Neulich rief die „Stars am Sonntag"-Redaktion von NDR 1 an und fragte, ob ich Lust hätte, in die Sendung anlässlich des Hannover-Marathons zu kommen, auf der Bühne im Start/Zielbereich, vorm Rathaus. Ich sagte spontan zu, aber nur, wenn ich den Marathon auch mitlaufen könne. Der NDR beriet sich kurz und liess sich drauf ein, und ich startete ein mickriges Minimaltraining, in welches grippale Infekte große Löcher rissen (aber immerhin bilde ich mir erfolgreich ein, dass das Herumtragen des kleinen Theodor auch eine gewisse Trainingswirkung besitzt).
Vorgestern also reiste ich mit dem Zug an die Leine, rollerte an den sonnigen Maschsee und traf mich mit den Radioleuten zum Vorgespräch. Wir probierten verschiedene Kopfhörer aus, und ich entschied mich für ein altertümliches Modell mit Bügel, wie zum Original Walkman gehörig. Als Sendegerät sollte, oh Wunder, ein iPhone dienen, ummantelt mit einem Zusatzakku. Wohin damit: Oberarm, Hosentasche, Rückentasche eines Radtrikots? Am Ende entschieden wir uns für eine im Hohlkreuz getragene Bauchtasche. Die Übertragungsapp ist einfach zu bedienen, aber was ist bei km 30 schon „einfach"? Ich hoffte auf stabiles Netz und darauf, dass ich möglichst selten die App resetten muss. Mikrofoniert wurde ich mit Puschel an der linken Brust, die Kabelage unterm Trikot verstaut. Zu meinem großen Erstaunen erfuhr ich, dass es sich um eine Premiere handeln könnte: Noch nie, so meinten meine erfahrenen Gesprächspartner, habe sich ein Marathoni während des Laufes interviewen lassen. Wahrscheinlich, weil der Interviewte ja einerseits über die notwendige Fitness verfügen muss, andererseits die Sache nicht soo ernst nehmen sollte - das Radiomachen dürfte zu Lasten der Endzeit gehen. Oder etwa nicht?
Sonntagmorgen. Mit Managerin Steffi spaziere ich rüber zum Rathaus, lasse allerlei Erinnerungsfotos knipsen und die Technik anlegen, dann suche ich den passenden Startblock. Ich reihe mich bei den Zugläufern für 4:00 ein, wobei ich mit mehr Zeit rechne - meinem dürftigen Trainingszustand geschuldet.
Dirk! Da ist Dirk, mit dem ich letztes Jahr die Harzquerung bestritt und ganz nebenbei noch einen Aussichtsturm am höchsten Punkt der Strecke erklomm. Wie geht‘s wie steht‘s? Mir auch, Danke. Startschuss, Stau, 26.000 Teilnehmer (alle Wettbewerbe zusammen). Neben mir läuft „Schüssel Schorse", der KvD, der Komiker vom Dienst des NDR, und filmt mich für Facebook-Live. Grosse Kurve, Schorse steigt aus, dafür gesellt sich eine vom Veranstalter hierfür engagierte Radlerin an meine Seite - meine Begleitung für die nächsten 42 km.
Wir laufen durch Schrebergärten, ich schwärme innerlich. In so‘nem Häuschen müsste man mal wohnen! Ich trage das Trikot der NDR-Laufgruppe und werde von Teammates angesprochen (die ich natürlich bisher alle nicht kenne), aber auch mit anderen Sportsfreunde führe ich nette Gespräche. Auf der Hildesheimer Strasse geht‘s wieder stadteinwärts. Das Feld streckt sich. Dirk schliesst auf; er erzählt von dollen Läufen, etwa auf die Schneekoppe (bei deren Namensnennung Angehörige meiner Generation unwillkürlich zu singen beginnen). Mein Schritt ist frisch, ich laufe fünf irgendwas Minuten pro km, käme, wenn ich‘s denn so durchhielte, nach deutlich unter 4h ins Ziel. So, jetzt wird‘s spannend. Hallo, hier Ü-Wagen! Kannst Du uns hören? Ja, bin standby.
10 Uhr. Im Kopfhörer laufen Nachrichten. Wetter, Verkehr. Dann nehmen wir den ersten von 14 kurzen Takes auf. Wo ich bin? Ob‘s zu heiß ist? Nö. Wie ich zum Laufen kam? Ich muss nicht sonderlich drosseln, um sprechen zu können, eher werde ich vom Adrenalin der Live-Sendung beschleunigt. Na warte, das dürfte sich hintenraus rächen.
