Dienstag, 23. Januar 2018

Meine längste Tretrollerfahrt

Ich sitze gerade in der S-Bahn zum Flughafen, reise nach Köln zu Paul Panzer. Gute Gelegenheit für einen Nachtrag: Der trottinettistische Höhepunkt des letzten Jahres. 

Köln. Wir schreiben Mitte August. Ein freier Tag in der „Genial Daneben“-Produktionswoche. Es ist noch Nacht, als ich ganz von selber erwache. Ich stopfe ein paar Utensilien in meinen Rucksack, schmeiße andere in den Kleiderschrank, entfalte meinen gelben Kostka-Roller und lege los. 

4:30 Uhr. Leichter Regen, usselige Wärme. Gleich wieder anhalten, Regenjacke anlegen. Ich rollere am Rhein entlang zu den Ford-Werken, unterquere die Leverkusener Autobahnbrücke und warte, gemächlich tretend, auf den Tagesanbruch. 30 km in zwei Stunden, so geht mein Plan, anschließend ein Päuschen, und das sechsmal hintereinander, dann müsste ich laut „Komoot“-App in Arnheim sein. Die erste Pause findet an der Tankstelle zwischen Dormagen und Düsseldorf statt. Hat gerade aufgemacht, die untersetzte Spätblondine sortiert noch das Angebot. Ich kaufe ein Ladegerät fürs Handy, obgleich mir dämmert, dass die Pausen für eine Handyladung kaum ausreichen werden. Also beschliesse ich, nach Beschilderung zu fahren, notiere die grösseren Orte auf meiner Route mit Kuli aufm Unterarm und frühstücke ein Wurstbrot. Draussen dämmert‘s auch; ich verstaue die Klemmlampe im Rucksack und peile den Nordwesten an. Die Beschilderung führt mich nach Karst und Willich, über kleine Strässchen, durch Reihenhausidyllen und aufgeweichte Feldwege. Ein nasser Tag, eher ungeeignet für eine gloriose Großtour auf zwei Rädern, zumal, wenn das Trittbrett tief liegt und darum das Besudelungspotenzial hoch. Aber es gibt ja diese Tage, an denen Zweifel gar nicht erst aufkommen und das Ziel deutlich klarer ist als der Himmel. Heute ist so einer.

Vor St.Tönis gilt es einen durchnässten Wald zu durchqueren, mit tiefem Tannennadelbelag. Vereinzelt begegne ich Wanderern. Leichte Orientierungsprobleme. Ich halte an, trete aus und weiter. Als ich den Wald hinter mir lasse und in eine Siedlung einrolle, fällt mir ein wunderbarer Tante-Emma-Laden auf. Zwei Stunden sind rum, ich habe jetzt 60 km auf der Uhr, der Regen peitscht gerade heftig, also Stopp. „Heikes Eckladen“ heißt mein Rastplatz, und Heike steht selber am Tresen. Wir plauschen über den Kostendruck im Einzelhandel. So‘n Laden wie der ihrige geht eigentlich nur, wenn einem die Immobile gehört. Lecker Kuchen. Ich nehme unter einem Sonnenschirm im Gärtchen Platz und starre müd ins Plitschplatsch um mich herum. 

Weiter. Kempen lasse ich links liegen, trete, inzwischen klatschnass, durch flache Fluren mit vielen Windrädern, an deren Aktivität ich mich berausche (wenn sie Seiten- oder gar Rückenwind anzeigen). Manchmal jedoch schlagen sie aufs Gemüt, wenn man nämlich an ihnen Gegenwind erkennt, ehe er sich fahrerisch auswirkt. Kiesgruben, menschenleere Käffer, Kühe in Halbtrauer. Ein LKW überholt mich, prischt durch eine Pfütze, und ich bekomme die volle Breitseite. Arschlochbrummi. Außerplanmäßiger Kurzhalt an einer Wegkreuz-Parkbank-Kombi im katholischen Nirgendwo. Was ich jetzt brauche, ist eine innere Verriegelung. Immer tiefer hängt der Himmel, Anthrazit ist der Farbton des Tages. Nieukerk - oh, das klingt schonmal angenehm holländisch. Wie klein die Häuschen hier sind! Entweder wohnen hier Asketen, Zwerge oder Geizkrägen. Oder die Leute sind alle sehr arm - aber flächendeckende Armut, so ganz ohne Ausnahme - sowas gibt es nicht, hat es noch nie gegeben. Irgendeiner macht immer Reibach und baut sich eine Protzvilla. 

