Dienstag, 16. Mai 2017

Barfuß im Regen

Feinster Niesel, als sei die Welt ein Friseursalon, und der liebe Gott drücke auf die Haarspraydose. Leicht bekleidet und ohne Schuhe trimmtrabe ich morgens vom Elternhaus über den Schulhof des Schulzentrums Kreyenbrück, auf dem ich in allen großen Pausen zwischen der 7. und 10. Klasse Fußball spielte (trotz der Versuche der Französischlehrerin Frau Trinks, uns die Bolzerei zu untersagen - wegen der hiermit einhergehenden Schweißgeruchsbelästigung). 

Tuffig aufgedampft wackele ich Klingenbergstrasse und Bahnhofsallee hinunter - auf dieser Route war ich schon als 14-Jähriger joggen, immer Mittwochsabends mit der Leichtathletiktrainingsgruppe von Peter Maurer. Zumeist liefen wir 45 Minuten, in Kapuzenpullis mit "DSC"-Aufdruck, und die Füße steckten in "Brütting"-Schuhen - das war damals State of the Art. 

Jetzt rechts in die Bümmersteder Tredde. Die Füße sind heut ein bisserl pieksempfindlich, und das Oldenburger Gehwegpflaster fühlt sich rau und grob an. Merke: In Sachen Sohlenschmerz entscheidet die Tagesform, unabhängig von der angestrebten Langzeitabhärtung. 

Zurück via Osternburger Kanal, dessen Uferweg durchgängig von flauschig weichem Grasbewuchs begleitet ist, den ich genüsslich betrabe. An der Gefängnismauer faulenzen die Deichschafe, und in der Buschhagenniederung tirilieren die Vögel ihre Etüden. Aus dem Friseursalon wird ein Konservatorium für Soprane mit Flügel. Nur selten mischen sich Mezzosoprane (Krähen?) und Altistinnen (Tauben?) ins Stimmdickicht. 

Kurz vor Schluss trete ich fast in einen Hundehaufen. Wäre mir fast noch unangenehmer als Glas & Zigarettenstummel. Hundefreunde, packt Euch Kackerlsackerl ein - wenn ich irgendwo reintrete und werde eurer habhaft, gibt's einen Anschiss - versprochen!

10 km, eine Stunde. Mehr mag ich nicht; bin noch abgeschlagen von der gestrigen Großfahrt. 

Montag, 15. Mai 2017

Heimatglück und Pannenpech 

Fünf Uhr fünfundvierzig - in der Deutschen Geschichte eine belastete Aufbruchszeit, aber die Hafenfähre 62 schert sich nicht um politisch korrekte Fahrpläne. Nach Finkenwerder will ich, so wie ein Dutzend brüllend müder Hafenarbeiter. 28 Minuten bei Kaffee und Salamibrot, vorbei an zwei Aida-Kreuzfahrtschiffen, dann gehe ich von Bord und lasse die "Komood"-App einen Weg ausrechnen. Was? Durch die Bremer Innenstadt will mich das Navi schicken? Auf rote Ampeln habe ich keine Lust, und außerdem gibt gerade diese Radtour die hübsche Gelegenheit, nicht nur ein-, sondern gleich zweimal Fähre zu fahren! Also herrsche ich die App an, mich gefälligst in Bremen-Nord die Weser überqueren zu lassen. Macht vier km mehr. Sehr wohl. 

Erstes Highlight: Airbus. Das Fabrikgelände ist immer sehenswert, zumal wenn gerade ein Testpilot Kavalierstarts mit einem "Etihad"- Jet ausprobiert. DAS klingt angeberisch - da kann der gemeine Lamborghini-Fahrer einpacken. Nur nicht ablenken lassen; schön auf die Straße schauen, die parallel zur Startbahn verläuft; der Verkehr ist dicht; artig halte ich mich an die Radwege an diesem dieselblauen Montagmorgen. 

In Harsefeld gibt's Ärger. Der Hinterreifen ist platt, so wie schon am letzten Mittwoch. Der Fernpass-Schotterweg scheint den "Marathon Racer"-Reifen nicht bekommen zu haben. Wieder hat sich ein scharfer Steinsplitter durch den Mantel zum Schlauch gezwängt. Pieks, Pfff. Ich opfere die planmäßige Kaffeepause und tausche den Schlauch aus. Da bauen die Leute Atomkraftwerke und können noch nicht mal pannensichere Fahrräder herstellen! Anfänger, alle miteinander! Könnte glatt ausfällig werden! (Saß gestern neben Kalle Schwensen im Polittalk, der bei wirklich jedem Thema ruckzuck auf der Palme ist - das steckt an). Ist zufällig eine Bushaltestelle in der Nähe? Nein? Also weiter petten. Jetzt nur nicht miesepetrig werden...

Zeven-Tarmstedt-Lilienthal. Der Hinterreifen hält, uff, sogar, als mich das Navi erstmals weg von den dicht beknatterten Straßen auf einen verwunschenen Nebenweg führt, mit garstig groben Gesteinsbrocken als "Belag". Tempo reduzieren geht nicht; ich habe Mama und Papa versprochen, dass ich bis zum Mittagessen in Oldenburg bin, mehr als eine Absteigepause ist nicht drin, und die habe ich bereits mit Monteursarbeiten vergeudet. 


Immerhin wird die Landschaft ab Ritterhude gänzlich märchenhaft. Der Himmel blö, das Grün wird satter, der Magen knurrt, es geht zu Vatter. Und zwar durchs Teufelsmoor, an der Hamme entlang. Kurz vor 12 Uhr erreiche ich den Fähranleger in Vegesack. Hal över! Dem Fährmann erkläre ich, frühsommerlich euphorisiert, dass ich diese Strecke einmal im Jahr führe, das sei so eine Art Individualtradition. An das erste Mal erinnere ich mich besonders gerne - da begleitete mich bis Stade mein Dresdner Sportfreund Uwe Weist, und zwar auf einem schweren roten Leihrad der Hamburger Verkehrsbetriebe. 

Vom schwankenden Kahn knipse ich das Schulschiff "Deutschland" und rufe daheim an. "Essen kann so langsam auf den Herd". An Weser- und Huntedeich entlang nähere ich mich dem elterlichen Trog und denke dabei über zwei neue Fachbegriffe nach, die ich in der Sonntagszeitung aufgeschnappt habe: Die "Anywheres", heimatlose Protagonisten der Globalisierung, aka "Elite", und die "Somewheres", die im Grunde nichts haben außer ihre Wurzeln. Einerseits bin ich eher ersteres, aber je älter ich werde, desto auffer geht mein Herz, wenn ich Oldenburg anradele, Somewhere, me!

Das Huntesperrwerk ist neu, kuck an! Sonst alles beim alten: Marsch, Köterende (schöner Dorfname), Schafe, Dalmatiner-Kühe. Zauberhafte Dingsda-Blüten. Verdammt, wie heißt das Zeug, Zierpflanze aus'm Himalaja. Braucht saure Böden. Bromelien nicht, Quatsch...ich komm nicht drauf...gebt mir endlich was zu essen...Azaleen auch nicht...Drahtesel-Demenz. Frohlocken an der Autobahnbrücke, Oldenburgs mächtigstem Bauwerk. Da ist auch schon Ikea! Hurra, gleich bin ich da!


...von wegen. Reifen platt, diesmal vorn. Allerdings genau am Ortsschild - ein buchstäbliches Zeichen. Nach 146 km Gegenwind, 22er Schnitt, verzichte ich auf eine weitere Reparatur und bitte meinen Papa, flugs herbeizueilen und mich ins Auto zu laden. Großes Hallo, Spargel im Garten. Meine Eltern juxen, von wegen, Autofahren hat auch Vorteile, gell? Ich sach nur Lam-bor-dschini! (Vom Airbus mal ganz abgesehen). Noch in dieser Woche werde ich pannensichere Schläuche besorgen. 

P.S.: Rhododendron. 

Sonntag, 14. Mai 2017

Eierkuchen, Muttertag

Manch Oberhemd umschließt mich derzeit ohne Luft und Spiel. Wirklich korpulent bin ich nicht, aber ich ertappe mich immer häufiger dabei, dass ich bei Fotosessions den Bauch einziehe und die Luft anhalte. Wenn der Fotograf dann nicht schnell genug knipst, laufe ich gewitterwolkenblau an, und die so entstandenen Bilder müssen aufwendig gephotoshoppt werden. Mit weltschmerzlichem Seufzer schob ich darob zwei Obsttage ein, ehe ich heute Vormittag bei ausgiebigem Brunch im Stamm-Café am Viktualienmarkt mit einem ziegeldicken spanischen Omlett den Diäterfolg kalorisch ausglich. Schlagartig stieg die Laune, ich auf's Rad und kurbelte mich zum Flughafen. In München sind dies ab Innenstadt etwa 35 km, vorbei an gelbem Raps- und rosa Kastanienblüten, unter dramatisch dräuenden luftanhaltegesichtigen Wolkengebirgen. Zwanzig Grad! Es frühsommert! 

Am Sperrgepäckschalter plauderte ich mit einem velophilen Engländer. Er fragte, wie ich's mit den Reifen hielte: Lasse ich die Luft ab, ehe ich das Faltrad aufgebe? Ich verneinte. Womöglich besteht bei Hochdruck-Rennradreifen Explosionsgefahr, aber die 85 psi meines Birdys haben bisher noch keinen Pneu zum Platzen gebracht. Im Gegenteil: Ich ärgerte mich schon manches Mal über übereifrige Flughafenpersonal, das mir meinte einen Gefallen zu tun, indem es die Ventile öffnete und mich am Zielflughafen fluchen ließ. Der Engländer bestaunte mein Birdy, schwört bisher auf Brompton, und ich spendierte ein paar verkrampfte Lobesfloskeln. Dabei, so finde ich, ist das Pfiffigste am Brompton noch der Gepäckträger mit seinen kleinen Transportrollen, alles andere ist technisch eher hausbacken. Aber wer ausgerechnet gegenüber einem Engländer die Überlegenheit deutscher Faltrad-Ingenieurskunst hervorhebt, läuft Gefahr, für arrogant gehalten zu werden. 

Sodann hielten wir übereinstimmend die Unsinnigkeit schützender Faltrad-Reisetaschen fest. Lackkratzer seien für den wahren Enthusiasten kein Makel, sondern adelnd, etwa so wie Schmisse - wobei ich an der englischen Übersetzung des Wortes "Schmiss" scheiterte. Have a nice day, bye bye!

In Hamburg war's fast noch wärmer, dafür ist der Flughafen zentrumsnäher. Ich nahm mein Birdy in Empfang und fuhr Richtung Eppendorf, vorbei an jener völlig überteuerten Wohnung im Lehmweg, die ich mit Anfang zwanzig gründlich verwohnte. Das "Onkel Pö" nebenan, zu meiner Zeit in "Legendär" umgetauft, heißt heute "Mama", aha. Oh, heute ist Muttertag. Muss noch anrufen, nicht vergessen. Erstmal im Hotel einchecken. Nachher ist Talkshow-Test im Thalia-Theater, mit Steffen Hallaschka, Ina Müller, Micky Beisenherz und Kalle Schwensen, "Die letzte Instanz". Danach schnell ins Bett; ich habe morgen sportlich einiges vor...




Samstag, 13. Mai 2017

Engadin, caramba! 

Wo stehe ich? Im Dezember war ich ein paar Tage im Krankenhaus wegen Hernien-OP, anschließend musste ich sechs Wochen pausieren. Natürlich bin ich schon früher wieder ans Werk gegangen, und zwar ins Schwimmbad. "Sine Aqua non est Vita", wie wir Latinos sagen. Hundert Bahnen im Müllerschen Volksbad, also 3300m, waren mein erstes Trainingsziel, welches zügig erreicht werden konnte. Dann unternahm ich vorsichtig erste Dauerläufe und Tretroller-Ausfahrten, so dass ich Anfang März mit einigermaßen stabiler Ausdauerreserve ins schöne Engadin fahren konnte, um nämlich dorten gemeinsam mit meinem Freund Hannes am Skimarathon teilzunehmen. 

 
 

Vor 10 Jahren, als wir beide 40 Jahre alt wurden, hatten wir uns vorgenommen, aus Anlass unseres 50. Geburtstages "Worldloppet-Master" zu werden. "Worldloppet" ist eine Skilanglauf-Rennserie für Amateure, die die größten und wichtigsten Skimarathons umfasst, und zwar auf fast allen Kontinenten, sogar in Australien. Ein "Master" wird man, wenn man 10 dieser Rennen absolviert, davon eines in Übersee, und als Trophäe winkt dem Master ein hässlicher Teller zum An-die-Wand-hängen. Oder so ähnlich. Die gesamte Serie war uns denn doch zu aufwendig, aber in Gänze wollten wir unser Vorhaben denn doch nicht aufgeben. Also fuhren Hannes, Teresa und ich in die Schweiz, zum nächstgelegenen Event. Wir flanierten durchs winterliche St. Moritz, schlugen uns die Bäuche mit Pasta voll und schlossen uns am nächsten Tag den übrigen 13.000 enthusiastischen Volksläufern an. Der Clou: Seit fünf Jahren hatte ich nicht mehr auf Langlauf-Skiern gestanden, von einem Showauftritt beim ARD-"Starbiathlon" abgesehen. Nicht nur fehlte mir das Training, ich hatte nicht einmal testhalber die Funktionstüchtigkeit der Bindung studiert. Was, wenn sich Schuhe und Skier nicht ineinander klicken lassen?  - schoss es mir durch den Kopf. Ich hätte die Latten dann wohl ins Ziel getragen, vermute ich. Musste ich aber gar nicht; es wurde eine schöne Veranstaltung, von den Staus an sämtlichen Anstiegen abgesehen. Und nicht nur bergauf war Geduld notwendig; auch an einer heiklen Waldabfahrt hieß es warten. Rumstehen ist mit den dünnen Latten im steilen Gelände gar nicht so einfach, zumal wenn's voll ist wie auf'm Rummel, aber eben alle Welt Skier an den Füßen hat. Man tritt sich auf selbige, und es droht der berüchtigte Domino-Effekt. Das Wetter brillierte, die Laune passte, aber auf der zweiten Hälfte gewann ich den Eindruck, nicht wirklich in Topform zu sein. Stehend k.o. rutschte ich nach 42 km und 3:38 h ins Ziel. Da war nix mehr mit Abfahrtshocke und Co; steif wie ein Schneebesen stakste ich gemeinsam mit mexikanischen Sombreroträgern in die totale Unterzuckerung. Immerhin wirkte die Teilnahme ungeheuer motivierend, und den Titel "Worldloppet-Master" will ich unbedingt eines Tages tragen, wenn mich denn der liebe Gott von Krankheiten und ungünstigem Tauwetter verschont. Vielleicht sollte ich mich sputen, um den wintersportlichen Folgen der Erderwärmung zuvorzukommen. 

 

Nach dem Engadiner Skimarathon widmete ich mich meinem Tretroller. Die längste im zurückliegenden Frühjahr ertretene Strecke führte mich von Innsbruck zu meinem Sohn Cyprian nach Landeck und betrug 80 km. Auch mit dem Faltrad legte ich relevante Strecken zurecht, so radelte ich in Begleitung zweier netter Fachjounalisten von Bonn nach Herne zu einer Lesung aus meinem Buch "Im Zelt". Das sind stolze 120 km, und beide Journalisten waren ganz beglückt, dass sie erstmals in Ihrem Leben länger als 100 km geradelt hatten - und das dann auch noch auf Falträdern: Brompton, Tern, ich auf meinem Birdy. Die Beglückung der Schreiber beglückte wiederum mich, und endete der Tag in umfänglicher Zufriedenheit. 

