Donnerstag, 7. Februar 2019

24 Stunden Schwimmen

Wenn doch meine sportlichen Helden vornehmlich Schwimmer sind, sollte ich es nicht eventuell auch einmal mit H2O ausprobieren? Ski Heuler Carsten Schneehage sah es ähnlich: Beide hatten wir allerhand Erfahrung mit 24-Stunden-Sportveranstaltungen in unterschiedlichen Disziplinen, aber Schwimmen fehlte auch in seinem Erfahrungsschatz. Da lasen wir von einem 24-Stunden-Schwimmen im Hallenbad in Haar bei München im Januar 2014 und waren sofort Feuer und Flamme (passt gut zu Wasser).
Haar ist in München nicht zuletzt als Standort eines großen psychiatrischen Krankenhauses bekannt, das sich unweit des Hallenbades befindet. Passt doch; auf gehts!
Problem: Carsten und ich sind eher mäßige Schwimmer, und Schwimmtraining so gar nicht unser Ding. Im Hallenbad kann es sein, dass ich bereits nach 5 min auf die Uhr gucke, äußerste Ödnis verspüre und heim will. 24 h im Hallenbad, so mutmaßten wir: Das dürfte die Hölle auf Erden sein. Wir versprachen uns mit Handschlag, vor der Veranstaltung nicht ein einziges Mal üben zu gehen. Sprung ins kalte Wasser quasi. 

Ein 25-Meter-Becken, runde 100 Teilnehmer. 5 Bahnen, ganz rechts: Die „Kinder-und Seniorenbahn". Unsere! Carsten wuchtet einen Umzugskarton mit Riegeln an den Beckenrand, Badekappe auf, und Schlag 12 gehts los. An Tapetentischen sitzen Helfer und machen Striche auf Listen. Ich schwimme immer abwechselnd eine Bahn Brust, eine Kraul, fifty-fifty. Nur nicht hudeln, gerade als Brustschwimmer ist Überholen stressig. Im Zweifel einfach einreihen und schön artig im Gänsemarsch hin und her. 
Alle zwei Stunden Pause. Nein, die Hölle ist das hier nicht. Auf der ganz linken Bahn sind die krassen Cracks unterwegs, bei uns herrscht eher betuliche Kindergeburtstagsatmosphäre. Auch ein recht betagter Schwabe ist unterwegs, der kaum je das Becken verlässt. „Ich habe bezahlt und zieh das durch" schmunzelt er.
Am späten Abend leert sich das Becken, viele legen sich ein paar Stündchen aufs Ohr, und ich genieße den Freiraum, der sich auftut. Farbspiele unter Wasser und Rockmusik aus dem Lautsprecher. Eine mehrstündige Phase guter Laune weicht irgendwann einer Reizung der Lunge durch Chlor. Immer, wenn ich Wasser schlucke, muss ich husten. Und ich schlucke viel! So wie mir geht es allen, und mancheiner muss abbrechen. Grosse Fenster werden geöffnet. Die Luftqualität steigt, aber dafür wird es empfindlich kalt. 


Durchgefroren stelle ich mich unter die heisse Dusche. Das fühlt sich herrlich an, aber der anschließende Gang ins Becken ist umso unangenehmer. Erstmal eine Gulaschsuppe mit Carsten, dann sehen wir weiter.

Ich schwimme durch bis zum Vormittag, 1120 Bahnen hin und her - das sind 28 km. Dann habe ich keine Lust mehr. Immerhin reicht dies für einen Platz unter den Top 10 bei diesem Wettbewerb - eines meiner besten Resultate ever.
Carsten überredet mich, mir zum Frühstück ein Weizenbier zu gönnen. Das ist sehr lustig, weil ich auf der Stelle so betrunken bin, dass ich mich auf dem Heimweg zur S-Bahn (100 m, schnurgeradeaus) sogar verlaufe. Und als ich in der S-Bahn sitze, schlafe ich umgehend ein und wache erst an der Endhaltestelle wieder auf. 


Der rote Punkt an meiner Schulter kommt übrigens vom Kraulen. Ich war nämlich schlecht rasiert, und mein Kinn schubberte dort entlang, auf jeder zweiten Bahn. Steter Stoppel höhlt die Haut, wie man so schön sagt. 

