Samstag, 27. April 2019

Deutsche Flüsse (19): Havel



In einem Sommer wollte ich alle Berliner Badegewässer beschwimmen. Mit Krumme Lanke, Schlachtensee und Grunewaldsee ging’s los - das war naheliegend, weil ich in jenem Sommer am Schloßparktheater probte und spielte, also im Südwesten Berlins. Gediegene Waldsäume und saubere Sandgründe unter bernsteinfarbenem Hautschmeichelnass. 

Mit der Straßenbahn fuhr ich bald darauf zum Orankesee, früher ein Refugium für verdiente Mitarbeiter der Stasi. Als ich mich jener Bojenkette näherte, die den Badebereich begrenzt, wurde ich vom Bademeister, der meine Absicht, den gesamte See zu durchmessen, offenbar mithilfe eines Fernstechers antizipiert hatte, per Flüstertüte zurückbeordert - und ich meinte hierin eine gewisse geheimdienstliche Kontinuität zu erkennen. 

Vom Weißensee blieben mir vor allem die Skulpturen am Ufer im Gedächtnis, friedliche, sanfte Bronzen, und nicht weniger friedliches, sanftes Damwild könnte ich dort auch gesehen zu haben - wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, streichelfeindlich eingezäunt. Der Hundekehlesee gab sich schmuddelig wie ein billiges sofioter Stundenhotel, den Müggelsee zierte müffelnder Algenschlamm. 

Zu den Höhepunkten zählten mehrerer Ausflüge, die ich schwimmend auf der Havel zurücklegte, beziehungsweise ihren ausgeuferten Seitenarmen: Einmal zog ich mich bei der Loretta aus, stopfte die Kleidung in meine Schleppboje und zog diese quer über den segelbootstrotzenden großen Wannsee zum berühmten Und-dann-nüscht-wie-raus-Strandbad. Wirklich splendid dort: die Vielzahl der Strandkörbe vor der Klinkerfassade, die länger als die Beine der Lollobrigida ist, modern, mondän und maritim. 

An einem anderen Tag startete ich ebenfalls bei der Loretta, und ein aus einer Brötchentüte Pattex schnüffelnder Jugendlicher, dem ein ganzes Hosenbein fehlte, schaute benebelt zu, wie ich in die Fluten stieg. Wahrscheinlich dachte er, ich sei eine Halluzination. Diesmal schwamm ich den kleinen Wannsee hinauf, unter trübem Himmel, ein schmales Stück Wasser zwischen sattgrünen Gärten, und in vielen sieht man originell gestaltete Bootsgaragen. Im Slalom zwischen den Teichroseninseln hindurch schlängelte ich mich zum Pohlesee. Der Blick weitet sich dort, und gegen den Durst genehmigte ich mir ein paar Schluck Seewasser. Schmeckte zart nach Terpentin, wie alle Fließgewässer in Berlin. Warum, konnte ich nie klären. An der Kohlhasenbrücke stieg ich aus und ging am Ufer entlang zurück zum Ausgangspunkt, vorbei an jener Stelle, an der Heinrich von Kleist erst seine Geliebte und dann sich selbst erschoss. 

Ein paar Tage später stieg ich nicht weit entfernt in den Griebnitzsee, bei dem es sich limnologisch um dasselbe Gewässer handelt, und stellte mir selber vor, mit Schusswaffen traktiert zu werden, verlief doch die Grenze zwischen DDR und Berlin (West) hier just durch die Seemitte. Theaterkollegin Anne Rathsfeld hatte in der hiesigen Schauspielschule studiert, direkt hier am Ufer, und sie war 1989 eine der nur 12 Schauspielerschülerinnen im letzten Jahrgang, die sich in den Pausen im Garten der Villa zum Rauchen trafen und sehnsüchtig rüberäugten, direkt unterm Wachturm, von dem die Grenzer der Arbeiter- und Bauernmacht wiederum aufmerksam hinunteräugten. Bemerkenswert am Ein- und Ausstieg ist hier der besonders grundlose, saftig-saugende Schlick, der mich sogleich bis zur Hüfte verschwinden ließ, ausserdem der rege Binnenschiffsverkehr.