Kevelaer. Kenne ich vom Herbst 2016, als ich eine meiner ersten „Im Zelt“-Lesungen absolvierte. Auf der damaligen Tour war ich mit dem Klapprad unterwegs, von und nach Kleve. Kevelaer jedenfalls ist unter den Wallfahrtsorten eine ganz grosse Nummer. Heute ist Tamilen-Wallfahrt, das heisst: Tausende Tamilische Familien in Ausgehkleidung beschlendern die Innenstadt. Ja, das sieht exotisch aus. Umgekehrt finden die Wallfahrer Deutschland sicher auch exotisch: Als ich in einer zentralen Metzgerei raste, testen mehrere Tamilen das deutsche Traditionsgericht „Currywurst“. Sie unterhalten sich angeregt über die Spezialität; leider verstehe ich ihre Sprache nicht und weiss auch ihre Mimik nicht zu deuten. 

In Kleve geniesse ich die einzige Abfahrt des Tages (ansonsten ist die Strecke flach wie ein Leser-Witz in der Neuen Revue). Hui, ist die lang! Und schnell! Und läutet den interessanten Teil des Tages ein: die Verästelungen des Niederrheins. Erstmal rauf auf den Deich. Frische Brise. Es klart auf, die Sonne scheint, die Farben leuchten. Jacke aus, Hose zu, Augen auf! Millingen! Goeten Dag! Ich bin im Königreich der Niederlande. Schonmal gut. Aber wie komme ich jetzt über den Rhein? Die Fähre fährt erst in einer halben Stunde. Abkürzen nach Nimwegen? Ist auch nicht soo nah, ausserdem ist erst früher Nachmittag- da geht noch was! Also warte ich auf die kleine Fahrradfähre und werde mit einer tollen Bootstour belohnt, begleitet von belgischen Seniorenrennradlern, die mich über mein Gefährt ausfragen. Ich verzehre allerletzte Riegelreste, die ich in den ewigen Jagdgründen meines Rucksacks gefunden habe (aus Hannes‘ Altbeständen, Geschmackstyp Erdnuss-Gummi, abgelaufen seit 2009), dann trete ich am Nordufer der Rheines entlang - bis ich bald wieder vor einer wässrigen Barriere stehe, dem Pannerdensch Kanaal. Also wieder Fähre, diesmal etwas grösser, für Autos. Anschließend, die Schatten scheinen schon länger, beginnt der Endspurt. Und den absolviere ich tatsächlich schnell, da mir die Bahn-App verraten hat, dass es noch einen günstigen Zug zurück nach Köln gibt, und wenn ich den erreichen will, muss ich ein, zwei km/h zulegen. Also kämpfe ich mich bei leichtem Gegenwind auf einem Deich entlang, bestaune die hier deutlich anders aussehenden Landhäuser, sehne mich schwitzend in die ferne Silhouette der grossen Stadt, beisse die Zähne zusammen, verfahre mich kurz nach Unterquerung der Autobahn, fluche, hetze zurück, setze neu an, springe förmlich der Arnheimer Innenstadt entgegen, werde wieder ganz nass, aber diesmal von innen, bange um meine Rückfahrt, beschleunige nochmals, überquere die berühmte John-Frost-Brücke, keine Zeit für Fotos, hadere, sehe den Bahnhof, frohlocke, jubiliere, kaufe ein Ticket, rase zum Bahnsteig, und dann...

...dann ist der 17-Uhr-irgendwas-Zug verspätet (ist ja ein Zug der DB), und ich kann durchatmen. Und fotografieren. 180 km, aufgrund des Endspurts im 16er-Schnitt. Immerhin: Ironman-Hawaii-Maß. Ja, er lebt noch...

Einsteigen, Hemdenwechsel, Bierchen. Ruckzuck in Köln. Gute Laune. 

Soweit, so gut. Nun bin ich am Flughafen und versuche, diesem Bericht ein paar Handybilder hinzuzufügen, erhalte aber immer wieder den Hinweis: „Response status code was unacceptable: 500“. Und schäume, natürlich. 