Tainted Love

Die gestrige Sendung mit Marc Almond: Mein persönliches Highlight. Schon bei allen Proben war unser Wohnzimmer ungewohnt belebt. Eine Atmosphäre, wie ich sie das letzte Mal in den 90ern erlebte, als Depeche Mode bei RTL Samstag Nacht auftrat. Charismatissimo.
Ich gab mir große Mühe, ihn bei Laune zu halten, etwa mit Jürgen Urigs und meiner privaten Theorie, dass Tainted Love auch deshalb so ein Megahit wurde, weil da ja am Anfang diese schlangenzungenzischartige Elektropercussion ist. Und es steckt uns in den Genen, auf diese Geräusche alarmiert zu reagieren: Man nimmt unwillkürlich die Füsse hoch, um nicht gebissen zu werden. Der Schritt zum Tanzen ist dann klein. Fand er lustig, diese Theorie. Sein einziger Wunsch für die Zukunft: Einfach weitermachen, nach dem Vorbild Charles Aznavours, den er noch mit über 90 auf der Bühne bewunderte. Um ein Selfie hat ihn gestern niemand gebeten, dafür war bei uns allen die Ehrfurcht gar zu groß. Aber meine Managerin Steffi hat uns beim offiziellen Fototermin mitgeknipst. Jetzt hat sie kein Bild, Mist; ich werde ihr bei Gelegenheit eines fotoshoppen. 
Zurück zum Sport. Wo war ich? Ach ja, Ski Heul. Passt ganz gut, denn einen weiteren meiner „Helden in der Wirklichkeit", wie der FAZ-Fragebogen sie nannte, ist seit unserem 24-Stunden-Skilanglauf der Dresdener Uwe Weist. Kam mit preisgünstigen Nowax Ski angereist und legte Runde um Runde im Marschierschritt zurück, betreut von seiner Frau. Und wenn wir Jungspunde pausierten, nahm er nur kurz einen Schluck aus der Pulle und stiefelte weiter. Seine Beharrlichkeit hat uns damals tief beeindruckt. Außerdem ist er ein feiner Kerl, angenehm entspannt, nicht anders als Marc Almond. Wahrscheinlich ist auch Uwes Ziel, einfach weiterzumachen, so lange es geht. Aznavourianer auch er.
Im Sport habe ich so einige persönliche Helden. Etwa Baron Rokeby (1733-1800), der in Kent lebte. 

Der Träger eines immer länger werdenden Bartes (reichte in späten Jahren angeblich bis zum Boden) war ausgesprochen schwimmbegeistert, schwamm zunächst bei Wind und Wetter stundenlang im Meer. Später baute er sich eine Art Orangerie mit Schwimmbecken, in dem er seine Tage verschwamm. Der freundliche Exzentriker ging immer seltener an Land, lebte schließlich amphibisch wie ein Frosch und wäre sogar mehrfach fast ums Leben gekommen, als er nämlich im Wasser das Bewusstsein verlor. Er ernährte sich ausschließlich von Fleischbrühe und Wildbret, heizte nie und war bei seinen Freunden berüchtigt für seine enorm langen, langweiligen Gedichte, die er ihnen im Leierton vortrug.
Meine Lieblingssportler sind, wie mir soeben auffällt, fast alle Schwimmer. Ganz oben rangiert bei mir Gertrude Ederle, die erste Frau, die den Ärmelkanal durchschwamm.
Die New Yorkerin gewann bei den Olympischen Spielen 1924 einmal Gold und zweimal Bronze, ehe sie 1926 von Cap Gris-Nez nach Dover schwamm, brutto 56 km in 14 Stunden und 32 Minuten. Ganz nebenbei: Ederle war die erste Sportlerin, die einen Werbevertrag hatte, nämlich mit Rolex. Sie trug während ihrer Ärmelkanaldurchquerung das erste wasserdichte Modell. 
Bereits als Kind war „Trudy", wie man sie in USA nannte (und nennt) schwerhörig, und mit ihrer Ärmelkanaldurchquerung verschlechterte sich ihr Hörvermögen rapide. Man nimmt an, dass das Salzwasser ihre Trommelfelle angegriffen hatte. Taub war sie spätestens ab 1940, zudem durch eine Wirbelsäulenverletzung zwischen 1933 und 1939 an den Rollstuhl gefesselt. Nachdem sie durch unermüdliches Training wieder laufen gelernt hatte, brachte sie täglich taubstummen Kindern das Schwimmen bei - bis sie 2003 im Alter von 98 Jahren starb. 



Mittwoch, 6. Februar 2019

Mit Marc Almond in Löbau





Gerade spaziert Marc Almond unter meinem Garderobenfenster durch. Ich mache mal ein Bild...