Den schönsten Schwimmtörn erlebte ich allerdings, nachdem ich einige Tage später in Potsdam an der Nuthestrasse in die Havel stieg, und bei mittlerem Landregen zur Glienecker Brücke brüstelte, der berühmten Agenten-Austausch-Anlage (starring Tom Hanks), mit bestem Blick auf Schloß Babelsberg und die sagenhaft arkadisch gestaltete Uferpartie. Sattsehen geht nicht, im Gegenteil, je mehr ich meinen Hals nach rechts renkte, ins preußische Paradies, desto weniger wollte ich wieder raus aus der lauwarmen Havel mit ihrem beruhigenden Dröpje-for-Dröpje-Muster samt sonorem Soundtrack. 

Noch fehlen mir einige Gewässer in meiner Berlin-Sammlung, etwa der Tegeler See mit seinem berüchtigten Riesenwels, der dort allabendlich Möpse, Mütter und vor allem Kinder frisst, und, gleichsam als Krönung, eine Umrundung der Museumsinsel in der Spree. Ist natürlich wegen der vielen Dampfer in der engen Spundwandgasse streng verboten, darum müsste und würde ich die Sache auf einen hochsommerlichen Sommermorgen legen. Start mit dem ersten Sonnenstrahl. 

Würde? I wo. Werde! 

Deutsche Flüsse (18): Jade



Stumm dümpelt Gordon, die Badeente

auf der Jade dem Busen entgegen.

Alt ist sie, schon seit 10 Jahren in Rente.

Ist sie ein Feriengast? Von wegen!

 

Sie wohnte bis dato in Gelsenkirchen

gemütlich am Rand einer Badewanne 

gemeinsam mit anderen Quietsche-Tierchen

in der Obhut von Marvin, Karl-Heinz und Susanne.

 

Dann hieß es: "Urlaub! Es geht in den Norden!"

und Marvin packte das Tier in die Tüte.

Mit Hi-man und Dragonball Z reiste Gordon,

nicht ahnend, was ihm am Urlaubsort blühte.

 

Die Ferienwohnung war nahe der Jade,

an deren Ufer nach knapp einer Woche

Hi-man und Dragonball Z an der gedachten Wade

Gordon gewaltsam ergriffen und durch ein Loch

 

in der Tüte ins Freie verschleppten, bis an den Fluss.

Es geschah abends, am Freitag, dem vierten.

Bevor die Täter entkamen, per Bus,

schlugen sie Gordon k.o., penetrierten 

 

die leblose Ente und anschließend schmissen

die Mörder ihr Opfer ins moorige Wasser.

Das Tatmotiv? Soweit wir Ermittler zur Stunde wissen

sind Hi-man und Dragenball Z Entenhasser.

 

Vorsicht! Die Täter sind Actionfiguren

aus Hartgummi, und ihre Schultern sind breit.

Wir wissen nicht, mit welchem Bus sie fuhren.

Falls Ihr sie seht, sagt uns Bescheid.

Danke!


Jade 

Freitag, 26. April 2019

Deutsche Flüsse (17): Erft



Der unterschätzteste aller Flüsse

ist die Erft, diese Perle des Rheinlands

Erst neulich schaute ich Markus Lanz

Da sagte ein Jemand, man müsse

 

im Kanu Jangtse und den Kongo hinunter 

um sagen zu können: "Ich war dabei"

Spontan entwich mir ein Schrei:

„Von wegen! Die Erft ist wilder und bunter!"

 

Nun gut, sie ist kürzer und nicht so bekannt

Sie ist eine Wolga im Büßergewand

für Schiffsverkehr viel zu flach 

 

Vielleicht wohnt sie deshalb in meinem Herzen

Denn ich, und das sage ich ohne zu scherzen

bin ebenfalls weniger Fluss als Bach.

Deutsche Flüsse (16): Panke



Über die Panke mag ich nicht schreiben

Zwei Vögelchen flattern die Parkwege ab

Boatengkäfig, Bunte & Kuchen in Buch

Kladdenopfer auf Hegels Grab

- ein schöner, ein schaler Versuch


Los ging’s am Bierpinsel, wippender Dost

Den Botanischen Garten beehrten wir auch

1984. Schwimmen mit märkischen Hechten

Ein Jahr lang wippt der blühende Strauch

- in braven, in brutwarmen Nächten


Wahlverwandt im Garagenpark

Ein Nashorn wirft sich auf die Flanke

Es riecht nach Yoga, Weihrauch und Ruß

Dann fällt der Schnee in die Panke

- in den süßen, den schmutzigen Fluss







Donnerstag, 25. April 2019

Deutsche Flüsse (15): Emscher



Die Emscher? Wir kennen uns ewig, waren ja beide Punks. Ich schlitzte mir damals mit der Flex Löcher in meinen Fischgrätanzug, die Emscher ließ sich von Klopapierschiffchen befahren. 

Ich zerbiss Sektgläser und schlief auf Pappkarton, die Emscher engagierte Wanderratten, die per Treidelgeschirr braune Würste durch Dortmund-Aplerbeck zogen. 

Ich spielte am Ufer Katzenmusik auf einer Kindergeige, und die Emscher onanierte dazu schaumiges Ejakulat. Verdient haben wir mit der Nummer nichts.

Dann nähte ich die Löcher im Anzug zu, wurde Ornithologe, und die Emscher unterzog sich einer aufwendigen Sanierung. Am Phoenix-See wohnen jetzt die Lamborghini-Fahrer vom BvB. 

Sind wir uns untreu geworden? Ach was. Das ist doch nur der Neid der Kindergeigen und Treidelratten. Hätten sich ja umschulen lassen können, auf Wohnzimmerdeko und Wuscheltier, woll? 

Mittwoch, 24. April 2019

Deutsche Flüsse (14): Delme



Halbfinale gegen Bayern. 34. Minute. Alleine im Hotelzimmer, mit Puls 1000. Ich kann mir dieses Spiel unmöglich anschauen. Und jetzt, genau jetzt! fällt das Tor für die Bayern. Immerhin sinkt der Puls nunmehr auf knappe 750. Erstmal durchatmen. Nicht aufregen. Ablenken. Augen zu. Ich sehe die Delme. Braun schlängelt sie sich durch den Park. Lindenblüten und zerzauste Erpel. Der Himmel ist aus dunklem Marmor. Der Schlot der Kammgarnspinnerei pafft zigarrenhafte Kringel. Florian Kohfeldt kickt eine Coladose am Ufer entlang. Ein Bürostuhl mit sechs Rollen liegt im Delmeschlick, der kleine Florian nimmt Maß, schießt die Dose mit der Pieke Richtung Stuhl, aber der ist zu weit weg, die Dose verhungert im liederlich gemähten Ufersaum. Der Schlot schaut interessiert zu, pafft dabei unkonzentriert weiter, verschluckt kalten Rauch, und die Kammgarnspinnerei beginnt zu husten. Ein furchtbarer Hustenanfall. Ganz Delmenhorst wölbt und krümmt sich, ringt nach Luft, und der kleine Florian steht Kaugummi kauend am Ufer und wundert sich. Der Delme bekommt die Husterei gar nicht gut; das Wasser schwappt über, läuft aus, alte Fahrräder und einzelne Schuhe werden sichtbar, der Schlamm wirft Blasen, es riecht faulig. Die Delmenhorster sind natürlich verwirrt, manche panisch, schreien um Hilfe, andere sind konstruktiv und bieten der Kammgarnspinnerei ihre Hilfe an. „Soll ich klopfen?" fragt die kleine Sarah Connor, aber die Kammgarnspinnerei kann nicht antworten, so sehr muss sie husten. Gefährlich schräg steht der nun nicht mehr paffende Schlot, aber er bricht nicht. Tief und laut klingt der Husten. Kettenraucher, COPD. Der Bürgermeister hat mittlerweile eine besonders große Ladung Hustensaft organisiert, zwei Tanklastzüge. Er hat Spezialbeziehungen zu einem Mitarbeiter der „Delmed", der „Deutschen Online-Apotheke". Die Feuerwehr versucht mit zwanzig Mann und einem riesigen Silberlöffel, der Kammgarnspinnerei einen Löffel Hustensaft zu verabreichen, aber es herrscht Unklarheit darüber, wo der Mund ist. Das Haupttor? Das Haupttor ist auf, der Löffel wird im Laufschritt herbeigetragen. Hustensaft schwappt über den Löffelrand. Der kleine Florian steht daneben und schaut zu. Das Spiel ist vollkommen offen. Die Fabrik hustet weiter. Der Löffel verschwindet halb im zitternden, hüpfenden Gebäude. Der Feuerwehrchef zählt: 1,2,3! Dann wird der Löffel umgedreht, der rote, klebrige Saft ergießt sich über den Fabrikboden. Mittlerweile sind tollkühne Helfer des THW ein Gerüst an der Fassade hinaufgeklettert, eigentlich für Malerarbeiten dort aufgestellt. Sie wollen das hustende Riesengebäude mit Pinimenthol einreiben, damit es besser durchatmen kann. Aber woher nehmen? Die Apotheken haben mittlerweile zu, es ist 22:02, 59. Minute Werder gegen Bayern, weiterhin 0:1. Also. Alle Delmenhorster haben ihre Hausapotheken durchforstet und bringen das benötigte Pinimenthol heran. Versammeln sich unten am Gerüst und werfen die Tuben und Gläser hinauf. Die Versuche, diese zu fangen, schlagen fehl, bis auf einen. Mit hochrotem Kopf öffnet ein THWler ... 