Freitag, 25. Januar 2019

Sport und Sütterlin



Nachdem ich am 8. Oktober 2000 erstmals eine Stunde gelaufen war, setzte eine unerhörte Dynamik ein. Quasi sofort drängte sich mir ein Ziel auf, unwiderstehlich wie die Sirenen für Odysseus: Marathon! Durch Ratgeberlektüre machte ich mich mit den wichtigsten Trainingsprinzipien vertraut, zB mit der sogenannten Zyklisierung (auf drei Wochen Steigerung des Trainingsumfangs folgt eine Erholungswoche) oder mit dem Prinzip der Superkompensation (jeder Trainingsreiz schwächt zunächst den Körper und veranlasst ihn nach einer Weile, sich für den folgenden Reiz zu wappnen, etwa, indem er Kohlehydrat-Reserven anlegt. Diesen Mechanismus gilt es zu nutzen). 
In wenigen Wochen trug ich eine umfangreiche Spezialbibliothek zusammen. Besonders ins Herz schloss ich den Universalschmöker „Marathontraining" von Manfred Steffny sowie eine etwas abseitige sowjetische Forschungsarbeit zum Thema „naive Enspannungstechniken", erworben in einem Leipziger Antiquariat. Mit diesem Begriff bezeichneten die Sportwissenschaftler der Breschnjew-Ära all jene Regenerationsmethoden, deren Wirkung nicht wissenschaftlich erklärbar sind, also zB Fernsehen, Zwiebelschneiden oder Teddys knuddeln. 
Bereits in der ersten Woche meines neuen Sportlerlebens führte ich Trainingstagebuch, in das ich gewissenhaft eintrug, was ich trainiert hatte, wie lange, wie intensiv, bei welchem Wetter und mit welchem Befinden. Etwas später, nachdem ich mir einen Pulsmesser zugelegt hatte, ergänzte ich die täglichen Einträge um meinen Ruhepuls (morgens liegend gemessen), und bald notierte ich auch die Anzahl der gerauchten Zigaretten. Hui, waren das damals viele. Heute, im Zeitalter der vielen Fitness-Apps, wird die Dokumentation ja weitgehend automatisch erledigt und ins Netz gestellt. Damals, im Spätherbst 2000, gab es noch keine Smartphones und man musste alles selber machen. Heutzutage sehe ich die Bürokratisierung des Körpers eher skeptisch, aber meinerzeit liebte ich die tägliche Tagebuchschreiberei, deren besonderer Reiz darin bestand, radikal ehrlich zu sich selbst zu sein. Klingt banal, war aber spannend. Heute ist diese Ehrlichkeit eher unausweichlich, wenn man sich nämlich einer Fitness-App anvertraut - so unausweichlich, dass man fast schon wieder Lust hätte, den unbestechlichen Big Brother im Handy zu foppen. 
Im Dezember 2000 lief ich erstmals zwei Stunden, mein Ziel fest im Visier: Ich wollte Marathon laufen und hatte für mein Debüt den Lauf in Winterthur auserkoren. Stichtag: der 20. Mai 2001. 
Auch heute noch bin ich begeisterte Dokumentarist meiner sportlichen Aktivitäten, allerdings mit anderem Schwerpunkt. Zum Vergleich werfen wir einen Blick in meinen Taschenkalender aus dem vorletzten Jahr. 17 Jahre nach meinem ersten Trainingtagebuch hat sich viel verändert: Inzwischen ist meine Handschrift auf Sütterlin umgestellt, denn neben dem Notieren der Einkaufsliste sind Tagebucheinträge eines jener wenigen Felder, die sich zum Einüben ungewöhnlicher Schriften eignen. Muss ja eh nicht jeder entziffern, was man in seiner Freizeit so anstellt. In diesem Fall dolmetsche ich gerne: Mit dem Tretroller war ich auf der Insel Sylt unterwegs, und in einer Urlaubswoche legte ich stattliche 234 km zurück. Zeiten und Tempi interessieren mich nicht mehr, mein Pulsmesser ist ausrangiert, und das Rauchen habe ich mir schon vor Jahren abgewöhnt. Was bleibt, ist der Spaß am Kilometersammeln. Und an der deutschen Schreibschrift. 


Danke, Heike!



Im Herbst 2000 gewann Heike Drechsler bei den Olympischen Spielen Gold im Weitsprung. Ich sass, griessbreigesättigt, vor dem Fernseher und dachte mir: Wenn Heike Drechsler drei Jahre älter ist als ich und Gold gewinnt - dann gehöre ich ja womöglich auch noch nicht endgültig zum alten Eisen. Ich war damals 33 Jahre alt. Noch am selben Tag besorgte ich mir ein billiges Paar Sportschuhe und lief um das Müllwerk in Oldenburg, eine der Standardstrecken meiner leichtathletischen Jugend. Die Strecke ist 3 km lang, und ich kam zwar nicht im engeren Sinne halbtot, aber doch einigermaßen lädiert im Ziel an. Am nächsten Tag geschah erstaunliches: Ich legte die Strecke erneut zurück, trotz bitteren Muskelkaters. Und auch am dritten Tag lief ich den Weg, verlängerte diesen sogar um einige hundert Meter. Bemerkenswert, da ich während meiner sportfreien Epoche immer mal damit geliebäugelt hatte, regelmäßig Sport zu treiben, und nie hatte ich es geschafft, drei Tage hintereinander zu joggen. Wahrscheinlich war es der Zauber Heike Drechslers, der in meinem Seelengefüge einen inneren Schalter umgelegt hatte - hierfür werde ich ihr auf ewig dankbar sein, und ihre Autogrammkarte hängt gerahmt an einem Ehrenplatz im Wohnzimmer. 
Nein, auch nach drei Tagen war mein Hunger nicht gestillt, ich lief weiter, länger, entschlossener, und bereits am siebten Tag war ich (nachdem ich mich furchtlos ins Blaue gewagt und ein wenig verirrt hatte) eine ganze Stunde joggend unterwegs. Eine Stunde! Ich war so stolz wie selten zuvor in meinem Leben. 
Nun gehöre ich zu jenen, die gemeinhin eher vorsichtig mit dem Wort „Stolz" umgehen. „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein" käme mir vermutlich nie über die Lippen, weil ich ja nichts für mein Deutschsein kann. Auch Stolz auf irgendwelche beruflichen Leistungen empfinde ich nicht, weil mein Erfolg ja in erster Linie von der Gunst des Punlikums abhängt - worauf ich wiederum nur in Maßen Einfluss ausüben kann. Meine Erfolge im Fernsehen empfinde ich eher als Geschenk. Das Erreichen sportlicher Ziele im Ausdauersport allerdings ist in erster Linie vom eigenen Fleiss abhängig - jedenfalls, so lange man nicht besser sein will als andere. 
Ein wunderbar unkompliziertes Feld tat sich auf: Wohlbehagen durch Stolz durch Im-Ziel-Ankommen durch Weiterlaufen. Ausreichend früh begriff ich, dass es nicht hilfreich ist, über Tempo überhaupt nur nachzudenken. Besser, der Stolz kommt über die zurückgelegte Distanz zustande, noch besser (weil einfacher), nicht die Distanz, sondern die Zeit, die man unterwegs ist, entscheidet. Ich jedenfalls platzte vor Genugtuung, als ich erstmals eine Stunde am Stück gelaufen war. Ich war: The Body, Forever Number one, ein ganz toller Hecht! 
Soeben fällt mir auf, dass ich ja mal ein Lied gesungen habe, das „Hilf mir doch, Heike!" heisst. Zusammen mit der Band „Bremen" wurde das Werk 1988 aufgenommen und sogar von einigen Dutzend Enthusiasten gehört. Wenn ich mich recht entsinne, ging es in dem Lied um den Weltuntergang, sinkende Schiffe, der Zorn Jehovas, explodierende Vulkane, das ganze Programm. Im Refrain bitte ich Heike, mir zu helfen. Ob Heike Drechsler sich hieraufhin meiner erbarmt hat? 
Ganz nüchtern betrachtet: Wenige Menschen haben mein Leben so radikal beeinflusst wie die Olympiasiegerin von Sydney. Unter den 10 schönsten Erlebnissen, die ich bisher zusammentragen durfte, sind gewiss drei Unternehmungen, die ohne ihre Inspiration nicht stattgefunden hätten. Und Weltuntergang war bisher auch nicht. Danke, liebe Heike! 

Donnerstag, 24. Januar 2019

Vom Denunzianten zum Doofen


Nach dem Kinderturnen ging ich mit 10 zum Judo (Schwarz-Weiss Oldenburg). Dies hatte den Vorteil, dass man mich fortan auf dem Pausenhof nicht mehr verhaute. Ich war nämlich in der 3. Klasse zum Klassensprecher gewählt worden und hatte die Aufgabe dieses Amtsträgers anfänglich missinterpretiert, nämlich gemeint, meine Aufgabe bestünde darin, die Namen sich raufender Mitschüler auf einem Zettel zu notieren und diesen im Lehrerzimmer abzugeben. Kloppe war die Folge - bis meine Klassenlehrerin Frau Uster mich bei der Hand nahm, nach vorne an die Tafel führte und raunte „Wigald kann jetzt Judo!" Dann war Ruhe.
Nach dem Erwerb des gelben Gürtels wurde ich Brillenträger, was in Schlägereien ein zusätzlicher Schutzfaktor sein kann. Anschließend wechselte ich zum Handball (VfL Oldenburg), ehe ich zur Leichtathletikabteilung des DSC Oldenburg transferierte. Fotografisch sind all diese Etappen nicht dokumentiert. Ja, so war das, als es noch keine Fotohandies gab: Ganze Tage, mitunter Wochen vergingen, ohne dass ein einziges Bild geknipst wurde. 
Als Leichtathlet jedenfalls spezialisierte ich mich mit 14 Jahren auf den Diskuswurf, im wesentlichen, weil die Leistungsdichte auf Kreisebene gering war. Bei den niedersächsischen Landesmeisterschaften 1982 wurde ich dennoch letzter (nach drei jämmerlich missglückten Fehlversuchen), und ich meldete mich noch am selben Tag bei meinem Trainer ab, um mich verstärkt der Musik zuzuwenden. 
Klavierunterricht war das schwarze Kapitel meiner Kindheit gewesen, aber immerhin hatte ich mir auf dieser Grundlage Querflöte selber beibringen können. Und Jazz fand ich, nachdem ich mit 13 das „Massey Hall Concert" von Charlie Parker gehört hatte, mindestens ebenso packend wie den damaligen Weltrekordler im Zehnkampf, Guido Kratschmer. Nein, nicht Guido Maria Kretschmer. Die beiden haben nichts miteinander zu tun. Kratschmer war damals unser Held und sah soo aus:


Obwohl...wäre lustig, wenn letzterer aus dem ersten hervorgegangen wäre. Umziehen, Haare färben, zwei Buchstaben ändern, und im neuen Job durchstarten...
Aus dem Jahr 1984 stammt diese Langspielplatte, eingespielt mit der Band „KIXX" in Düsseldorf. Unser Sound war ein Mix aus Freejazz, Punk, Funk und blankem Krach. Unter anderem nutzte ich den Plattenspieler aus meinem Kinderzimmer, um auf der Bühne mit Klebeband manipulierte Lässie-Hörspiel-Platten abzuspielen. Daneben sang ich und spielte Saxofon. Ich bin übrigens der zweite von rechts, stehe neben dem heute als Schauspieler zurecht berühmten Lars Rudolph. Die Münder haben wir auf dem Cover mit Keksen gefüllt. Bald nach der Aufnahme verkrümelte ich mich und verliess die Band. Ich wollte vor allem deutsche Texte singen, ging nach Hamburg und lernte dort Horst Königstein vom NDR kennen, der mich zum Fernsehen brachte. 1993 ging „RTL Samstag Nacht" auf Sendung, und schon bald brachte ich es auf das Titelblatt überregionaler Illustrierten:


Auf meine spätere Karriere als Weltklasselangsamschwimmer deutet in diesem Titelbild nichts hin, ausser evtl die Zeile (oben): „Nur so verdienen sie mit Schiffsbeteiligungen". Mit dieser Anlageform ging nicht nur ich baden. 
Olli Dittrich und ich erkletterten bald als „Die Doofen" die Hitparade - diese spezielle Form bergsteigerischer Tätigkeit war dann aber auch alles, was ich in den 90ern an Sport ausübte. Ich rauchte dafür wie der Ejafjallajökull (rauchte der überhaupt? Staubte der nicht eher?) und sammelte versteckten Speck. 
Als ich 1998 Vater von Zwillingen wurde und erhebliche Reste Griesbrei verzehrt werden mussten, spannten die Hosenbünde um so mehr. Noch meinte ich, dass es völlig egal sei, was man wiege, entscheidend sei doch vielmehr, was für eine Brille man auf der Nase trage: 
Ab 1996 wohnte ich im Allgäu, pendelte regelmäßig zur Arbeit in München und ärgerte mich immer häufiger über Stau und Parkplatzsuche. Chronisch unwirsch und kurzatmig kam ich ins Grübeln. Könnte, sollte man nicht...


Mittwoch, 23. Januar 2019

Jugend ohne Kompott




Hier sieht man mich als Grundschüler, wahrscheinlich bei einer sonntäglichen Wandertour mit meinem Vater. Ab ca 1976 stiegen wir an allen Tagen des Herrn morgens um acht in einen zitronengelben BMW 1802 und fuhren ohne Kopfstützen und Sicherheitsgurte an einen Wanderparkplatz, irgendwo außerhalb der Stadt Oldenburg. Sodann folgte ich Papa auf einem zuvor von ihm ausgetüftelten Rundkurs. In der rechten hielt er ein Kartenblatt des niedersächsischen Landesvermessungsamtes, in der linken einen urigen Wanderstock mit allerlei angenagelten Erinnerungsplaketten. Damals meinte man, zum Wandern seien Wanderstöcke unentbehrlich, mit Knauf und Metallspitze. Was ihr Zweck war, habe ich bis heute nicht begriffen - wahrscheinlich brauchte man halt irgendeinen Aufbewahrungsort für die Blechplaketten, und am Stock fangen sie eben weniger Staub als im Tinnef-Regal. Auch ich ging damals am Stock, wie meine Handhaltung verrät. Der Wanderstab selber ist hier nicht zu sehen. Womöglich handelte es sich um ein nicht fotografierbares Spezialmodell, oder das Foto ist einfach alt und verblichen, wenigstens da, wo eigentlich der Stock sein sollte. Dafür erkennt man meinen Rucksack. Ergonomische Traggestelle waren damals noch nicht so weit verbreitet wie heute. Was im Rucksack verstaut ist? Wahrscheinlich eine Jacke sowie Proviant. Ich kann mich erinnern, dass unsere Marschverpflegung im wesentlichen aus hartgekochten Eiern bestand. Dass für Ausdauerleistungen Kohlehydrate unverzichtbar sind, wussten wir damals nicht. Anfang der 2000er Jahre unterhielt ich mich mit Reinhold Messner und fragte ihn nach seinem Proviant bei Mount Everest-Besteigungen. Im wesentlichen, so erinnerte er sich, habe man sich damals von Thunfischkonserven ernährt. Fette seien die konzentrierteste Form essbarer Energie. An Eiern gefiel mir (und gefällt), dass man keine Konservendosen mitschleppen muss, sondern die Verpackung mitgeliefert wird. Wie bei der Banane - Müllvermeidung ist Trumpf. 
Wieder daheim, markierte Papa die Wanderung mit einem neongelben Textmarker auf der Karte und errechnete die Länge der Unternehmung. Hierbei ging er ausgesprochen akribisch vor. An Strava, runtastic und ähnlichen Apps hätte mein Vater womöglich grosse Freude gehabt, aber alles, was wir damals hatten, waren hartgekochte Eier. 

Hier sehen sie mich bei einer Winterwanderung, ohne Stock, dafür mit mobiler Sitzgelegenheit.
Wenn nicht alles täuscht, wandere ich rückwärts. Heute nennt man diesen Laufstil „Retro-Running", und bei heutigen Kindern ist das Beherrschen dieses Laustils keineswegs selbstverständlich, zumal mit geschlossenen Augen. Noch heute laufe ich gerne blind durch die Gegend: Wenn ich mich langweile, klappe ich die Klüsen zu und versuche, Kurs zu halten. Recht bald weicht die Langeweile existentiellem Thrill, zumal im Straßenverkehr. Probieren Sie‘s mal aus! 

Nur wenige Jahre vergingen, und dann begann auch schon die Jugend. 



Für ein paar Jahre wurden die Farben gedeckter und ich experimentierte mit „erwachsen" anmutenden Kleidungsstücken, wie etwa diesen übergrossen Strassenschuhen. Auch in Sachen Hutmode ging ich neue Wege. Auf dem Bild dürfte ich gerade 18 geworden sein, und es zeigt mich beim Bummel durch die Oldenburger Innenstadt. Das Gewässer dürfte die Hunte sein. Hm. Ganz sicher bin ich nicht. Vielleicht bin ich auch schon 20, Zivi in Bremen, und das Blaue ist die Weser. Ja, ich war Spätentwickler. Relativ. Ein richtiger Bart wächst mir noch heute nicht. 

Dienstag, 22. Januar 2019

Kraft durch Farbe



Hier sieht man mich in einer typischen Pose, die meinen Hang zur Upside-down-Weltsicht mit dem aufrechten Gang zu kombinieren trachtet. Noch heute nehme ich diese Haltung bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein, und auch die Badehose trage ich weiterhin gerne. Überhaupt, Bademoden. Ich habe das Privileg, in einer Zeit meine Kindheit verbracht zu haben, in der die Badehosen exquisit gestaltet waren. 

Kraftvolle Farben in eindeutigen Anordnungen sind nicht nur ein Hinweis auf guten Geschmack, sondern sie feuern den Träger an, spenden ihm Kraft und lassen ihn Dinge tun, die er sich ohne energetisierende Kleidung kaum zutraut. 



Hier sehen sie mich ca 1976 bei meinem ersten erfolgreichen Versuch, die Welt aus ihren Angeln zu heben. Durchschaufen, Anheben, Hochspringen. Voilà! Kurz hatte ich sie damals tatsächlich gelüpft, mithin aus der Bahn geworfen, aber wenige Sekunden nach dieser Aufnahme fiel sie wieder ganz von selbst dorthin, wo sie hingehört, und mein Husarenstreich blieb von der Weltpresse unbemerkt.




Auch dieses Hosendesign hat kräftigende Wirkung: Ich kann, trotz objektiv mangelhafter Beinlänge, ein Tretboot bewegen. Mein Gesichtsausdruck verrät die schier übermenschliche Anstrengung. 

Wo ich‘s hintrat und -lenkte, weiss ich nicht mehr. Amerika? Färöer? Vergessen. Auch wer der Typ neben mir ist, weiss ich nicht mehr. Aber er tritt nicht mit. Braucht er auch nicht, denn ihm fehlt die Kraft. Seine Hose ist schwarz. Armer Kerl. Ich wiederum habe nur den schwarzen Gürtel, und zwar im Tretbootfahren. 

Nur zum Vergleich: Jene Hose, mit der ich gerade vorgestern schwimmen war, sieht so auch: 





High Noon in der Badewanne



Warum liegt, bzw steht mir der Kopfstand so außerordentlich? Eventuell, weil ich schon früh von meiner Mutter auf das Leben mit gehobenen Füssen vorbereitet wurde. Meine ersten Lebensmonate verbrachte ich kopfunter, eventuell inspiriert vom Kinderlied „Alle meine Entchen", in dessen Text es ja heisst: Köpfchen unters Wasser, Schwänzchen in die Höh’. 

Damals war das Kinder-an-den-Füssen-durch-die-Gegend-tragen nichts ungewöhnliches, aber heute, im Zeitalter der Helikopter-Eltern, ist man vorsichtiger, weil ja das Blut ins Gehirn läuft und von dort, so fürchten viele, nicht mehr den Weg in die Füsse findet. Es verläuft sich quasi. Blutkörperchen haben ja kein Navi. „Nächste Ader scharf rechts". „In der Aorta einen Meter geradeaus!" „Jetzt umkehren!" (Nanu)


Übrigens weiss ich aus Experimenten mit einer Spezialbrille bei der Fernsehshow „Clever", dass sich das Gehirn umstellt. Betrachtet man die Welt acht Tage lang auf dem Kopf stehend, wird das Bild im Gehirn zwar weiterhin als auf-dem-Kopf-stehend wahrgenommen, allerdings für normal gehalten, so dass volle Handlungsfähigkeit gegeben ist - und dann wird es nicht nur sinnlos, sich wieder auf die Füsse zu stellen, sondern sogar lästig. Ich tippe diese Zeilen auf einem Handy, das ich verkehrtherum halte und ärgere mich, weil das Schriftbild immer wieder umspringt, gleichsam auf die Füsse hüpft. Irgendwo kann man die Automatik doch ausschalten...Moment...jetzt. Geschafft. 