Im „Haus Schminke", dem berühmten Wohnhaus des gleichnamigen Nudelfabrikanten, erbaut von Hans Scharoun im Jahr 1930, bin ich in diesen Tagen für Deutsche Welle und MDR zugange. „Privatkonzert" bzw. „Nightgrooves" heisst die Reihe, in der sehr unterschiedliche Musiker miteinander im Wohnzimmer musizieren. Bei seiner Fertigstellung muss das Haus wie ein Ufo gewirkt haben, das da im Osten Sachsens gelandet ist. Und heute sind es die Stars, die da untertassengleich im Löbauer Schnee auftauchen und Staunemünder hervorrufen - auch bei mir!

Gestern hatten Stephanie und ich u.a. DJ Ötzi und Kathy Sledge zu Gast, die jüngste der Sledge-Sisters. Als Kind trat sie oft mit den Jackson 5 auf, deren Nesthäkchen bekanntlich Michael war. Zwei hochbegabte Kinder auf Tour. Als Kathy ihre erste eigene Wohnung nahm, war Michael neidisch. Sowas durfte er (noch) nicht. Spannende Anekdoten (werden größtenteils rausgeschnitten, wie das beim TV immer so ist), tolle Musik. Und DJ Ötzi kenne ich seit 20 Jahren aus gefühlt 100 „Hitgiganten" und anderen Fernsehshows, habe mich aber noch nie mit ihm unterhalten. Was für eine ergreifende Lebensgeschichte. Pflegeeltern, obdachlos, alle reden ihm ein, er solle den Ball mal schön flach halten, und dann „Anton", das vor ihm 14 Artisten gesungen hatten, alle geflopt. Und heute? Er zu Kathy Sledge: „Do you know „Hey Baby"? They just played it at the superbowl! „Sure I know it!" - „That‘s me!" Strahlender Stolz. Ich habe mich selten so sehr mit jemandem gefreut wie mit Gerry (DJ heisst eigentlich Gerhard). 
Feierabend war gestern um 1, (danach noch kurz die Highlights des Spiels BVB - Werder gucken), heute gings um 8 weiter. Sport ist gerade nicht, zwei Tage hintereinander. Sowas hasse ich. Was mir Trost gibt: Gleich probe ich mit Marc Almond. Der wohnt in meinem Herzen, seitdem ich in der New-Wave-Bar „Pfefferminz" in der Oldenburger Ritterstrasse versuchte, zu seiner Musik möglichst cool auszusehen. Ich habe mich eben schon kurz mit ihm unterhalten. Sehr klein, zart, freundlich. Distinguierter Näsel-Akzent. Spannend gealtert. Ich habe wegen ihm ganztägig leicht erhöhten Puls. Herrlich. Mal sehen, ob ich mich nachher traue, ihn um ein gemeinsames Selfie zu bitten.
Gestern sah es auf dem Sofa etwa so aus: 

P.S.: Es ist 16:02, wir haben miteinander geprobt, aber ich habe mich noch nicht dazu überwinden können, ihn um ein Selfie zu bitten. Aber meine liebe Managerin Steffi schoss immerhin dies hier: 




Dienstag, 5. Februar 2019

24 Stunden Skilanglauf

Unser skiläuferisches Meisterstück schufen Hannes und ich 2012: 24 Stunden auf 4-km-Rundkurs am Tegelberg. Das martialische Logo mag ästhetisch polarisieren, aber eines kann man ihm gewiss nicht vorwerfen: Dass es allzu viele Leute dazu verführt hätte, sich mit uns auf die Loipe zu wagen. Nur zwei weitere Kühnlinge erschienen am Start, nämlich Carsten Schneehage aus Bad Feilnbach und Uwe Weist aus Dresden (betreut von ihren Gattinnen) ausserdem, als Publikum:  Sigi und Conny mit ihrem Wohnmobil aus Erkrath, überdies Uwe aus Schongau, der 24 h hindurch unsere Ski wachste. Crazy. 
Ich bin relativ krisenarm durchgelaufen, kritisch war lediglich ein Wendepunkt am Ende einer Sackloipe, die Teil unseres Rundkurses war. Von Mal zu Mal mutiger sauste ich heran, sprang ab und landete auf den Kanten, um einerseits zu bremsen und andererseits möglichst effizient in die neue Richtung zu driften. Irgendwann in der Nacht hatte ich‘s wohl übertrieben und landete auf der Schnauze. Guter Wachmacher, immerhin!

