Mittwoch, 21. August 2019

Deutsche Wasser (49): Altmühl




Im Traum crowdsurfte ich die Altmühl entlang. Tausende helfende Hände säumten die Ufer, und auf einer Insel erblickte ich Udo Lindenberg, der seine Unterhosen ordnete. 

Ich glitt mit Schrittgeschwindigkeit über die Köpfe dahin, in der Ferne folgte ein Elefant, Staatsgeschenk des Schahs von Persien. 

Eine Herdplatte lief noch, darauf ein Nudelsieb, das zügig schmolz. Der weiße Kunststoff tropfte vom Herd und ergoss sich zischend in die Altmühl. 

Die Helfer gerieten in Panik, stieben in alle Richtungen davon. Der Elefant begann zu fliegen, Udo rückte raunend seine Sonnenbrille zurecht. 

Montag, 19. August 2019

Deutsche Wasser (48): Chiemsee



In Ramersdorf stellen wir uns an die Autobahn und halten die Daumen hoch. Ich bin 17, meine Freundin 18, wir schreiben das große George-Orwell-Jahr. Ein weißer Golf GTI hält, verziert mit Rallyestreifen. Am Steuer sitzt ein kükengelber Wischmopp über rotem Dunsen. Durch geränderte Äuglein blinzelt die Erschöpfung einer lumumbalangen Nacht - und des anschließenden Tages, der gerade zu Ende geht. 

„Wo wollt ihr hin?" 

„Italien!" 

„Wo in Italien?"

„Egal!"

„Einsteigen!" 

Und mehr sagt er nicht. Aus den waschtrommelgroßen Boxen ertönt „Spaghetti Carbonara" von Spliff. „Pico-Pico" hört man da gesprochen, ganz hinten im Playback, und ich weiß bis heute nicht, warum. Der Wischmopp drückt aufs Gaspedal, Holzkirchen fliegt vorbei. 180 Sachen. Sein großer Onkel hat einen Tatterich und sorgt für unruhiges Fahrgefühl. Ruckediguh. Wir krallen uns fest, erbleichen. Die Troddeln an den Slippern des Mopps wippen spliffisch. Pico-Pico. 

Bayern wird immer bayerischer, der Fahrer fahriger. 

Ein großes Wasser schwappt direkt an die Autobahn. Ich versuche einen Small-Talk einzuleiten, auch mit dem Hintergedanken, ihn im übernächsten Schritt um eine gemächlichere Fahrweise zu bitten. 

„Ist das der Schiemsee?"

Er dreht die Musik leiser.

„Es heißt Chiemsee. Man sagt ja auch nicht Schina.

Und dann dreht er die Musik wieder laut, so laut, dass Brezenkrümeln und tote Fliegen auf den Boxen hüpfen. Bald sausen wir durch den Tauerntunnel, und im letzten Dämmerlicht steigen wir aus. 

Pico-Pico. Und ich weiß bis heute nicht, warum.


Samstag, 17. August 2019

Deutsche Wasser (47): Dümmer



Eines Tages erhob am Dümmer ein Flusskrebs seinen kantigen Kopf und schälte sich selbst aus der Schale.

„Was machst du da?" fragten, die Schuppen runzelnd, Zander, Barsche und Aale.

Der Krebs sprach unter Anlockgebärden: „Ich will ein Striptease-Tänzer werden!"

Die Fische verlachten ihn fiese.

Der Krebs jedoch wollt’ unbeirrt nach St. Pauli. 

„Mit meinen Kneifzangen tease und tanze ich auf dem Table und zwinker wie der junge Clark Gable für Touris und Trinker!"


Als auf der Reeperbahn angekommen, wollten die Etablissements ihn mitnichten, argumentierten mit Äußerlichkeiten. 

Er musst‘ auf die Tänzerkarriere verzichten, schnibbelte mit seinen Scheren im „Zwick" Gemüse, um seinen Unterhalt zu bestreiten.

Er wohnte in einem Souterrain-Zimmer, mit feuchten Wänden (zum Glück). 

Sie nannten ihn „den mit den Scherenhänden" und, auf seine Herkunft gemünzt, „dumm & dümmer".

Im Kollegenkreis wurde gestreut, dass er roch.

Doch bald bewies er Spezialkompetenz im Umgang mit Krustentieren, schulte um, wurde Koch, kreierte seine berühmten „Krabben mit Käse", übernahm den Laden, zog nach Blankenese und machte dabei eher wenig Gewese. 

Schließlich verwirklichte er seinen Traum und tanzte im eigenen Club an der Stange, umschmeichelt von Ibiza-Seifenschaum.