Immerhin macht der Defekt klar, wo die Stärke des Tretrollers liegt: Er ist zuverlässig. Abgesehen vom Platten gibt es kaum Pannenpotenzial. Fuck digitalism, heil dir, oh Tretroller! Trottinettisten aller Länder vereinigt euch, sprengt die Fesseln der Rechenmaschinen! Steigt aufs Trittbrett, rollert davon! Abtreten! 



Montag, 22. Januar 2018

Mein neues Laufleiberl ist da

...um den Begriff „Sport-Dress“ zu vermeiden, denn der passt nun wirklich nicht zur Frackosophie, der ich derzeit fröne. Auf Anregung meines lieben Sportkameraden Andreas Madreiter ergurgelte ich den Tiefen des Rechnermyzels ein amerikanisches Radtrikot der Firma „Primalwear“, das bei Bedarf auch mit Chapeau Claque getragen werden kann. Grösse M passt prima (war in den letzten Jahren nicht immer selbstverständlich). 

Heute 15 km Trimmtrab durch satten Suppschnee, mitunter knöchelhoch. Nicht nur im Englischen Garten blieb die Pracht liegen, sogar in der Innenstadt hielt sie sich. Auf meinen mittlerweile gänzlich profillosen Lunge-Schuhen schlitterte ich durch die Kleinlasterspuren der Bayerischen Schlösserverwaltung. Keine Steißstauchung, uff. Wird Zeit, dass ich mich präventiv um ein paar angemessene Laufschuhe kümmere. Keine Trailrunning-Dingsbumsens möglichst, da ich in solchen ja vor vier Jahren umknickte und mein Außenband riss. Lieber normale Marathonware, aber mit Winterreifenprofil. Ich geh mal gucken. 


Sonntag, 21. Januar 2018

Der Kaiserschmarren ruft! 


Erste Skitour der Saison. Genauer gesagt: Pistengang. Denn mit „echten“ Skitouren, im ungesicherten Gelände, mit Tiefschnee, White Out und Monsterlawinen, habe ich mich seit meinen ersten Versuchen Mitte der Nuller Jahre unter Hannes’ Obhut nicht anfreunden können. Also klammern wir uns an die Routen der Kerpener Carver, Peter-Wackel-Fans und sonstiger Kaputtnicks, bleiben in der Zivilisation.
Treff mit Sohn Cyprian, der mich mit Schneeschuhen auf die Piste der Almkopfbahn begleitet - das liegt am Fuße des Fernpasses, in Bichlbach.
„Tourengänger nicht erwünscht“ lese ich auf dem Leuchtdisplay an der Kasse, aber die Kassiererin erklärt auf Nachfrage, dass sie „keine Handhabe“ hätten, also es sei streng genommen nicht verboten, nur eben unerwünscht. Ach so! Sagen sie das doch gleich! Sind wir nicht alle ab und an unerwünscht? Hauptsache kein Hausfriedensbruch - das vertrüge sich nicht mit meiner sokrateischen Rechtsstaatsromantik.
Cyprian ist viel zu warm angezogen, die Piste, an deren rechtem Rand wir emporschlendern, eher leer, und das Schneetreiben dicht. Wie gerne wäre ich ein tollkühner Skifahrer, aber wenn ich mich denn mal alle Jubeljahre eine zartrote Piste hinabwage, stöhne ich sogleich auf ob der Risiken. Bänderriss! Oberschenkelhals- und Wächtenbruch! Neinnein, bergab nehme ich artig die Kabinenbahn. Aber erst nach gemütlichen 610 Höhenmetern und einem griffig-groben Kaiserschmarren mit Zwetschgenröster an der Bergstation.
Apropos: Meine Skitouren-Daunenjacke ist seit Jahren das zuverlässige Waagen-Substitut. Will sagen: Während ich Waagen aus gewichtigen Gründen meide, komme ich kaum umhin, ab und zu in die wärmende Joppe zu schlüpfen, die manchmal arg an der Wampe spannt. Heute passt sie locker, und ich vermute, dass die reichlichen Km zu Fuß und in Badehose in letzter Zeit damit zu tun haben könnten.
Was war sonst los letzte Woche? Montag frei, Dienstag 15 km Dauerlauf in Baden-Baden, Mittwoch Erholungsschwimmen, Donnerstag 21 km Trimmtrab, Freitag wieder Erholungsschwimmen, Samstag 11 km Schustersrappen. Kann nächste Woche durchaus etwas gesteigert werden.

