...und kaum poste ich ein Bild meines Fußes, wie ich ihn euphorisch der Kölner Vorfrühlingssonne aussetze, lese ich bei Strava den folgenden Kommentar: „Nach gesunden Füßen sieht das nicht aus!!!" Natürlich bin ich sofort alarmiert, nicht zuletzt wegen der drei Ausrufezeichen. Ist mir irgendetwas entgangen? Frostschaden? Fußpilz? Akute Sepsis? Also entgegne ich mit einem besorgten „inwiefern?" Die Antwort kommt prompt:
„Beim rechten Fuss liegt der grosse Zeh rüber zu den anderen und es besteht die Gefahr eines Hallux Valgus und links ist das Grosszehengelenk auch sehr deutlich, welches auf beginnende Arthrose deuten könnte. Ausserdem kippt dein Sprunggelenk nach innen und es ist ein klarer Spreizfuss zu erkennen. Sorry ich mache solche Analysen beruflich und man guck auf sowas ob man will oder nicht😂 Wenn du mal ne richtige Analyse haben möchtest, dann sag Bescheid😊"
Puh. Erstmal tief durchatmen. Hallus valgus? Ist das nicht diese eher unschöne Deformierung, die man bisweilen bei alten Damen beobachten kann, welche sechs Jahrzehnte lang in zu engen Pumps durch die Welt stilettiert sind? Und mein Großzehengelenk sieht nach Arthrose aus? Au weia! Ich war mal bei einem Orthopäden, der nach Computer-Tomographie Entwarnung bezüglich Arthrose gab - aber das ist auch schon wieder ein halbes Dutzend Jahre her. Hm. Spreizfuß habe ich schon immer, darum trug ich bereits als Grundschüler Einlagen, das ist nichts neues. Tja. Ob ich eine „richtige Analyse" will? Zu welchem Zweck? Um den Alterungsprozess en Detail beurkunden zu lassen? Ist es nicht sinnvoller, diese Zeit mit einem schönen Spaziergang zu füllen, womöglich barfuß, so wie heute? 15 km lief ich vom Hotel Savoy zu Ford im Kölner Norden, dann links ab zum Coloneum, wo wir mal wieder mit „Genial Daneben - das Quiz" beschäftigt sind. Eigentlich wollte ich joggen, aber dann hatte ich wegen einer abrupten Umbuchung zu viel Gepäck zu transportieren und beließ es bei einer Wanderung. Ging problemlos, trotz (angeblich) polykaputter Mauken. Bin ich denn soo unsensibel, dass ich die Schmerzen der Arthrose und des Hallus valgus nicht spüre? Eigentlich rechne ich für die kommenden Jahren eher mit Gichtattacken - solche hat mir jedenfalls vor 30 Jahren ein Arzt mit Blick auf meine erhöhten Purinwerte prophezeit. Und neulich meinte ich es auch tatsächlich zwicken zu spüren, nachdem ich mich eine Woche lang fast ausschließlich von Kassler, Pinkel, Kochwurst, Speck, Buletten und Räucherfisch ernährt hatte. War halt nichts anderes im Kühlschrank. Extremfall.
Apropos; auf den Blogbeitrag von Sonntag („vegan, mit Fleisch") reagierte tatsächlich jemand bei Facebook mit der Bemerkung, mein Text sei „ziemlicher Mist", um mich anschließend darüber aufzuklären, dass „vegan, mit Fleisch" die Ansage eines Lebensmittelallergikers sei, und dass meine „Geisteshaltung" verantwortlich dafür sei, dass es Lebensmittelallergikern so schwer falle, Eßlokale zu finden, die ihre Spezialwünsche ernst nehmen. Hossa. Ich wundere mich jeden Tag über das Internet und seine Bewohner. Natürlich hatte ich mir bereits gedacht, dass „vegan, mit Fleisch" etwas mit Allergie zu tun haben könnte, oder mit Antipathie. So what? Wichtig ist doch, dass der Gag funktioniert!