Er traf ein Go-Go-Girl namens Anne und lebte mit ihr in wilder Ehe. 

Dann stolperte er bei der Arbeit und landete selbst in der Pfanne, just an dem Tag, als sein Buch erschien: „Mein Wille geschehe - vom Flusskrebs im Manne"

Mit Knoblauch und Pasta musste er sieden - 


Penne in Frieden.









Sonntag, 4. August 2019

Hüttenglück

Frische Hüttenbilder. Durchwachsenes Wetter, was die Chance auf überraschende Lichtblicke deutlich erhöht. Die Feuchtigkeit wirkt sich auch auf die Möglichkeit, netten Lurchen zu begegnen, positiv aus.
Wenn‘s gar zu stark regnet, wird musiziert. Teresa konzertiert demnächst in Mondsee, und vielleicht schaffe ich es, mir die „obligate Flöte“ in Bachs Arie „Seele, deine Spezereien“ draufzuschaffen, um mit ihr üben zu können.


Wetterunabhängig: Der fabelhafte Nachtblick hinab auf Kaltenbach im Zillertal. 

Heute war das Wetter besser. Mit Besucher Bene aus Minden kraxelte ich früh morgens auf den Manskopf. Der Almbetrieb findet nun oben am Kamm statt. Man wünscht sich, hier Kuh zu sein - wenn überhaupt Hörnerträger. Sicher lästig, wenn man gerne Hüte aufsetzt.

Eine Kuh fanden wir besonders herzig:

Mit der Sonne kehrten auch die Schmetterlinge zurück.  Könnte ein Wegerich-Scheckenfalter sein. Vielleicht aber auch ein Magerrasen-Perlmutterfalter. Wer weiß sowas schon genau...



Mittwoch, 31. Juli 2019

Ein Tag im Leben von...



Ein typischer „Genial Daneben - das Quiz"-Produktionstag: Ich erwache im Appartment 024 im Hotel Savoy. Es ist 6:30. Kurzes Studium der sozialen Netzwerke, des Guardians und der Süddeutschen Zeitungs-App. Dusche, runter in den Frühstücksraum. Eine Schale Birchermüesli, ein Lachsbrötchen mit viel Meerrettich. Dann wieder ins Appartement, eine Kanne Rauchtee kochen. Auf dem Balkon lesen („Apollo 11" von James Donovan). Mit dem Tretroller nordwärts am Rhein entlang, je nach Lust zwischen 15 und 34 km Arbeitsweg nach Ossendorf. Weintrauben und Wasser in der Garderobe. 13:45 Mittagessen. Nickerchen. Am Kleiderständer hängen 3 Hemden mit Nummerierung. Maske. Armin macht die Haare schön (jeden 2ten Tag). Nickerchen. 16 Uhr erste Show. Gemeinsame Liftfahrt. „Melde mich zum Dienst!" Ich komme rein, drücke Balder die Hand und sage „Morgen Abend!" Hinsetzen. Illustrieren von „ZDF-Applaus mit Sat1-Gesicht" (Drehstuhlzirkulation). Teaser, Show. Auf Vorspannbeginn lauter Schrei, dann wechselnde Sitztanzfiguren. Noch im Abspann abkabeln, raus. Nochmal warm essen. Nickerchen. 18 Uhr zweite Show. 20 Uhr die dritte. Rauf, umziehen, kurzer Weg zum Hotel rollern (8,1 km). 22 Uhr Ankunft. Daheim anrufen, ab ins Bett.

Exotisches Lebensgefühl: Irgendwas zwischen Industriearbeiter und Kosmonaut auf dem Planeten Ossendorf (Langzeitmission). Kommandant ist HE Balder, Hella v Sinnen gibt Wally Schirra auf Apollo 7. Heute ist letzter Produktionstag des Sommerblocks 2019. Auf der Party werde ich eine kleine Rede halten, meine lieben Freunde preisen, mit denen ich bereits so viele schöne Erlebnisse teile, viele hundert Sendungen gemeinsam bestritt. RTL Samstag Nacht. TV-Quartett. Hitgiganten. Der Klügere kippt nach. 

Ein Keller voller Vauhaessen. 

Durch Dick und Dünn.

Unzählige Umrundungen des Fernsehorbits.

Ihr seid die Besten.

Danke!


Zum Beleg ein Fund von 2001: 

tv quartett

Dienstag, 30. Juli 2019

Gastkommentar für „Die Welt"




Zu meinen bedeutendsten Leseerlebnissen gehören die Lebensbilder Englischer Exzentriker von Edith Sitwell. Besonders genoss ich die Biografie Lord Rokebys, eines Landadeligen des 18. Jahrhunderts. Rokeby war begeisterter Dauerschwimmer, der immer größere Teile seines Lebens im Wasser verbrachte. Er ließ sich einen bis zu den Kniekehlen reichenden Bart wachsen und durchweichte diesen täglich in seinem privaten Hallenbad. Sein Lieblingselement verließ Rokeby, diese „menschliche Amphibie", laut Sitwell ausschließlich, um seinen Freunden enorm langatmige Gedichte vorzutragen. 
Nicht nur weckte diese Lektüre mein Interesse am Langstreckenschwimmen, nein, sie entfachte auch meine Bewunderung einerseits für die englische Spezialität, bei Bedarf aus dem eigenen Leben ein Kunstwerk zu formen, und andererseits für die Bereitschaft der Mitmenschen, auch solchen Unika zu applaudieren, die jenseits des Ärmelkanals womöglich pathologisiert worden wären. 
Die Sehnsucht nach dem spezifisch englischen Mix aus Toleranz, Humor und Understatement hat auch mein politisches Denken geprägt: Ich verschrieb mich dem Liberalismus, dem ich bis heute verbunden bin. 
Natürlich hat auch Boris Johnson Edith Sitwell studiert: Die von ihr porträtierten Charaktere werden ihn womöglich zu eigenen Marotten inspiriert haben, etwa zu seinem jüngsten öffentlich gewordenen Hobby, dem Doppeldeckerbus-Modellbau. Seine verschwurbelten Ausflüge in die Altphilologie, kombiniert mit überraschenden Punchlines und der selbstbewussten Attitüde des Kammverächters, ließen mich sogleich frohlocken: Da war ein echter Solitär am Werke, keiner von diesen glattgebügelten Karrieristen. 
Vollends verfiel ich seinem Charme, als er das Fahrrad zum Symbol seiner Tätigkeit als Londoner Bürgermeister erklärte. Da ich selber kein Auto besitze und praktisch alle einigermaßen radelbaren Wege pedalierend zurücklege, meinte ich endgültig einen Bruder im Geiste gefunden zu haben. Ja, ich wurde sein Fan und schwärmte jedem von ihm vor, der nicht bei drei auf‘m Baum saß.
Umso irritierter war ich, als er die Brexit-Kampagne anführte. Was war da passiert? War ihm sein Fahrradhelm samt Pony vor die Klimperklüsen gerutscht? Jedenfalls radelte er plötzlich, so mutmaßte ich, unbeleuchtet auf der falschen Straßenseite. „Obacht, Boris!" wollte ich ihm zurufen, aber dann kam auch schon das Referendum und überfuhr ihn, mich, uns alle. 
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle einflechten, dass ich neben Liberalismus und Fahrradfahren noch eine weitere Leidenschaft pflege: Ich bin begeisterter Anhänger der Europäischen Integration. Den Gedanken, dass die Briten, angeführt von meinem persönlichen Bruder im Geiste, mehrheitlich den Brexit wollten, fand ich äußerst unangenehm, aber ich sagte mir: Wenn irgendjemand in der Lage sein sollte, eine derartig unsinnige Entscheidung zu einem Erfolg zu machen, dann am ehesten die tollkühnen Briten - etwa, mit einem kollektiven Blut-Schweiß-Tränenprogramm, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. 
Seit letzter Woche ist Boris Johnson nun Premierminister. Bei seinen bisherigen Auftritten waren seine Haare artig gekämmt und die subanarchischen Pointen durch pathetische Beschwörungen britischer Grandezza ersetzt. Neben der EU ist die defätistische „negativity" sein Hauptgegner, ein konvulsiver Optimismus sein Rezept für den Weg in ein güldenes Zeitalter. Aus dem rebellischen Nonkonformisten ist ein banaler nationalistischer Laberkopf geworden, der seinen Landsleuten das Blaue vom Himmel verspricht und in mantrischen Beschwörungen Vorfreude auf den „best place on earth" ins Gesicht zwingen will. Kein Witz, kein Understatement. 
Nein, das Staatsmännische steht ihm nicht. Auf mich persönlich wirkte seine Antrittsrede sogar sedierend, überlang wie eines jener Gedichte, die Lord Rokeby seinen Freunden vorzutragen pflegte. Und wie jener scheint Boris Johnson zu schwimmen: ohne Plan, wie es nach einem harten Brexit weitergehen soll. Vorläufig lege ich meine Mitgliedschaft im Bojo-Fanclub auf Eis. Vorläufig, denn: Womöglich sind sein knallharter Kurs, sind seine Salbadereien nur ein raffiniertes Täuschungsmanöver, ein kunstvolles Set-up, und am Ende steht eine befreiende Pointe. Abwarten.