(Die „1“ war aus)

Jetzt sind 51 Jahre rum,

und wenn ich den Super-8-Film seh

(ein blonder Bub im Harz,

bei der Blindschleiche im Garten)

stelle ich erschüttert fest:

Der Bub bin ich.

(Auf „Persönlichkeitsentwicklung“

muss ich wohl weiter warten)

Dienstag, 16. Januar 2018

Ich glaub‘, es geht schon wieder los...🎶

Zeit für ein bisserl Sport. Ach Quatsch, falscher Einstieg; Schluss mit dem Untertrieb. Die Sache ist die: Ich stecke mal wieder mitten drin in einer Phase leuchtend glühender Trainingseuphorie. 

Nach schlappertem Frühherbst gelang es mir im November, verbindliche Schwimmbadbesuche ins Tagwerk zu integrieren. Halb Brust, halb Kraul, wenn energetisch möglich, sogar mit Rollwende. Ausgangspunkt war meine eherne Fracktragerei; im Bratenrock kann man prima zum Müllerschen Volksbad spazieren und fügt sich perfekt ins Jugendstilistische - eine Methode, die Diskussion, wie sich denn Stresemann und Ausdauersport textilfunktionell vertragen, elegant zu umgehen. 

Also schwamm ich eifrig, steigerte mich noch vor Weihnachten auf Tagesdosen über 3000 Meter, um dann, frisch vermählt, in den Urlaub nach Mallorca zu entschwinden. Von Valldemossa aus boten sich bonfortionöse Wanderungen an: Auf Es Cargoli, über den Reitweg des Erzherzogs, nach Deia. Viermal bestieg ich den Puig de Teix, mit Blutsverwanderten und Wanderschwagern, in klobigen Bergstiefeln, und es wuchs das Begehren, auch nach meiner Rückkehr lange Runden zu Fuss zu bewältigen. 

Auch im Mittelmeer schwamm ich einige Male, und dort, in der Brandung vor dem Port de Valldemossa, entsann ich mich eines Trainingsplans, den ich 2002 studiert hatte, anlässlich meiner Vorbereitung auf den Ems-Jade-Lauf von Emden nach Wilhelmshaven. Die Idee: Man läuft nur jeden zweiten Tag, dafür länger, und füllt die Tage dazwischen mit gelenkschonendem Alternativtraining, also schwimmend oder radelnd. So können sich Knorpel & Ko länger erholen und die Krankentrage bleibt unbelegt. 

Der Plan ist deshalb interessant, weil meine Gelenke zwischenzeitlich ungefähr alle schonmal signalisierten: Wir sind alt und marod‘, verschone uns mit deinem täglichen Trampelwahnsinn. Momentan geben sich sämtliche Schwachstellen meines Körpers unauffällig, und damit dies so bleibt, gedenke ich also Schwimmen und Laufen aufs Gesündeste miteinander zu kombinieren. 

Letzte Woche: Segment eins des Planes im engeren Sinne. Montag 16, Mittwoch 16, Freitag 19, Sonntag 20 km, dazwischen schwimmen, radeln oder nix, zudem Thaimassage und Sauna. Hüfte, Knie, Knöchel nicken zustimmend. Bisher. 

Ich schreibe diese Zeilen in Baden-Baden. Gestern habe ich an drei Folgen der Sendung „Meister des Alltags“ mitgewirkt, danach habe ich die Caracala-Therme besucht, und heute morgen bin ich durch die Dämmerung getrabt, zu den Battert-Felsen und dann rüber Richtung Merkur. Eigentlich wollte ich ganz rauf, aber es regnete fies, und die Kleidung war etwas dünn, und so habe ich mir den Gipfelsturm gespart. 

Nein, Frack trage ich beim Laufen nicht. Vorerst. Ich werde mich mal erkundigen, wie aufwendig die Anfertigung eines Stresemanns aus Goretex wäre. Bei Gelegenheit. Mein Maulwurfsfellzylinder hingegen ist beim Laufen gar nicht hinderlich, ausser bei Hitze. Da sammelt sich unangenehm viel Schweiß im überrübigen Hohlraum.

Heute also: 15 km, 350 Höhenmeter, 1:40. Ich bin voll auf Goldkurs. Und jetzt rein ins Fernsehstudio. 