Auch für meinen Weg zum Weltmeister im Langsamschwimmen wurden die Grundlagen in den ersten Lebenswochen gelegt, beginnend mit meinem Gebärmutteraufenthalt. Neun Monate Dauerschwimmen, ganz ohne Pause, bei nur geringfügiger Strecke, die zurück gelegt wird: Jeder, buchstäblich jeder Mensch ist der geborene Langsamschwimmer. Mehr Trainingslager geht kaum. Glücklich ist, wer eine Mutter hat, die die Karriere konsequent weiter fördert, so wie meine Mama. Jeden Tag um 12 Uhr mittags wurde ich gebadet, erzählte sie erst unlängst. Dolles Ding. Jeden Tag. Immer 12 Uhr. Manch einer denkt da sogleich an „High Noon", den berühmten Western, gedreht im eher wasserarmen Millieu, aber ebenso auf schwarz-weiss-Film gebannt wie ich auf diesem Bild. Das Glockenläuten der nahen Kirche kann man sich mühelos hinzudenken: 12 Schläge. Macht man das heute noch so? In heutigen Elternratgebern wird empfohlen, Kinder abends zu baden, auf dass diese müde werden und gut schlafen. Ich muss mich demnach müde durch jeden halben Tag geschleppt haben - auch eine Form von Ausdauertraining. 




Montag, 21. Januar 2019

Mit Kopfstand zur Weltmeisterschaft 1974

Unlängst bat ich meine Mutter, daheim die Fotoalben zu durchforsten, auf der Suche nach Bildern, die ich bei meinem Diavortrag „Wie ich Weltmeister im Langsamschwimmen wurde“ einsetzen kann. Bevor ich mich an die eigentliche Erarbeitung des Vortrages mache, hier schon mal ein Blick auf die Ausbeute meiner Mutter.


Dieses Bild zeigt mich im Hochsommer 1974 im Ostseebad Großenbrode beim Training meiner damaligen Lieblingsdisziplin: Kopfstand. Ich habe die erste Schulklasse erfolgreich besucht, und meine ersten Versuche, die Welt auf den Kopf zu stellen, sind allesamt misslungen. Ehe ein müder Realismus in mein Leben einzieht, versuche ich, wenn denn schon die Erde zum Umdrehen zu unhandlich ist, einen radikalen Perspektivwechsel herbeizuführen. Der Versuch gelingt, und bis heute ist Kopfstand (seit der Teenagerzeit bevorzugt in der Yoga-Variante) eine meiner leichtesten Übungen. Den Sommer 74 dürfte ich zu 30% auf dem Kopf verbracht haben (weitere 30 liegend, den Rest schwimmend, essend, tobend und „Lustige Taschenbücher“ lesend). 

Von diesem Urlaub blieb mir übrigens nur ein einziger Moment im Gedächtnis: Als Gerd Müller im Endspiel der WM das 2:1 gegen Cruyff und Co schoss, stand ich auf dem Kopf, den Blick landeinwärts gerichtet. An der Oberkante meines Blickfeldes befand sich ein Campingplatz, und die spitzen Dächer der Zelte, aus denen Toor-Rufe herüberhallten, wiesen nach unten, wo ein  bedeckter Himmel vor sich hin dräute. 

Der weisse Strich im Vordergrund könnte ein Nasenhaar sein, evtl. sogar von mir (vergleiche mein Gedicht von vor drei Tagen)


Später las ich über Saxophonist Charlie Parker, dass er zwischen zwei Sets gerne in den Hinterhof des Jazzclubs gegangen sei, um sich dort zwischen den Mülltonnen hin- und herzurollen. Als man ihn fragte, was das solle, antwortete er: Man spielt danach anders. Ich weiss, was er meint. 


P.S.: Nein, das weisse Haar stammt nicht von mir, und auch nicht von meiner Mama. Es sieht mehr aus wie eine Wimper...ein Schnurrbarthaar...es ist...ja...ein Hasr meines Mwerschweinchens Fridolin, das Anfang der 80er Jahre verstarb. Mein handwerklich begabter Onkel Helmut hatte für das liebe Tier mit den kuscheligen Rosetten ein herrliches Häuschen gezimmert: gediegenes Fachwerk, gelb/rot/schwarz, das als verkleinerte Version eines norddeutschen Schafskobens nichts anderes als einen Höhepunkt des ambitionierten Modellbaus darstellte. Dummerweise hatte Fridolin viel Appetit, und mein Papa füttert Kleintiere für sein Leben gern. Ihrem Leben bekommt das Gefüttertwerden nicht wirklich. Fridolin passte bald nicht mehr dorch die Tür seines Fachwerkhauses. Die Öffnung musste mit einer Säge brachial vergrößert werden, das schöne Stück war hi‘. 



The biggest Arztroman ever

Willkommen in meinem neuen Tagebuch („Post-Coronik“), das sich womöglich auch in diesem virtuellen Gewölbekeller vornehmlich mit Corona befa...

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