Montag, 29. Juli 2019

Von Kartoffelsäcken und hohen Hacken




Gestern wollte ich eigentlich eine größere Tretrollertour unternehmen, aber bereits nach 60 km Fahrt am Rhein entlang verliess mich die Lust und ich steuerte den Remagener Bahnhof an, um per Zug nach Köln zurückzukehren. Immerhin ist der Grund für meinen Motivationsmangel edel: Weiterhin zehre ich vom Triumphgefühl meines Holzschuhmarathons. 

Das Besondere an dieser Veranstaltung war ja, dass ihr Erfolg im Vorhinein kaum absehbar war, so wenig wie selten zuvor in meiner Sportlerlaufbahn. Reinhold Messner hat ja den Begriff „Grenzgang“ für just diesen Abenteuertypus gewählt, und mit dieser frischen Erfahrung kann ich sagen: Die Freude am Gelingen ist umso grösser, je unvollkommener die Vorbereitung ist. 


In den letzten Tagen gingen mir allerlei Abwandlungen durch den Kopf: Marathon in Pumps, in Gummistiefeln, mit einem Kartoffelsack auf dem Rücken. Besonders die Pumps-Idee reizt mich, und ich diskutierte sie bereits mit unserer Genial-Daneben-Kostümbildnerin. Sie riet zu Plateausohlen. Ich finde hohe, dünne Absätze kleidsamer - zumal ich keine Angst davor habe, lange, sehr lange unterwegs zu sein. Vielleicht sollte ich die Schuhe ausschließlich nach geschmacklichen Erwägungen aussuchen, nicht nach praktischen. Dann jedoch würde ich unweigerlich bei recht hohen Stilettos landen. Den Gedanken, die Zugspitze via Höllental in Pumps zu besteigen, habe ich nach gründlicher Beratung mit Hannes erst unlängst verworfen; sollte ich unterwegs in die Bredouille geraten und einen Rettungseinsatz bewirken, müsste ich diesen wahrscheinlich selber bezahlen. Aber Marathon? Ganz in Ruhe, im Flachland? Könnte machbar sein, wenn die Gefahr des Umknickens mit Spezialtraining und/oder Knöchelschienen in Schach gehalten wird. Oder nicht?


Weiterhin sehe ich mich außerstande, auch nur kurze Strecken in meinen Marathonholzschuhen zu laufen. Schlüpfe ich hinein, verspüre ich sogleich Druck am rechten Spann, einen Druck, der zwar nicht akut schmerzt, aber unangenehme Erinnerungen hervorruft - so unangenehm, dass es mich graust. Macht nichts. Am Donnerstag gedenke ich in den Klompen nach München zu reisen, und dann werden sie auf unsere Hütte verbracht, um mir dort lediglich für die kurzen Gänge zum Plumpsklo parat zu stehen. 

Hüpfball-Marathon - auch so‘ne Idee, die ich beizeiten testen werde. Habe vergessen, wie geeignet die Gummidinger für längere Strecken sind. Wird ausprobiert.


Kein Wunder, dass ich meine frische Holzschuh-Erfahrung in jede entfernt erscheinende Aufgabenstellung einfließen lasse. ZB Brexit: Mag ja sein, dass UK keinen Plan hat und nicht ausreichend vorbereitet ist. So ist das eben auf echten Grenzgängen. Gerade der Sprung ins besonders kalte Wasser kann erfrischen, beleben, ungeahnte Kräfte freisetzen. Kurzum: Es ist nicht völlig, im Sinne von 100%, auszuschließen, dass die Brexiteers ihr Land in eine grandiose Zukunft führen. Aber Rees-Mogg & Co sind auf Stilettos unterwegs, klar. 


Oder die Zukunft des Tourismus, ein Thema, mit dem ich mich viel beschäftige, da ja mein Sohn Cyprian genau dies studiert. Wenn zB Fernflüge wegen Klima nicht mehr möglich sind, braucht es Alternativen. VR-Brillen, Bahn und Radreisen sind natürlich Trumpf, aber vielleicht auch Holzschuhe. Zum Beispiel. Alle Hilfsmittel, die uns (ohne Ressourcenverschwendung) unsere Umgebung, unser Leben neu entdecken helfen. Ich kannte die Strecke von Köln nach Düsseldorf auch vorher bestens - aber seit meinem glorreichen Klappergang werde ich sie als meine persönliche Via Dolorosa für immer im Herzen tragen. 



The biggest Arztroman ever

Willkommen in meinem neuen Tagebuch („Post-Coronik“), das sich womöglich auch in diesem virtuellen Gewölbekeller vornehmlich mit Corona befa...

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