Weiterhin bin ich damit beschäftigt, "unspezifisch" zu trainieren, also nicht festgelegt auf eine bestimmte Bewegungsart. Auf allen Gebieten "ziehe ich die Schraube an", wie Olympiasieger Dieter Baumann zu sagen pflegt, heißt: Ich erhöhe Umfänge und Intensitiät, aber ich tue dies vorsichtig, um keine Verletzung zu riskieren. Heute war wieder Barfußlaufen dran. Ich lief ähnlich wie gestern an der Isar entlang nordwärts und durch den Englischen Garten zurück - aber etwas länger als gestern, nämlich ca. 13 km. 

Freitag, 12. Mai 2017

Über das Barfußlaufen 





Der Muskelkater lässt nach; ich kann wieder laufen. Barfuß trimmtrabe ich 10 km die Isar nordwärts und durch den Englischen Garten zurück.

Warum barfuß? Die Vorgeschichte ist ein Riss des vorderen linken Außenbandes, am Morgen eines "Rock the Classic"- Drehtages in der Schweiz, im Herbst 2014. Ich joggte damals frohgemut in der Nähe des Klosters Einsiedeln einen Talweg entlang. Plötzlich knickte ich grundlos um, es machte "Peng!", der Fuß schwoll melonenhaft an, und ich wusste sofort, dass ich mich ernsthaft verletzt hatte. Immerhin schaffte ich es noch, ins Hotel zu humpeln und den folgenden Drehtag sehr tapfer zu absolvieren. Abends stand ich sogar noch als Flötist auf der Bühne in Zürich; auf Tanzeinlagen verzichtete ich, und in mein Showlächeln schlich sich bedröppelte Säuernis.

Seitdem lief ich in grobem Gelände nie mehr so unbeschwert wie vor dem "Peng!", und ich erwog, gänzlich aufs Laufen zugunsten anderer sportlicher Genüsse zu verzichten. Dann jedoch entdeckte ich einen wesentlichen Vorzug des Barfuß-Laufens: Umknicken ist unbeschuht nicht möglich. Ja, da staunt Ihr, gell? Nur, wer Schuhe trägt, kann sich die Bänder demolieren - so wollen es die biophysikalischen Grundgesetze. Neugierig startete ich im Sommer 2016 ein erstes Barfuß-Marathontraining, welches jedoch nicht von Erfolg gekrönt war. Als es bereits stark herbstelte, schienen mir meine Füsse noch nicht reif für die große Strecke, und so lief ich den München-Marathon im letzten Oktober in herkömmlichen Mainstream-Laufschuhen, ganz vorsichtig und imTasteschritt. 

Dieses Jahr will ich's wissen! Dem Vorhaben kommt zugute, dass mir das barfüßige Dasein großen Spaß macht. Unwillkürlich wähnt man sich im Urlaub, fühlt sich frei, arm und besonders. Erstaunlich, welche Reaktionen man bisweilen hervorruft! Bürgerliche Damen gucken mitleidig oder schütteln mit dem Kopf, Angetrunkene Handwerker rufen mir "Du hast die Schuhe vergessen!" hinterher, und tauche ich blankhaxig auf einer Bühne auf, kann ich sicher sein, dass die Aufmerksamkeit des Publikums von Weltenbrett bis zum Knöchel reicht; alles andere interessiert vergleichsweise wenig.

Eine Freundin meiner Freundin findet es sogar eklig, schuhlos durchs Leben zu gehen, von wegen Bakterien, Taubenkot und Wundstarrkrampf. Derlei Vorbehalte spornen mich nur noch mehr an; was dem Steinzeitmenschen recht, kann mir nur billig sein. Bakterien gab's damals nämlich auch, und trotzdem sind unsere Vorfahren nicht von unten her verfault.