Lernen konnten wir bei dieser Veranstaltung vieles. Die wichtigste Erkenntnis: Die Anzahl der Teilnehmer hat nichts mit ihrer Grösse zu tun. Eher gilt: Je weniger Teilnehmer, desto stärker werden diese durch das gemeinsam Erlebte verbunden 
Unsere Endergebnisse waren: Carsten und Hannes liefen über 240 km, ich 217,8 km, Uwe dreimal Marathon (auf Nowax-Ski!)
So sah es damals aus. Gestartet waren wir Samstags um 12 Uhr, und auf diesem Bild dürfte es bereits Sonntagvormittag sein. Hannes (mit sonderbar beklebten Schuhen) hat schon diese betont entspannte Sitzhaltung; offenkundig freut er sich auf den nahen Feierabend. Ich bin bereits zu Malzbier gewechselt,  vorletztes Hydrationsstadium (das letzte: warme Cola).
Die körperlichen Nachwirkungen von so viel Skating sind übrigens auch lustig: Am nächsten Tag ging ich in die Garage, wollte dort etwas erledigen, bückte mich und kam nicht mehr hoch - die Lendenwirbelsäule streikte. Nichts zu machen. Ich musste auf allen vieren verharren, bis Hilfe eintraf. Herrlich! 

Montag, 4. Februar 2019

Zwei Araber auf der Ispo

Gestern auf der Sportartikelmesse in München: Mein Sportfreund Hannes und ich inkognito. Vor ein paar Jahren waren wir schonmal da, um uns über neue Trends zu informieren, und da war ich etwas zu oft angequatscht worden. Fand jedenfalls Hannes. Und damit man mich diesmal nicht sofort erkennt, schlug er vor, dass wir uns als Araber verkleiden. Eine exquisite Idee! Sie werden bestätigen, dass wir von echten Ölscheichs nicht zu unterscheiden sind. 

Hier posieren wir am Stand von Ogso, einem tunesischer Skihersteller, mit dessen Chef Hannes bekannt ist. Der roch allerspätestens Lunte, als seine tunesischen Mitarbeiter um 12 Uhr alle zum Beten die Teppiche ausrollten, wir aber nicht. 
Eine Italienerin, die am Stand eines Herrstellers von sportlichen Smartboards Dienst hatte, meinte jedoch tatsächlich, wir seien Großinvestoren aus dem Morgenland und versuchte, uns Anteile ihrer Firma anzudrehen. Das wiederum verblüffte uns; einer unserer Faschings-Fummel kostete kaum einen Zwanni, und wir hatten uns nicht einmal die Mühe gemacht, wenigstens 10 sec mit dem Bügeleisen drüberzuhuschen. Vielleicht imponierte ihr auch mein rassiges Rennpferd im Leopardenlook: 
Im Tagesverlauf wurden wir übrigens reichlich fotografiert, und zwar vor allem von echten Arabern (westlich gekleidet), die sich wahrscheinlich fragten, was wir für Hansels sind. Ganz nebenbei entstand eine tolle Geschäftsidee: eine Thawb (so heisst das Scheichgewand) aus Gore-Tex, für Sauwetter.
Hannes kenne ich seit 2001. Er organisiert leidenschaftlich gerne Sportveranstaltungen, etwa den Pfrontener Bikemarathon. Besser lernten wir uns kennen durch den „Pfrontener Trimmtrab", einen Gebirgslauf mit 80 km Länge und 5400 Höhenmetern. Seitdem haben wir gemeinsam allerlei erlebt. 
So sind wir 2004 zusammen von Deutschland nach Italien gewandert, auf möglichst kurzer Direktroute, der „Lineal-Linie", wie wir sie tauften. Von Oberstdorf gings über sieben Berge in den Vinschgau. Und sieben Brücken waren da gewiss auch, über die wir gehen mussten. Sven und Markus waren auch dabei, und nach drei Tagesetappen Hopphopphopp posierten wir stolz am Reschensee