Spannend an der Geschichte ist vor allem die Frage, warum ausgerechnet wir Deutschen solch ein ideologisches Gewese um das Essenfassen machen. Kaum sagt einer irgendwas zum Thema Happahappa, wird er barsch belehrt. Spontane Theorie: Deutschland ist das Land der Reformation; der 30-Jährige Krieg hat uns traumatisiert, auch, wenn‘s um die kriegsvorbereitenden Glaubensdiskussionen geht. Um die sich infolge des Westfälischen Friedens stauende Kampfeslust zu kanalisieren, wird nunmehr übers Essen gestritten, mit dem Eifer der Mennoniten, radikal und humorlos. Küchen-Schismen als Ersatzreligionskrieg, mit Sekten, Bildersturm, Gegenpäpsten, Gegenreformation, mit allem, was dazugehört.
Und jetzt kommen die Füße ins Spiel. Nur im deutschsprachigen Kulturraum hat „Fußgesundheit" jenen Stellenwert, der Birkenstock groß gemacht hat. Konrad Birkenstock erfand 1925 das sogenannte „blaue Fußbett", das sich den Bewegungen des Trägers anpasst, der Wiener Sportlehrer Wiesner kreierte in den 30ern die moderne Sandale und der „Orthopädiepapst" (!) Professor Wilhelm Thomsen Mitte der 50er Jahre die Gymnastiksandale, aus welcher später die Adilette abgeleitet wurde. Der größte Fußorthopäde des 20. Jahrhunderts war sicher nicht zufällig ein Deutscher, nämlich Franz Schede. Der Schriftsteller Guntram Vesper hat diesem grossen Förderer der Schulgesundheitspflege in seinem Roman „Frohburg" ein Denkmal gesetzt.
Hat der Eifer, mit dem ausgerechnet wir Deutschen um Fußgesundheit kämpfen, etwas mit unserer fanatischen Streitlust über Ernährungsfragen zu tun? So wie der Mensch „ist, was er isst", so haben sein Gang, sein Stand elementare Bedeutung. Hat er Bodenhaftung? Ist er erdverbunden? Ist er ein „Steher"? Taugt er zum „langen Marsch", wahlweise bis nach Moskau oder durch die Institutionen, oder ist er ein welscher „Flaneur"? Im „Standpunkt" geht das Füsselnde ins Philosophische über. Jahrhundertelang war die Gehfähigkeit der Soldaten kriegsentscheidend, womit wir wieder beim 30-jährigen Krieg wären. Der nackte Fuß ist automatisch ein veganes, ein pazifistisches Statement, er steht für Askese und eingeschränkte Wehrkraft wie die Tagesration eines Rohköstlers. Und so, wie der Veganer beteuert, seine Ernährung sei gesund, so beteuert auch der Barfüssler die „abhärtenden", mithin gesundmachenden Effekten des Schuhverzichts. Ob Gang nach Canossa oder Wandervogelbewegung: Der Fuß war speziell in Deutschland immer auch ein Instrument des Glaubens und hochpolitischer Körperteil, just so wie der Verdauungstrakt. Karl Carstens durchwanderte Deutschland, so wie Helmut Kohl in den Saumagen biss: Als Ausweis der Heimatverbundenheit.
Was ist nun die Ensprechung zu „vegan (mit Fleisch)", wenn‘s um Füsse geht? Das kann ich aus dem Stand sagen: Es ist der Barfußschuh. Er ist die dünnbesohlte Inkonsequenz, das schuhgewordene „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass". Und bevor mir jetzt was auch immer vorgeworfen wird: Ich trage selber gerne welche (am liebsten „Leguanos"), so wie ich selber gerne dem Post-Veganismus fröne (ich mag nämlich keinen Käse).
Fußnote: An missionarischem Eifer, Streitlust, analytischem Ernst mangelt es uns Deutschen weiterhin nicht - bisweilen aber an bester liberaler Wurschtigkeit (auch vegan). Soll doch jeder essen, was er will (solange er nicht anderen auf die Füße tritt).