Mittwoch, 15. Mai 2019

Deutsche Flüsse (32): Halblech



„Die Wilderer vom Krottenkopf“ - so heißt ein frühes Meisterwerk des großen Tommy Krappweis, an dem ich nicht unmaßgeblich mitwirkte. 

1997 war ich an den Fuß des Auerbergs gezogen, nach Bernbeuren, genau an der Grenze zwischen Oberbayern und Ostallgäu. Der erste Sommer in dieser mir als Norddeutschem eher fremden Landschaft war ein aufregendes Abenteuer: Jeden Tag entdeckte ich neue Idyllen, Malerwinkel, Merkwürdigkeiten. Ein Platz, der mich sofort in jeder Hinsicht überzeugte, befindet sich zwischen den Ortschaften Prem und Halblech, am gleichnamigen Nebenfluss des Lech, just da, wo Soldaten der Bundeswehr das Abseilen von Felswänden, Frieren im Eiswasser und ähnliche Zeitvertreibe erlernen. Eine breite Schotterflur lädt zum Steinmandlbau ein, man kann die flachen Kiesel aber auch auf der Wasseroberfläche tanzen lassen, oder man aalt sich an heißen Tagen in den Gumpen des kalten Gebirgsflusses. Tommy war begeistert von der Wildheit der freien Flur, und das, was an Utensilien im von Kameramann Matthias Edlinger eher spontan gedrehten Filmchen zu sehen ist, spielt vor allem deshalb mit, weil es zufällig zugegen war: Brot, Bier und Wurst - womöglich splatterten wir unseren Proviant. Tracht trägt Tommy sowieso jeden Tag, lebenslang. Ich hingegen, na ja, eher schubweise, damals allerdings mit Begeisterung. Die Gewehre dürfte ich beigesteuert haben; sowas liegt bei mir unterm Bett.

Matthias Edlinger ist mittlerweile unter die Künstler gegangen, hat gerade eine sehenswerte Ausstellung im Münchener Üblacker-Haus: „It’s a cardboard life“ feiert Verpackungskartonagen und lässt einen das Amazonzeitalter neu begrübeln. Tommy Krappweis macht weiter wie eh und je: Seine Firma, die „Bummfilm“, dient ihm als Labor für schräge Ideen, unter denen sich in den vergangenen Jahrzehnten einige zu Hits, ja, zu Evergreens entwickelt haben, etwa „Bernd das Brot“, „Mara und der Feuerbringer“ oder, ganz aktuell, die Hörspielreihe „Ghostsitter“. Unter allen Firmen, die ich in der Zerstreuungsbranche kennengelernt habe, ist die „Bummfilm“ die sonderbarste: Gegründet eigentlich von einer Clique Super-8-filmbegeisterter, latent pyromaner Realschüler, hält sie seit 25 Jahren gegen alle Gesetze der Betriebswirtschaft durch, als echtes Familienunternehmen. Tommys Bruder Nico ist auch dabei, und Vater Werner schwebt nunmehr als guter Geist über uns allen, nachdem er bei seiner Leidenschaft, dem Rennradfahren, einigermaßen betagt tödlich verunglückte. Ja, ich ich bin stolz, ebenfalls Teilhaber der Bummfilm zu sein.

Wie so vieles verdankt die Menschheit auch die Kombination aus Heimatfilm und Kung-Fu-Farce einem Fluss, nämlich dem Halblech. Und jetzt: Vorhang auf!

Film gucken

Dienstag, 14. Mai 2019

Deutsche Flüsse (31): Knatter



Jetzt ist die Zeit, in der die Erpel ernst machen und jede Ente besteigen, die im Wege steht. 

Zwei halten fest, einer springt drauf. Vergewaltigung als Normalfall. Nein hat sie nicht gesagt, Herr Richter, nur ein leises Quak. Und das kann ja alles bedeuten. 

Wie komme ich jetzt auf Kyritz an der Knatter? Da bin ich mal nachts durchgeradelt, auf der B5, und ein Fuchs verfolgte mich. Ja, gerade so, als sei ich Ente und er Erpel. Höchst sonderbar. Ich fuhr links, er mir nach. Ich rechts, er hinterher. Irgendwann bekam ich‘s mit der Angst und sprintete davon. Ich meinte in dieser Nacht auch die Knatter überquert zu haben, aber später erfuhr ich, dass es die Knatter in der sogenannten Wirklichkeit gar nicht gibt.