Seither standen wir zusammen unter dutzenden Gipfelkreuzen, fast so viele, wie ich ihm im Laufe der Jahre Fahrräder abgekauft habe, da Hannes in Füssen ein Fahrradfachgeschäft besitzt. Auch dem sportlichen Tretbootfahren haben wir beide schon ausführlich gefrönt:
Hier sind wir gemeinsam auf dem Forggensee unterwegs, beim Training für meinen bisher einzigen Tretbootmarathon. Man beachte das Handy an meinem Ohr. Damals nutzte man noch Stupidphones. Aber der runde schwarze Fleck dürfte schon ein Objektiv sein. 
Da wir ähnlich alt sind, feiern wir auch unsere runden Geburtstage gemeinsam, zB hier, unseren 50.:
Kerzenausblasen beim Engadiner Skimarathon. Hannes hat mir Flachlandtiroler nämlich, kurz, nachdem wir uns kennen lernten, erstmal das Langlaufen beigebracht. Dass heisst, er schnallte mir Ski unter, scheuchte mich drei Stunden durchs Tannheimer Tal und meldete mich anschließend zum Tannheimer Trail an, bei dem ich dann an einer Abfahrt scheute und in eine Schneewehe neben der Loipe auswich, so dass ich bis zum Hals in dieser verschwand. Immerhin konnte ich mich eine Stunde später selber wieder befreien..
Nur mit Hannes‘ Hilfe überlebte ich wiederum eines Nachts am Breitenberg. Hannes hatte nämlich auch versucht, mich zu einem Skitourengänger auszubilden. 

Mit eher spärlichem Erfolg. Auch bei dieser Disziplin sind die Abfahrten mein Hauptproblem. Am liebsten gehe ich mit Ski auf den Berg und fahre mit der Seilbahn wieder runter. 
Auf dem Breitenberg wollten wir jedenfalls in einem Iglu übernachten. Mit Tourenski zogen wir bei -10 Grad dünn bekleidet unsere Rucksäcke auf zwei Schlitten bergauf. Meine Ausrüstung hatte ich wohl nicht richtig befestigt; als der Schlitten wegen einer Unachtsamkeit umkippte, purzelte alles, was drauflag, aufreizend den Berg runter - unter anderem Wechselkleidung und Schlafsack. Hannes schoss geistesgegenwärtig den steilen Hang hinab und sammelte alles wieder ein, während ich oben blieb, schnatterte und mit dem Leben abschloss. Ohne meinen Freund wäre ich ganz schön in die Bredouille gekommen, denn im durchgeschwitzten Leibchen nachts abfahren - das wäre sicher nicht gut gegangen. Ein Leben hat Hannes bei mir gut - mindestens. 

Beim Langlaufen war ich allerdings nach 15 Jahren Wohnsitz am Auerberg inklusive Ehrenamt als Loipenwart gar nicht so schlecht geworden. Ich kann sogar Skier wachsen! (Olli Dittrich als Jens Weißpflog bei RTL Samstag Nacht: „Ich dachte, die kommen ausgewachsen aus der Fabrik")

Das bin ich in der Garage in Bernbeuren, bei den Vorbereitungen für „Ski Heul!" So hiess eine Rennserie, die Hannes und ich 2011 ausheckten. Im ersten Jahr galt es, 100 km zurückzulegen, auf einem drei Kilometer-Rundkurs am Tegelberg zu Füssen des Schlosses Neuschwanstein.

Hier sehen wir das durchaus kopfstarke Teilnehmerfeld am Start, morgens um sechs. Der zweite von links, das bin ich. Kam als letzter ins Ziel, alle hatten auf mich gewartet und machten „La Ola", als ich endlich eintrudelte. Eine gelungene Generalprobe für unser grosses Meisterstück, das wir dem Winter im Jahr darauf abrungen...




Sonntag, 3. Februar 2019

Afrika per Fahrrad

Mit Stefan war ich nicht nur in Paris, sondern auch in Afrika. Eigentlich wollten wir nur ein paar Tage Radeln. Nun kennt Stefan aber eine junge Frau aus Gambia, die in Köln wohnt, und selten dazu kommt, ihre Familie in Serekunda zu besuchen. Serekunda ist eine Stadt in Gambia, vielleicht 250.000 Einwohner, und Gambia ist ein kleines Land links und rechts des gleichnamigen Flusses, am Atlantik, vom Senegal umschlossen. Jedenfalls bat sie darum, dass wir ihrer Familie 80 Euro, einen Brief und ein aktuelles Foto vorbeibringen. Wird prompt erledigt! Über Brüssel reisten wir an und stellten erstmal fest, dass unsere Klappräder nicht transportiert worden waren. Hm. Nun wird man als Weisser in Serekunda sofort als Tourist identifiziert und permanent von mehreren Leuten bedrängt, die einem irgendwas verkaufen wollen: Zumeist Holzkreuze oder Sexmassagen (am besten beides). Wir drehten den Spiess um und fragten, ob sie uns Leihfahrräder besorgen könnten. Eine Stunde später trafen wir uns wieder, und dreißig junge Männer standen da mit alten Mountainbikes aus den 80ern. Eine weitere Stunde lang wurde verhandelt, wobei wir eine Good-guy-bad-guy-Taktik wählten: Ich fand die Räder immer großartig, wollte sofort los, Stefan gab den Mäkler. Schließlich waren wir handelseinig und radelten auf der Küstenstrasse in die Hauptstadt Banjul. Auf den riesigen Wochenmärkten gibt es buchstäblich alles, vor allem viele lädierte, ausgeblichene Sonnenschirme, Schweinefüsse, Prepaid Handys, Heiler und Schleuser. Gegessen wird bei jeder Gelegenheit Fufu, das ist so ein glasiger Brei aus der Maniokwurzel. Alle löffeln einträchtig aus einem Topf, so ist es hier Sitte, allerdings nach Geschlechtern getrennt, wie es sich im hiesigen Islam gehört. 