Zweiter Take, Hauptbahnhof. In der Unterführung hallt es gewaltig, ein Nebelhorn tutet, ich witzele, dass ich von einem Dampfer verfolgt werde, bin aber nicht zu verstehen. Egal. Weiter in die Eilenriede. Frühlingshafter Wald, schlechter Empfang. Ich fische das Handy aus‘m Hohlkreuz und starte die Übertragungsapp neu. Nächster Take. Eigentlich fühlt sich das Antwortgeben nicht anders an als im Sitzen.
Eine Brücke. Meine Radbegleiterin erläutert: „Das ist der Mittellandkanal". Aha, Halbzeit. Kurs weiter unter 4 Stunden. Leichtes Bauchgrimmen. Ob ich mal was essen sollte? Bisher habe ich mich nur mit Wasser und Iso versorgt. Nachrichten, Verkehr, hallo, hier Ü-Wagen. Fragen, Antworten. An der Strecke viele Anfeuerungspassanten, Trommelgruppen, Kinder wollen abgeklatscht werden. Wieder rein in die Eilenriede, ins Funkloch. Mist, die App muss wieder neu gestartet werden. Macht jetzt, nach 25 Km, nicht mehr ganz so viel Spass, weil ich mich so verrenken muss, um das Gerät aus der Tasche zu nesteln. Leises Fluchen. Der Magen knurrt. In einer Antwort ringe ich nach Worten, der Satz mäandert, endet im Nichts. Konzentrationsmangel. Puh, sticht die Sonne. Zwei Takes noch. Am nächsten Verpflegungsstand jibbet Banane. Und Cola, womit ich schon beim letzten Mittel wäre - aber ein Drittel liegt noch vor mir. Das Schöne an einem solch öffentlichen Lauf: Er diszipliniert. Solange ich on air bin, kippe ich nicht um. In List stossen die Halbmarathonläufer hinzu. Dichtes Treiben. Mein Magen knurrt lauter, und ich werde langsamer. Zügig langsamer. Hallo, hier Ü-Wagen, das war‘s! Bis nachher, im Ziel!
Eine zugige Ausfallstrasse, pustiger Gegenwind. Ich versuche, ihn als Abkühlung zu geniessen. Bekomme jedoch am ganzen Körper Gänsehaut. Werde noch langsamer. 6 Minuten pro km. Cola, Banane. Dirk ist wieder da, macht Mut. Noch sieben, d.h: Wenn wir den 6er-Schnitt halten, sind wir pünktlich nach 4 h im Ziel. Ich nicke stumpf, denke, dass ich eh viel schneller bin als geplant, und stelle dann fest, dass ich abrupt heiser bin. Krächze wie ein Rabenküken mit Windpocken. Was ist da los? Am Straßenrand einzelne Umgekippte. Am nächsten Verpflegungsstand Gehpause, damit ich nicht den Großteil der Cola verschütte. Weiter. Dirk wartet lieb. Meine Radbegleitung beteuert, es ginge „praktisch nur noch geradeaus", um sich bei km 38 zu korrigieren: Ach nee, da ist ja noch eine Schleife. Sie hadert mit sich, und ich versuche sie zu trösten. Schwer ohne Stimme. Jetzt sehe ich in der Ferne das Rathaus. Nicht umkippen, gleich da! Zähle die Schritte. Freue mich auf die wartende Badewanne. Da ist auch schon Schüssel Schussi oder wie der KvD heisst, krächz, kann nix mehr denken, nix sagen, Schussi fragt, ich verstehe nicht. Tuuut, rassel, la ola. Dadaistische Lautkulissen, passend in der Schwittersstadt. Leute kreischen, mir wird schummrig. Jetzt nicht schlapp machen. Luft! Arme hoch! Rüber über die Ziellinie, geschafft.
Ein Fotograf: Kannst Du nochmal die Hände hochreissen? Ich pampe ihn an: Knipps halt schneller. Interessant: Stimme ist wieder da. Alles psychisch. Jetzt ruhig weitergehen, nicht stehenbleiben, sonst Kreislaufkollaps.
Schüsselschussi will noch was, ich eher nicht. Medaille um den Hals, Danke schön. Wo gehts zum Hotel? Später fällt mir ein, dass ich mich gar nicht von meiner charmanten Radbegleitung verabschiedet habe. Also; hole ich hiermit nach. Danke! Hat Spass gemacht!
Meine Endzeit: 4:06 - also ganz knapp das Treppchen verfehlt.
Und hier die Radiosendung als Podcast zum Nachhören. Könnte Schule machen, diese Herangehensweise: