Mittwoch, 31. Juli 2019

Ein Tag im Leben von...



Ein typischer „Genial Daneben - das Quiz"-Produktionstag: Ich erwache im Appartment 024 im Hotel Savoy. Es ist 6:30. Kurzes Studium der sozialen Netzwerke, des Guardians und der Süddeutschen Zeitungs-App. Dusche, runter in den Frühstücksraum. Eine Schale Birchermüesli, ein Lachsbrötchen mit viel Meerrettich. Dann wieder ins Appartement, eine Kanne Rauchtee kochen. Auf dem Balkon lesen („Apollo 11" von James Donovan). Mit dem Tretroller nordwärts am Rhein entlang, je nach Lust zwischen 15 und 34 km Arbeitsweg nach Ossendorf. Weintrauben und Wasser in der Garderobe. 13:45 Mittagessen. Nickerchen. Am Kleiderständer hängen 3 Hemden mit Nummerierung. Maske. Armin macht die Haare schön (jeden 2ten Tag). Nickerchen. 16 Uhr erste Show. Gemeinsame Liftfahrt. „Melde mich zum Dienst!" Ich komme rein, drücke Balder die Hand und sage „Morgen Abend!" Hinsetzen. Illustrieren von „ZDF-Applaus mit Sat1-Gesicht" (Drehstuhlzirkulation). Teaser, Show. Auf Vorspannbeginn lauter Schrei, dann wechselnde Sitztanzfiguren. Noch im Abspann abkabeln, raus. Nochmal warm essen. Nickerchen. 18 Uhr zweite Show. 20 Uhr die dritte. Rauf, umziehen, kurzer Weg zum Hotel rollern (8,1 km). 22 Uhr Ankunft. Daheim anrufen, ab ins Bett.

Exotisches Lebensgefühl: Irgendwas zwischen Industriearbeiter und Kosmonaut auf dem Planeten Ossendorf (Langzeitmission). Kommandant ist HE Balder, Hella v Sinnen gibt Wally Schirra auf Apollo 7. Heute ist letzter Produktionstag des Sommerblocks 2019. Auf der Party werde ich eine kleine Rede halten, meine lieben Freunde preisen, mit denen ich bereits so viele schöne Erlebnisse teile, viele hundert Sendungen gemeinsam bestritt. RTL Samstag Nacht. TV-Quartett. Hitgiganten. Der Klügere kippt nach. 

Ein Keller voller Vauhaessen. 

Durch Dick und Dünn.

Unzählige Umrundungen des Fernsehorbits.

Ihr seid die Besten.

Danke!


Zum Beleg ein Fund von 2001: 

tv quartett

Dienstag, 30. Juli 2019

Gastkommentar für „Die Welt"