Zum Radeln ist Gambia gut geeignet. Die Autofahrer nehmen Rücksicht, und es gibt extrem viel sonderbares zu besichtigen. Etwa die heiligen Krokodile in Katchikally: grosse Tiere in einem runden Tümpel mit Entengrütze, die man sogar streicheln kann (wenn sie denn ordentlich satt sind). Es gibt riesige brennende Müllkippen, überhaupt viel Armut bei gleichzeitig auffallend guter Laune. Der scheinbare Widerspruch irritiert natürlich. Woran liegt‘s? Den Grossteil ihres schmalen Budgets geben die Gambier für Kleidung und Frisuren aus. Wahnwitzige Kleiderkreationen im Rausch der Farbe. Und dann gibt’s extrem viele, hochbegabte Friseure. Ich habe mir auch die Haare schneiden lassen. Und zwar nicht mit Schere, sondern mit einer Rasierklinge - so ist es dort üblich. Stefan sass daneben und fragte irgendwann: „Aber gegen Hepatitis bist du schon geimpft, oder?" Schluck. Nichts passiert. Zweiter Faktor: Die Musik. Wir waren abends auf einem phantastischen Konzert. Fünf Trommler und ein Sänger in so‘ner Art Kurmuschel aus Wellblech. Eine Glühbirne, tausend Leute im Publikum. Ein aufgedresstes Mädchen rennt auf die Bühne, tanzt eine Minute lang wild, rennt zurück, das nächste Mädchen tanzt. So ging das Stunde um Stunde. Unser Begleiter, aus der Familie der Bekannten aus Köln: „Das sind Frauen vom Stamm der Wolof. Die müssen tanzen, sonst kriegen sie keinen Mann ab". Aha, Heiratsmarkt. Übrigens: Applaudiert wird hier nicht. Das machen nur baffe Banausen aus Europa. 
Überhaupt, Familie. Die ist hier sehr, sehr wichtig. 


Ohne Familie ist in Gambia alles nichts. Auf dem Foto sieht man nur einen sehr kleinen Teil unserer Gastgeber. Abends sassen bis zu fünfzig Leute zusammen im Innenhof und tranken Tee. Alles Cousinen, Grossneffen, Schwippschwager. Der Patriarch (nicht auf dem Bild) ist Automechaniker, die Kinder verkaufen Mangos auf einem Tapetentisch an der Strasse vorm Haus (unklar, wer die kauft, da eigentlich überall Mangobäume rumstehen). 
Fazit: Ich kann nur jedem Europäer empfehlen: Reist nach Westafrika! Geht radeln! Nicht vorstellbar, dass sich dort irgendjemand langweilt. 


Samstag, 2. Februar 2019

Tränen in der Nacht



Kleiner Nachtrag zum Thema „Wiegetritt auf dem Klapprad": Welches war meine schwerste Krise? Da muss ich nicht lange nachdenken. Frühsommer 2015. Es war mal wieder nachts, etwa halb drei Uhr. Am späten Vormittag war ich in Bremerhaven gestartet, nachdem ich am Abend zuvor einen Auftritt in Helgoland absolviert hatte. Nun hielt ich Kurs auf Berlin. Ja, Berlin habe ich schon aus ganz unterschiedlichen Richtungen angesteuert - diesmal halt von Bremerhaven aus. 




Vorhin hatte ich mich noch über ein ulkiges Strassenschild beömmelt, 200 km sind rum, ich bin Richtung Danneberg unterwegs, auf meinem Klapprad. Links blubbert die Elbe. Die Nacht ist trocken und mondlos. Leichte Hügel geht es rauf und runter, mein Körper ist warm, alle Systeme sind intakt. 