Kyritz wurde von Ernst H. Hilbich besungen, in seinem berühmten Karnevalsschlager „Heut’ ist Karneval in Kyritz an der Knatter“. In einem Interview verriet Hilbich unlängst, dass es in dem Lied ursprünglich um Knieritz ging, einen fiktiven Ort jwd. Bald wurde aus Knieritz Kyritz, wohl, weil sich’s leichter singen lässt. Und heute, Jahrzehnte später, gibt es weiterhin Postkarten, denen zufolge Kyritz an der Knatter liegt, und nicht am Untersee. Die Dosse ist auch nicht weit, die Jäglitz und das Kyritzer Königsfließ. Aber keine Knatter (höchstens womöglich ein in früheren Zeiten knatternde Wassermühlen antreibendes, heute verrohrtes Rinnsal ohne geografische Relevanz). So. Und nachdem wir uns dies hiermit einmal klargemacht haben, vergessen wir die Sachlage einfach wieder und machen mit der schnöden Realität, was die Erpel derzeit mit den Enten veranstalten. 

Die Knatter? Klar gibt’s die. Ich kann sie sogar limnologisch präzise beschreiben: Im Oberlauf Köcherfliegenlarven, bei Kyritz Plötzen und Schleien, in den Altarmen Entengrütze. Und beim ersten Morgenorange rolle ich über die Brücke, Ernst H. Hilbich hinterher, angeschickert, im Fuchskostüm. 




Montag, 13. Mai 2019

Deutsche Flüsse (30): Etsch



Ich hatte noch eine Rechnung offen: 

Vor zehn Jahren radelte ich mit meinem Sohn Cyprian von unserem Wohnort Bernbeuren zum Campingplatz nach Utting am Ammersee, um dort ein paar nette Tage im Zelt zu verbringen. Die Anreise ging in die Familiengeschichte ein. Ich fuhr auf meinem Rennrad, Cyprian auf seinem Kinder-Mountainbike. Nur letzteres war mit einem Gepäckträger versehen, auf dem die Campingausrüstung transportiert werden konnte. Folge: Der Zehnjährige wuchtete das schwere Gepäck die Hügel hinauf, ich rollte aufreizend anstrengungslos hinterher. Schon nach halber Wegstrecke war Cyprian fix und fertig, und ich schmetterte schmunzelnd Durchhalteparolen. Passanten schüttelten mit dem Kopf ob dieses schiefen Bildes. Was war das? Eine Strafmaßnahme? Kinderarbeit? 

Längere Radtouren hat Cyprian anschließend nie wieder unternommen - bis jetzt. Nach der letzten Vorlesung fuhren wir am Freitagnachmittag von seinem Studienort Landeck am Inn entlang zum Schweizer Zollamt Martina, dann die Norbertshöhe hinauf nach Nauders und weiter zum Reschenpass. Ehrensache, dass diesmal ich das gesamte Gepäck transportierte, unter anderem, grusel, seinen uralten Bayern-München-Rucksack. 

Am Heidersee übernachteten wir, am nächsten Tag rollten wir einträchtig auf dem Uferdamm der Etsch bis nach Salurn, an die Sprachgrenze, am dritten schließlich nach Rovereto und weiter zum Gardasee. Höhepunkt: Spargelpizza in einem verregneten Tennisclub nahe Bozen. Schmeckt nicht so abstrus, wie man vermuten könnte. 

Quit. 

Ja, ist denn die Etsch überhaupt ein „deutscher Fluss“? Nun ja; jedenfalls nicht weniger als der Rio Grande, wenn Karl May seine Helden durch dessen Täler reiten lässt. 




Samstag, 11. Mai 2019

Deutsche Flüsse (29): Pegnitz



Im Traum nahm ich an einem Schwimmwettbewerb teil. Für diesen hatte man die Innenstadt von Nürnberg hüfthoch mit Wasser geflutet. Ich kraulte mit geschlossenen Augen und liess mich von hunderten Schaulustigen anfeuern, kämpfte mich durch ein ausgeprägtes Flachstück, bei dem man eher krabbelte als kraulte, dann ging es über eine lange Freitreppe gegen die Strömung in ein Gebäude, das an das römische Pantheon erinnerte. Neben mir schien es noch einen weiteren Sportsmann im Wasser zu geben; erst auf dem Siegerpodest erfuhr ich, dass es sich um Otto Steiner handelte, den Produzenten von „Shopping Queen“ und „Genial Daneben“. Großes Hallo. „Du auch hier? Na sowas!“ Dann legte mir Papst Benedikt XVI. einen Ölzweig aufs Haupt und liess sich von Otto anwerben. Zu „Genial Daneben - das Quiz“ mochte er nicht, wohl aber zu „Shopping Queen“, was mich heimlich kränkte. 

