthias Grünewald. Und so weiter, und so weiter. Das waren die Besten, mein lieber. Vom Rhein sein, das heisst: vom Abendland sein. Das ist natürlicher Adel. DAS ist Rasse. Seien sie stolz darauf (...)

Film gucken


Dass „Rhein in Flammen" heute nur ein harmloses Großfeuerwerk bezeichnet, hätte dem mordlustige Heinrich von Kleist wohl ein verächtliches Kopfschütteln abgerungen. Als Symbol des Hasses ist der Rhein jedenfalls außer Betrieb - hoffentlich für längere Zeit. 

Etwas anders verhält es sich mit dem „natürlichen Adel": Man denkt sogleich an Flüchtlinge, Merkel, Pegida. Mit der Rückkehr des „völkischen" Deutschland-Denkens erscheint es gut möglich, dass ein zukünftiger Harras einem Deutschen mit syrischen, marokkanischen oder eritreischen Wurzeln auf Zuckmayersche Art Mut macht, mit dem Rhein als Sinnbild des supranationalen Saufens, Singens und Kinderzeugens. 

Während er also als Sehnsuchtsort der Nationalisten, als Symbol des Hasses ausgedient hat, taugt der Rhein auch weiterhin als Symbol der Verbrüderung, der Toleranz, der Liebe. 


Man kann natürlich auch einfach an seinem Ufer entlang spazieren, mit unbestimmtem Gesichtsausdruck, und behaglich vor sich hin drömeln. Oder Feuerwerke bestaunen. 


P.S.: Wo befinden sich eigentlich die Sehnsuchtsorte der heutigen Nationalisten? Wartburg, Hambach, Helgoland? Hm. Warthe und Memel? Früher gab es den Sticker „Deutschland ist größer als die Bundesrepublik", aber derlei taucht auf den Plakaten der AfD nicht auf. Sehnsuchtsorte sind wohl eher die „national befreiten Zonen", also ethnisch „gesäuberte" Gegenden, ohne „Fidschis" und „Asylbetrüger", „Zecken" und „Liberale", neue „Reichsmusterdörfer" in Mecklenburg-Vorpommern. Sowas. Oder? Lesen zufällig Nationalisten mit? Für diesbezügliche Nachhilfe wäre ich sehr verbunden. 



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