Dass Wiegetritt auf dem Birdy gefährlich ist, weiss ich noch nicht, jedenfalls steige ich bergauf im größten Gang aus dem Sattel. Irgendwas eiert. Zunächst kaum merklich. Ich geniesse die Stille, keine Autos in Sicht. Umso auffälliger drängelt sich plötzlich ein ungewöhnliches Geräusch in meine Ohren. Ein feines Schleifen. Die Eier-Amplitude wird größer, das Schleifen lauter. Kein Haus, kein Licht weit und breit. Jetzt bemerke ich, wo das Schleifen herkommt: vom Vorderrad. Nanu! Testhalber bremse ich. Klappt einwandfrei. Seltsam, das Schleifen kann doch eigentlich nur von den Bremsen kommen? Der nächste Hügel. Rauf mit dem Speck! Das Eiern fühlt sich jetzt richtig eierig an. Keine Einbildung, nein, da ist ein Achter im Rad. Naja, kann man haben. Denke ich und unterdrücke meine Panik. Inzwischen schleift es richtig laut, und mein Tempo wird rapide gedrosselt, obwohl ich mit Macht in die Pedale trete. Ich schlucke trocken, steige ab. Vollkommene Stille umfängt mich. Nur mein pochendes Herz beschallt die Dunkelheit. Ich schiebe zwei Meter. Das Vorderrad blockiert, es schlurft über den Boden. Als hätte man Sekundenkleber auf die Achse gegossen. Ich richte meine Stirnlampe auf den Reifen. Der Mantel liegt, nein, er presst sich an die Gabel. Das ganze Rad ist verbogen, wie eine Vinylschallplatte, die zu lange in der Sonne gelegen hat. Und jetzt? Ich betaste die Speichen. Manche sind locker, hängen ohne Spannung apathisch herum. Ich versuche sie mit den Fingern zu drehen. Geht nicht; dafür bräuchte man ein Spezialwerkzeug, das ich nicht dabei habe. Das dollste an diesem Defekt: Das Rad lässt sich nicht einmal schieben. Ich kombiniere unwillig: Wenn man ein Rad nicht schieben kann, dann muss man es...tragen. Ja. Ruhig, Brauner. Panik bringt jetzt gar nichts. Immerhin hat mein Handy noch Strom. Es gibt ja Mobilitätsapps. Mal schauen... 

Also, um kurz vor halb fünf geht ein Bus von einer Haltestelle, die nur vier km weit weg ist. Wohin der fährt, ist ja im Grunde egal. Ich will lediglich in die Zivilisation; weiterfahren geht eh nicht. Also schultere ich mein Birdy und stapfe auf der Landstraße Richtung Dannenberg. Klack Klack klicken meine Radschuhe auf dem Asphalt. Alle paar Minuten wechsele ich die Tragschulter. Nach einer Stunde stehe ich an der Haltestelle am Stadtrand von Dannenberg. Schonmal gut. Der Fahrplan stimmt mit meiner App überein. Läuft! 



Jetzt eine Stunde verstreichen lassen. Ich setze mich ins Wartehäuschen und wickle sämtliche verfügbare Ersatzkleidung um meinen Körper, denn der friert mit leisem Zittern vor sich hin. Die Sitzposition ist leider zu unbequem zum Schlafen, und als mich die Müdigkeit zu übermannen droht, ist es schon viertel nach vier. Wenn ich jetzt einschlafe, verpasse ich noch den Bus! Ich vertrete mir die Beine, und als die ersehnte Abfahrtszeit naht, packe ich alle Sachen wieder sorgfältig in den Rucksack, klappe das Rad zusammen und trage es auf die andere Straßenseite, wo mein Retter halten müsste. Dort ist eine Schule, davor eine Rabatte mit kniehohen Sträuchern. In der Ferne nähert sich der Bus, pünktlich wie die Maurer, hurra. Ich bücke mich, um das Birdy anzuheben, mein Retter naht...ich imaginiere einen Ritter auf weissem Pferd, gleich darf ich aufsitzen...und...der Bus...fährt vorbei! Ich bin perplex, lasse das Birdy fallen, laufe auf die Strasse, blicke dem leeren Transportmittel hinterher. Der fährt mit hoher Geschwindigkeit stadteinwärts. Hat er mich übersehen? War ich hinter der Rabatte abgetaucht? In der Ferne erspähe ich einen Kreisverkehr. Ah, mache ich mir Mut, den nutzt er sicher zum Wenden, und dann kommt er wieder und lädt mich ein. Der Schelm, will mir wohl einen Streich spielen, haha! 