2:0 für Bayern. Müller. Scheiße. Weiter; ist jetzt egal, die Fabrik hustet, ihr muss geholfen werden! Schnell! Kohfeld kaut weiter Kaugummi. Also, der THWler schmiert die Wand mit Pinimenthol ein. Das Gerüst wackelt. Was macht derweil die Delme? Ihr Wasser hat sich in großen Pfützen im Park gesammelt. Neue Arme haben sich gebildet. Der Bürostuhl liegt immer noch an Ort und Stelle, vor ihm die Coladose. Dann ein Riesen-Rumms: Der Schlot der Kammgarnspinnerei schwankt doller als die Baupolizei erlaubt. Die Baupolizei kommt sogleich, tatütata. Ein Baupolizist steigt aus dem polizeigrünen Bauwagen, sagt: „Baupolizei, guten Abend!" und hält eine Polizeimaurerkelle als Ausweis in die Höhe, unterseits mit der Werderraute verziert. Dem Schlot ist aber die Baupolizei egal, er kippt einfach um. Pardauz. Schlimme Sache. Die Fabrik hustet weiter. Mehr Hustensaft, los. Florian guckt zu und regt sich auf. Verdammt, kann man denn gar nichts tun? Es ist zum Heulen! DA IST DAS TOOOR! 1:2. Könnte spannend werden. Aber ein....haaaaaaaa.....oooo...2:2 ZWEI zu ZWEI! Der Schlot liegt...jetzt Elfer. Scheisse. 3:2 für Bayern. Noch zehn Minuten. War kein Elfer. Ich kann nicht mehr. Florian Kohfeld schreit. Harnik kommt rein. Er geht sogort nach vorne zum Gerüst, sammelt soviele Pinimenthol-Gläser wie möglich, steckt sie unters Trikot, klettert die Fassade hoch. Schmiert. Schreit. Die Fabrik hustet etwas leiser. Sarah Connor klopft. Im Takt von...gelb für Kruse und James. Egal. Kohfeld schreit die Fabrik an. Die Delme fliesst weiter. Das Bett füllt sich. Jetzt spuckt die Kammgarnspinnerei geräuschvoll gelbes Sekret in den roten Hustensaft, der im Haupttor eine große Lache gebildet hat. Florian Kohfeld bückt sich, kostet. Geschmackstyp Weisswurst und Breze. Kohfeld verzieht das Gesicht. Rafinha kommt. Noch fünf Minuten, höchstens. Delme. Die Quelle ist in Twistringen. Twistern, wie man sagt. Entwässert in die Ochtum. Fünf Minuten Nachspielzeit. Pizarro köpft daneben. Der Schlot liegt im Hustensaft. Der Husten klingt ab. Alles riecht nach Pinimenthol. Ein Fisch zappelt einsam im Delmebett. Eine Meerforelle. Scheitzinderei. Nee, falsch, das Wort hiess anders. Der Bürgermeister ist weg. Feierabend. Alle singen. Hejahejaho. Die Kammgarnspinnerei ist still. Sollte mal mit dem Rauchen aufhören. Die Delme fliesst wieder in ihrem Bett. Abspielzeit abgelaufen. Sarah Connor klopft weiter. Der Baupolizist packt seine Kelle ein. Das Spiel ist aus. 

Dienstag, 23. April 2019

Deutsche Flüsse (13): Eider



Ins Bisongras biss

der große Martin Böttcher

Palominos galoppieren weinend

über den gefrorenen Silbersee.

Mit Pfeil und Geigenbogen

bläst ein letztes Mal 

Intschutschuna die Harmonika.

Im Jagdgrund breitet Nschotschi

zum Grusse ihre Arme aus. 

Der Pferde Tränen - und die meinen

rollen um die Welt,

bis nach Rendsburg

an der Eider

wo Böttcher starb.

Leider, leider. 


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