Zu meinen bedeutendsten Leseerlebnissen gehören die Lebensbilder Englischer Exzentriker von Edith Sitwell. Besonders genoss ich die Biografie Lord Rokebys, eines Landadeligen des 18. Jahrhunderts. Rokeby war begeisterter Dauerschwimmer, der immer größere Teile seines Lebens im Wasser verbrachte. Er ließ sich einen bis zu den Kniekehlen reichenden Bart wachsen und durchweichte diesen täglich in seinem privaten Hallenbad. Sein Lieblingselement verließ Rokeby, diese „menschliche Amphibie", laut Sitwell ausschließlich, um seinen Freunden enorm langatmige Gedichte vorzutragen. 
Nicht nur weckte diese Lektüre mein Interesse am Langstreckenschwimmen, nein, sie entfachte auch meine Bewunderung einerseits für die englische Spezialität, bei Bedarf aus dem eigenen Leben ein Kunstwerk zu formen, und andererseits für die Bereitschaft der Mitmenschen, auch solchen Unika zu applaudieren, die jenseits des Ärmelkanals womöglich pathologisiert worden wären. 
Die Sehnsucht nach dem spezifisch englischen Mix aus Toleranz, Humor und Understatement hat auch mein politisches Denken geprägt: Ich verschrieb mich dem Liberalismus, dem ich bis heute verbunden bin. 
Natürlich hat auch Boris Johnson Edith Sitwell studiert: Die von ihr porträtierten Charaktere werden ihn womöglich zu eigenen Marotten inspiriert haben, etwa zu seinem jüngsten öffentlich gewordenen Hobby, dem Doppeldeckerbus-Modellbau. Seine verschwurbelten Ausflüge in die Altphilologie, kombiniert mit überraschenden Punchlines und der selbstbewussten Attitüde des Kammverächters, ließen mich sogleich frohlocken: Da war ein echter Solitär am Werke, keiner von diesen glattgebügelten Karrieristen. 
Vollends verfiel ich seinem Charme, als er das Fahrrad zum Symbol seiner Tätigkeit als Londoner Bürgermeister erklärte. Da ich selber kein Auto besitze und praktisch alle einigermaßen radelbaren Wege pedalierend zurücklege, meinte ich endgültig einen Bruder im Geiste gefunden zu haben. Ja, ich wurde sein Fan und schwärmte jedem von ihm vor, der nicht bei drei auf‘m Baum saß.
Umso irritierter war ich, als er die Brexit-Kampagne anführte. Was war da passiert? War ihm sein Fahrradhelm samt Pony vor die Klimperklüsen gerutscht? Jedenfalls radelte er plötzlich, so mutmaßte ich, unbeleuchtet auf der falschen Straßenseite. „Obacht, Boris!" wollte ich ihm zurufen, aber dann kam auch schon das Referendum und überfuhr ihn, mich, uns alle. 
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle einflechten, dass ich neben Liberalismus und Fahrradfahren noch eine weitere Leidenschaft pflege: Ich bin begeisterter Anhänger der Europäischen Integration. Den Gedanken, dass die Briten, angeführt von meinem persönlichen Bruder im Geiste, mehrheitlich den Brexit wollten, fand ich äußerst unangenehm, aber ich sagte mir: Wenn irgendjemand in der Lage sein sollte, eine derartig unsinnige Entscheidung zu einem Erfolg zu machen, dann am ehesten die tollkühnen Briten - etwa, mit einem kollektiven Blut-Schweiß-Tränenprogramm, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. 
Seit letzter Woche ist Boris Johnson nun Premierminister. Bei seinen bisherigen Auftritten waren seine Haare artig gekämmt und die subanarchischen Pointen durch pathetische Beschwörungen britischer Grandezza ersetzt. Neben der EU ist die defätistische „negativity" sein Hauptgegner, ein konvulsiver Optimismus sein Rezept für den Weg in ein güldenes Zeitalter. Aus dem rebellischen Nonkonformisten ist ein banaler nationalistischer Laberkopf geworden, der seinen Landsleuten das Blaue vom Himmel verspricht und in mantrischen Beschwörungen Vorfreude auf den „best place on earth" ins Gesicht zwingen will. Kein Witz, kein Understatement. 
Nein, das Staatsmännische steht ihm nicht. Auf mich persönlich wirkte seine Antrittsrede sogar sedierend, überlang wie eines jener Gedichte, die Lord Rokeby seinen Freunden vorzutragen pflegte. Und wie jener scheint Boris Johnson zu schwimmen: ohne Plan, wie es nach einem harten Brexit weitergehen soll. Vorläufig lege ich meine Mitgliedschaft im Bojo-Fanclub auf Eis. Vorläufig, denn: Womöglich sind sein knallharter Kurs, sind seine Salbadereien nur ein raffiniertes Täuschungsmanöver, ein kunstvolles Set-up, und am Ende steht eine befreiende Pointe. Abwarten.

Montag, 29. Juli 2019

Von Kartoffelsäcken und hohen Hacken




Gestern wollte ich eigentlich eine größere Tretrollertour unternehmen, aber bereits nach 60 km Fahrt am Rhein entlang verliess mich die Lust und ich steuerte den Remagener Bahnhof an, um per Zug nach Köln zurückzukehren. Immerhin ist der Grund für meinen Motivationsmangel edel: Weiterhin zehre ich vom Triumphgefühl meines Holzschuhmarathons. 

