Freitag, 23. August 2019

Deutsche Wasser (50): Ems




Eine Woche vor meinem 16. Geburtstag spielte „KIX“ im Jugendzentrum Papenburg. Unsere Band hieß so, weil Trompeter Lars den großen Miles Davis verehrte, und der schrieb ein Stück eben dieses Namens. 

Als Zugabe erklomm ich eine Bierkiste und intonierte auf meinem verbeulten Altsaxophon die deutsche Nationalhymne. 

Angereist waren wir im babyblauen Opel Kadett unseres Schlagzeugers, und als Gage gab es gute DM 400,-. Einen Hunni für jeden von uns, auch für das Nesthäkchen - mein erstes selbstverdientes Geld. 

Bei der Rückfahrt am nächsten Tag ging der Kadett kaputt; wir blieben auf einer Landstraße liegen, irgendwo zwischen Ems und Jeddeloh eins. 

Es war Sonntag, Handys waren noch nicht erfunden, und wie die Suche nach einer Werkstatt vonstatten ging, habe ich vergessen. 

An die Reparaturkosten kann ich mich allerdings erinnern. Sie betrugen genau DM 400,-





Mittwoch, 21. August 2019

Deutsche Wasser (49): Altmühl




Im Traum crowdsurfte ich die Altmühl entlang. Tausende helfende Hände säumten die Ufer, und auf einer Insel erblickte ich Udo Lindenberg, der seine Unterhosen ordnete. 

Ich glitt mit Schrittgeschwindigkeit über die Köpfe dahin, in der Ferne folgte ein Elefant, Staatsgeschenk des Schahs von Persien. 

Eine Herdplatte lief noch, darauf ein Nudelsieb, das zügig schmolz. Der weiße Kunststoff tropfte vom Herd und ergoss sich zischend in die Altmühl. 

Die Helfer gerieten in Panik, stieben in alle Richtungen davon. Der Elefant begann zu fliegen, Udo rückte raunend seine Sonnenbrille zurecht. 

Montag, 19. August 2019

Deutsche Wasser (48): Chiemsee



In Ramersdorf stellen wir uns an die Autobahn und halten die Daumen hoch. Ich bin 17, meine Freundin 18, wir schreiben das große George-Orwell-Jahr. Ein weißer Golf GTI hält, verziert mit Rallyestreifen. Am Steuer sitzt ein kükengelber Wischmopp über rotem Dunsen. Durch geränderte Äuglein blinzelt die Erschöpfung einer lumumbalangen Nacht - und des anschließenden Tages, der gerade zu Ende geht. 

„Wo wollt ihr hin?" 

„Italien!" 

„Wo in Italien?"

„Egal!"

„Einsteigen!" 

Und mehr sagt er nicht. Aus den waschtrommelgroßen Boxen ertönt „Spaghetti Carbonara" von Spliff. „Pico-Pico" hört man da gesprochen, ganz hinten im Playback, und ich weiß bis heute nicht, warum. Der Wischmopp drückt aufs Gaspedal, Holzkirchen fliegt vorbei. 180 Sachen. Sein großer Onkel hat einen Tatterich und sorgt für unruhiges Fahrgefühl. Ruckediguh. Wir krallen uns fest, erbleichen. Die Troddeln an den Slippern des Mopps wippen spliffisch. Pico-Pico. 

Bayern wird immer bayerischer, der Fahrer fahriger. 

Ein großes Wasser schwappt direkt an die Autobahn. Ich versuche einen Small-Talk einzuleiten, auch mit dem Hintergedanken, ihn im übernächsten Schritt um eine gemächlichere Fahrweise zu bitten. 

„Ist das der Schiemsee?"

Er dreht die Musik leiser.

„Es heißt Chiemsee. Man sagt ja auch nicht Schina.

Und dann dreht er die Musik wieder laut, so laut, dass Brezenkrümeln und tote Fliegen auf den Boxen hüpfen. Bald sausen wir durch den Tauerntunnel, und im letzten Dämmerlicht steigen wir aus. 

Pico-Pico. Und ich weiß bis heute nicht, warum.


Samstag, 17. August 2019

Deutsche Wasser (47): Dümmer



Eines Tages erhob am Dümmer ein Flusskrebs seinen kantigen Kopf und schälte sich selbst aus der Schale.

„Was machst du da?" fragten, die Schuppen runzelnd, Zander, Barsche und Aale.

Der Krebs sprach unter Anlockgebärden: „Ich will ein Striptease-Tänzer werden!"

Die Fische verlachten ihn fiese.

Der Krebs jedoch wollt’ unbeirrt nach St. Pauli. 

„Mit meinen Kneifzangen tease und tanze ich auf dem Table und zwinker wie der junge Clark Gable für Touris und Trinker!"


Als auf der Reeperbahn angekommen, wollten die Etablissements ihn mitnichten, argumentierten mit Äußerlichkeiten. 

Er musst‘ auf die Tänzerkarriere verzichten, schnibbelte mit seinen Scheren im „Zwick" Gemüse, um seinen Unterhalt zu bestreiten.