Zugegeben: Es gibt Wegbeläge, auf denen man sich Sohlen wünscht, etwa Rollsplitt, Kantkies oder nasses Kopfsteinpflaster. Letzteres ist nämlich bei Regen enorm rutschig, wenn man's mit nackten Fußes beläuft. Andererseits ist das Laufen auf taubenetzter Wiese barfuß ein besonderes Geschenk und unbedingt zur Nachahmung empfohlen.

Wo ich meinen Marathon laufen möchte, habe ich noch nicht entschieden, aber die Strecke sollte möglichst komplett asphaltiert und frisch gefegt sein. Soweit bin ich aber noch nicht; ich werde einstweiligen vorsichtig die Umfänge steigern. An Orten, an denen echtes Barfußtraining unmöglich scheint, werde ich auf meine "Leguanos" zurückgreifen. Hach, wie ich diese heroischen Ziele liebe! Ja, ich bin ein Heroist, naiv und gefährlich. 

Nun denn; bis zum ersten Frost ist noch viel Zeit, und vorher gibt es noch allerlei andere sportliche Herausforderungen zu bestehen.

Ein Gruß aus der Plattenküche


Ich habe weiterhin heftigen Muskelkater, so fulminant wie seit Jahren nicht mehr. Ursache ist die Kombination zweier Aktivitäten: Anfang der Woche besuchte ich meinen Sohn, der in Landeck/Tirol studiert. Am Dienstagmorgen wollte ich die Bergtauglichkeit meiner Leguano-Barfuß-Schuhe testen und lief zu diesem Zweck den Venet hinauf. Auf halber Höhe machte ich kehrt, aber diese zweistündige Dosis dünnsohliger Hoppelei reichte bereits, um meine Oberschenkel brennen zu lassen. Ein Teil des Weges verlief auf der berühmten "Fliesser Platte", einem Teil der römischen Staatsstrasse Via Claudia Augusta. Noch heute ist der originale Straßenbelag in Gebrauch, dessen Verkehrssicherheit vorbildlich ist: In den blanken Alpinfels sind nämlich zwei Rillen eingemeißelt, die den römischen Pferdegespannen Spurtreue garantierten.

Am Tag darauf fuhr ich mit dem Birdy am Inn entlang, durchquerte Imst und pedalierte den Fernpass hinauf. Der Schotterweg ist für den gemeinen Mountainbiker keine echte Grenzfahrt, aber mit dem 18-Zoll-Faltrad eher flachländrischer Übersetzung und bereits brennenden Beinen musste ich mich am berühmten Riemen reißen, um die Passhöhe zu erklimmen. Und immer wieder bäumte sich steilheitsbedingt das Vorderrad auf wie ein quengeliger Mustanghengst. Wieher! Dann schmiegte ich mich beruhigend Richtung Pferdehals, äh, Drahtesel, um ihn auf die Piste zu zwingen.

Kurz hinter der Passhöhe ereilte mich der Pannenteufel und durchstach mit seinen Hörnern meinen Hinterreifen. Leider hatte ich nur Ersatzschläuche mit Autoventil in der Tasche, welches leider nicht durchs Loch in der Felge passte. Etwas enttäuscht bastelte ich alles leidlich zusammen und schob den Klapphobel hinunter nach Biberwier, wo ein netter Autofahrer mir anbot, mich zum Bahnhof nach Ehrwald zu transportieren. Danke hierfür!

Gestern schließlich gondelte ich 25km auf meinem Tretroller durch die südwestlichen Stadtteile Münchens, was interessanterweise völlig beschwerdefrei funktionierte, während auch mickrige Treppenabsätze meine Beinmuskeln aufjaulen lassen.

Merke: Jedem Muskelkater haftet etwas ordenhaftes an, er ist eine Auszeichnung. Doch im Gegensatz zu manchen Trophäen des sonstigen Lebens will er mit echtem Perlschweiß erworben werden.

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