Das Besondere an dieser Veranstaltung war ja, dass ihr Erfolg im Vorhinein kaum absehbar war, so wenig wie selten zuvor in meiner Sportlerlaufbahn. Reinhold Messner hat ja den Begriff „Grenzgang“ für just diesen Abenteuertypus gewählt, und mit dieser frischen Erfahrung kann ich sagen: Die Freude am Gelingen ist umso grösser, je unvollkommener die Vorbereitung ist. 


In den letzten Tagen gingen mir allerlei Abwandlungen durch den Kopf: Marathon in Pumps, in Gummistiefeln, mit einem Kartoffelsack auf dem Rücken. Besonders die Pumps-Idee reizt mich, und ich diskutierte sie bereits mit unserer Genial-Daneben-Kostümbildnerin. Sie riet zu Plateausohlen. Ich finde hohe, dünne Absätze kleidsamer - zumal ich keine Angst davor habe, lange, sehr lange unterwegs zu sein. Vielleicht sollte ich die Schuhe ausschließlich nach geschmacklichen Erwägungen aussuchen, nicht nach praktischen. Dann jedoch würde ich unweigerlich bei recht hohen Stilettos landen. Den Gedanken, die Zugspitze via Höllental in Pumps zu besteigen, habe ich nach gründlicher Beratung mit Hannes erst unlängst verworfen; sollte ich unterwegs in die Bredouille geraten und einen Rettungseinsatz bewirken, müsste ich diesen wahrscheinlich selber bezahlen. Aber Marathon? Ganz in Ruhe, im Flachland? Könnte machbar sein, wenn die Gefahr des Umknickens mit Spezialtraining und/oder Knöchelschienen in Schach gehalten wird. Oder nicht?


Weiterhin sehe ich mich außerstande, auch nur kurze Strecken in meinen Marathonholzschuhen zu laufen. Schlüpfe ich hinein, verspüre ich sogleich Druck am rechten Spann, einen Druck, der zwar nicht akut schmerzt, aber unangenehme Erinnerungen hervorruft - so unangenehm, dass es mich graust. Macht nichts. Am Donnerstag gedenke ich in den Klompen nach München zu reisen, und dann werden sie auf unsere Hütte verbracht, um mir dort lediglich für die kurzen Gänge zum Plumpsklo parat zu stehen. 

Hüpfball-Marathon - auch so‘ne Idee, die ich beizeiten testen werde. Habe vergessen, wie geeignet die Gummidinger für längere Strecken sind. Wird ausprobiert.


Kein Wunder, dass ich meine frische Holzschuh-Erfahrung in jede entfernt erscheinende Aufgabenstellung einfließen lasse. ZB Brexit: Mag ja sein, dass UK keinen Plan hat und nicht ausreichend vorbereitet ist. So ist das eben auf echten Grenzgängen. Gerade der Sprung ins besonders kalte Wasser kann erfrischen, beleben, ungeahnte Kräfte freisetzen. Kurzum: Es ist nicht völlig, im Sinne von 100%, auszuschließen, dass die Brexiteers ihr Land in eine grandiose Zukunft führen. Aber Rees-Mogg & Co sind auf Stilettos unterwegs, klar. 


Oder die Zukunft des Tourismus, ein Thema, mit dem ich mich viel beschäftige, da ja mein Sohn Cyprian genau dies studiert. Wenn zB Fernflüge wegen Klima nicht mehr möglich sind, braucht es Alternativen. VR-Brillen, Bahn und Radreisen sind natürlich Trumpf, aber vielleicht auch Holzschuhe. Zum Beispiel. Alle Hilfsmittel, die uns (ohne Ressourcenverschwendung) unsere Umgebung, unser Leben neu entdecken helfen. Ich kannte die Strecke von Köln nach Düsseldorf auch vorher bestens - aber seit meinem glorreichen Klappergang werde ich sie als meine persönliche Via Dolorosa für immer im Herzen tragen. 



Sonntag, 21. Juli 2019

Mein erster Holzschuhmarathon



Ich komme in jedem Fall an! Dies deklamiere ich innerlich nachts um halb drei, nachdem ich plötzlich ohne Anlauf hellwach bin. Ich komme an, weil ich ja notfalls die Holzschuhe ausziehen und tragen kann. Tragestrecken gibt es ja auch bei Radrennen, also mitnichten eine Schummelei. Mit diesem Gedanken steht mein Entschluss fest: Ich werde jetzt aufstehen und das Ding durchziehen. „Das Ding" ist der von mir langerträumte, viel begrübelte Holzschuhmarathon. 


Meine formidablen blauen Klompen sind jene Schuhe, die ich am längsten in Gebrauch habe, und ihr Erwerb liegt zu lange zurück, als dass ich mich dran erinnern könnte. Vielleicht zu RTL-Samstag-Nacht-Zeiten, vielleicht etwas später, als ich ins Allgäu zog und die Gartenarbeit robuste Treter erforderte. 


Meine Holzschuhe passen mir prima - jedenfalls im Alltag. Für den sportlichen Einsatz sind sie nur unter gewissen Bedingungen geeignet: Der erste Testlauf, frischfrommfröhlichfrei im gewohnten Trainingstempo von etwas über 6 min pro Kilometer absolviert, endete schon nach einer halben Stunde in einem buchstäblichen Blutbad, dem eine wochenlange Regeneration folgte. Die weiteren Tests absolvierte ich mit stark verlangsamtem Tempo, quasi im Schongang, experimentierte mit verschiedenen Socken/Einlage-Kombinationen und kam der Sache so näher. 


Allerdings: Nach 10 km begann es bei jedem Testlauf irgendwo zu drücken, mal unterseits, mal am Spann, mal aussen oder an den Zehen. Man konnte lediglich Einfluss darauf nehmen, wo der Fuss zuerst schmerzte, und auf Erfahrungen jenseits der 12 km- Marke verzichtete ich in Gänze - vielleicht, weil mich allzu geschundene Füsse demotiviert hätten. Überhaupt beließ ich es bei wenigen Vorbereitungsläufen. Gewisse Vorhaben lassen sich eben nicht vorbereiten, zumal man Holzschuhe - im Gegensatz zum gemeinen Joggingschuh - kaum „einlaufen" kann.





Also raus aus den Federn, einen Kaffee und das Hand, äh, Fusswerkszeug präpariert: In die Treter platziere ich sehr dünne Ledersohlen, unterseits mit Kork beschichtet, und als Socken wähle ich sehr enge Tourenskistrümpfe. Als „Innenschuh" soll ein Wollsockenpaar dienen, das die Spezialstrickerin Heike Zucker angefertigt hat, unterseits mit einem dünnen Latexanstrich rutschfest gemacht. Eine volle Packung Blasenpflaster packe ich in die Jacke, zwei Trinkflaschen ins Radtrikot. Strohhut. Soll ja warm werden. Drei Riegel, ein Apfel. 


Start um 3.30. Auf nach Düsseldorf! Los gehts am Hotel Savoy in Köln, beim Hauptbahnhof. Drehe gerade „Genial Daneben - Das Quiz, und sonntags ist frei. Ich pette nordwärts, passiere junge Feierbiester im Eigelstein-Viertel. Zoo. Amsterdamer Strasse. Ich klappere mich nach Norden. Früher klapperten die Klompen schlimmer, da hätte ich die ganze Nachbarschaft geweckt. Dann ließ ich beim Schuhmacher Sohlen unterkleben, sündhaft teuer, aber wirksam. Gehe ich zu schnell, zu langsam? Ist es evtl. schlau, nicht gar so langsam zu schreiten, um die Füsse dem Wahnsinn nicht allzu lange auszusetzen? Nein, wahrscheinlich kann ich gar nicht langsam genug gehen. Offene Wunden und Stressfrakturen könnten einen Abbruch erzwingen, und beides lässt sich nur vermeiden, wenn ich meine Füsse mit Samthandschuhen anfasse, um das denkbar unpassendste Bild zu bemühen. 





Niehler Hafen, blaue Stunde. Ich genieße den gut sortierten Morgenhimmel und sage mir etwas oberlehrerhaft, dass es auch heute nicht nur um den Sport gehe, sondern auch um die Schönheit der Schöpfung. Gut Holz!





Fordwerke. Merkenich. Die Bäckerei hat noch zu, und so esse ich einen Riegel, trinke Wasser und horche in meine Haxen hinein. Ja, da ist bereits etwas, nach kaum 10 km. Mittig unterm linken Ballen. Rechts auch, oben am Spann, aber das ist „normal", wie ich von meinen Vorbereitungsläufen weiss. Testhalber schlüpfe ich aus den Schuhen und gehe ein paar Meter sockfuss. Oho, das verschafft Abwechslung und fühlt sich angenehm gesund an. Werde ich drauf zurückkommen, später, wenn dem Fuss danach ist. Unter der Leverkusener Autobahnbrücke hindurch laufe ich auf der alten Römerstrasse. Mein Ziel: Möglichst genau vorm Düsseldorfer Hauptbahnhof 42.195 km auf der Uhr haben, den Marathon vollenden, rein in den nächsten Zug und zurück nach Köln. 





14 km sind rum, also ein Drittel. Terra incognita, so weit hab ich’s noch nie gebracht. Oder besser: Lignum Incognitum - unbekanntes Holz. 

Es ist hell, der Weizen reif. Zeit für ein Porträtfoto meiner Klompen. Wer weiß, ob ich das Bein nachher noch zum Posieren hochschwingen will. 


Die Apollo-Mission wagte sich auf den Mond, meine Lignum-Mission führt mich ins Eingemachte. Grundlagenforschung, genau wie bei der NASA, nur, dass meine beiden Raumschiffe bedeutend billiger sind. Von „giant leap for mankind" kann natürlich in meinem Falle keine Rede sein, und meine steps noch kleiner als die Neil Armstrongs. Kann damit zu tun haben, dass meine Klompen nicht maßgeschneidert sind wie die seinigen. 

Aua. Vor allem links scheint sich ein ernsthaftes Problem anzubahnen. Was entsteht da? Eine riesige Blase, vom Zehengrund bis in die Mitte des Fußballens? Die immer deutlicheren Kontakte der breitesten Fußpartie mit dem Holz sind vergleichsweise unwichtig. Seltsam vor allem, dass sich die Blase, oder was immer da entsteht, nur am linken Fuss spürbar ist. Bin ich denn dermaßen asymmetrisch? Bang steige ich aus den Galoschen und laufe noch ein paar Meter sockfuß. Dormagen liegt vor, das Bayerwerk neben mir; ich humpele an die Halbmarathonmarke. Etwas blass registriere ich, dass mir das Sockfußlaufen keineswegs hilft, weil ja das Auftreten ohne Schuh umso weher tut. Nun ja; keiner hat gesagt, dass dies eine Wellness-Wanderung werden würde. Schuhe wieder an und weiter.


Auf dem Rheindamm kurz vor Zons, nach 24 km, mache ich erneut Halt, entkleide mühsam den linken Fuß und will Blasenpflaster aufkleben. Aber wo? Ich kann keinen Schaden erkennen. Überhaupt sieht der Fuss unerwartet gut aus. Kaum Rötungen. Ich klebe ein Pflaster aufs Geratewohl in die Ballenmitte und humpele weiter. Alles wir vorher. Es zieht zu. Was, wenn es regnet und das Wasser in die Schuhe fliesst? Haut und Nägel könnten aufweichen und Schaden nehmen. Bitte nicht.





Um 9 Uhr geht die erste Fähre von Zons nach Urdenbach übern Rhein. Kurzes Warten. Ich bitte einen netten Radsportler aus Köln, mich zu fotografieren. Wo ich denn hinlaufe. „Nach Düsseldorf". „In die verbotene Stadt" schmunzelt er und deutet auf das Kreuzfahrtschiff, das nebenan festgemacht hat und dessen Passagiere gerade in Busse steigen. „Hier sind die Liegekosten viel kleiner als in Köln, darum legen die in Zons an". Interessant: Solange er doziert, tut der Fuß nicht weh. Wohl ein Ablenkungseffekt. Erzähl weiter! 





Am rechten Rheinufer stapfe ich über sandige Trails zur Gaststätte „Rheinterrasse". Da war ich schon mal, vor drei Jahren, auch auf Wanderschaft. Die Chefin bringt mir das Gästebuch und erklärt meine Schuhe für zu klein. Sie jedenfalls trage größere, immer zum Erntedankfest, zwei Tage lang. Sie stecke immer eine Damenbinde zwischen Spann und Oberholz. Aber nach zwei Tagen seien ihre Füße trotzdem kaputt. Ob meine auch schon schmerzten? „Doch, doch..." Apfelkuchen, Cappuccino, Fotosession. Darf ich auch ein Foto? Und weiter geht’s.




Von wegen „Weiter geht‘s!" Wie der Glöckner von Notre Dame wuchte ich mich in die Bonner Strasse, um bald auf den Radweg abzubiegen, der mich laut Beschilderung in 8,6 km zum Hbf führen soll. Verdammt, die Schuhe scheinen immer enger zu werden. Von innen drückt alles gegen die Wände, die allerdings nicht nachgeben. In Punkto Flexibilität gibts fürwahr besseres bei Görtz & Co. Die Stelle unterm Ballen erinnert mittlerweile an einen Pfirsich, auf den man getreten und der darob zermatscht ist. Allerdings befindet sich dieser Pfirsich innen, unter der Haut, und alles sträubt sich gegen Grundberührungen. Zumal sich diese Fuss-Frucht beim Auftritt heiß anfühlt. Kochobst. Die Folge kennt man vom hochsommerlichen Sandstrand: Man versucht unwillkürlich, auf den Fußkanten zu gehen, was die Klompen jedoch nicht mitmachen. Es wird gegangen, wie SIE wollen, nicht wie ich. Schon recht, alles freiwillig. Ich grinse konvulsiv und gebe Zischlaute von mir wie eine rheumageplagte Ringelnatter.



Heute mein typischer Gesichtsausdruck. Die Notre-Dame-Natter beisst die Zähne zusammen und ballt die Fäuste, vor allem links. Entspann dich, Wigald! Lockerlassen und den Schmerz weggrinsen! Klappt nicht. Wie weit ist es denn noch? Knappe fünf. Ich schaue jetzt oft aufs Handy, zähle die Kilometer herunter. Bei km 37 kommt beim Marathon ja gerne mal der Mann mit dem Hammer. Hier ist’s ein Holzhammer. Auf die Füße, Bastonade.

Mein Vater am Telefon: „Au weia! Als Kind trug ich immer Holzschuhe; da waren die Mauken manchmal in grauenhaftem Zustand". Wem sagst du das.





Auf dem Kreisverkehr zu Beginn der Himmelgeister Straße steht ein roter Fuss auf einem Betonsockel, eine Skulptur des Düsseldorfer Künstlers Till Hausmann. Verdeutlicht u.a. den Autofahrern, so lese ich im Internet, dass der Mensch sich auch anders fortbewegen kann als im Blechkokon, eigentlich sogar ganz ohne Schuhe. Heiliger Salamander, schön wär’s, murmele ich und frohlocke dabei ob des nahen Hauptbahnhofs. 




Noch ein paar irre Blicke, linkisches Hinken über die Düssel, dann stehe ich mit mattem Wohlgefühl auf der Gustav-Adolf-Straße. Geschafft. 43 km in 9:03:49 Stunden. War schon mal zügiger unterwegs. Nein, mit Holzschuhen mache ich das nicht nochmal. Aber vielleicht mit Gummistiefeln? Skistiefeln? Man könnte eine Trilogie draus machen...