Freitag, 28. Juli 2017

Fahrradgedicht (1)

Ich fang mal mit was kleinem an:

Die Klingel. Klingelingelingeling. 

Traditionell am Lenker fest sitzt 

dieses Hoppla, jetzt komm icke-Ding

Die Menschheitstorte lässt sich teilen;

Im einen Stück: die Gerne-Klingler.

Schon in großer Ferne hupen sie metallisch

Ihr Lohn: das Hindernis erschrickt 

Und springt in Richtung Strassengraben 

Das andere Stück beinhaltet 

die Eher-ungern-Klingler. 

Alles, was phallisch, laut, aufdringlich 

Wirkt, ist ihnen potenziell suspekt

Der Frage: "Klingl'ich? Ist es gut, wenn

Der erschreckt, der vor mir träumt?"

Wird reichlich Denkplatz eingeräumt. 

Im Zweifel wird sacht' überholt,

Das Hindernis mit Dank bedacht.

Und um nicht aufdringlich zu wirken

Wird mancher wird gar zum Fahrradschieber


Und jetzt frag ich: 

Welches Stück Torte ist Euch lieber? 



Donnerstag, 20. Juli 2017

Geht miteinander ins Bett!

Verroht unsere Gesellschaft? Werden die Diskurse immer haudräufischer, persönlich diffamierender, werden wir alle immer hasserfüllter, hässlicher? 

I wo. Ich seh's so: Bei Facebook fühlt man sich zuhause. Die eigene Pinnwand ist das, was früher die eigenen vier Wände waren. Da saß der Hausherr auf'm Sofa, mit 'ner Buddel Bier in der Hand, blökte seine Alte an und kommentierte das Weltgeschehen mit "Lauf, du Sau!" et tutti quanti. Heute sitzen er (und seine Alte) vorm Display und benehmen sich wie immer, nur eben schriftlich. Ethnologisch bietet das Internet somit feine Forschungsmöglichkeiten: Es verroht die Menschen nicht, sondern es offenbart, wie sie wirklich sind, wenn sie sich dahoam, sicher und geborgen fühlen.

In Deutschland bevorzugt man Gardinen, in den Niederlanden lebt man ohne solche - der freie Blick ins Wohnzimmer sollte die moralische Integrität der Bewohner jedem Passanten sichtbar machen. Der Siegeszug der sozialen Netzwerke reißt gleichsam die Gardinen von den Stangen - allerdings entspricht das, was da zu Tage tritt, dem calvinistischen Sittenkodex nicht immer. 

Hilft das Hatespeech-Gesetz, um die Gardinen an Ort und Stelle zu halten? Nein. Wird es die Leute dazu bringen, in ihren Privatgemächern Oberhemd zu tragen, frisch gebügelt und fleckenfrei? Nein. 

Wir werden uns an freie Sicht und hellhörige Wände gewöhnen müssen. 

Und wir werden lernen, dass "die Renaissance der Schriftkultur", die viele (auch ich) vor einigen Jahren für etwas positives hielten, das gedeihliche Miteinander nicht unbedingt befördert. Nach unzähligen Versuchen weiß ich, wie schwer es ist, bei Facebook eine sachliche, tiefe, gründliche Diskussion zu einem beliebigen politischen Thema zu führen, ohne dass früher oder später irgendein Dödel rüde dazwischenquakt. Dem Chat ist das persönliche Gespräch überlegen - eben wegen der zivilisierenden Wirkung des Augenkontaktes. 

Das Überleben der Demokratie wird auch davon abhängen, ob die Menschheit sich wieder für persönliche Begegnungen begeistern lässt, auf Armlänge oder unter einer Decke, ohne zwischengeschaltete Elektronik. 

Mein Traum für die Menschheit: Klappt die Rechner zu, werft die Handys weg. Kippt Euch zusammen einen hinter die Binde, singt gemeinsam Lieder. Diskutiert. Und vor allem: Geht miteinander ins Bett! 


(Bild aus: "Der gute Ton von heute", 1953)

The biggest Arztroman ever

Willkommen in meinem neuen Tagebuch („Post-Coronik“), das sich womöglich auch in diesem virtuellen Gewölbekeller vornehmlich mit Corona befa...

Beliebte Beiträge