Freitag, 10. Mai 2019

Deutsche Flüsse (28): Peenestrom



Ein junger Mann in Reiterhosen überzeugte Hitler, dass mit Raketen der Krieg gewonnen werden könne. Also enteignen, bauen, Forscher ansiedeln. 


Eine S-Bahn wurde durch den Wald geführt, das große Kraftwerk mit modernster Filtertechnik ausgestattet, um verräterische Rauchsäulen zu vermeiden. 


Bombardiert wurde trotzdem, etwa das Wohnquartier der Wissenschaftler. Allenthalben Ruinen, Grundmauern, Prüfstände. Der Startplatz des A4 ist heute eine Lichtung im Wald, mit beschriftetem Hinkelstein. 


Dann zog der junge Mann die Reiterhose aus, warf sie in den Peenestrom und überzeugte Eisenhower, dass mit Raketen der kalte Krieg gewonnen werden könne. 


Die Reiterhose ward von den Gezeiten auf und ab geworfen, später diente sie als Unterschlupf für einen alten Kabeljau. 


Das Brackwasser liess alle Nähte quellen, in der ersten Sturmnacht rissen Wellen in den Hosengrund ein Loch. 


Bald wurde das Beinkleid überall durchs Tosen wund, der Hosenknopf machte sich frei und wurde an den Strand gespült. 


Dort sank er im Sande tief, wurde aber ab und an vom Wetter wieder hochgewühlt; der Knopf tauchte in Zyklen wie Kometen wieder auf, fast raketisch, im Jargon des Ex-Besitzers formuliert, des Mannes mit dem Raumfahrt-Fetisch. 


Letztes Jahr nun fuhr ich mit dem Klapprad auf der schönen Insel und vernahm am Strand Gewinsel - Klagelaute eines Knopfs. Ich stieg ab und hob ihn auf, fuhr dann in den Küstenwald. 


Auf der Knopfrückseite las ich „Heeresversuchsanstalt", darunter: „WvB" graviert, ich näht’ ihn an, seither ziert meinen Hosenstall der Knopf vom Mondraketenmann.


Und immer, wenn ich morgens den braunen Braun-Knopf knöpfe, denke ich an Kennedys Kampf gegen die Roten, „ein kleiner Schritt" etc., an die Weltkriegstoten - und an den klügsten aller klugen, bösen Köpfe. 

Donnerstag, 9. Mai 2019

Deutsche Flüsse (27): Ilm



Es war einmal ein Junge,

der mit aufgeblähter Lunge 

einer alten Trombe Töne

abzuringen suchte. 

Die Trombe wollte nicht,

der Junge fluchte, 

trat gar auf das Instrument.

Da tauchte ein geheimer Rat,

bekleidet nur mit Badehose,

aus dem Wasserlauf im Park,

wo er gerad‘ sein Morgenbad

genossen hatte, auf.

„Guten Tag!“, sagte der Herr

und lud beide, Bube, Tube, 

in sein nahes Gartenhaus.

Goethe lötete die Tröte

und zeigte dem Willigen,

wie man einen chilligen

Herb-Alpert-Sound ner 

billigen Blechtute entlockt.

Der Junge war perplex,

wie so‘ne Trombe rockt,

wenn man weiß, wie‘s geht

(heute wäre dies undenkbar:

Alter Mann ohne Klamotten

lockt ein fremdes Kind zum tuten - 

klingt nach keinem guten, 

sondern einem grotten-

schlechten Film).

Und das Haus, in dem 

die beiden bliesen, 

steht noch heute, 

zwischen Wald 

und Wiesen:

an der Ilm


Dienstag, 7. Mai 2019

Deutsche Flüsse (26): Würm



Ein Dieb klaute Zwirn,

und um zu türm‘

sprang er in die Würm.

Mangels Hirn

begann sich der Zwirn

am Gewürm zu verwirrn,

das man am Grunde der Würm

nicht aufm Schirm

hat, wenn man nicht firm

ist. Nebenan war ne Kirm-

es; „Könnt ihr mich hörn?“

schrie der Dieb; ein paar Görn,

einer hiess Jörn, 

aßen gerad’ Möhrn

und hörten weg.

„Ich könnt mich empörn!“

hört’ man den Halunken röhrn.

Dann begann es zu stürm‘;

er ertrank in der Würm.

So kann man sich irrn.

Und sein letztes Wort war:

„Himmelarsch...“

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