Einstweilen bin ich gespannt, wann ich wieder geschmeidig gehen kann. Bleibende Schäden, so vermute ich, werden jedoch nicht zurück bleiben. 


„Well done! And now sit down and have a cup of tea"




P.S.: 24 h später. Nachdem ich noch gestern abend recht sicher war, linksseitig einen Ermüdungsbruch erlitten zu haben (Auftreten unmöglich, dabei keine sichtbaren Schäden), kann ich heute Entwarnung vermelden. Natürlich habe ich Spezialmuskelkater und ca. sechs marginale Hautreizungen, ansonsten: Alle Systeme intakt! 

Samstag, 20. Juli 2019

Wie ich einmal mit Neil Armstrong den Mond betrat.



Zum Jubiläum der Mondlandung kommt mir in den Sinn, dass ich Neil Armstrong einmal persönlich begegnet bin, vor vielleicht 15 Jahren. Wir waren beide Gäste bei einer Gala, ich glaube organisiert von ThyssenKrupp und moderiert von Günther Jauch. War das in Stuttgart? Nein, in Stuttgart traf ich Bud Spencer. Armstrong war woanders...Hannover? Braunschweig? Nein, in Braunschweig gibt es gar keine Galas. Oder doch? Jedenfalls stand ich neben dem rüstigen Raumfahrtveteranen hinter der Bühne. Wir sollten nacheinander auftreten, erst er, dann ich. Auf einem kleinen Monitor sahen wir nach kurzem How-are-you-doing gemeinsam einen Film, der seinen Auftritt einleiten sollte, und der Film endete mit Bildern der Mondlandung. Bei den berühmten Worten „one small step for a man..." bemerkte ich, wie seine Hände zitterten, und ich dachte: Kuck an, jetzt ist er von seiner großen Tat selber so ergriffen, dass er zittert. Sekunden später schickte ihn der Aufnahmeleiter auf die Bühne, und ich folgte bald darauf.

Nach der Veranstaltung erfuhr ich, dass Armstrong an Parkinson litt. „Ja wusstest Du das denn nicht?" 

Armstrong flog zum Mond, ich lebe dahinter. 

Freitag, 19. Juli 2019

Durch Verzicht werden wir die Welt nicht retten.





Niemand will verzichten, es widerspricht der Natur des Menschen. Der Sinn seiner Gier könnte ursprünglich darin bestanden haben, Vorräte für schlechte Zeiten anzulegen, zudem dürfte Balzverhalten im Spiel gewesen sein: Bestaune meine Mammutzahnsammlung und gebe dich mir hin. 

Habenwollen und Streben nach Luxus sind Triebfedern der Evolution - im Angesicht der Klimakatastrophe kontraproduktive Eigenschaften. Wie soll man urplötzlich auf Flüge, Autofahrten, aufgedrehte Heizkörper, den ganzen wonnigen Wohlstand verzichten, wenn die Verschwendung uns doch über Jahrtausende geprägt hat? 

Dies gelingt, so kann ich aus eigener Lebenserfahrung sagen, am besten durch einen Perspektivwechsel: Ich persönlich bin seit 20 Jahren begeisterter Radfahrer, gehe gern zu Fuss, lege lange Strecken auf meinem Tretroller zurück und meide das Auto, wo immer es geht. 

Autofahrten bringen mich um wertvolle Zeit auf dem Rad, denn in Bewegung an der frischen Luft, so habe ich gelernt, finde ich einen wohligen Zustand der Zufriedenheit; ich rieche die Welt, kenne keine Staus und Parkplatzsorgen, sondern bade in Leben. Im Sommer genieße ich die Hitze wie im Winter die Kälte, trotze den Elementen leidenschaftlich gern. Dieser Trotz ist das Gegenteil sauertöpfischer Askese, er gibt mir das Gefühl, ein toller Hecht zu sein und beschenkt mich zudem allabendlich mit angenehmer Müdigkeit. 

