Der Müllberg. Von der siebten bis zur zehnten Klasse führte mein Schulweg an der Mülldeponie in Oldenburg-Kreyenbrück entlang. Etwas langweilige Mittelstufen-Jahre, die in meiner Erinnerung mit einem prägnanten Müllduft verbunden sind. Seltsam, wie ich immer und immer wieder auf Aspekte meiner Biografie stoße, die mit "Mief!" In Verbindung zu stehen scheinen. Nun gut; womöglich sind alle Menschen tagtäglich odoral touchiert, ohne dass dies jedoch bewusst wahrgenommen wird - im Gegentum, wie Walter Kempowski sagen würde. Und dabei lassen sich doch gerade vor Gestank die Augen nicht verschließen - jedenfalls nicht so, dass dies irgendeine desodorierende Wirkung hätte.
Heute ist der Müllberg begrünt und der Öffentlichkeit zugänglich. Der "Osternburger Utkiek" ist die höchste Erhebung der Stadt und erlaubt einen fabelhaften Blick auf die Skyline der Huntemetropole. Konzentriert man sich auf den feinen Sand zwischen den Zehen und kneift die Augen zusammen (und phantasiert sich orientalische Düfte hinzu), könnte man meinen, man sei nicht in Kreyenbrück, sondern in Qatar - also in jenem Land, das über Nacht zum bösesten Buben, zum Müllberg der Weltgemeinschaft geworden ist. Welch Blitzkarriere! Apropos Qatar: Ich bin immer noch krank. Statt Sport werde ich heute meinem Vater die Ehre erweisen, der das Wildeshauser Gildefest zum 50. und letzten Mal als Richter bereichert.
Wie viel besser wäre es der Menschheit ergangen, wenn sie ihre Konflikte dem Wildeshauser Gildegericht zur Lösung vorgelegt hätte! Gestern, so erzählt mein Neffe, soll er einen Festgast verurteilt haben, weil er aus Hannover stammt und von dort angereist war, während die Verteidigung auf Freispruch plädierte. Hannoveraner seien schon durch ihren Wohnort genug gestraft. Einen anderen Angeklagten soll Papa mit Schnaps übergossen haben - weitere Hintergründe dieses Prozesses sind mir nicht bekannt. Und abends soll er, der Überachtzigjährige, neue Tanzstile erfunden haben: Sockfuss, den Takt mit den Schuhen klatschend.
Ich habe den besten Vater der Welt und bin sicher, dass er auch die Qatar-Krise im Handumdrehen lösen würde, etwa, indem der Scheich verpflichtet wird, statt Muslimbrüder den TSV 1860 München zu unterstützen (neuer Spielort in der Wüste!) oder strafhalber nach Hannover zu ziehen. Oder er löst die Krise nicht im Umdrehen der leeren Hand, sondern durch Verguss einer Schnapsflasche. Das bringt manchmal mehr als gemeinhin unterstellt wird - ohne, dass man präzise sagen könnte, was. Auf jeden Fall riecht es besser als Müll.