Er wohnte in einem Souterrain-Zimmer, mit feuchten Wänden (zum Glück). 

Sie nannten ihn „den mit den Scherenhänden" und, auf seine Herkunft gemünzt, „dumm & dümmer".

Im Kollegenkreis wurde gestreut, dass er roch.

Doch bald bewies er Spezialkompetenz im Umgang mit Krustentieren, schulte um, wurde Koch, kreierte seine berühmten „Krabben mit Käse", übernahm den Laden, zog nach Blankenese und machte dabei eher wenig Gewese. 

Schließlich verwirklichte er seinen Traum und tanzte im eigenen Club an der Stange, umschmeichelt von Ibiza-Seifenschaum.


Er traf ein Go-Go-Girl namens Anne und lebte mit ihr in wilder Ehe. 

Dann stolperte er bei der Arbeit und landete selbst in der Pfanne, just an dem Tag, als sein Buch erschien: „Mein Wille geschehe - vom Flusskrebs im Manne"

Mit Knoblauch und Pasta musste er sieden - 


Penne in Frieden.









Sonntag, 4. August 2019

Hüttenglück

Frische Hüttenbilder. Durchwachsenes Wetter, was die Chance auf überraschende Lichtblicke deutlich erhöht. Die Feuchtigkeit wirkt sich auch auf die Möglichkeit, netten Lurchen zu begegnen, positiv aus.
Wenn‘s gar zu stark regnet, wird musiziert. Teresa konzertiert demnächst in Mondsee, und vielleicht schaffe ich es, mir die „obligate Flöte“ in Bachs Arie „Seele, deine Spezereien“ draufzuschaffen, um mit ihr üben zu können.


Wetterunabhängig: Der fabelhafte Nachtblick hinab auf Kaltenbach im Zillertal. 

Heute war das Wetter besser. Mit Besucher Bene aus Minden kraxelte ich früh morgens auf den Manskopf. Der Almbetrieb findet nun oben am Kamm statt. Man wünscht sich, hier Kuh zu sein - wenn überhaupt Hörnerträger. Sicher lästig, wenn man gerne Hüte aufsetzt.

Eine Kuh fanden wir besonders herzig:

Mit der Sonne kehrten auch die Schmetterlinge zurück.  Könnte ein Wegerich-Scheckenfalter sein. Vielleicht aber auch ein Magerrasen-Perlmutterfalter. Wer weiß sowas schon genau...



Mittwoch, 31. Juli 2019

Ein Tag im Leben von...



Ein typischer „Genial Daneben - das Quiz"-Produktionstag: Ich erwache im Appartment 024 im Hotel Savoy. Es ist 6:30. Kurzes Studium der sozialen Netzwerke, des Guardians und der Süddeutschen Zeitungs-App. Dusche, runter in den Frühstücksraum. Eine Schale Birchermüesli, ein Lachsbrötchen mit viel Meerrettich. Dann wieder ins Appartement, eine Kanne Rauchtee kochen. Auf dem Balkon lesen („Apollo 11" von James Donovan). Mit dem Tretroller nordwärts am Rhein entlang, je nach Lust zwischen 15 und 34 km Arbeitsweg nach Ossendorf. Weintrauben und Wasser in der Garderobe. 13:45 Mittagessen. Nickerchen. Am Kleiderständer hängen 3 Hemden mit Nummerierung. Maske. Armin macht die Haare schön (jeden 2ten Tag). Nickerchen. 16 Uhr erste Show. Gemeinsame Liftfahrt. „Melde mich zum Dienst!" Ich komme rein, drücke Balder die Hand und sage „Morgen Abend!" Hinsetzen. Illustrieren von „ZDF-Applaus mit Sat1-Gesicht" (Drehstuhlzirkulation). Teaser, Show. Auf Vorspannbeginn lauter Schrei, dann wechselnde Sitztanzfiguren. Noch im Abspann abkabeln, raus. Nochmal warm essen. Nickerchen. 18 Uhr zweite Show. 20 Uhr die dritte. Rauf, umziehen, kurzer Weg zum Hotel rollern (8,1 km). 22 Uhr Ankunft. Daheim anrufen, ab ins Bett.

Exotisches Lebensgefühl: Irgendwas zwischen Industriearbeiter und Kosmonaut auf dem Planeten Ossendorf (Langzeitmission). Kommandant ist HE Balder, Hella v Sinnen gibt Wally Schirra auf Apollo 7. Heute ist letzter Produktionstag des Sommerblocks 2019. Auf der Party werde ich eine kleine Rede halten, meine lieben Freunde preisen, mit denen ich bereits so viele schöne Erlebnisse teile, viele hundert Sendungen gemeinsam bestritt. RTL Samstag Nacht. TV-Quartett. Hitgiganten. Der Klügere kippt nach. 

Ein Keller voller Vauhaessen. 

Durch Dick und Dünn.

Unzählige Umrundungen des Fernsehorbits.

Ihr seid die Besten.

Danke!