Als Radfahrer bin ich ein ausgeglichener Mensch, muss mich nicht in Händeln verausgaben, und bisweilen denke ich, dass die Menschen weniger Kriege führen würden, wenn sie sich nur richtig auf steilen Passstrassen auspowerten. Indem ich radle, verzichte ich auf nichts, sondern gewinne. Ich gewinne Erlebnisse, Abenteuer, ganz nebenbei auch Gesundheit, Befriedigung ob der gesammelten Kilometer. 

Und weil ich mein Rad auf praktisch allen Fernreisen dabeihabe, unternehme ich diese (wenn nicht eh komplett pedalierend) am liebsten in der Bahn, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: In der Bahn lassen sich die von mir heiß geliebten Vehikel am einfachsten mitnehmen, Falträder sogar ohne Aufpreis, während Radtransport im Flugzeug immer umständlich ist, mit zusätzlichen Kosten verbunden, und früher, als ich noch den Lufttransport favorisierte, kam mein Klapprad allzu oft beschädigt am Zielflughafen an (mit Spezialradkoffern kann ich nichts anfangen, weil ich ja sogleich losfahren möchte, ohne erstmal den Koffer irgendwo unterzubringen). 

Früher habe ich viel Zeit an Sperrgepäckausgaben verbracht, um mich anschließend über ein demoliertes Velo zu ärgern. Aus diesem Grunde bin ich zunehmend zügelnd unterwegs; die Kombi Rad/Bahn ist die beste. 

Nein, als Motivation taugt Verzicht nicht, niemand nimmt gerne Abschied, alle wollen gewinnen und begrüßen, möglichst angenehme Bekanntschaften machen, am besten jene mit dem Glück höchstpersönlich. Das Glück liegt in uns, in den eigenen Beinen, sitzt im Sattel, und ganz nebenbei hat der so Beglückte keine Lust mehr auf Fleischberge, weil man ja für die viele Radelei Kohlehydrate braucht, und so kommen wir, ganz ohne mühsam erzwungenen Verzicht, der Weltrettung ein Stück näher. 

Also jedenfalls ich. 


Donnerstag, 18. Juli 2019

Auf dem Weg zum Holzschuhmarathon (3.Test)



Recht bequeme 12 Kilometer in Holzschuhen. Bei Görtz im Kölner Hauptbahnhof beriet mich eine junge Fachverkäuferin bezüglich Einlagen. Meinen mit fester Stimme deklamierten Begrüßungssatz „Ich möchte Marathon in Holzschuhen laufen" quittierte sie nicht etwa mit Irritation oder Nachfragen, stattdessen zauberte sie sogleich zwei Modelle auf den Ladentisch, unter denen ich das flachere erwarb. Unterseits ist das Gehgefühl nunmehr angenehm, oberseits fehlt noch etwas Polsterung. Ich klebte mir große Heftpflaster auf die Füße, was aber über die Dauer eines Tages (ich rechne inzwischen mit 8h Gehzeit für Marathon) nicht ausreichen wird. Ein zusätzliches Schaumstoffelement wäre gut, oder wenigstens zerknüllte Taschentücher. Mein leichter Hallux Valgus  zeichnet sich nunmehr als neue Schwachstelle ab - die vorstehende Ecke kann evtl mit einem Blasenpflaster gepolstert werden. 




Der Testgang führte vom Savoy-Hotel durch die Innenstadt zum Studio 34 in Ossendorf, wo heute u.a. die 250. Ausgabe von „Genial Daneben - das Quiz" aufgezeichnet wurde. Und es macht immer noch Spass! Welch ein Geschenk, mit alten Freunden Quatsch machen zu dürfen, sportlich rätseln und das Vergnügen auch noch bezahlt zu bekommen. Natürlich behielt ich meine Holzschuhe in den Shows an, was für großes Hallo sorgte. 

Ich liebäugele damit, am Sonntag auf Wanderschaft zu gehen, etwa Richtung Düsseldorf. Oder ist es schlauer, das angekündigte warme Wetter zum Tretrollern zu nutzen und die Wanderung um eine Woche zu verschieben? Sehr wahrscheinlich, dass meine Haxen nach dem Gang ziemlich malad sind...

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