Das Geräusch des Busses wird immer leiser. Und ist nicht mehr zu hören. Ich stehe immer noch auf der Strasse und blicke ihm hinterher. Stumm. Leer. Blass. So verharre ich minutenlang, dann schultere ich mein Klapprad und folge dem Bus. Bald erreiche ich den Kreisverkehr; der Bus ist weiterhin verschwunden. Nein, fauche ich, das kann nicht sein. Welch bodenlose Unverfrorenheit. Wenn ich den Fahrer in die Finger bekomme, dann...ich...ich komme aus Bremerhaven hierher, und jetzt...Tränen rollen meine Wangen hinab. Nein, weinen ist übertrieben, massregele ich mich. Erstmal Kaffee. Dahinten ist eine Tankstelle geöffnet. Kochend vor Wut falle ich mit der Tankstellentür ins Haus und frage die Kassiererin, einen Tick zu laut: „Wissen Sie, wer den Bus fährt? Der Halunke hat mich sitzen lassen! Wo kann ich mich beschweren?" Die junge Frau ist unsicher, was sie antworten soll. Nein, den Fahrer kenne sie nicht. Auch wisse sie nicht, wo ich mich beschweren könne. Beim Busunternehmen halt. Aber sie könne mir einen Kaffee anbieten. Den trinke ich, und dabei recherchiere ich, dass ein Zug von Dannenberg nach Lüneburg fährt, um 12 nach 7. Nun liegt Lüneburg nicht gerade auf dem Weg nach Berlin. Ganz im Gegenteil. Aber das ist völlig egal. Hauptsache weg. Und so trage ich mein Rad zum Bahnhof, der gar nicht soo weit entfernt ist, warte dort noch ein Weilchen, und dann ist der Ärger auch schon fast wieder verraucht. Nicht zuletzt, weil es am Dannenberger Bahnhof so eine enorm einladende Gastronomie gibt (die um diese frühe Uhrzeit leider noch nicht geöffnet hatte): 



Was ich gerne hätte: Ein Erinnerungsfoto meines Gesichts, wie ich auf der Strasse stehe und dem Bus hinterher blicke. 

Was ich inzwischen immer dabei habe: Einen Nippelspanner. So heisst das kleine Werkzeug, mit dem man Speichen wieder in die Felge einschrauben kann. 
Ein Mechaniker hat mir mittlerweile erläutert, wie‘s überhaupt zum Defekt kam: Je kleiner die Räder, desto grösser die Kräfte, die beim Wiegetritt auf die Speichen einwirken. Also auf 20-Zoll-Rädern immer schön im Sattel bleiben. 




Geweint hatte ich beim Radeln schon mal, und zwar 2005 beim 24-Stunden-Mountainbike-Rennen im Münchener Olympiapark. An diesem tollen Wettrennen habe ich viermal teilgenommen: Zweimal als Einzelstarter, einmal im Zweierteam mit Uschi Disl und einmal als Kommentator (das war am anstrengendsten). 

Als Einzelstarter wiederum war ich einmal mit Betreuern dabei, als Mitglied eines Teams, einmal ohne. Ganz alleine, ohne Auswein-Schulter. 

Mitten in der Nacht war damals mein Schuh kaputt gegangen. Ein Cleat, dieser Verbindungshaken, mit dem man mit der Pedale verbunden ist und an dieser ziehen kann, hatte sich gelöst und war futschikato. Heul. Ich löste das Problem dann auf peinliche Weise: Ich schaute mich im Fahrerlager in der Olympiahalle um, und als gerade keiner guckte, montierte ich vom Schuh eines Wettbewerbers ein Ersatzteil ab. Ja, ich hab‘s geklaut. Und bin nicht stolz drauf. Aber immerhin konnte ich weiterfahren und musste nicht mehr weinen. Blöd, wenn man keinen Betreuer mitbringt, an den man das Problem delegieren kann.

Das Bild ganz oben zeigt mich übrigens nicht auf dem Birdy, sondern auf‘m Rennrad. Mein Freund Stefan hat es geschossen, ebenfalls 2005, auf der geinsamen Fahrt von Köln nach Paris. Damals hatten wir keine so enormen Probleme, ausser, dass wir vom Navi ab und zu auf die Autobahn geleitet wurden und uns dann wunderten, wie breit der Radweg plötzlich war. Merke: Zu zweit weint es sich nicht so leicht. Und angekommen sind wir auch:




The biggest Arztroman ever

Willkommen in meinem neuen Tagebuch („Post-Coronik“), das sich womöglich auch in diesem virtuellen Gewölbekeller vornehmlich mit Corona befa...

Beliebte Beiträge