Zum Beleg ein Fund von 2001: 

tv quartett

Dienstag, 30. Juli 2019

Gastkommentar für „Die Welt"




Zu meinen bedeutendsten Leseerlebnissen gehören die Lebensbilder Englischer Exzentriker von Edith Sitwell. Besonders genoss ich die Biografie Lord Rokebys, eines Landadeligen des 18. Jahrhunderts. Rokeby war begeisterter Dauerschwimmer, der immer größere Teile seines Lebens im Wasser verbrachte. Er ließ sich einen bis zu den Kniekehlen reichenden Bart wachsen und durchweichte diesen täglich in seinem privaten Hallenbad. Sein Lieblingselement verließ Rokeby, diese „menschliche Amphibie", laut Sitwell ausschließlich, um seinen Freunden enorm langatmige Gedichte vorzutragen. 
Nicht nur weckte diese Lektüre mein Interesse am Langstreckenschwimmen, nein, sie entfachte auch meine Bewunderung einerseits für die englische Spezialität, bei Bedarf aus dem eigenen Leben ein Kunstwerk zu formen, und andererseits für die Bereitschaft der Mitmenschen, auch solchen Unika zu applaudieren, die jenseits des Ärmelkanals womöglich pathologisiert worden wären. 
Die Sehnsucht nach dem spezifisch englischen Mix aus Toleranz, Humor und Understatement hat auch mein politisches Denken geprägt: Ich verschrieb mich dem Liberalismus, dem ich bis heute verbunden bin. 
Natürlich hat auch Boris Johnson Edith Sitwell studiert: Die von ihr porträtierten Charaktere werden ihn womöglich zu eigenen Marotten inspiriert haben, etwa zu seinem jüngsten öffentlich gewordenen Hobby, dem Doppeldeckerbus-Modellbau. Seine verschwurbelten Ausflüge in die Altphilologie, kombiniert mit überraschenden Punchlines und der selbstbewussten Attitüde des Kammverächters, ließen mich sogleich frohlocken: Da war ein echter Solitär am Werke, keiner von diesen glattgebügelten Karrieristen. 
Vollends verfiel ich seinem Charme, als er das Fahrrad zum Symbol seiner Tätigkeit als Londoner Bürgermeister erklärte. Da ich selber kein Auto besitze und praktisch alle einigermaßen radelbaren Wege pedalierend zurücklege, meinte ich endgültig einen Bruder im Geiste gefunden zu haben. Ja, ich wurde sein Fan und schwärmte jedem von ihm vor, der nicht bei drei auf‘m Baum saß.
Umso irritierter war ich, als er die Brexit-Kampagne anführte. Was war da passiert? War ihm sein Fahrradhelm samt Pony vor die Klimperklüsen gerutscht? Jedenfalls radelte er plötzlich, so mutmaßte ich, unbeleuchtet auf der falschen Straßenseite. „Obacht, Boris!" wollte ich ihm zurufen, aber dann kam auch schon das Referendum und überfuhr ihn, mich, uns alle. 
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle einflechten, dass ich neben Liberalismus und Fahrradfahren noch eine weitere Leidenschaft pflege: Ich bin begeisterter Anhänger der Europäischen Integration. Den Gedanken, dass die Briten, angeführt von meinem persönlichen Bruder im Geiste, mehrheitlich den Brexit wollten, fand ich äußerst unangenehm, aber ich sagte mir: Wenn irgendjemand in der Lage sein sollte, eine derartig unsinnige Entscheidung zu einem Erfolg zu machen, dann am ehesten die tollkühnen Briten - etwa, mit einem kollektiven Blut-Schweiß-Tränenprogramm, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. 
Seit letzter Woche ist Boris Johnson nun Premierminister. Bei seinen bisherigen Auftritten waren seine Haare artig gekämmt und die subanarchischen Pointen durch pathetische Beschwörungen britischer Grandezza ersetzt. Neben der EU ist die defätistische „negativity" sein Hauptgegner, ein konvulsiver Optimismus sein Rezept für den Weg in ein güldenes Zeitalter. Aus dem rebellischen Nonkonformisten ist ein banaler nationalistischer Laberkopf geworden, der seinen Landsleuten das Blaue vom Himmel verspricht und in mantrischen Beschwörungen Vorfreude auf den „best place on earth" ins Gesicht zwingen will. Kein Witz, kein Understatement. 
Nein, das Staatsmännische steht ihm nicht. Auf mich persönlich wirkte seine Antrittsrede sogar sedierend, überlang wie eines jener Gedichte, die Lord Rokeby seinen Freunden vorzutragen pflegte. Und wie jener scheint Boris Johnson zu schwimmen: ohne Plan, wie es nach einem harten Brexit weitergehen soll. Vorläufig lege ich meine Mitgliedschaft im Bojo-Fanclub auf Eis. Vorläufig, denn: Womöglich sind sein knallharter Kurs, sind seine Salbadereien nur ein raffiniertes Täuschungsmanöver, ein kunstvolles Set-up, und am Ende steht eine befreiende Pointe. Abwarten.

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